Ein zeitloser Liebesroman

Lydia und Arvid, zwei junge Erwachsene, begegnen sich am Ende des 19 Jahrhunderts. Sie verspüren gegenseitige Zuneigung, eine Liebesbeziehung zwischen ihnen entsteht aber erst viele Jahre später. Doch das Glück dauert nur kurze Zeit. Zu sehr wird das Zusammenleben des unehelichen Paars durch Eifersucht, Verletzungen und Lügen belastet.
Lydia ist achtzehn. Sie verbringt die Ferien auf einer Insel vor der Küste Stockholms. Sommerfrische, Sonnenschein, smaragdklares Wasser, Badefreuden und Geselligkeit. Mit dem verheißungsvollen Entwurf einer Idylle im Jahr 1897 beginnt der Roman des schwedischen Autors Hjalmar Söderberg. Arvid - wie alle Herren in diesem Sommer - ist in Lydia verliebt. Lydia liebt auch ihn. Doch kann sich der junge Mann nicht festlegen. Er will das Leben - und die Frauen - erst einmal ausprobieren.

Als "Ein ernsthaftes Spiel" erzählt Hjalmar Söderberg in fünf Kapiteln die Geschichte von Arvid und Lydia in den folgenden fünfzehn Jahren. Sie ist archetypisch für das erotische Spiel zwischen Männern und Frauen, dessen kurzlebige Wonnen und schmerzhafte Wunden. Als Arvid daheim in Stockholm eines Tages zufällig wieder mit Lydia zusammentrifft, flammt erneut Leidenschaft auf. Erneut verhält er sich zweideutig. Bald darauf heiratet Lydia einen älteren, sehr distinguierten Kunsthistoriker, und auch Arvid, mittlerweile erfolgreicher Musikkritiker einer Tageszeitung, lässt sich von einer anderen Frau zur Ehe verführen. Beide Paare bekommen Kinder, die Jahre gehen ins Land, man kennt sich nicht.

Als sie zehn Jahre später in der Oper plötzlich nebeneinander sitzen, gestehen sie einander, dass ihre Ehen nicht glücklich sind. Sie beginnen tatsächlich ein Verhältnis. Vorübergehend sieht es so aus, als erfüllten sich endlich Liebe und gegenseitige Erwartungen. Doch in den letzten beiden Kapiteln schildert Söderbergs allwissender Erzähler die Zerrissenheit des unehelichen Paares. Das Auf und Ab von Glück und Eifersucht, Hoffnungen, Verletzungen und Lügen. Vor allem zeigt er auch die Emanzipation einer Frau: Lydia, ungewöhnlich in der Zeit, in der der Roman spielt, ist kein Opfer. Sie agiert selbstbewusst - auch sexuell.

Wie ein antikes Drama baut Söderberg seinen Roman auf. Er entwickelt die Geschichte spannend von der Vorstellung des Konfliktes zu Beginn bis zu einer Lösung, die man im Sinne bürgerlicher Moral keineswegs als "Happy End" lesen kann. Söderberg, der zu Lebzeiten als "unsittlicher Autor" attackiert wurde, hat einen höchst modernen, stilistisch ungemein dichten Roman geschrieben.

Intensiv schildert er Natur, den gleichförmigen Wechsel der Jahreszeiten. Den Alltag im Stockholm der Jahrhundertwende, die Ereignisse in Politik und Weltgeschichte. Und den Gefühlshaushalt seiner Protagonisten, ihre Liebe. Nur von dort kommen Impulse zur Entwicklung der Handlung. Deutlich wird so die Entfremdung der Protagonisten von allem äußeren Leben. Der Erzähler datiert jedoch das Scheitern ihrer Liebesbeziehung nicht zufällig auf den Tag, an dem die Titanic untergeht. Symbolische Koinzidenzen dieser Art grundieren den ganzen Roman. Allein die Literatur, scheint Söderberg zu sagen, kann die einzelnen Sphären zusammenbringen. Er reflektiert so auch die politischen Diskussionen seiner Zeit, setzt sich mit Religion und Moral, Ästhetik und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander. Er psychologisiert nicht. Zeichnet klar seine Figuren mit feinen Strichen und knappen Dialogen. Wenig wird gesprochen und alles gesagt. Der Autor offenbart sein tiefes Verständnis für die Chemie der Liebe, für die Seelen von Männern und Frauen. In seinem Privatleben hat ihm das jedoch wenig geholfen. "Ein ernsthaftes Spiel" ist Söderbergs letzter Roman. In ihm verarbeitet er illusionslos sein persönliches Scheitern - das einer langjährigen außerehelichen Liebesbeziehung und das seiner Ehe.

Rezensiert von Carsten Hueck

Hjalmar Söderberg: Das ernsthafte Spiel
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel
Piper Verlag, München 2007
297 Seiten, 18,00 Euro