Ein zentrales Dokument deutsch-jüdischer Geschichte
Nach dem Holocaust schien jüdisches Leben im Land der Täter unmöglich. Doch ausgerechnet in Deutschland entstand durch den Zuzug Zehntausender Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wieder die drittgrößte jüdische Gemeinschaft Europas. Mit einem Staatsvertrag sollte deren Integration erleichtert werden.
"Im Bewusstsein der besonderen geschichtlichen Verantwortung des deutschen Volkes für das jüdische Leben in Deutschland, angesichts des unermesslichen Leides, das die jüdische Bevölkerung in den Jahren 1933 bis 1945 erdulden musste, schließt die Bundesrepublik Deutschland mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland folgenden Vertrag."
Heißt es in der Präambel des Staatsvertrages, den Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Präsident des Zentralrats, Paul Spiegel, am 27. Januar 2003, dem Holocaust-Gedenktag, in einer Feierstunde im Bundestag vorstellten.
Gerhard Schröder: "Dieser Vertrag, denke ich, ist ein bedeutsames Zeichen, ein Zeichen des Vertrauens der jüdischen Gemeinschaft in unsere Gesellschaft, auch ein Zeichen des Vertrauens in unsere Demokratie"
Paul Spiegel: "Niemand, wahrlich niemand, hätte 1945 geglaubt, dass es in Deutschland je wieder jüdisches Leben geben könnte. Heute sind wir sogar versucht, von einer bevorstehenden Renaissance des Judentums in Deutschland zu sprechen."
Eine Renaissance, die vor allem mit dem Zuzug zahlreicher Juden aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zusammenhing: Binnen weniger Jahre war die Zahl der Mitglieder in den jüdischen Gemeinden von rund dreißig- auf über hunderttausend gestiegen, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland war plötzlich die drittgrößte Westeuropas geworden. Eine Entwicklung, die für viele lange undenkbar gewesen sei, so die Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland, Sonja Güntner.
"Das war ja in den 50 Jahren nach dem Holocaust immer die These, dass jüdisches Leben hier eigentlich so stark verunmöglicht wird durch die Folgen der Shoa, dass die Gemeinden eigentlich nur Durchgangsstationen sind und sich irgendwann mal demografisch aus Überalterungsgründen sozusagen selber schließen. 50 Jahre ist an sich schon ein zu langer Zeitraum, um so eine Theorie aufrecht zu erhalten, aber in den 90er-Jahren war dann eben wirklich klar, durch den Zuzug, durch die demografische Verbesserung in den Gemeinden, dass hier dauerhafte Lösungen gefunden werden müssen."
In Artikel 1 des Staatsvertrages heißt es:
"Die Bundesregierung wird zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft und zu den integrationspolitischen und sozialen Aufgaben des Zentralrats in Deutschland beitragen. Dazu wird sie den Zentralrat der Juden in Deutschland bei der Erfüllung seiner überregionalen Aufgaben sowie den Kosten seiner Verwaltung finanziell unterstützen."
Mit dem Staatsvertrag war nicht nur eine Erhöhung der Bundesmittel verbunden, sondern auch die Anerkennung des Zentralrats als Vertreter aller jüdischen Strömungen in Deutschland. Eine Vielfalt, die der eher orthodox ausgerichtete Zentralrat in Wirklichkeit nicht abbilde, kritisiert Güntner. Gerade das liberale Judentum, das im 19. Jahrhundert in Deutschland entstanden ist und in dessen Nachfolge sich die Union Progressiver Juden sieht, werde bei der Vergabe der im Staatsvertrag vorgesehenen Mittel – zunächst drei und inzwischen zehn Millionen Euro jährlich – kaum berücksichtigt.
"Der Staatsvertrag nimmt ganz explizit Bezug auf den innerjüdischen Pluralismus, und es war ganz klar ein Auftrag an den Zentralrat, alle Strömungen innerhalb des Judentums aus diesen Mitteln zu fördern. Das hat der Zentralrat weder 2003 in angemessener Weise getan noch tut er es bis heute."
Ein zentrales Dokument der deutsch-jüdischen Geschichte sei der Staatsvertrag dennoch.
"Jüdisches Leben hier in Deutschland ist sehr viel selbstverständlicher geworden als es das noch vor 20 Jahren oder vor 30 Jahren war, aber es ist noch lange keine Normalität, und jegliches Zeichen gesellschaftlicher Anerkennung hilft da. Insofern war dieser Vertrag ein ganz wichtiger Meilenstein in der jüdischen Geschichte nach der Shoa."
Von vollkommener gesellschaftlicher Akzeptanz der jüdischen und anderer Minderheiten kann jedoch auch zehn Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrages kaum die Rede sein. Die mahnenden Worte, die der damalige Zentralratspräsident Paul Spiegel während der Feierstunde im Bundestag fand, sind auch heute noch von erschreckender Aktualität.
"Ohne Zweifel ist die Bundesrepublik Deutschland eine stabile Demokratie. Gleichwohl begreift diese Gesellschaft leider nicht, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zwar unmittelbare Angriffe sind auf Minderheiten in diesem Land, die Gesellschaft es aber um ihrer eigenen Würde und ihres eigenen Selbstverständnisses willen nicht zulassen darf, dass sich diese Form der Menschenfeindlichkeit in ihrer Mitte ausbreiten kann."
Heißt es in der Präambel des Staatsvertrages, den Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Präsident des Zentralrats, Paul Spiegel, am 27. Januar 2003, dem Holocaust-Gedenktag, in einer Feierstunde im Bundestag vorstellten.
Gerhard Schröder: "Dieser Vertrag, denke ich, ist ein bedeutsames Zeichen, ein Zeichen des Vertrauens der jüdischen Gemeinschaft in unsere Gesellschaft, auch ein Zeichen des Vertrauens in unsere Demokratie"
Paul Spiegel: "Niemand, wahrlich niemand, hätte 1945 geglaubt, dass es in Deutschland je wieder jüdisches Leben geben könnte. Heute sind wir sogar versucht, von einer bevorstehenden Renaissance des Judentums in Deutschland zu sprechen."
Eine Renaissance, die vor allem mit dem Zuzug zahlreicher Juden aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion zusammenhing: Binnen weniger Jahre war die Zahl der Mitglieder in den jüdischen Gemeinden von rund dreißig- auf über hunderttausend gestiegen, die jüdische Gemeinschaft in Deutschland war plötzlich die drittgrößte Westeuropas geworden. Eine Entwicklung, die für viele lange undenkbar gewesen sei, so die Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland, Sonja Güntner.
"Das war ja in den 50 Jahren nach dem Holocaust immer die These, dass jüdisches Leben hier eigentlich so stark verunmöglicht wird durch die Folgen der Shoa, dass die Gemeinden eigentlich nur Durchgangsstationen sind und sich irgendwann mal demografisch aus Überalterungsgründen sozusagen selber schließen. 50 Jahre ist an sich schon ein zu langer Zeitraum, um so eine Theorie aufrecht zu erhalten, aber in den 90er-Jahren war dann eben wirklich klar, durch den Zuzug, durch die demografische Verbesserung in den Gemeinden, dass hier dauerhafte Lösungen gefunden werden müssen."
In Artikel 1 des Staatsvertrages heißt es:
"Die Bundesregierung wird zur Erhaltung und Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes, zum Aufbau einer jüdischen Gemeinschaft und zu den integrationspolitischen und sozialen Aufgaben des Zentralrats in Deutschland beitragen. Dazu wird sie den Zentralrat der Juden in Deutschland bei der Erfüllung seiner überregionalen Aufgaben sowie den Kosten seiner Verwaltung finanziell unterstützen."
Mit dem Staatsvertrag war nicht nur eine Erhöhung der Bundesmittel verbunden, sondern auch die Anerkennung des Zentralrats als Vertreter aller jüdischen Strömungen in Deutschland. Eine Vielfalt, die der eher orthodox ausgerichtete Zentralrat in Wirklichkeit nicht abbilde, kritisiert Güntner. Gerade das liberale Judentum, das im 19. Jahrhundert in Deutschland entstanden ist und in dessen Nachfolge sich die Union Progressiver Juden sieht, werde bei der Vergabe der im Staatsvertrag vorgesehenen Mittel – zunächst drei und inzwischen zehn Millionen Euro jährlich – kaum berücksichtigt.
"Der Staatsvertrag nimmt ganz explizit Bezug auf den innerjüdischen Pluralismus, und es war ganz klar ein Auftrag an den Zentralrat, alle Strömungen innerhalb des Judentums aus diesen Mitteln zu fördern. Das hat der Zentralrat weder 2003 in angemessener Weise getan noch tut er es bis heute."
Ein zentrales Dokument der deutsch-jüdischen Geschichte sei der Staatsvertrag dennoch.
"Jüdisches Leben hier in Deutschland ist sehr viel selbstverständlicher geworden als es das noch vor 20 Jahren oder vor 30 Jahren war, aber es ist noch lange keine Normalität, und jegliches Zeichen gesellschaftlicher Anerkennung hilft da. Insofern war dieser Vertrag ein ganz wichtiger Meilenstein in der jüdischen Geschichte nach der Shoa."
Von vollkommener gesellschaftlicher Akzeptanz der jüdischen und anderer Minderheiten kann jedoch auch zehn Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrages kaum die Rede sein. Die mahnenden Worte, die der damalige Zentralratspräsident Paul Spiegel während der Feierstunde im Bundestag fand, sind auch heute noch von erschreckender Aktualität.
"Ohne Zweifel ist die Bundesrepublik Deutschland eine stabile Demokratie. Gleichwohl begreift diese Gesellschaft leider nicht, dass Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zwar unmittelbare Angriffe sind auf Minderheiten in diesem Land, die Gesellschaft es aber um ihrer eigenen Würde und ihres eigenen Selbstverständnisses willen nicht zulassen darf, dass sich diese Form der Menschenfeindlichkeit in ihrer Mitte ausbreiten kann."