Ein, zwei Jahre Almanya
Nur unverheiratete Männer unter 40 Jahren durften zunächst nach Deutschland. Sie sollten laut dem "Anwerbeabkommen" aus dem europäischen Teil der Türkei stammen und bald gegen Nachrücker ausgetauscht werden. Doch es kam ganz anders.
Naci Sahin: "Jaaa; damals unsere Gastarbeiter waren ganz zufrieden, manche Schäferleute waren in Deutschland von unserem Dorf, die haben einfach Führerschein gemacht, mit diesem Zylinderhut gekommen, mit Krawatte, Mann-oh-Mann…”"
Die Erzählungen vom schnellen Geld in Deutschland machten früh die Runde, besonders auf dem Land, besonders durch die ersten Urlaubsheimkehrer aus dem Wirtschaftswunderland Deutschland:
Naci Sahin: ""Wie die damals gut angezogen haben, diese Schallplatten von Deutschland mitgebracht … Fotoapparat … Mann, die kommen wie vom Mars.”"
Auch Naci Sahin war beeindruckt – und wurde später Sozialarbeiter in Köln:
""Unsere armen Dörfler wollten alle nach Deutschland."
Aber zunächst waren es die Facharbeiter: Stahlarbeiter, Dreher, Schweißer, Elektriker aus den türkischen Städten, die nach Deutschland kommen sollten; wenn auch anfangs nur für kurze Zeit:
Naci Sahin: "Damals, der populärste Politiker, der Osman Bölükbaþý, sagte, unsere Männer sollen in Deutschland nur zwei Jahre bleiben, danach andere Bruder, andere Onkel sollte dahin; nicht für immer …”"
"Rotationsprinzip” hieß das offiziell im Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei, das am 31. Oktober 1961 in Bad Godesberg besiegelt wurde. Etwas strenger als bei den Verträgen mit Italien, Griechenland, Spanien sollten aus der Türkei nur unverheiratete Männer zwischen 20 und 40 Jahren angeworben werden. Die Familien nachzuholen, war ausdrücklich ausgeschlossen, und die Bewerbungen der "ausländischen Arbeitnehmer” sollten ausschließlich aus den europäischen Gebieten der Türkei erfolgen.
In Istanbul wurde dann auch die Deutsche Verbindungsstelle eingerichtet; als Außenstelle des Deutschen Arbeitsamtes. Auf eigenen Wunsch saßen häufig Firmen- und Personalchefs bei den Bewerbungen in Istanbul dabei – und hatten große Auswahl. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen bewarben sich in den zwölf Jahren der Anwerbephase. Knapp ein Viertel davon (650.000) wurden tatsächlich auch vermittelt und gingen nach Deutschland. Anfangs vor allem Istanbuler Männer, aber sehr bald schon Frauen und Männer aus der gesamten Türkei.
Gandi Mukli: ""Meine Mutter war '64 gekommen, und hat bei Siemens gearbeitet, eine junge Türkin, alleine, unverheiratet und als einzige ihrer Familie. Sie ist nach München und war dann in so einem Gastarbeiterinnenheim, wo nur Frauen waren, türkische, ich weiß nur, dass sie wohl ganz viele kleine Sachen montieren musste. Und sie hat lange Jahre bei Siemens gearbeitet, glaub' ich 20, 25 Jahre.”"
Rotation und kurzfristige Verträge waren schon 1964 auf Drängen der Arbeitgeber aufgehoben worden: Zu aufwändig, zu teuer war es, alle zwei Jahre eingearbeitete und gerade Deutsch sprechende Arbeiter gegen neue auszutauschen.
Aber wer auch immer vermittelt wurde – nach Lesetests, Prüfungen und nach gemeinschaftlichen Gesundheitsuntersuchungen – der ging durch den Istanbuler Hauptbahnhof Sirkeçi, das Nadelöhr der Arbeitsmigration nach Deutschland. Wie auch Ali Can aus einem Fischerdorf der Ägais:
""Dann bin ich am 19. August 1966 von Istanbul Sirkeçi mit dem Ticket nach Deutschland gekommen; damals war kein Flugzeug Verkehrsmittel, nur mit dem Zug, aber richtige, so Dampfmaschine. Da wird man schwarz, wenn man am Fenster rausguckt. Die Reise hat sieben Tage gedauert, sieben Tage unterwegs, keine Verpflegung, nichts.”"
Heute pendelt Ali Can, der 40 Jahre lang in Deutschland im Bergbau, als Getränkelieferant und als Kioskbesitzer gearbeitet hat, zwischen Essen im Ruhrgebiet und seinem Heimatdorf, soweit es seine Rente erlaubt.
Istanbul–München, in Großraum-Sonderzügen der Deutschen Bahn, 3.000 Kilometer Balkan, Griechenland, Bulgarien, Österreich. Das ist die Route, die auch der Vater der heutigen Ford-Ingenieurin Adalet Sal genommen hatte; mit einem Plan, den, so oder ähnlich, viele hatten:
""Das Ziel war, ins Ausland gehen, ein paar Jahre arbeiten, zurückkommen, ein Haus bauen und einen Traktor kaufen.”"
Ein, zwei Jahre Almanya – ein, zwei Jahre Deutschland – wurde bald zum geflügelten Wort der so genannten ersten Generation Gastarbeiter.
Adalet Sal: "… was nicht so ganz funktioniert hatte. Es war nicht so einfach, in zwei, drei Jahren genug zu sparen und wieder in die Türkei zurückzugehen. Und deswegen hat er uns alle rübergeholt, 1977.”"
Nach dem Anwerbestopp 1973, nach Öl- und Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit in Deutschland, wird für viele die von der Bundesrepublik eingeräumte "Familienzusammenführung” zur Chance, wenn sie weder Frau noch Mann noch Kinder noch Deutschland aufgeben wollen.
Die Erzählungen vom schnellen Geld in Deutschland machten früh die Runde, besonders auf dem Land, besonders durch die ersten Urlaubsheimkehrer aus dem Wirtschaftswunderland Deutschland:
Naci Sahin: ""Wie die damals gut angezogen haben, diese Schallplatten von Deutschland mitgebracht … Fotoapparat … Mann, die kommen wie vom Mars.”"
Auch Naci Sahin war beeindruckt – und wurde später Sozialarbeiter in Köln:
""Unsere armen Dörfler wollten alle nach Deutschland."
Aber zunächst waren es die Facharbeiter: Stahlarbeiter, Dreher, Schweißer, Elektriker aus den türkischen Städten, die nach Deutschland kommen sollten; wenn auch anfangs nur für kurze Zeit:
Naci Sahin: "Damals, der populärste Politiker, der Osman Bölükbaþý, sagte, unsere Männer sollen in Deutschland nur zwei Jahre bleiben, danach andere Bruder, andere Onkel sollte dahin; nicht für immer …”"
"Rotationsprinzip” hieß das offiziell im Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei, das am 31. Oktober 1961 in Bad Godesberg besiegelt wurde. Etwas strenger als bei den Verträgen mit Italien, Griechenland, Spanien sollten aus der Türkei nur unverheiratete Männer zwischen 20 und 40 Jahren angeworben werden. Die Familien nachzuholen, war ausdrücklich ausgeschlossen, und die Bewerbungen der "ausländischen Arbeitnehmer” sollten ausschließlich aus den europäischen Gebieten der Türkei erfolgen.
In Istanbul wurde dann auch die Deutsche Verbindungsstelle eingerichtet; als Außenstelle des Deutschen Arbeitsamtes. Auf eigenen Wunsch saßen häufig Firmen- und Personalchefs bei den Bewerbungen in Istanbul dabei – und hatten große Auswahl. Mehr als zweieinhalb Millionen Menschen bewarben sich in den zwölf Jahren der Anwerbephase. Knapp ein Viertel davon (650.000) wurden tatsächlich auch vermittelt und gingen nach Deutschland. Anfangs vor allem Istanbuler Männer, aber sehr bald schon Frauen und Männer aus der gesamten Türkei.
Gandi Mukli: ""Meine Mutter war '64 gekommen, und hat bei Siemens gearbeitet, eine junge Türkin, alleine, unverheiratet und als einzige ihrer Familie. Sie ist nach München und war dann in so einem Gastarbeiterinnenheim, wo nur Frauen waren, türkische, ich weiß nur, dass sie wohl ganz viele kleine Sachen montieren musste. Und sie hat lange Jahre bei Siemens gearbeitet, glaub' ich 20, 25 Jahre.”"
Rotation und kurzfristige Verträge waren schon 1964 auf Drängen der Arbeitgeber aufgehoben worden: Zu aufwändig, zu teuer war es, alle zwei Jahre eingearbeitete und gerade Deutsch sprechende Arbeiter gegen neue auszutauschen.
Aber wer auch immer vermittelt wurde – nach Lesetests, Prüfungen und nach gemeinschaftlichen Gesundheitsuntersuchungen – der ging durch den Istanbuler Hauptbahnhof Sirkeçi, das Nadelöhr der Arbeitsmigration nach Deutschland. Wie auch Ali Can aus einem Fischerdorf der Ägais:
""Dann bin ich am 19. August 1966 von Istanbul Sirkeçi mit dem Ticket nach Deutschland gekommen; damals war kein Flugzeug Verkehrsmittel, nur mit dem Zug, aber richtige, so Dampfmaschine. Da wird man schwarz, wenn man am Fenster rausguckt. Die Reise hat sieben Tage gedauert, sieben Tage unterwegs, keine Verpflegung, nichts.”"
Heute pendelt Ali Can, der 40 Jahre lang in Deutschland im Bergbau, als Getränkelieferant und als Kioskbesitzer gearbeitet hat, zwischen Essen im Ruhrgebiet und seinem Heimatdorf, soweit es seine Rente erlaubt.
Istanbul–München, in Großraum-Sonderzügen der Deutschen Bahn, 3.000 Kilometer Balkan, Griechenland, Bulgarien, Österreich. Das ist die Route, die auch der Vater der heutigen Ford-Ingenieurin Adalet Sal genommen hatte; mit einem Plan, den, so oder ähnlich, viele hatten:
""Das Ziel war, ins Ausland gehen, ein paar Jahre arbeiten, zurückkommen, ein Haus bauen und einen Traktor kaufen.”"
Ein, zwei Jahre Almanya – ein, zwei Jahre Deutschland – wurde bald zum geflügelten Wort der so genannten ersten Generation Gastarbeiter.
Adalet Sal: "… was nicht so ganz funktioniert hatte. Es war nicht so einfach, in zwei, drei Jahren genug zu sparen und wieder in die Türkei zurückzugehen. Und deswegen hat er uns alle rübergeholt, 1977.”"
Nach dem Anwerbestopp 1973, nach Öl- und Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit in Deutschland, wird für viele die von der Bundesrepublik eingeräumte "Familienzusammenführung” zur Chance, wenn sie weder Frau noch Mann noch Kinder noch Deutschland aufgeben wollen.