"Einar Schleef - Erinnern ist Arbeit"
Performance, Film, Texte, Künstlerische Kommentare zum 75. Geburtstag
noch bis 15. Januar 2019 am HAU Berlin
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"Er hat einfach die Theaterrevolution ausgerufen"
Einar Schleef zählte zu den großen Einzelgängern der deutschen Theatergeschichte. Jetzt widmet das Berliner HAU dem 2001 verstorbenen Regisseur und Schriftsteller ein Festival. Wir sprachen mit der Kuratorin Aenne Quiñones.
Einar Schleefs Inszenierungen, die oft mit chorischen Auftritten großer Ensembles überwältigten, wurden ebenso kultisch verehrt wie radikal abgelehnt. Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bezeichnete den 2001 überraschend mit nur 57 Jahren verstorbenen Schleef als "einziges Genie in Deutschland nach dem Krieg" neben Rainer Werner Fassbinder. Dabei rieb sich Schleef künstlerisch sowohl an der DDR, die er 1976 verließ, als auch am Westen, wo seine Arbeiten regelmäßig mit den Grenzen des Stadttheaterbetriebs kollidierten.
Alltägliche Erfahrung und geschichtlicher Kontext
Am 17. Januar wäre Einar Schleef nun 75 Jahre alt geworden – Anlass für das Berliner Hebbel am Ufer, ihn mit einem Festivalwochenende zu würdigen, das besonders Schleefs umfangreiche Tagebücher in den Mittelpunkt stellt. Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur sagt HAU-Kuratorin Aenne Quiñones:
"Insbesondere geht es uns darum, dass er einfach ein ganz besonderer Künstler war, der leider jetzt schon wieder etwas in Vergessenheit geraten ist, und dass es uns ganz wichtig war, auf dieses Werk aufmerksam zu machen und das auch zu verknüpfen mit Künstler*innen, mit denen wir am HAU zu tun haben. Also haben wir dann gedacht: Die Tagebücher sind ein wahnsinnig interessantes Material. Das hat er ja mit neun Jahren angefangen zu schreiben und hat das dann fortgesetzt bis zu seinem Tod. Und da wird nochmal ganz deutlich auch die Verbindung und die enge Verwebung von alltäglicher Erfahrung und geschichtlichem Kontext."
Er brachte den Chor zurück auf die Bühne
Anknüpfend an Schleefs eigene Ästhetik ist dazu neben den Lesungen am HAU auch ein Chorprojekt auf Basis der Tagebücher zu sehen. Aenne Quiñones:
"Das Besondere war natürlich der Chor! Schleef hat den Chor wieder auf die Bühne zurückgeholt und zwar anknüpfend an den antiken Chor. Das klassische Drama stellt das bürgerliche Individuum in den Mittelpunkt und der Chor – vor allem der Frauenchor! – war von der Bühne verbannt."
Schleef war es hierbei darum gegangen, "eine andere Realität auf die Bühne zu bringen und auch die Komplexität des gesellschaftlichen Daseins: Was heißt das, ein Kollektiv zu sein? Was heißt das, als Individuum einem Kollektiv gegenüber zu stehen? Und dann hat er natürlich auch als Bühnenbildner und bildender Künstler den Raum ganz anders besetzt. Und das war natürlich revolutionär in den 80er-Jahren in Frankfurt am Main. Er kam aus dem Osten und hat dort da einfach die Theaterrevolution ausgerufen."
Die Kraft eines Kollektivs
Schleefs häufiges Aneinandergeraten mit den Konventionen des Stadttheaters, das viele unvollendete Projekte und abgesetzte Premieren mit sich brachte, deutet Quiñones dementsprechend als Notwendigkeit innerhalb seiner künstlerischen Selbstverwirklichung:
"Das war natürlich erstmal befremdlich und es ging ja auch darum, den eigenen Theaterbegriff vielleicht einmal in Frage zu stellen – oder die ganze Institution Stadttheater: Wie funktioniert das eigentlich? Heiner Müller hat das mal sehr toll beschrieben: ‚Sein Talent hat ihn diesen Zwängen ausgesetzt.‘ Er ist immer wieder an diese Ecken gestoßen, weil das in seiner Arbeit immanent war. Und dadurch hat er natürlich auch gestört. Dieses Aus-der-Zeit-Fallen, Aus-der-Gesellschaft-Fallen, das hat ihn glaube ich interessiert und: Was kann man dagegen setzen als kollektive Kraft?"