Einblick in ein abgeschottetes Land
Mit "Architekturführer Pjöngjang" ist jetzt der erste Architekturführer über die Hauptstadt der "Demokratischen Volksrepublik Korea" erschienen. Der Autor Philipp Meuser hat in Zusammenarbeit mit nordkoreanischen Fotografen und Architekten exklusives Material zusammengestellt.
Wer an Nordkorea denkt, kommt kaum darauf, dass diese verschlossene kommunistische Diktatur ein Dorado modernistischer Architektur sein könnte. Nun, der jetzt im Berliner Verlag DOM in zwei Bänden erschienene Architekturführer für die Hauptstadt Pjöngjang beweist das Gegenteil. Es würde sich lohnen, Pjöngjang zu besuchen, wenn ... ja, wenn ...
Der erste Band wurde vom staatlichen nordkoreanischen Verlag für fremdsprachige Literatur zusammengestellt. Blanke Propaganda also, es geht ums schöne Bild. Menschenleer sind die Restaurants, Kulturpaläste, Plätze, Wohnungen. Geordnet ist der Band nach Fachgattungen wie Städtebau, Kulturbauten oder Denkmäler. Dabei sind die Texte oft ungewollt verräterisch: An der im Jahr 2000 fertiggestellten Straße nach Nampo arbeiteten 50.000 "jugendliche Freiwillige", wird da begeistert mitgeteilt und unterschwellig die Not des Staats enthüllt, der auf solche Hilfe angewiesen ist.
Über die 2008 für "Angestellte, Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle" fertiggestellten Wohnblöcke an der Mansudae Straße liest man, dass diese vorher in Altbauten an dieser Straße lebten. Was wurde aus den Altbauten? Und wenn sich selbst Eliten freuen dürfen über Thermostate und Doppelglasfenstern, wie ergeht es dann dem Normal-Nordkoreaner? Dennoch: Hier zeigt sich ein Staat mit Durchhaltekraft und viel Formbewusstsein: Es werden so ziemlich alle Modernismus-Moden der vergangenen 60 Jahre dekliniert.
Der zweite Band ist kommentierende, kritische Ausgabe dazu – versehen mit der Warnung, ihn nach Nordkorea mitzunehmen: Man könnte als Spion verdächtigt werden. Tatsächlich, der Herausgeber Philipp Meuser nimmt kein Blatt vor den Mund. Er ordnet die nordkoreanische Architektur ein in seine Erfahrung der modernistischen Staatsrepräsentation der einstigen Sowjetunion und der südkoreanische Architekturhistoriker Ah Chang Mo zeigt, wie sehr die Geschichte des von japanischen Kolonialherren, Bürgerkrieg, Krieg und Staatssozialismus gequälten Landes bis heute wirksam ist. Die Zusammenstellung von Heroendenkmälern mit sozialistisch muskelgestärkten Soldaten, Arbeitern und Bäuerinnen ist fast schon humoristisch.
Ganz und gar nicht komisch ist hingegen der Auszug aus dem Traktat des Diktators Kim Jong Ils "Über die Baukunst". Es überkommt einen der kalte Schauer bei dieser Anleitung für eine Architektur, in der das Individuum nur noch Teil eines gigantischen Ornaments ist. Welche Faszination das aber ausüben kann, zeigt das sprachlich vollkommen verquaste Essay des Nürnberger Architekturprofessors Christian Posthofen. Er verfällt Kims Ideologie geradezu, behauptet mit ihm, dass dessen Traktat das darstelle, was "in der Architektur wesentlich sei". Eine so hemmungslose Anbetung der Macht hat man lange in Deutschland nicht gelesen.
Warum sollte man von Pjöngjang irgendetwas lernen wollen – außer, dass so ödend leer und weiträumig, rein aus der Machtdemonstration und Formenwut heraus gedachte Städte nicht gebaut werden sollten? Sicher ist manche Architektur faszinierend, das Pathos der Moderne durfte sich in eleganten Betonschalen, kraftvoll gestapelten Wohngebirgen, schimmernden Kultur-, Kinder- und Universitätspalästen austoben. Doch das wichtigste Gebäude dieses Staates ist eben der einstige Regierungspalast Kim II Sungs – heute nichts weiter als ein gigantisches Mausoleum, vor dem sich der Nacken im einheitlichen Rhythmus zu beugen hat.
Besprochen von Nikolaus Bernau
Philipp Meuser: "Architekturführer Pjöngjang"
DOM Publishers, Berlin 2011
368 Seiten, 38,00 Euro
Der erste Band wurde vom staatlichen nordkoreanischen Verlag für fremdsprachige Literatur zusammengestellt. Blanke Propaganda also, es geht ums schöne Bild. Menschenleer sind die Restaurants, Kulturpaläste, Plätze, Wohnungen. Geordnet ist der Band nach Fachgattungen wie Städtebau, Kulturbauten oder Denkmäler. Dabei sind die Texte oft ungewollt verräterisch: An der im Jahr 2000 fertiggestellten Straße nach Nampo arbeiteten 50.000 "jugendliche Freiwillige", wird da begeistert mitgeteilt und unterschwellig die Not des Staats enthüllt, der auf solche Hilfe angewiesen ist.
Über die 2008 für "Angestellte, Wissenschaftler, Künstler und Intellektuelle" fertiggestellten Wohnblöcke an der Mansudae Straße liest man, dass diese vorher in Altbauten an dieser Straße lebten. Was wurde aus den Altbauten? Und wenn sich selbst Eliten freuen dürfen über Thermostate und Doppelglasfenstern, wie ergeht es dann dem Normal-Nordkoreaner? Dennoch: Hier zeigt sich ein Staat mit Durchhaltekraft und viel Formbewusstsein: Es werden so ziemlich alle Modernismus-Moden der vergangenen 60 Jahre dekliniert.
Der zweite Band ist kommentierende, kritische Ausgabe dazu – versehen mit der Warnung, ihn nach Nordkorea mitzunehmen: Man könnte als Spion verdächtigt werden. Tatsächlich, der Herausgeber Philipp Meuser nimmt kein Blatt vor den Mund. Er ordnet die nordkoreanische Architektur ein in seine Erfahrung der modernistischen Staatsrepräsentation der einstigen Sowjetunion und der südkoreanische Architekturhistoriker Ah Chang Mo zeigt, wie sehr die Geschichte des von japanischen Kolonialherren, Bürgerkrieg, Krieg und Staatssozialismus gequälten Landes bis heute wirksam ist. Die Zusammenstellung von Heroendenkmälern mit sozialistisch muskelgestärkten Soldaten, Arbeitern und Bäuerinnen ist fast schon humoristisch.
Ganz und gar nicht komisch ist hingegen der Auszug aus dem Traktat des Diktators Kim Jong Ils "Über die Baukunst". Es überkommt einen der kalte Schauer bei dieser Anleitung für eine Architektur, in der das Individuum nur noch Teil eines gigantischen Ornaments ist. Welche Faszination das aber ausüben kann, zeigt das sprachlich vollkommen verquaste Essay des Nürnberger Architekturprofessors Christian Posthofen. Er verfällt Kims Ideologie geradezu, behauptet mit ihm, dass dessen Traktat das darstelle, was "in der Architektur wesentlich sei". Eine so hemmungslose Anbetung der Macht hat man lange in Deutschland nicht gelesen.
Warum sollte man von Pjöngjang irgendetwas lernen wollen – außer, dass so ödend leer und weiträumig, rein aus der Machtdemonstration und Formenwut heraus gedachte Städte nicht gebaut werden sollten? Sicher ist manche Architektur faszinierend, das Pathos der Moderne durfte sich in eleganten Betonschalen, kraftvoll gestapelten Wohngebirgen, schimmernden Kultur-, Kinder- und Universitätspalästen austoben. Doch das wichtigste Gebäude dieses Staates ist eben der einstige Regierungspalast Kim II Sungs – heute nichts weiter als ein gigantisches Mausoleum, vor dem sich der Nacken im einheitlichen Rhythmus zu beugen hat.
Besprochen von Nikolaus Bernau
Philipp Meuser: "Architekturführer Pjöngjang"
DOM Publishers, Berlin 2011
368 Seiten, 38,00 Euro