Einblicke in den afrikanischen Alltag
Das Operndorf in Burkina Faso war eine Idee des Künstlers Christoph Schlingensief. Jetzt fand dort ein Fotoworkshop mit Kindern statt. Die Bilder, die die Kinder gemacht haben, seien "unglaublich stark", sagt die Fotografin Marie Köhler.
Frank Meyer: Im Frühjahr 2010 wurde der Grundstein für das Operndorf in Burkina Faso gelegt, in einem der ärmsten Länder der Welt. Der Künstler Christoph Schlingensief hat dieses Projekt angeschoben. Bei der Grundsteinlegung war er noch dabei, ein halbes Jahr später ist er gestorben.
In diesem Operndorf hat die Dortmunder Fotografin Marie Köhler in diesem Jahr ein Fotografieprojekt auf die Beine gestellt, ein Projekt mit den Schülern der Grundschule, die in dem Operndorf inzwischen gebaut wurde.
Die Fotografien dieser Schüler kann man sich nun in einem Buch anschauen, und Marie Köhler ist jetzt für uns in Essen im Studio. Seien Sie willkommen, Frau Köhler!
Marie Köhler: Guten Tag!
Meyer: Und außerdem ist bei uns Aino Laberenz, die Witwe von Christoph Schlingensief. Sie leitet heute das Projekt Operndorf in Burkina Faso. Schön, dass Sie da sind?
Aino Laberenz: Hallo!
Meyer: Marie Köhler, zuerst an Sie an die Frage: Was war denn für Sie der Grund, nach Burkina Faso zu gehen, für vier Monate in das Operndorf dort, und einen Fotoworkshop dort zu machen?
Köhler: Also ich hab vor zehn Jahren eine Dokumentation gesehen von einer Fotografin und einem Filmemacher, die ein Projekt in Indien gemacht haben mit Straßenkindern. Und die Fotos, die dabei entstanden sind, haben mich damals wirklich sehr fasziniert. Und dann hab ich angefangen, analoge Kameras zu sammeln, um irgendwann so ein Projekt selber machen zu können.
Ja, und dann kam im letzten Jahr alles zusammen: Ich hab ein Stipendium bekommen von der Studienstiftung, hab selber in meinen Arbeiten mich immer wieder mit Beuys und Schlingensief beschäftigt und hab beobachtet, wie das Operndorf sich entwickelt, und hab dann gedacht, das wäre eigentlich perfekt, jetzt loszuziehen, um am liebsten im Operndorf.
Meyer: Aino Laberenz, Christoph Schlingensief hatte selbst schon mal eine ähnliche Idee, er hat auch Kameras verteilt an Kinder dort in dem Dorf - was für Bilder sind damals entstanden?
Laberenz: Das ist natürlich der generelle Ansatz vom Operndorf, dass das Operndorf eine Fläche ist, eine Möglichkeit ist, dass dort Bilder gemacht, produziert, gezeigt werden können. Und so hat Christoph nicht nur das Operndorf an und für sich angelegt, sondern natürlich auch diverse Projekte schon gemacht - ob das ein Theaterstück war, wo es um Austausch ging, wo es darum ging, dass man endlich mal nicht immer alle Korrespondenten und so was runterschickt, die Geschichten über Afrika, also im Prinzip unser eigenes Bild über Afrika beschreiben, sondern dass dort eine Möglichkeit ist, dass man eigene Bilder oder dass wir von hier deren Geschichten, ob das über Fotos sehen oder hören, durch diverse Kunstformen mitbekommt.
Und da hat er Prinzip dieses angefangen, genauso mit Kameras eben, mit Film - Burkina Faso ist ganz wichtig in diesem Bereich, was Film angeht - und hat Kindern Kameras in die Hand gedrückt, hat eben nicht erklärt, hier, so geht die Fotoaufteilung in unserem Sinne oder so musst du das machen. Und so haben die Kinder im Prinzip ihr eigenes Bild entdeckt, entdeckt, was sie überhaupt abbilden wollen, was es bedeutet, abzubilden.
Und als Marie sich unter anderem dann bei uns beworben hat, haben wir natürlich genau das irgendwie weitergeführt oder geguckt ... passte eigentlich super, dass sie das gleiche Anliegen hatte, wie das Operndorf im Prinzip auch ist.
Meyer: Und Marie Köhler, ich hab vorhin schon mal zitiert, Sie schreiben im Vorwort zu dem Buch mit den Fotos der Schüler, die Bilder hätten Sie förmlich umgehauen. Können Sie uns ein Bild beschreiben, dass Sie so umgehauen hat?
Köhler: Also was mich immer wieder fasziniert, ist eine Viererserie im Buch, da hat ein Kind andere Kinder in einem Baum inszeniert - das ist ein Baum, der nur eine Woche geblüht hat - und hat da vier unterschiedliche Bilder gemacht, wo die Kinder in dem Baum spielen und auch in diesem Baum so drapiert sind. Und dieser Baum wirkt eben in dieser kargen Umgebung ja völlig unreal. Und diese vier Bilder haben mich sehr fasziniert.
Meyer: Aino Laberenz, haben Sie auch Bilder, wo Sie sagen, die hauen mich um?
Laberenz: Ja, ich weiß natürlich genau, welche Marie gerade anspricht, und die sind auch wirklich ganz, ganz toll. Ich mag auch so Detailsachen. Ich mag so was wie, auf einmal Pedalen werden fotografiert oder dass das Bild auf einmal nicht so angeordnet ist, wie es hier gängig ist, sagen wir mal so. Und ich mag total gerne, wenn man so sieht, wie die Kinder eben in der Zeit entdeckt haben, was es bedeutet, sich hinzustellen, sich zu präsentieren.
Also gerade das mit dem Baum, was Marie gerade erzählt hat, das ist total schön, wenn dann die Kinder auf einmal auch so einen Kranz im Kopf haben und damit spielen, also sich wirklich inszenieren. Und dann sieht man auf der anderen Seite so ganz am Anfang, wo man noch so überhaupt dieses Entdecken total im Bild sieht, und das mag ich insgesamt einfach wahnsinnig gerne, wie verschieden es ist und was, wie viel das erzählt über, ja, was will ich festhalten, was ist Bild, was ist Abbilden, was bin ich im Bild.
Auch zu sehen, wie die Kinder reagiert haben auf die Bilder, als sie sie das erste Mal gesehen haben, dass man sich selber auch einmal abgebildet sieht, was das heißt, was für uns normal ist, was da dann halt irgendwie noch mal, ja, was ganz anders fasziniert, also so ganz, ganz schön.
Meyer: Marie Köhler, Sie haben das Ganze einen Fotoworkshop genannt. Nach unserer traditionellen Vorstellung ist ein Workshop, da kommt jemand hin, der kennt sich aus und bringt anderen etwas bei. Haben Sie in dem Sinne den Kindern erst mal Fotografieren beigebracht, also Regeln, Techniken, ästhetische Maßstäbe, oder haben Sie das gerade nicht gemacht?
Köhler: Also das gerade nicht. Was wir gemacht haben am Anfang, ist, Kinder, die noch nie eine Kamera in der Hand gehalten haben, die müssen natürlich erst mal lernen, was ist denn das und wie hält man das denn und wo guckt man eigentlich durch und wo drückt man ab. Und das haben wir ganz in Ruhe drei Wochen gemacht und erst mal wirklich uns mit dem Apparat vertraut gemacht. Und das war es schon. Und dann sind die Kinder losgezogen und haben jede Woche einen Film bekommen und haben dann jede Woche auch Bilder gesehen.
Und ich hab extra den Kindern nicht irgendwas erzählt von Bildparametern, vom Goldenen Schnitt, weil genau das ja das ist, wo ich hier in meiner Welt, in unserer Welt auch ein Problem mit habe, und wollte, dass die Kinder wirklich frei losziehen und frei fotografieren können, ohne dass man sie direkt wieder einschränkt.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, die Fotografin Marie Köhler ist bei uns zu Gast und Aino Laberenz, die das Projekt Operndorf in Burkina Faso leitet. Wir reden über einen Fotoworkshop mit Kindern in dem Dorf, aus dem nun ein Buch entstanden ist. Mir kam es so vor, als ob man sehr viel mehr Stolz und Freude in diesen Fotos sieht, als man sonst in Fotos aus Afrika sieht - würden Sie das auch sagen?
Laberenz: Na, unbedingt. Das ist eben auch ein ganz, ganz wichtiger Punkt des Operndorfes, dass sich diese Perspektive auch mal verschiebt. Und wenn ich mit Künstlern, gar nicht jetzt nur im Operndorf, sondern generell in afrikanischen Ländern spreche - ob das Filmer sind oder was auch immer -, ist das Schwierigste für afrikanische Künstler, immer gegen dieses Bild der Armut, Bild des Krieges anzugehen und so.
Und das ist das Operndorf, dass man sagt, da gibt es einen Wert, wo es, - wir wollen nicht helfen, wir wollen nicht da runtergehen und helfen, weil wir vielleicht gar nicht wissen, wie es da funktioniert, und warum sollen wir denen helfen. Also es ist ja sofort die übergeordnete Perspektive, dass wir uns rausnehmen, helfen zu können, also dass es denen auf jeden Fall ... dass die hilfebedürftig sind.
Meyer: Aber Sie helfen doch. Sie haben eine Schule gebaut, eine Krankenstation gebaut, das ist doch auch eine Form von Hilfe.
Laberenz: Ja, aber es ist mehr für mich eine Form von Werkzeuge-zur-Verfügung stellen. Also natürlich ist es ein armes Land, der Fokus liegt aber nicht darauf, dass Burkina ein armes Land ist, sondern dass es ein wahnsinnig reiches Land ist. Und das sieht man eben zum Beispiel kulturell, das sieht man an den Fotos - dass dort nicht immer alle irgendwie kläglich mit Hungerbauch und Fliege am Auge hier als Bild transportiert werden, sondern dass es dort Kunst gibt, dass es dort Leben gibt, dass es dort eine Vielfalt gibt, die wir hier gar nicht sehen.
Und es ist eben nicht diese Hilfe übergeordnet oder zumindest soll es das im Verständnis überhaupt nicht sein, dass man sagt, wir müssen euch jetzt erst mal erzählen, wie es wirklich geht. Ich bring da ja auch nicht mein deutsches Bildungssystem runter, sondern ich gucke, wie funktioniert das, baue mit Materialien von dort, eben nicht von hier, gucke, wie funktioniert das in dem Rahmen und lasse mich auf eine Kultur, auf ein Land ein mit dem, was ich mache.
Meyer: Sie haben vorhin gesagt, Marie Köhler, Sie haben so die europäische Art des Fotografierens ein bisschen satt, auch unsere ästhetischen Maßstäbe, und wollten vielleicht auch eine andere Art des Fotografierens entdecken mit diesem Projekt. Ist es denn das gelungen und was haben Sie da entdeckt?
Köhler: Also ich glaub schon. Es ist eben so, dass ich hier lange studiert hab, jetzt auch im Masterstudiengang bin und irgendwann so an meine eigenen Grenzen gekommen bin. Also man lernt eben, vernünftig Farben zu kombinieren, man lernt einen vernünftigen Bildaufbau, und dann irgendwann wurde mir langweilig. Und ich brauchte irgendwie neue Bilder, andere Bilder, und hab dann dort unten auch am Anfang angefangen, selber zu fotografieren, und hab das aber ganz schnell sein gelassen, weil die Bilder, die die Kinder mir gebracht haben, die konnte ich gar nicht selber machen - die waren so unglaublich stark - und hab dann einfach zugeschaut.
Also ich hab eigentlich jeden Tag diese Geschenke bekommen und konnte die auspacken, auf den Computer laden und mir diese Bilder anschauen. Und ich glaube, ich hab da ganz schön viel auch gelernt und konnte für mich nach Hause mitnehmen.
Meyer: Aino Laberenz, wird es weiter solche Projekte jetzt geben in nächster Zeit, ist das die Zukunft erst mal des Operndorfes?
Laberenz: Klar, das ist ja auch nicht das erste Projekt, was wir machen, und das ist natürlich so, dass wir seit dem Tod von Christoph Schlingensief versucht haben oder dabei sind, eine Struktur überhaupt aufzubauen. Im Prinzip gab's ja vorher noch gar nichts da, aber es ist ja schon auch ganz viel passiert, ob das im Bereich Theater ist und so. Und ich hab mich am Anfang halt sehr darauf konzentriert, a) eine Struktur wirklich dort aufzubauen, und auf der anderen Seite war es mir sehr wichtig, dass ich erst mal mit afrikanischen Künstlern vor Ort arbeite.
Wir haben letztes Jahr im Prinzip das Gleiche gemacht wie dieses Jahr, nur dass dieses Jahr Marie dabei war. Letztes Jahr wurden Filme mehr gemacht mit afrikanischen Künstlern, Theater findet da statt, Tanz findet da statt. Mir war es eben nur wichtig, mit afrikanischen oder Burkinabes zu arbeiten, weil es erst mal noch so einen gewissen Schutz braucht und weil es natürlich auch nicht sofort sein sollte, die Weißen kommen und machen da jetzt Kunst, sondern dass es erst mal so eine gewisse Eigendynamik geben kann oder sich entwickelt. Und das ist natürlich ein Aspekt vom Operndorf und ein Projekt von vielen im Prinzip. Und das ist dann halt immer, dass wir gucken, wir finanzieren wir was, wie stemmen wir das Ganze auf - also es läuft ja im Prinzip ja alles über mich, über uns hier in Deutschland erst mal - und wie macht man das alles gleichzeitig.
Also wie schafft man, dass das Operndorf an und für sich in eine gewisse Eigendynamik zu bringen, auch dass es irgendwann mal autonomer werden kann. Und zum anderen ist aber auch immer dieser Austausch gewollt, also dass sowohl europäische Künstler sich auf etwas einlassen müssen eben, was von Afrika lernen, was man vielleicht hier schon wieder verloren hat, dass man einen neuen Blick bekommt und so.
Meyer: Und aus diesem Sicheinlassen ist jetzt das Buch "Mach dir ein Bild" entstanden, so heißt das Buch mit den Fotografien der Kinder aus dem Operndorf in Burkina Faso. Das Buch mit 121 Fotos ist im Kettler-Verlag erschienen, für 29,90 Euro ist es zu haben. Und wir haben darüber gesprochen mit Marie Köhler und Aino Laberenz. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr Infos im Netz: Operndorf Afrika
In diesem Operndorf hat die Dortmunder Fotografin Marie Köhler in diesem Jahr ein Fotografieprojekt auf die Beine gestellt, ein Projekt mit den Schülern der Grundschule, die in dem Operndorf inzwischen gebaut wurde.
Die Fotografien dieser Schüler kann man sich nun in einem Buch anschauen, und Marie Köhler ist jetzt für uns in Essen im Studio. Seien Sie willkommen, Frau Köhler!
Marie Köhler: Guten Tag!
Meyer: Und außerdem ist bei uns Aino Laberenz, die Witwe von Christoph Schlingensief. Sie leitet heute das Projekt Operndorf in Burkina Faso. Schön, dass Sie da sind?
Aino Laberenz: Hallo!
Meyer: Marie Köhler, zuerst an Sie an die Frage: Was war denn für Sie der Grund, nach Burkina Faso zu gehen, für vier Monate in das Operndorf dort, und einen Fotoworkshop dort zu machen?
Köhler: Also ich hab vor zehn Jahren eine Dokumentation gesehen von einer Fotografin und einem Filmemacher, die ein Projekt in Indien gemacht haben mit Straßenkindern. Und die Fotos, die dabei entstanden sind, haben mich damals wirklich sehr fasziniert. Und dann hab ich angefangen, analoge Kameras zu sammeln, um irgendwann so ein Projekt selber machen zu können.
Ja, und dann kam im letzten Jahr alles zusammen: Ich hab ein Stipendium bekommen von der Studienstiftung, hab selber in meinen Arbeiten mich immer wieder mit Beuys und Schlingensief beschäftigt und hab beobachtet, wie das Operndorf sich entwickelt, und hab dann gedacht, das wäre eigentlich perfekt, jetzt loszuziehen, um am liebsten im Operndorf.
Meyer: Aino Laberenz, Christoph Schlingensief hatte selbst schon mal eine ähnliche Idee, er hat auch Kameras verteilt an Kinder dort in dem Dorf - was für Bilder sind damals entstanden?
Laberenz: Das ist natürlich der generelle Ansatz vom Operndorf, dass das Operndorf eine Fläche ist, eine Möglichkeit ist, dass dort Bilder gemacht, produziert, gezeigt werden können. Und so hat Christoph nicht nur das Operndorf an und für sich angelegt, sondern natürlich auch diverse Projekte schon gemacht - ob das ein Theaterstück war, wo es um Austausch ging, wo es darum ging, dass man endlich mal nicht immer alle Korrespondenten und so was runterschickt, die Geschichten über Afrika, also im Prinzip unser eigenes Bild über Afrika beschreiben, sondern dass dort eine Möglichkeit ist, dass man eigene Bilder oder dass wir von hier deren Geschichten, ob das über Fotos sehen oder hören, durch diverse Kunstformen mitbekommt.
Und da hat er Prinzip dieses angefangen, genauso mit Kameras eben, mit Film - Burkina Faso ist ganz wichtig in diesem Bereich, was Film angeht - und hat Kindern Kameras in die Hand gedrückt, hat eben nicht erklärt, hier, so geht die Fotoaufteilung in unserem Sinne oder so musst du das machen. Und so haben die Kinder im Prinzip ihr eigenes Bild entdeckt, entdeckt, was sie überhaupt abbilden wollen, was es bedeutet, abzubilden.
Und als Marie sich unter anderem dann bei uns beworben hat, haben wir natürlich genau das irgendwie weitergeführt oder geguckt ... passte eigentlich super, dass sie das gleiche Anliegen hatte, wie das Operndorf im Prinzip auch ist.
Meyer: Und Marie Köhler, ich hab vorhin schon mal zitiert, Sie schreiben im Vorwort zu dem Buch mit den Fotos der Schüler, die Bilder hätten Sie förmlich umgehauen. Können Sie uns ein Bild beschreiben, dass Sie so umgehauen hat?
Köhler: Also was mich immer wieder fasziniert, ist eine Viererserie im Buch, da hat ein Kind andere Kinder in einem Baum inszeniert - das ist ein Baum, der nur eine Woche geblüht hat - und hat da vier unterschiedliche Bilder gemacht, wo die Kinder in dem Baum spielen und auch in diesem Baum so drapiert sind. Und dieser Baum wirkt eben in dieser kargen Umgebung ja völlig unreal. Und diese vier Bilder haben mich sehr fasziniert.
Meyer: Aino Laberenz, haben Sie auch Bilder, wo Sie sagen, die hauen mich um?
Laberenz: Ja, ich weiß natürlich genau, welche Marie gerade anspricht, und die sind auch wirklich ganz, ganz toll. Ich mag auch so Detailsachen. Ich mag so was wie, auf einmal Pedalen werden fotografiert oder dass das Bild auf einmal nicht so angeordnet ist, wie es hier gängig ist, sagen wir mal so. Und ich mag total gerne, wenn man so sieht, wie die Kinder eben in der Zeit entdeckt haben, was es bedeutet, sich hinzustellen, sich zu präsentieren.
Also gerade das mit dem Baum, was Marie gerade erzählt hat, das ist total schön, wenn dann die Kinder auf einmal auch so einen Kranz im Kopf haben und damit spielen, also sich wirklich inszenieren. Und dann sieht man auf der anderen Seite so ganz am Anfang, wo man noch so überhaupt dieses Entdecken total im Bild sieht, und das mag ich insgesamt einfach wahnsinnig gerne, wie verschieden es ist und was, wie viel das erzählt über, ja, was will ich festhalten, was ist Bild, was ist Abbilden, was bin ich im Bild.
Auch zu sehen, wie die Kinder reagiert haben auf die Bilder, als sie sie das erste Mal gesehen haben, dass man sich selber auch einmal abgebildet sieht, was das heißt, was für uns normal ist, was da dann halt irgendwie noch mal, ja, was ganz anders fasziniert, also so ganz, ganz schön.
Meyer: Marie Köhler, Sie haben das Ganze einen Fotoworkshop genannt. Nach unserer traditionellen Vorstellung ist ein Workshop, da kommt jemand hin, der kennt sich aus und bringt anderen etwas bei. Haben Sie in dem Sinne den Kindern erst mal Fotografieren beigebracht, also Regeln, Techniken, ästhetische Maßstäbe, oder haben Sie das gerade nicht gemacht?
Köhler: Also das gerade nicht. Was wir gemacht haben am Anfang, ist, Kinder, die noch nie eine Kamera in der Hand gehalten haben, die müssen natürlich erst mal lernen, was ist denn das und wie hält man das denn und wo guckt man eigentlich durch und wo drückt man ab. Und das haben wir ganz in Ruhe drei Wochen gemacht und erst mal wirklich uns mit dem Apparat vertraut gemacht. Und das war es schon. Und dann sind die Kinder losgezogen und haben jede Woche einen Film bekommen und haben dann jede Woche auch Bilder gesehen.
Und ich hab extra den Kindern nicht irgendwas erzählt von Bildparametern, vom Goldenen Schnitt, weil genau das ja das ist, wo ich hier in meiner Welt, in unserer Welt auch ein Problem mit habe, und wollte, dass die Kinder wirklich frei losziehen und frei fotografieren können, ohne dass man sie direkt wieder einschränkt.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, die Fotografin Marie Köhler ist bei uns zu Gast und Aino Laberenz, die das Projekt Operndorf in Burkina Faso leitet. Wir reden über einen Fotoworkshop mit Kindern in dem Dorf, aus dem nun ein Buch entstanden ist. Mir kam es so vor, als ob man sehr viel mehr Stolz und Freude in diesen Fotos sieht, als man sonst in Fotos aus Afrika sieht - würden Sie das auch sagen?
Laberenz: Na, unbedingt. Das ist eben auch ein ganz, ganz wichtiger Punkt des Operndorfes, dass sich diese Perspektive auch mal verschiebt. Und wenn ich mit Künstlern, gar nicht jetzt nur im Operndorf, sondern generell in afrikanischen Ländern spreche - ob das Filmer sind oder was auch immer -, ist das Schwierigste für afrikanische Künstler, immer gegen dieses Bild der Armut, Bild des Krieges anzugehen und so.
Und das ist das Operndorf, dass man sagt, da gibt es einen Wert, wo es, - wir wollen nicht helfen, wir wollen nicht da runtergehen und helfen, weil wir vielleicht gar nicht wissen, wie es da funktioniert, und warum sollen wir denen helfen. Also es ist ja sofort die übergeordnete Perspektive, dass wir uns rausnehmen, helfen zu können, also dass es denen auf jeden Fall ... dass die hilfebedürftig sind.
Meyer: Aber Sie helfen doch. Sie haben eine Schule gebaut, eine Krankenstation gebaut, das ist doch auch eine Form von Hilfe.
Laberenz: Ja, aber es ist mehr für mich eine Form von Werkzeuge-zur-Verfügung stellen. Also natürlich ist es ein armes Land, der Fokus liegt aber nicht darauf, dass Burkina ein armes Land ist, sondern dass es ein wahnsinnig reiches Land ist. Und das sieht man eben zum Beispiel kulturell, das sieht man an den Fotos - dass dort nicht immer alle irgendwie kläglich mit Hungerbauch und Fliege am Auge hier als Bild transportiert werden, sondern dass es dort Kunst gibt, dass es dort Leben gibt, dass es dort eine Vielfalt gibt, die wir hier gar nicht sehen.
Und es ist eben nicht diese Hilfe übergeordnet oder zumindest soll es das im Verständnis überhaupt nicht sein, dass man sagt, wir müssen euch jetzt erst mal erzählen, wie es wirklich geht. Ich bring da ja auch nicht mein deutsches Bildungssystem runter, sondern ich gucke, wie funktioniert das, baue mit Materialien von dort, eben nicht von hier, gucke, wie funktioniert das in dem Rahmen und lasse mich auf eine Kultur, auf ein Land ein mit dem, was ich mache.
Meyer: Sie haben vorhin gesagt, Marie Köhler, Sie haben so die europäische Art des Fotografierens ein bisschen satt, auch unsere ästhetischen Maßstäbe, und wollten vielleicht auch eine andere Art des Fotografierens entdecken mit diesem Projekt. Ist es denn das gelungen und was haben Sie da entdeckt?
Köhler: Also ich glaub schon. Es ist eben so, dass ich hier lange studiert hab, jetzt auch im Masterstudiengang bin und irgendwann so an meine eigenen Grenzen gekommen bin. Also man lernt eben, vernünftig Farben zu kombinieren, man lernt einen vernünftigen Bildaufbau, und dann irgendwann wurde mir langweilig. Und ich brauchte irgendwie neue Bilder, andere Bilder, und hab dann dort unten auch am Anfang angefangen, selber zu fotografieren, und hab das aber ganz schnell sein gelassen, weil die Bilder, die die Kinder mir gebracht haben, die konnte ich gar nicht selber machen - die waren so unglaublich stark - und hab dann einfach zugeschaut.
Also ich hab eigentlich jeden Tag diese Geschenke bekommen und konnte die auspacken, auf den Computer laden und mir diese Bilder anschauen. Und ich glaube, ich hab da ganz schön viel auch gelernt und konnte für mich nach Hause mitnehmen.
Meyer: Aino Laberenz, wird es weiter solche Projekte jetzt geben in nächster Zeit, ist das die Zukunft erst mal des Operndorfes?
Laberenz: Klar, das ist ja auch nicht das erste Projekt, was wir machen, und das ist natürlich so, dass wir seit dem Tod von Christoph Schlingensief versucht haben oder dabei sind, eine Struktur überhaupt aufzubauen. Im Prinzip gab's ja vorher noch gar nichts da, aber es ist ja schon auch ganz viel passiert, ob das im Bereich Theater ist und so. Und ich hab mich am Anfang halt sehr darauf konzentriert, a) eine Struktur wirklich dort aufzubauen, und auf der anderen Seite war es mir sehr wichtig, dass ich erst mal mit afrikanischen Künstlern vor Ort arbeite.
Wir haben letztes Jahr im Prinzip das Gleiche gemacht wie dieses Jahr, nur dass dieses Jahr Marie dabei war. Letztes Jahr wurden Filme mehr gemacht mit afrikanischen Künstlern, Theater findet da statt, Tanz findet da statt. Mir war es eben nur wichtig, mit afrikanischen oder Burkinabes zu arbeiten, weil es erst mal noch so einen gewissen Schutz braucht und weil es natürlich auch nicht sofort sein sollte, die Weißen kommen und machen da jetzt Kunst, sondern dass es erst mal so eine gewisse Eigendynamik geben kann oder sich entwickelt. Und das ist natürlich ein Aspekt vom Operndorf und ein Projekt von vielen im Prinzip. Und das ist dann halt immer, dass wir gucken, wir finanzieren wir was, wie stemmen wir das Ganze auf - also es läuft ja im Prinzip ja alles über mich, über uns hier in Deutschland erst mal - und wie macht man das alles gleichzeitig.
Also wie schafft man, dass das Operndorf an und für sich in eine gewisse Eigendynamik zu bringen, auch dass es irgendwann mal autonomer werden kann. Und zum anderen ist aber auch immer dieser Austausch gewollt, also dass sowohl europäische Künstler sich auf etwas einlassen müssen eben, was von Afrika lernen, was man vielleicht hier schon wieder verloren hat, dass man einen neuen Blick bekommt und so.
Meyer: Und aus diesem Sicheinlassen ist jetzt das Buch "Mach dir ein Bild" entstanden, so heißt das Buch mit den Fotografien der Kinder aus dem Operndorf in Burkina Faso. Das Buch mit 121 Fotos ist im Kettler-Verlag erschienen, für 29,90 Euro ist es zu haben. Und wir haben darüber gesprochen mit Marie Köhler und Aino Laberenz. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr Infos im Netz: Operndorf Afrika