Einblicke in den Rock 'n' Roll-Zirkus

Rezensiert von Helmut Heimann |
Die Literatur zu Bob Dylan füllt ganze Bibliotheken. Trotzdem ist ein Blick in Sam Shepards "Rolling Thunder Log book", das jetzt auf Deutsch erscheint, mehr als lohnenswert. Shepard begleitete Dylan als Script-Autor während seiner "Rolling Thunder"-Tour 1975. Sein Tour-Tagebuch gibt unterhaltsame und lehrreiche Einblicke in den Rock & Roll-Zirkus.
Vor cirka zwanzig Jahren erschien in England eine Textsammlung mit dem ironischen Titel "Oh no, not another Bob Dylan Book !" - und die Situation hat sich seitdem nicht wirklich entspannt. Ganz im Gegenteil: selbst Vollständigkeitsfanatiker haben längst kapituliert vor der Flut von Veröffentlichungen, die sich in der einen oder anderen Art mit dem Phänomen Dylan beschäftigen. Beruhigend ist, dass nicht das gesamte Angebot essentiell ist für die Dylan-Ecke im Bücherschrank Die im letzten Jahr veröffentlichte erste Folge der autobiographischen "Chronicles" etwa ist natürlich absolute Pflichtlektüre - aber ob der Dylan-Fan wirklich noch eine weitere Biographie braucht? Von Song-Exegesen á la "Like A Rolling Greil Marcus" ganz zu schweigen...

Immer wieder schön zu lesen sind dagegen einige Klassiker der Dylan-Literatur. Sam Shepards "Rolling Thunder Log Book" zum Beispiel, 1977 im Original erschienen, 2004 in den USA in überarbeiteter Form neu aufgelegt und jetzt auch in einer deutschen Ausgabe erhältlich. Sam Shepard, seines Zeichens ein Allround-Kreativer, der es als Schauspieler immerhin zu einer Oscar-Nominierung ("The Right Stuff") gebracht hat und als Theater-Autor zum Pulitzerpreisträger, war im Herbst 1975 von Dylan persönlich eingeladen worden, eine Tournee durch den Nordosten der USA zu begleiten. Nicht "just for fun", sondern als Script-Autor.

Dylan plante nämlich, seine "Rolling Thunder Revue" filmisch zu verwerten. Was dann ja tatsächlich auch geschehen sollte - in Form des legendär gefloppten Zelluloid-Experimentes "Renaldo und Clara", mit dem Sam Shepard allerdings kaum noch etwas zu tun hatte. Der hatte sehr schnell eingesehen, dass die Protagonisten des Filmes, die an der Tour beteiligten Musiker vor allem, kaum Lust hatten, geschliffene Dialoge auswendig zu lernen. Spontaneität war stattdessen Trumpf, wenn die Kameras liefen.

Und so entschloss sich Sam Shepard spontan, sein Talent als Beobachter einzubringen. In meist kurzen Texten gibt er seine Eindrücke von dieser recht seltsamen Rock-Tournee wider, entwirft dabei das Bild einer in der Zeit driftenden Abordnung der amerikanischen Gegenkultur. Dylan, der ehemalige "Spokesman Of A Generation" und "hippste Mensch des Planeten", nach der sieben Jahre langen Live-Pause und der 74er Comeback-Mega-Tour, nach trauter Zweisamkeit und privaten Turbulenzen wie so oft auf der Suche nach einer neuen Rolle.

Shepard reflektiert das Phänomen Dylan, beschränkt sich allerdings keineswegs darauf. Das Rock-Business als solches, unter Berücksichtigung der speziellen Rolling Thunder-Konstellation - die Tour war als All-Star Revue angelegt und präsentierte neben Dylan auch Joan Baez, Roger McGuinn und zahlreiche andere Musiker - von Dichtern wie Allen Ginsberg ganz zu schweigen.

Das Leben "on the road", das spätherbstliche New England, kurz vor der damals anstehenden 200-Jahr-Feier der USA. Das abschließende Konzert in New York, zu Gunsten von Ruben "Hurricane" Carter und mit Muhammad Ali als Ehrengast. Die Shepard'sche Sicht auf all dies und anderes sorgt dafür, dass die 190 Seiten des Log Buchs anschaulich, manchmal tiefsinnig, oft lehrreich und immer unterhaltsam sind. Schöne Fotos gibt es auch in Fülle - alleine das von Bob und Ali im Schulterschluss ist schon ein Grund, das Buch in der Bob-Ecke im Regal zu platzieren - und beiliebe nicht der einzige.


Sam Shepard: Rolling Thunder - Unterwegs mit Bob Dylan
Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling
S. Fischer Verlag, 2005
190 Seiten; EUR 19,90