Einblicke in die Denkfabrik eines großen Paares
Vielen seiner Zeitgenossen war die Emanzipation der Frau ein abseitiges Spezialthema. Für den britischen Philosophen John Stuart Mill stand es im Zentrum des freiheitlichen Denkens. Das zeigt eine neue Werkausgabe seines Schaffens, in der auch Texte seiner Frau Harriet Taylor versammelt sind.
"Die Liebe zur Macht und die Liebe zur Freiheit sind in einem ewigen Widerstreit. Wo die wenigste Freiheit ist, da ist die Leidenschaft für die Macht am brennendsten und am gewissenlosesten",
schreibt Harriet Taylor in ihrer Abhandlung "Die Unterwerfung der Frauen".
"Der Wunsch, Macht über andere zu besitzen, kann erst dann aufhören, eine demoralisierende Wirkung auf die Menschheit auszuüben, wenn jeder Mensch persönlich imstande sein wird, ihrer entbehren zu können, und das kann nur geschehen, wo die Achtung vor der Freiheit jedes andern in seinen persönlichen Angelegenheiten fester Grundsatz ist."
Diese Überlegung der langjährigen Gefährtin und späteren Ehefrau von John Stuart Mill ist unverändert aktuell. Und sie bezeugt den Geist Taylors, den Mill als ein vollkommenes Werkzeug bezeichnete.
"… ein Werkzeug, 'das bis ins Innerste des Stoffes eindrang und stets die wesentliche Idee oder das Prinzip erfasste.'"
So ist es mehr als gerechtfertigt, dass gleich der erste von fünf Bänden mit ausgewählten Werken das Zusammenwirken des Intellektuellenpaares erläutert und einige der Schriften Taylors zu Freiheit und Gleichberechtigung wiedergibt.
Aber nicht nur wegen dieser editorischen Entscheidung ist das eine ungewöhnliche Werkausgabe. Die von verschiedenen Übersetzern ins Deutsche übertragenen Texte sind sorgfältig kommentiert und überarbeitet, und – auch das ist nicht zu unterschätzen – die Bücher sind äußerst ansprechend und lesefreundlich gestaltet.
Selten hatte ich den Eindruck, so sehr durch mehrere Tore geleitet zu werden, bevor es an die eigentlichen Arbeiten geht.
Das erste Wort geben die beiden Herausgeber ausgerechnet Sigmund Freud, lassen den Experten für die Logik des Irrationalen den großen Rationalisten loben.
"Er war vielleicht der Mann des Jahrhunderts, der es am besten zustande gebracht hat, sich von der Herrschaft der gewöhnlichen Vorurteile frei zu machen."
Das ist auf jeden Fall gut gesehen. Mill selbst beschreibt bis zur Pedanterie genau die außergewöhnliche Erziehung, die er durch seinen Vater genossen oder auch erlitten hatte. Wie ein Alb habe zum Beispiel der Begriff der "philosophischen Notwendigkeit" lange auf seinem Dasein gelastet. Bis es ihm schließlich durch gründliche Denkarbeit gelungen sei, seine Seele von dieser Doktrin zu befreien. Das Erlebnis stimulierte ihn dazu, das Kapitel über Freiheit und Notwendigkeit im letzten Buch seines Systems der Logik zu schreiben.
Bevor man bei diesem Text ankommt, der in Band drei erscheinen soll, hat man aber noch ein paar weitere Tore zu durchschreiten. Da erläutert Herausgeberin Ulrike Ackermann die großen Verdienste, die sich Harriet Taylor und John Stuart Mill um die ersten Schritte der Gleichberechtigung der Frauen erworben haben.
Während andere Männer sich noch selbstverständlich an den geistigen Leistungen ihrer Frauen bedienten, ohne diese auch nur zu erwähnen, hat Mill kein Risiko und keinen Spott seiner Mitmänner gefürchtet, sondern sich stets zu seiner wissenschaftlichen Partnerin und deren Inspiration bekannt - mit großer Aufrichtigkeit, Loyalität und Dankbarkeit.
Wenn man aber nach Ackermanns Einleitung denkt, nun habe man die Einführungen hinter sich, kommt noch einmal eine, nämlich jene, die Friedrich August von Hayek seiner Ausgabe des Briefwechsels von John Stuart Mill und Harriet Taylor vorausgeschickt hat.
"Die geistige Genossenschaft, welche zur Vervollkommnung verhilft, ist der Verkehr zwischen tätigen Geistern, nicht die Berührung zwischen einem tätigen und einem leidenden Geiste."
Und irgendwann ist man dann mittendrin. Nicht nur in der Denkfabrik eines großen Paares, nicht nur in einer der großen Ausformulierungen des liberalen kritischen Rationalismus, sondern auch mitten im britischen Parlament, vor dem Mill als Politiker einige phantastische Reden gehalten hat.
Gerade hier spürt man in jeder Zeile seine unbedingte Redlichkeit, welche auf den politischen Gegner oftmals wohlwollend und nicht nur ironisch eingeht – wie etwa 1850 in einer Rede über säkulare Erziehung:
"Empfindungen wie diese [dass Bildung dem christlichen Glauben schädlich sein könnte] sind für das Christentum nicht schmeichelhaft, ebenso wenig für die Aufrichtigkeit des christlichen Glaubens. Sein größter Feind könnte nichts Schlimmeres über es sagen, als dass entweder Unwissenheit oder frühes Vorurteil der Boden ist, den es braucht, um darin zu gedeihen, und dass Nichtgläubige zu unterrichten, rationale und denkende Wesen aus ihnen zu machen, darin besteht, sie in ihrem Unglauben zu bestätigen."
Man darf hier die polemische Kunst genießen, ohne an der Ernsthaftigkeit des Wohlwollens zu zweifeln.
Ob sie sich nun zu den Rechten der Frauen, zu religiösen Fragen oder zur öffentlichen Erziehung äußern – stets begeistern sich Taylor und Mill vollkommen unzweideutig für die Freiheit des Einzelnen, schätzen starke Individuen und vermeiden jegliches Ressentiment.
Auch in der Beschreibung seines persönlichen Bildungsweges, in dem Bericht über seine Auseinandersetzung mit Auguste Comte und in seinen Diskussionen des Schönheitssinns kommt John Stuart Mill immer wieder auf die Verluste zu sprechen, die der Gesellschaft entstehen, wenn sie mit den Geisteskräften beider Geschlechter allzu sorglos umgeht.
Und angesichts vieler Anfeindungen, unter denen die Behauptung, er habe sich willenlos einer dominanten Frau unterworfen, nur eine ist, preist er wiederholt den glücklichen Zufall, der ihn mit Harriet Taylor zusammengeführt hatte:
"Er würde viel öfter zustande kommen, wenn die Erziehung sich dieselbe Mühe gäbe, starkgeistige Frauen heranzubilden, als sie jetzt tut, um ihre Heranbildung zu verhindern. (…) Hohe Geisteskräfte werden unter den Frauen so lange zufällige Ausnahmen bleiben, bis ihnen jeder Lebensweg offensteht und bis sie so gut wie die Männer für sich selbst und für die Welt erzogen werden, nicht das eine Geschlecht für das andere."
Dass es schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts Menschen gab, denen die Emanzipation der Frauen nicht ein abseitiges Spezialthema war, sondern ins Zentrum freiheitlichen Denkens gehörte, das lässt man sich in dieser verdienstvollen und ansprechenden Werkausgabe gern noch einmal zeigen.
schreibt Harriet Taylor in ihrer Abhandlung "Die Unterwerfung der Frauen".
"Der Wunsch, Macht über andere zu besitzen, kann erst dann aufhören, eine demoralisierende Wirkung auf die Menschheit auszuüben, wenn jeder Mensch persönlich imstande sein wird, ihrer entbehren zu können, und das kann nur geschehen, wo die Achtung vor der Freiheit jedes andern in seinen persönlichen Angelegenheiten fester Grundsatz ist."
Diese Überlegung der langjährigen Gefährtin und späteren Ehefrau von John Stuart Mill ist unverändert aktuell. Und sie bezeugt den Geist Taylors, den Mill als ein vollkommenes Werkzeug bezeichnete.
"… ein Werkzeug, 'das bis ins Innerste des Stoffes eindrang und stets die wesentliche Idee oder das Prinzip erfasste.'"
So ist es mehr als gerechtfertigt, dass gleich der erste von fünf Bänden mit ausgewählten Werken das Zusammenwirken des Intellektuellenpaares erläutert und einige der Schriften Taylors zu Freiheit und Gleichberechtigung wiedergibt.
Aber nicht nur wegen dieser editorischen Entscheidung ist das eine ungewöhnliche Werkausgabe. Die von verschiedenen Übersetzern ins Deutsche übertragenen Texte sind sorgfältig kommentiert und überarbeitet, und – auch das ist nicht zu unterschätzen – die Bücher sind äußerst ansprechend und lesefreundlich gestaltet.
Selten hatte ich den Eindruck, so sehr durch mehrere Tore geleitet zu werden, bevor es an die eigentlichen Arbeiten geht.
Das erste Wort geben die beiden Herausgeber ausgerechnet Sigmund Freud, lassen den Experten für die Logik des Irrationalen den großen Rationalisten loben.
"Er war vielleicht der Mann des Jahrhunderts, der es am besten zustande gebracht hat, sich von der Herrschaft der gewöhnlichen Vorurteile frei zu machen."
Das ist auf jeden Fall gut gesehen. Mill selbst beschreibt bis zur Pedanterie genau die außergewöhnliche Erziehung, die er durch seinen Vater genossen oder auch erlitten hatte. Wie ein Alb habe zum Beispiel der Begriff der "philosophischen Notwendigkeit" lange auf seinem Dasein gelastet. Bis es ihm schließlich durch gründliche Denkarbeit gelungen sei, seine Seele von dieser Doktrin zu befreien. Das Erlebnis stimulierte ihn dazu, das Kapitel über Freiheit und Notwendigkeit im letzten Buch seines Systems der Logik zu schreiben.
Bevor man bei diesem Text ankommt, der in Band drei erscheinen soll, hat man aber noch ein paar weitere Tore zu durchschreiten. Da erläutert Herausgeberin Ulrike Ackermann die großen Verdienste, die sich Harriet Taylor und John Stuart Mill um die ersten Schritte der Gleichberechtigung der Frauen erworben haben.
Während andere Männer sich noch selbstverständlich an den geistigen Leistungen ihrer Frauen bedienten, ohne diese auch nur zu erwähnen, hat Mill kein Risiko und keinen Spott seiner Mitmänner gefürchtet, sondern sich stets zu seiner wissenschaftlichen Partnerin und deren Inspiration bekannt - mit großer Aufrichtigkeit, Loyalität und Dankbarkeit.
Wenn man aber nach Ackermanns Einleitung denkt, nun habe man die Einführungen hinter sich, kommt noch einmal eine, nämlich jene, die Friedrich August von Hayek seiner Ausgabe des Briefwechsels von John Stuart Mill und Harriet Taylor vorausgeschickt hat.
"Die geistige Genossenschaft, welche zur Vervollkommnung verhilft, ist der Verkehr zwischen tätigen Geistern, nicht die Berührung zwischen einem tätigen und einem leidenden Geiste."
Und irgendwann ist man dann mittendrin. Nicht nur in der Denkfabrik eines großen Paares, nicht nur in einer der großen Ausformulierungen des liberalen kritischen Rationalismus, sondern auch mitten im britischen Parlament, vor dem Mill als Politiker einige phantastische Reden gehalten hat.
Gerade hier spürt man in jeder Zeile seine unbedingte Redlichkeit, welche auf den politischen Gegner oftmals wohlwollend und nicht nur ironisch eingeht – wie etwa 1850 in einer Rede über säkulare Erziehung:
"Empfindungen wie diese [dass Bildung dem christlichen Glauben schädlich sein könnte] sind für das Christentum nicht schmeichelhaft, ebenso wenig für die Aufrichtigkeit des christlichen Glaubens. Sein größter Feind könnte nichts Schlimmeres über es sagen, als dass entweder Unwissenheit oder frühes Vorurteil der Boden ist, den es braucht, um darin zu gedeihen, und dass Nichtgläubige zu unterrichten, rationale und denkende Wesen aus ihnen zu machen, darin besteht, sie in ihrem Unglauben zu bestätigen."
Man darf hier die polemische Kunst genießen, ohne an der Ernsthaftigkeit des Wohlwollens zu zweifeln.
Ob sie sich nun zu den Rechten der Frauen, zu religiösen Fragen oder zur öffentlichen Erziehung äußern – stets begeistern sich Taylor und Mill vollkommen unzweideutig für die Freiheit des Einzelnen, schätzen starke Individuen und vermeiden jegliches Ressentiment.
Auch in der Beschreibung seines persönlichen Bildungsweges, in dem Bericht über seine Auseinandersetzung mit Auguste Comte und in seinen Diskussionen des Schönheitssinns kommt John Stuart Mill immer wieder auf die Verluste zu sprechen, die der Gesellschaft entstehen, wenn sie mit den Geisteskräften beider Geschlechter allzu sorglos umgeht.
Und angesichts vieler Anfeindungen, unter denen die Behauptung, er habe sich willenlos einer dominanten Frau unterworfen, nur eine ist, preist er wiederholt den glücklichen Zufall, der ihn mit Harriet Taylor zusammengeführt hatte:
"Er würde viel öfter zustande kommen, wenn die Erziehung sich dieselbe Mühe gäbe, starkgeistige Frauen heranzubilden, als sie jetzt tut, um ihre Heranbildung zu verhindern. (…) Hohe Geisteskräfte werden unter den Frauen so lange zufällige Ausnahmen bleiben, bis ihnen jeder Lebensweg offensteht und bis sie so gut wie die Männer für sich selbst und für die Welt erzogen werden, nicht das eine Geschlecht für das andere."
Dass es schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts Menschen gab, denen die Emanzipation der Frauen nicht ein abseitiges Spezialthema war, sondern ins Zentrum freiheitlichen Denkens gehörte, das lässt man sich in dieser verdienstvollen und ansprechenden Werkausgabe gern noch einmal zeigen.
Hans Jörg Schmidt, Ulrike Ackermann (Hg.): John Stuart Mill. Bildung und Selbstentfaltung. Ausgewählte Werke, Band 2
Murmann Verlag, Hamburg 2013
496 Seiten, 54,00 Euro, auch als E-book erhältlich
Murmann Verlag, Hamburg 2013
496 Seiten, 54,00 Euro, auch als E-book erhältlich
Harriet Taylor (Hg.) und John Stuart Mill: Freiheit und Gleichberechtigung. Ausgewählte Werke, Band 1
Murmann Verlag, Hamburg 2012
640 Seiten, 54,00 Euro, auch als E-book erhältlich
Murmann Verlag, Hamburg 2012
640 Seiten, 54,00 Euro, auch als E-book erhältlich