Einblicke in ein mennonitisches Universum
Was für andere Jugendliche ihres Alters selbstverständlich war, war für Toews tabu. Sie wuchs in einer kanadischen Kleinstadt auf, wo fast alle Bewohner Mennoniten waren. Ihren Umzug nach Montreal erlebte sie als Kulturschock. Dennoch sagt Toews, die heute als Schriftstellerin und Journalistin arbeitet, habe sie wunderschöne Erinnerungen an ihre Jugend.
"Man muss sich nur mal vorstellen, der größte Außenseiter der Schule gründet eine Clique, bei der alles verboten ist: Medien, Tanzen, Rauchen, gemäßigte Klimazonen, Kino, Alkohol, Rockmusik, Sex aus Spaß, Schwimmen, Schminken, Schmuck, Billiard, in die Großstadt fahren oder nach neun ins Bett gehen. Das wäre Menno pur. - Schönen Dank auch, Menno."
Es ist ihre eigene Jugend, die Miriam Toews beschreibt. Sie ist zwar nicht das verstörte 16-jährige Mädchen, die Ich-Erzählerin in ihrem Roman "Ein komplizierter Akt der Liebe". Nicht genau. Aber wie diese junge Frau wuchs auch sie in einer kanadischen Kleinstadt auf, in Steinbach, Manitoba, wo fast alle Bewohner Mennoniten sind, wo Fundamentalisten den Ton angeben. Wo ihre an sich liberaleren Eltern ihr nur ein Mal erlaubten, ins Kino zu gehen. Wegen der Nachbarn. Und wo man als Teenager seinen Weg schwer findet zwischen den starren Geboten der Religion und jugendlichen Exzessen am Ortsrand am Lagerfeuer.
"Und dann redeten wir über Musik. Denn das war immer der Test. Selbst die behütetste Mennonitin würde nie einem Jungen mit der Zunge in den Mund fahren, der eine Air Supply-Platte besitzt. Einem Jungen, der eine von Emerson, Lake and Palmer besaß, fuhr man womöglich mit der Zunge in den Mund, aber man ging nicht mit ihm – höchstens heimlich. Und dann ließ Travis den Namen "Lou Reed" fallen, ohne dabei in unerträgliches Fan-Gelaber abzurutschen, und mir war klar, dass ich seine Freundin werden wollte. "
Die Familie ihrer Heldin Nomi zerbricht zwischen Lebensfreude und der religiösen Enge, der Härte und Verlogenheit der Gemeinde. Der leichte, humorvolle Teenager-Tonfall, in dem sie die Katastrophe erzählt, ist Miriam Toews eigene Sprache. Mit den langen blonden Haaren, in Jeans und Turnschuhen, wirkt sie jünger als 41. Fröhlich, offen, natürlich, schaut sie auf ihre Jugend-Stadt Steinbach zurück, der sie selbst so schnell wie möglich, am Tag nach ihrem High-School-Abschluss, den Rücken kehrte:
Ich habe wunderschöne Erinnerungen an das Städtchen, sagt sie. Es ist eben nur schwer, dort ein Individuum zu sein. Den Neuanfang als Studentin in Montreal erlebte sie als Bruch.
"Es war ein Kulturschock. Ich kam im Grunde aus dem konservativsten, am strengsten abgeschotteten Teil der kanadischen Gesellschaft in den liberalsten und offensten. Das war schwierig. Weil ich mich an beiden Orten nicht zu Hause fühlte. Ziemlich lange. Das war schon hart."
Aufgehoben fühlte sich die junge Frau, die nichts als ein Mal Tom Sawyer im Kino gesehen hatte, ausgerechnet beim Film, ihrem Studienfach.
"Für mich war das klasse. Weil es exotisch war, es war alles neu. Das war für mich so, als würde ich antike Statuen studieren. Mittelalterliche Kunst oder irgendwas das eben völlig fremd war. So dass es toll war, in dieser Film-Umgebung unterzutauchen."
Nach Montreal und London wohnt Miriam Toews jetzt in Winnipeg, arbeitet – außer als Schriftstellerin - auch als Journalistin, vor allem im Hörfunk. Als religiös würde sie sich auch heute noch bezeichnen. Auch wenn sie nicht in die Kirche geht, genauso wie ihr mennonitisch getaufter Mann. Und auch wenn der Glaube bei der Erziehung der drei Kinder keine große Rolle spielt. Für die Teenager, die jüngste Tochter ist 15, ist Steinbach eine völlig fremde Welt. Der Ort selbst, erst recht das Touristendorf, in dem für Besucher die alten Sitten der Gemeinde nachgespielt werden. Die Bilderbuchwelt des Fundamentalismus außerhalb des eigentlichen mennonitischen Ortes, in dem als Mädchen auch Miriam Toews gearbeitet hat.
"Meine Kinder haben Schulausflüge zu diesem Museum gemacht, (von der Stadt aus), und sie sagen dann "hey, ja, das sind Mennoniten." So ungefähr wie Disney-Land. "
"Amerikaner, die in unsere echte Stadt kommen, sind entweder verblüfft, oder enttäuscht, oder beides. Sie können es nicht ausstehen, wenn unsereiner im Schlauchtop auf der Bordsteinkante sitzt und eine Sweet Cap raucht. Schließlich zahlen sie gutes Geld dafür, dass sie Häubchen, Schürzen und Pferdefuhrwerke zu sehen bekommen."
"Ein komplizierter Akt der Liebe" ist Miriam Toews viertes Buch. In zwei früheren Romanen geht es um die Enge der Kleinstadt oder die konservative Umgebung, in der sich eine allein erziehende Mutter zurechtzufinden versucht. Immer unterlegt mit diesem leichten, manchmal etwas verzweifelten Humor. Toews drittes Buch, Swing Low, nennt sie selbst ein Sachbuch. Die Biographie ihres Vaters, aus seiner Sicht: Die Beschreibung seines lebenslangen Kampfes mit Manie und Depression, bis er sich 1998 tötete. Auch in diesem Buch spielt die Religion eine große Rolle. Trotzdem wundert sich Toews manchmal über das Interesse gerade an ihrem Glaubenshintergund. Der für sie so gar nichts Exotisches habe.
"Ja, natürlich bin ich es satt zu erklären – ich kann mich selbst nicht mehr hören. Aber andererseits bin ich froh um das Interesse. Und dass mein Buch eine Diskussion anstößt. Also macht es mir nichts aus, davon zu erzählen."
Ihr nächstes Buch allerdings soll mit Religion nichts zu tun haben, sagt sie, auch wenn dann vielleicht manche Kritiker enttäuscht sein mögen. Das Schreiben ist ihr – nach der Familie – das wichtigste.
Es ist ihre eigene Jugend, die Miriam Toews beschreibt. Sie ist zwar nicht das verstörte 16-jährige Mädchen, die Ich-Erzählerin in ihrem Roman "Ein komplizierter Akt der Liebe". Nicht genau. Aber wie diese junge Frau wuchs auch sie in einer kanadischen Kleinstadt auf, in Steinbach, Manitoba, wo fast alle Bewohner Mennoniten sind, wo Fundamentalisten den Ton angeben. Wo ihre an sich liberaleren Eltern ihr nur ein Mal erlaubten, ins Kino zu gehen. Wegen der Nachbarn. Und wo man als Teenager seinen Weg schwer findet zwischen den starren Geboten der Religion und jugendlichen Exzessen am Ortsrand am Lagerfeuer.
"Und dann redeten wir über Musik. Denn das war immer der Test. Selbst die behütetste Mennonitin würde nie einem Jungen mit der Zunge in den Mund fahren, der eine Air Supply-Platte besitzt. Einem Jungen, der eine von Emerson, Lake and Palmer besaß, fuhr man womöglich mit der Zunge in den Mund, aber man ging nicht mit ihm – höchstens heimlich. Und dann ließ Travis den Namen "Lou Reed" fallen, ohne dabei in unerträgliches Fan-Gelaber abzurutschen, und mir war klar, dass ich seine Freundin werden wollte. "
Die Familie ihrer Heldin Nomi zerbricht zwischen Lebensfreude und der religiösen Enge, der Härte und Verlogenheit der Gemeinde. Der leichte, humorvolle Teenager-Tonfall, in dem sie die Katastrophe erzählt, ist Miriam Toews eigene Sprache. Mit den langen blonden Haaren, in Jeans und Turnschuhen, wirkt sie jünger als 41. Fröhlich, offen, natürlich, schaut sie auf ihre Jugend-Stadt Steinbach zurück, der sie selbst so schnell wie möglich, am Tag nach ihrem High-School-Abschluss, den Rücken kehrte:
Ich habe wunderschöne Erinnerungen an das Städtchen, sagt sie. Es ist eben nur schwer, dort ein Individuum zu sein. Den Neuanfang als Studentin in Montreal erlebte sie als Bruch.
"Es war ein Kulturschock. Ich kam im Grunde aus dem konservativsten, am strengsten abgeschotteten Teil der kanadischen Gesellschaft in den liberalsten und offensten. Das war schwierig. Weil ich mich an beiden Orten nicht zu Hause fühlte. Ziemlich lange. Das war schon hart."
Aufgehoben fühlte sich die junge Frau, die nichts als ein Mal Tom Sawyer im Kino gesehen hatte, ausgerechnet beim Film, ihrem Studienfach.
"Für mich war das klasse. Weil es exotisch war, es war alles neu. Das war für mich so, als würde ich antike Statuen studieren. Mittelalterliche Kunst oder irgendwas das eben völlig fremd war. So dass es toll war, in dieser Film-Umgebung unterzutauchen."
Nach Montreal und London wohnt Miriam Toews jetzt in Winnipeg, arbeitet – außer als Schriftstellerin - auch als Journalistin, vor allem im Hörfunk. Als religiös würde sie sich auch heute noch bezeichnen. Auch wenn sie nicht in die Kirche geht, genauso wie ihr mennonitisch getaufter Mann. Und auch wenn der Glaube bei der Erziehung der drei Kinder keine große Rolle spielt. Für die Teenager, die jüngste Tochter ist 15, ist Steinbach eine völlig fremde Welt. Der Ort selbst, erst recht das Touristendorf, in dem für Besucher die alten Sitten der Gemeinde nachgespielt werden. Die Bilderbuchwelt des Fundamentalismus außerhalb des eigentlichen mennonitischen Ortes, in dem als Mädchen auch Miriam Toews gearbeitet hat.
"Meine Kinder haben Schulausflüge zu diesem Museum gemacht, (von der Stadt aus), und sie sagen dann "hey, ja, das sind Mennoniten." So ungefähr wie Disney-Land. "
"Amerikaner, die in unsere echte Stadt kommen, sind entweder verblüfft, oder enttäuscht, oder beides. Sie können es nicht ausstehen, wenn unsereiner im Schlauchtop auf der Bordsteinkante sitzt und eine Sweet Cap raucht. Schließlich zahlen sie gutes Geld dafür, dass sie Häubchen, Schürzen und Pferdefuhrwerke zu sehen bekommen."
"Ein komplizierter Akt der Liebe" ist Miriam Toews viertes Buch. In zwei früheren Romanen geht es um die Enge der Kleinstadt oder die konservative Umgebung, in der sich eine allein erziehende Mutter zurechtzufinden versucht. Immer unterlegt mit diesem leichten, manchmal etwas verzweifelten Humor. Toews drittes Buch, Swing Low, nennt sie selbst ein Sachbuch. Die Biographie ihres Vaters, aus seiner Sicht: Die Beschreibung seines lebenslangen Kampfes mit Manie und Depression, bis er sich 1998 tötete. Auch in diesem Buch spielt die Religion eine große Rolle. Trotzdem wundert sich Toews manchmal über das Interesse gerade an ihrem Glaubenshintergund. Der für sie so gar nichts Exotisches habe.
"Ja, natürlich bin ich es satt zu erklären – ich kann mich selbst nicht mehr hören. Aber andererseits bin ich froh um das Interesse. Und dass mein Buch eine Diskussion anstößt. Also macht es mir nichts aus, davon zu erzählen."
Ihr nächstes Buch allerdings soll mit Religion nichts zu tun haben, sagt sie, auch wenn dann vielleicht manche Kritiker enttäuscht sein mögen. Das Schreiben ist ihr – nach der Familie – das wichtigste.