Einblicke in ein Soldatenleben
In seinem Buch schildert der Journalist Marco Seliger den Afghanistaneinsatz aus der Sicht derjenigen, die Leib und Leben riskieren: den Soldaten. Ihren Alltag, ihre Ängste und Erlebnisse beschreibt in einer Sprache, die einem das Grauen der Beteiligten sehr nahebringt.
Warnung: "Sterben für Kabul" enthält Wahrheiten, vor denen sich die Deutschen, allen voran die Politiker, seit mehr als zehn Jahren drücken. Der Autor zieht Bilanz:
"Von Anfang an wurde die deutsche Mission am Hindukusch von einer innenpolitischen Daueralarmstimmung erschwert. Die Bundesregierungen aller Couleur hatten es schon ein Jahr nach 9/11 nicht mehr verstanden, den Afghanistaneinsatz in der Öffentlichkeit stichhaltig zu begründen. Umso mehr fürchteten sie negative Schlagzeilen vom Hindukusch, vor allem vor Wahlen. Die Folge: Dringend notwendige politische Diskussionen wurden unterdrückt und erforderliche militärische Entscheidungen verzögert. Wiederholt gab es Weisung aus Berlin an die Truppe im Einsatz, vor Wahlen gefährliche Operationen zu unterlassen, weil die Gefahr von Verlusten bestanden hätte. Kein deutscher Politiker lässt sich mitten im Wahlkampf gern an den Särgen gefallener Soldaten filmen."
Die Schilderung des Afghanistankrieges erfolgt ungeschminkt; in einer Sprache, die das Grauen der Beteiligten sehr nahebringt.
"Martin Jäger stopft Latexhandschuhe in klaffende Wunden, um Blutungen zu stopfen. Er bindet Gliedmaßen ab und verteilt Verbandsmaterial an leicht Verletzte, die sich selbst helfen können. Er presst Soldaten, die panisch herumlaufen und in Todesangst brüllen, an eine Mauer neben dem Wrack. Einem Kameraden zieht er einen zentimeterlangen Splitter aus dem Nacken."
Marco Seliger schildert den Krieg aus der Sicht derjenigen, die Leib und Leben riskieren, ohne zu wissen, warum. Aus der Sicht der Bundeswehrsoldaten. Dass am Hindukusch "auch Deutschland verteidigt" wird, wie dies einst der SPD-Verteidigungsminister Struck meinte - aber nicht nur er - das glauben nicht einmal mehr die Politiker. Auch wenn sie sich nicht trauen, es offen zu sagen.
Mehr als 50 deutsche Soldaten sind bislang in Afghanistan gefallen. Wofür? Die Antwort des Autors ist so wahr wie erschütternd:
"Sie wurden getötet und verstümmelt, damit sich in Kabul eine teilweise verbrecherische Clique bereichern und an der Macht halten kann. Sinnlos gestorben. Getötet meist durch Selbstmordattentäter und Bomben, so fürchterlich entstellt, dass man ihren Anblick den Angehörigen nicht zumuten wollte."
Es mangelt den Deutschen nicht nur an mentalem Verständnis für diesen Einsatz, es mangelt auch an materieller Unterstützung, beklagt Seliger:
"Man hat sich über viele Jahre etwas vorgemacht, in was für einen Krieg man da geraten ist. Man meinte ja die ganze Zeit, wir seien in einem Aufbaueinsatz, in einem Peace-Keeping-Einsatz, so wie wir das vom Balkan her kannten. Mit dieser Mentalität ist man nach Afghanistan gegangen. Entsprechend hat man seine Soldaten ausgerüstet. Wenn man sich an die ersten Jahre erinnert, da sind wir noch mit Zwei-Tonner ungepanzert durch Kabul gefahren und - wie wir ja Pfingsten 2003 bitter erfahren haben - mit einem ungepanzerten Bus zum Flughafen, der dann in die Luft geflogen ist."
Detailliert beschreibt Marco Seliger die Einsatzrealität - Erfahrungen, die Jeder mit nach Hause bringt. Etwa der Soldat, der im Juni 2003 bei eben jenem Anschlag auf einen Bundeswehrbus knapp dem Tod entkam. Vier seiner Kameraden kamen damals ums Leben:
"Sechs Jahre nach dem Anschlag quälen ihn Albträume, in denen er wieder und wieder erlebt, was er zu vergessen glaubte. Schreie der verwundeten Kameraden im Bus. Er wacht atemlos auf, schweißgebadet, schreckensstarr. Auf der Autobahn attackieren ihn urplötzlich Flashbacks, wenn er eine Unfallstelle passiert. Nie wieder ist er seit Kabul mit einer Bahn, einem Taxi, geschweige denn mit einem Bus gefahren. Es ist die Angst vor Kontrollverlust, die ihn davon abhält."
Der Soldat leidet unter PTBS, einem "Posttraumatischen Belastungssyndrom". Viele Afghanistan-Veteranen leiden darunter. Veteranen, auch dies ein neues Wort, an das wir uns noch gewöhnen müssen. Ebenso wie an die Krankheit, die in der Gesellschaft eher verschwiegen wird, manchmal auch beim Arbeitgeber Bundeswehr.
"Wenn man sich etwas vormacht, wenn man sagt, es kann nicht sein, was nicht sein darf, nämlich eine Eskalation im Einsatzgebiet des Bundes, und dann die entsprechenden medizinischen Fähigkeiten nicht vorhält, also beispielsweise nicht drauf eingerichtet ist, dass durch zunehmende Anzahl von Kämpfen, traumatisierte Soldaten aus dem Einsatz zurückkommen. Wenn man sich das nicht eingesteht, dann passiert es, dass man in eine Bundeswehr als traumatisierter Soldat in Deutschland zurückkommt und trifft auf Ärzte, die kein Verständnis haben."
Während hierzulande in Sonntagsreden der Mythos von "Helfern in Uniform" propagiert wird, geraten die Deutschen in einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Aus den "Helfern" wird eine Besatzungsarmee. Dabei ist der Konflikt zwischen realitätsfernen Befehlen, die den militärischen Auftrag erschweren und dem schlichten Überlebenskampf nicht zu übersehen.
"Ich glaube, dass es so ist, dass man einfach in Unkenntnis teilweise der Lage und der Entwicklung in Afghanistan bestimmte wichtige Entscheidungen nicht gefällt hat. Und ich glaube auch - teilweise spielt Opportunismus im Militär eine ganz entscheidende Rolle. Das man nicht in der Lage war, nicht gewillt war, nicht den Mut hatte, der politischen Führung aufzuzeigen, wohin sich in Afghanistan gerade die Lage entwickelt."
Man mag dem Autor vorwerfen, nichts über Entwicklungshilfe oder komplizierte internationale Verwicklungen zu sagen. Mangelnde Klarheit kann man Seliger indes nicht vorwerfen. Falsche Taktik, keine langfristige Strategie, korrupte Politiker in Afghanistan, feige Politiker in Deutschland, kulturelle Fehlleistungen: Wer wissen will, warum der Bundeswehreinsatz in Afghanistan scheitert, sollte dieses spannende Buch lesen.
Marco Seliger: Sterben für Kabul. Aufzeichnungen über einen verdrängten Krieg
Mittler Verlag Hamburg, 2011
"Von Anfang an wurde die deutsche Mission am Hindukusch von einer innenpolitischen Daueralarmstimmung erschwert. Die Bundesregierungen aller Couleur hatten es schon ein Jahr nach 9/11 nicht mehr verstanden, den Afghanistaneinsatz in der Öffentlichkeit stichhaltig zu begründen. Umso mehr fürchteten sie negative Schlagzeilen vom Hindukusch, vor allem vor Wahlen. Die Folge: Dringend notwendige politische Diskussionen wurden unterdrückt und erforderliche militärische Entscheidungen verzögert. Wiederholt gab es Weisung aus Berlin an die Truppe im Einsatz, vor Wahlen gefährliche Operationen zu unterlassen, weil die Gefahr von Verlusten bestanden hätte. Kein deutscher Politiker lässt sich mitten im Wahlkampf gern an den Särgen gefallener Soldaten filmen."
Die Schilderung des Afghanistankrieges erfolgt ungeschminkt; in einer Sprache, die das Grauen der Beteiligten sehr nahebringt.
"Martin Jäger stopft Latexhandschuhe in klaffende Wunden, um Blutungen zu stopfen. Er bindet Gliedmaßen ab und verteilt Verbandsmaterial an leicht Verletzte, die sich selbst helfen können. Er presst Soldaten, die panisch herumlaufen und in Todesangst brüllen, an eine Mauer neben dem Wrack. Einem Kameraden zieht er einen zentimeterlangen Splitter aus dem Nacken."
Marco Seliger schildert den Krieg aus der Sicht derjenigen, die Leib und Leben riskieren, ohne zu wissen, warum. Aus der Sicht der Bundeswehrsoldaten. Dass am Hindukusch "auch Deutschland verteidigt" wird, wie dies einst der SPD-Verteidigungsminister Struck meinte - aber nicht nur er - das glauben nicht einmal mehr die Politiker. Auch wenn sie sich nicht trauen, es offen zu sagen.
Mehr als 50 deutsche Soldaten sind bislang in Afghanistan gefallen. Wofür? Die Antwort des Autors ist so wahr wie erschütternd:
"Sie wurden getötet und verstümmelt, damit sich in Kabul eine teilweise verbrecherische Clique bereichern und an der Macht halten kann. Sinnlos gestorben. Getötet meist durch Selbstmordattentäter und Bomben, so fürchterlich entstellt, dass man ihren Anblick den Angehörigen nicht zumuten wollte."
Es mangelt den Deutschen nicht nur an mentalem Verständnis für diesen Einsatz, es mangelt auch an materieller Unterstützung, beklagt Seliger:
"Man hat sich über viele Jahre etwas vorgemacht, in was für einen Krieg man da geraten ist. Man meinte ja die ganze Zeit, wir seien in einem Aufbaueinsatz, in einem Peace-Keeping-Einsatz, so wie wir das vom Balkan her kannten. Mit dieser Mentalität ist man nach Afghanistan gegangen. Entsprechend hat man seine Soldaten ausgerüstet. Wenn man sich an die ersten Jahre erinnert, da sind wir noch mit Zwei-Tonner ungepanzert durch Kabul gefahren und - wie wir ja Pfingsten 2003 bitter erfahren haben - mit einem ungepanzerten Bus zum Flughafen, der dann in die Luft geflogen ist."
Detailliert beschreibt Marco Seliger die Einsatzrealität - Erfahrungen, die Jeder mit nach Hause bringt. Etwa der Soldat, der im Juni 2003 bei eben jenem Anschlag auf einen Bundeswehrbus knapp dem Tod entkam. Vier seiner Kameraden kamen damals ums Leben:
"Sechs Jahre nach dem Anschlag quälen ihn Albträume, in denen er wieder und wieder erlebt, was er zu vergessen glaubte. Schreie der verwundeten Kameraden im Bus. Er wacht atemlos auf, schweißgebadet, schreckensstarr. Auf der Autobahn attackieren ihn urplötzlich Flashbacks, wenn er eine Unfallstelle passiert. Nie wieder ist er seit Kabul mit einer Bahn, einem Taxi, geschweige denn mit einem Bus gefahren. Es ist die Angst vor Kontrollverlust, die ihn davon abhält."
Der Soldat leidet unter PTBS, einem "Posttraumatischen Belastungssyndrom". Viele Afghanistan-Veteranen leiden darunter. Veteranen, auch dies ein neues Wort, an das wir uns noch gewöhnen müssen. Ebenso wie an die Krankheit, die in der Gesellschaft eher verschwiegen wird, manchmal auch beim Arbeitgeber Bundeswehr.
"Wenn man sich etwas vormacht, wenn man sagt, es kann nicht sein, was nicht sein darf, nämlich eine Eskalation im Einsatzgebiet des Bundes, und dann die entsprechenden medizinischen Fähigkeiten nicht vorhält, also beispielsweise nicht drauf eingerichtet ist, dass durch zunehmende Anzahl von Kämpfen, traumatisierte Soldaten aus dem Einsatz zurückkommen. Wenn man sich das nicht eingesteht, dann passiert es, dass man in eine Bundeswehr als traumatisierter Soldat in Deutschland zurückkommt und trifft auf Ärzte, die kein Verständnis haben."
Während hierzulande in Sonntagsreden der Mythos von "Helfern in Uniform" propagiert wird, geraten die Deutschen in einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist. Aus den "Helfern" wird eine Besatzungsarmee. Dabei ist der Konflikt zwischen realitätsfernen Befehlen, die den militärischen Auftrag erschweren und dem schlichten Überlebenskampf nicht zu übersehen.
"Ich glaube, dass es so ist, dass man einfach in Unkenntnis teilweise der Lage und der Entwicklung in Afghanistan bestimmte wichtige Entscheidungen nicht gefällt hat. Und ich glaube auch - teilweise spielt Opportunismus im Militär eine ganz entscheidende Rolle. Das man nicht in der Lage war, nicht gewillt war, nicht den Mut hatte, der politischen Führung aufzuzeigen, wohin sich in Afghanistan gerade die Lage entwickelt."
Man mag dem Autor vorwerfen, nichts über Entwicklungshilfe oder komplizierte internationale Verwicklungen zu sagen. Mangelnde Klarheit kann man Seliger indes nicht vorwerfen. Falsche Taktik, keine langfristige Strategie, korrupte Politiker in Afghanistan, feige Politiker in Deutschland, kulturelle Fehlleistungen: Wer wissen will, warum der Bundeswehreinsatz in Afghanistan scheitert, sollte dieses spannende Buch lesen.
Marco Seliger: Sterben für Kabul. Aufzeichnungen über einen verdrängten Krieg
Mittler Verlag Hamburg, 2011