Eine Abrechnung mit Südafrikas Befreiungsbewegung
Grassierende Korruption, wachsende Kriminalität, anhaltende Armut: Nadine Gordimer erzählt in ihrem neuen Roman von den Missständen im heutigen Südafrika. Im Mittelpunkt stehen zwei Menschen, die einst für die Freiheit gekämpft haben - und nun tief enttäuscht sind.
Ihre Romane waren stets flammende Anklage und aufwühlende Porträts eines zutiefst undemokratischen und rassistischen Regimes. Doch das Ende der Apartheid, der Anbruch der Demokratie, das Ende rassistischer Unterdrückung haben sie nicht verstummen lassen. Sie versteht sich weiterhin als ebenso engagierte wie kritische Chronistin der Verhältnisse. Das gilt auch für den jüngsten Roman der bald Neunzigjährigen. Er kann durchaus als Abrechnung mit der Dauerherrschaft des ANC verstanden werden, also jener Befreiungsbewegung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, die seit den ersten freien Wahlen 1994 ununterbrochen regiert. Ihr Buch ist allerdings keine Polemik, sondern ein Versuch, mit den großen Enttäuschungen fertig zu werden, die viele derjenigen verspüren, die zusammen mit dem ANC für eine bessere Gesellschaft gekämpft haben.
Das ist diesmal durchaus wörtlich zu verstehen, denn die beiden Hauptprotagonisten, das Ehepaar Jabulile, Tochter eines schwarzen Schullehrers aus KwaZulu und Steve, Sohn eines weißen, jüdisch-christlichen Ehepaars hatten am bewaffneten Widerstand teilgenommen.
Nadine Gordimer kommt in ihrem Roman immer wieder auf diese Erfahrungen zurück. Sie ziehen sich wie eine Art Leitmotiv durch den Roman, so als wollten sie darauf hinweisen, dass beide für ihre Überzeugung auf vieles verzichtet haben. Jetzt steht ihrem beruflichen Aufstieg nichts mehr im Weg. Sie finden einträgliche Jobs, verdienen gut und können sich vieles leisten, was immer noch großen Teilen der Gesellschaft, vor allem den Schwarzen versagt bleibt. Das macht ihnen oft ein schlechtes Gewissen. Dürfen sie sich ein Haus in der Vorstadt kaufen, während viele Schwarze weiterhin in Slums leben? Dürfen sie ihre Kinder auf Eliteschulen schicken, während Hundertausende Kinder in winzigen Klassenzimmern schlecht unterrichtet werden? Dürfen Sie eine Verwandte wie eine Hausangestellte bei sich wohnen und arbeiten lassen?
Beide sind enttäuscht über die grassierende Korruption unter den regierenden Genossen, den Fremdenhass gegenüber schwarzen Flüchtlingen aus Nachbarstaaten, die wachsende Kriminalität, die anhaltende Armut, die große Arbeitslosigkeit und die AIDS-Epidemie.
Angesichts des Unwillens der Regierung, diese Probleme anzugehen, sieht Steve schließlich keinen anderen Ausweg mehr, als das Land zu verlassen. Jabulile zögert lange. Sie müsste einen guten Job aufgeben und ihren geliebten Vater verlassen.
In nüchternem Stil, ohne jegliches Pathos beschreibt Nadine Gordimer die moralischen Konflikte. Sie erzählt konventionell, folgt der Chronologie der Ereignisse. Nadine Gordimer schätzt zudem die wörtliche Rede, denn die bietet sich für die vielen Diskussionen mit den Genossen an, die in der Nachbarschaft des Ehepaars leben. Der Roman ist eine Abrechnung mit einem System, das die Ideale seiner Anhänger bitter enttäuscht hat und er stellt die Frage, wie viel persönliches Glück ein Freiheitskämpfer anstreben darf. Gehen oder bleiben – selbst mit dem letzten Satz lässt Nadine Gordimer die Antwort offen.
Besprochen von Johannes Kaiser
Nadine Gordimer: Keine Zeit wie diese
Aus dem Englischen Barbara Schaden
Berlin Verlag 2012
506 Seiten, 22,99 Euro
Das ist diesmal durchaus wörtlich zu verstehen, denn die beiden Hauptprotagonisten, das Ehepaar Jabulile, Tochter eines schwarzen Schullehrers aus KwaZulu und Steve, Sohn eines weißen, jüdisch-christlichen Ehepaars hatten am bewaffneten Widerstand teilgenommen.
Nadine Gordimer kommt in ihrem Roman immer wieder auf diese Erfahrungen zurück. Sie ziehen sich wie eine Art Leitmotiv durch den Roman, so als wollten sie darauf hinweisen, dass beide für ihre Überzeugung auf vieles verzichtet haben. Jetzt steht ihrem beruflichen Aufstieg nichts mehr im Weg. Sie finden einträgliche Jobs, verdienen gut und können sich vieles leisten, was immer noch großen Teilen der Gesellschaft, vor allem den Schwarzen versagt bleibt. Das macht ihnen oft ein schlechtes Gewissen. Dürfen sie sich ein Haus in der Vorstadt kaufen, während viele Schwarze weiterhin in Slums leben? Dürfen sie ihre Kinder auf Eliteschulen schicken, während Hundertausende Kinder in winzigen Klassenzimmern schlecht unterrichtet werden? Dürfen Sie eine Verwandte wie eine Hausangestellte bei sich wohnen und arbeiten lassen?
Beide sind enttäuscht über die grassierende Korruption unter den regierenden Genossen, den Fremdenhass gegenüber schwarzen Flüchtlingen aus Nachbarstaaten, die wachsende Kriminalität, die anhaltende Armut, die große Arbeitslosigkeit und die AIDS-Epidemie.
Angesichts des Unwillens der Regierung, diese Probleme anzugehen, sieht Steve schließlich keinen anderen Ausweg mehr, als das Land zu verlassen. Jabulile zögert lange. Sie müsste einen guten Job aufgeben und ihren geliebten Vater verlassen.
In nüchternem Stil, ohne jegliches Pathos beschreibt Nadine Gordimer die moralischen Konflikte. Sie erzählt konventionell, folgt der Chronologie der Ereignisse. Nadine Gordimer schätzt zudem die wörtliche Rede, denn die bietet sich für die vielen Diskussionen mit den Genossen an, die in der Nachbarschaft des Ehepaars leben. Der Roman ist eine Abrechnung mit einem System, das die Ideale seiner Anhänger bitter enttäuscht hat und er stellt die Frage, wie viel persönliches Glück ein Freiheitskämpfer anstreben darf. Gehen oder bleiben – selbst mit dem letzten Satz lässt Nadine Gordimer die Antwort offen.
Besprochen von Johannes Kaiser
Nadine Gordimer: Keine Zeit wie diese
Aus dem Englischen Barbara Schaden
Berlin Verlag 2012
506 Seiten, 22,99 Euro