"Eine absolut sensationelle Wirkung"
Ronald Meinardus, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung Kairo, zeigt sich vom Prozess gegen den ehemaligen ägyptischen Präsidenten überrascht – wie viele andere Menschen in dem Land auch. "Bis zuletzt hat kaum einer daran geglaubt, dass Hosni Mubarak persönlich erscheinen würde", sagt Meinardus.
Stephan Karkowsky: Die Angeklagten sitzen wie Tiere im Käfig, die Drahtmaschen so eng, dass die Kameras kaum durchschauen können auf das Bett, in dem Hosni Mubarak liegt. 30 Jahre war er Staatspräsdent Ägyptens, bereits ein halbes Jahr nach seiner Absetzung machen ihm die Ägypter nun den Prozess. Wir sprechen darüber mit dem Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo, Doktor Ronald Meinardus. Guten Morgen!
Ronald Meinardus: Schönen guten Morgen!
Karkowsky: Mubarak und seinen Söhne gefangen vor ihrem Richter, ihnen droht die Todesstrafe. Was glauben Sie, welche Wirkung dieses Bild hat auf die Ägypter und auf die arabische Welt insgesamt?
Meinardus: Für die Ägypter eine absolut sensationelle und für alle Menschen, die das politische Geschehen in Ägypten verfolgen, eine absolut sensationelle Wirkung. Es war eine Forderung der Revolutionäre, dass dieses passiert, und es wurde auch angekündigt, dass dieser Prozess stattfindet. Aber bis zuletzt hat kaum einer dran geglaubt, dass Hosni Mubarak persönlich erscheinen würde, und insofern auch die sehr kritischen, die dem Militär sehr kritisch gegenüber gestellten Ägypter mussten dann doch eingestehen, dass das sie doch überrascht hat, weil bis zuletzt es da Zweifel gegeben hat.
Ein sehr, sehr tief greifender Vorgang, ein Prozess des Jahrhunderts, wird einhellig von allen Seiten behauptet. Welche Wirkung das jetzt über das Land hinaus hat, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Sicherlich für die Einen ein Ansporn, dass es auch so gehen kann, dass Diktatoren nicht verschwinden in irgendwelchen Ländern, wo sie dann einen schönen Ruhestand haben, wie das im Falle des Tunesiers Ben Ali ist.
Andere sagen aber auch, dass möglicherweise das Bild von Herrn Mubarak im Käfig andere Diktatoren, die ja noch an der Regierung sind – ich gucke jetzt nach Syrien oder nach Libyen zu Muammar al-Gaddafi –, möglicherweise anspornen, ihren Widerstand, ihren militärischen, gewaltsamen Widerstand gegen die Volksbewegung zu verschärfen. Da muss man sehr, sehr vorsichtig sein mit einer Beurteilung.
Karkowsky: Und darf man Ägypten dennoch nicht mit einer Demokratie verwechseln, es regiert der Militärrat. Wie unabhängig kann dieses Gericht sein?
Meinardus: Das ist genau die Frage! Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir Ägypten, die Messlatte von Ägypten anlegen und deutsche Maßstäbe dort zu Grunde legen, das ist sicherlich nicht richtig. Auf der anderen Seite: Die Justiz hat in Ägypten auch zu Zeiten Mubaraks immer eine doch recht positive Rolle gespielt, auch im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und von Transparenz. Es war eine Diktatur, es ist sicherlich noch keine Demokratie, es ist ein Land in einer Transformation, aber die Justiz hat eine relativ gute Rolle gespielt, und Ahmed Refaat, der Richter, der nun ja auch weltbekannt ist durch sein Auftreten gestern, und durch seinen Auftritt in den nächsten Wochen sicherlich noch zusätzliche Reputation gewinnen wird, ist bekannt dafür, dass er ein kritischer Geist ist, ein unabhängiger Geist. Selbst zu Zeiten Mubaraks hat er Prozesse geführt und Entscheidungen getroffen, die ausdrücklich gegen den Wunsch der Regierung waren – er hat zum Beispiel Muslimbrüder freigelassen, ein unerhörter Akt seinerzeit –, und insofern können wir davon ausgehen, dass es einen unabhängigen Prozess geben wird.
Für das Militär ist es eine ganz, ganz schwierige Geschichte. Nicht zuletzt deshalb, weil die Verteidigung von Herrn Mubarak, Farid El Deeb – den Namen sollten wir auch nennen, das ist der Staranwalt, der gestern für Herrn Mubarak und seine Familie sprach –, verlangt hat, dass nun auch Vertreter des Militärrates und Herr Tantawi höchstpersönlich erscheinen sollte. Nämlich – das ist die nächste Geschichte – auch das Militär ist in dieser ganzen Niederschlagung des Aufstandes natürlich irgendwie eine Partei gewesen!
Karkowsky: Bevor wir über die Rolle des Militärs reden, ein Satz noch zu Mubarak Anhängern, die draußen vorm Gericht demonstrieren, die entsetzt sind, die mit Vergeltung drohen und sagen, wenn es hier zum Urteil kommt, dann brennen wir Gericht und Gefängnis nieder, was sind das für Leute?
Meinardus: Ja, dieser Aufmarsch gestern vor dem Gericht, der war nun nicht so massenhaft, wie man das hätte erwarten können. Sie müssen berücksichtigen, Ägypten befindet sich im Ramadan, es ist sehr heiß und dieses Gericht – das ist die ehemalige oder das ist die aktuelle Polizeiakademie, wo sehr schnell für diesen Sonderfall ein Gerichtssaal eingerichtet wurde – befindet sich etwa 20 bis 30 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums, insofern nicht sehr leicht zu erreichen, da gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel und dergleichen. Insofern nicht der Massenaufmarsch, den wir aus Ägypten gewohnt sind.
Es war eine kleine versprengte Gruppe von einigen Hundert, und einige hundert Anhänger von Märtyrern, also von Opfern der Revolution. Aber – das muss man sagen – es gibt doch eine größere Zahl von Ägyptern, denen das alles ein bisschen zu weit geht. Es gibt viele Ägypter, die sagten – die auch eine gewisse Sympathie mit dem alten Präsidenten haben –, nicht dass sie unbedingt gut heißen, was er über 30 Jahre gemacht hat, aber es gibt so ein bisschen auch das Gefühl, dass das verletzt den Stolz dieses Menschen, und man hat Respekt vor dem Alter, und man hat Respekt vor der Krankheit, und daher auch diese "Inszenierung" mit dem Krankenbett – das war auch alles seitens der Verteidigung so inszeniert, damit die Volkesseele da auch ein bisschen da auch befriedigt werden kann.
Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" Ronald Meinardus, den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Herr Meinardus, Sie haben gesagt, das Militär hat einerseits geholfen, Mubarak vor Gericht zu stellen, gleichzeitig hat es sich selbst schuldig gemacht. Es hat auch am Montag noch hart durchgegriffen gegen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, der wurde nämlich erneut geräumt. Wie passt das zusammen?
Meinardus: Wir müssen erstmal nicht vergessen, dass das Militär Teil des alten Systems ist! Das wird häufig vergessen. Herr Tantawi, und das ist der Oberbefehlshaber und jetziger starker Mann, war für viele, viele Jahre Verteidigungsminister unter Mubarak. Das passt insofern gar nicht zusammen, jetzt zu sagen, das Militär sei ein Teil des neuen Ägyptens. Das Militär hat eine gewisse Zitterposition, die aber angesichts der Transformation, in der sich Ägypten befindet, vielleicht auch gar nicht anders möglich ist. Das Militär versucht – und das wird ihm unterstellt –, jetzt gewissermaßen Herrn Mubarak dem Volke vorzuführen beziehungsweise ihn abzuurteilen oder aburteilen zu lassen, um sich damit reinzuwaschen.
Es gibt viele in Ägypten, die sagen: Nein, jetzt muss auch das Militär irgendwann zur Verantwortung gezogen werden. Und das werden wir sehen, ob es in der Tat möglich sein wird, irgendwann auch mal obere Militärs in eine ähnliche Situation zu bringen und ganz kritisch zu fragen, welche Rolle das Militär in dieser ganzen Geschichte gespielt hat. Richtig ist, dass es in diesen Tagen auch Menschenrechtsverletzungen gibt. Richtig ist, wie Sie gesagt haben, dass Militär nicht zimperlich gegen Demonstranten vorgegangen ist. Insofern ist eine kleine Minderheit, aber eine lautstarke Minderheit, die sagt: Das Militär muss da doch irgendwann mal zur Rechenschaft gezogen werden!
Karkowsky: Und es macht einigen Menschen Angst, dass die alten Machthaber nur durch andere alte ersetzt werden, dass am Ende das Volk vielleicht doch nicht mitbestimmen darf. Stimmt das eigentlich, dass das Militär bis zu 50 Prozent der Wirtschaft Ägyptens kontrolliert?
Meinardus: Das ist sicherlich eine überzogene Zahl, und es gibt da nämlich keine empirischen Daten. Aber richtig ist, dass das Militär eine sehr, sehr wichtige Kraft in der ägyptischen Volkswirtschaft hat. Ganz große Bereiche der ägyptischen Wirtschaft von Generälen kontrolliert werden und dass alles relativ intransparent ist. Und das Hauptziel der Generäle ist, diese Privilegien in die Demokratie, in eine neue ägyptische Situation hineinzuretten. Und das wird sicherlich die große Frage der Zukunft sein, wird dies gelingen oder wird dies nicht gelingen?
Karkowsky: Was heißt das denn, die Generäle kontrollieren die Wirtschaft? Gehören denen die Konzerne?
Meinardus: Das heißt, dass große Bereiche der Wirtschaft, auch der produzierenden Wirtschaft – Fabriken, in denen Kühlschränke gebaut werden, in denen Autos zusammengeflickt werden, Hotelanlagen, große landwirtschaftliche Betriebe –, gehören den Militärs, gehören Offizieren und Generälen. Und insofern eine Situation, die mit marktwirtschaftlichen Verhältnissen wenig zu tun hat.
Karkowsky: Wenn das Militär also größter Arbeitgeber Ägyptens ist, wie man immer wieder liest, bedeutet das, es wird keinen Volksaufstand gegen das Militär geben können?
Meinardus: Einen Volksaufstand gegen das Militär schließe ich aus. Dem Militär ist es gelungen – das liegt auch ein bisschen an der Geschichte –, sich wirklich als Verteidiger beziehungsweise als Garant der Revolution zu profilieren, und in allen Umfragen, die es neuerdings auch gibt – und das sind seriöse Umfragen von großen internationalen Instituten –, wird dem Militär großes Vertrauen entgegengebracht.
Und der jetzige Prozess hat dazu beigetragen, dem Militär zusätzliches Vertrauen zu geben, weil das Militär angekündigt hatte, es wird diesen Prozess führen, und es hat jetzt diesen Prozess auch geliefert, wie man sagen kann. Und das hat kurzfristig zu einem großen Vertrauenszuspruch geführt, und hat ein bisschen dieses schlechte Bild, das wir in den letzten Tagen gehabt haben, dadurch, dass da auch dem Tahrir-Platz Demonstranten aufgemischt wurden – um es mal volkstümlich zu sagen –, ein bisschen relativiert im Sinne der Position in der öffentlichen Meinung des Militärs.
Karkowsky: Lassen Sie uns noch über den ägyptischen Tellerrand hinausblicken: Ägypten war ja auch wegen seines starken Militärs einst die Vormacht in der arabischen Welt. Kann es diese Rolle jetzt überhaupt noch ausüben und etwa mäßigend auf Syrien einwirken oder sich in Libyen einmischen, oder sind die Ägypter viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt?
Meinardus: Ich würde Letzteres unterstreichen: Die Ägypter sind dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass sie also kaum die Zeit haben, nach links oder nach rechts zu gucken. Und wenn man sich die Neuorientierung der ägyptischen Außenpolitik ansieht, und da gibt es wichtige Schritte, so ist die Befassung mit Demokratiebewegungen in den Nachbarländern nicht die Priorität.
Die Priorität ist die Wiederherstellung eines halbwegs normalen Verhältnisses zur afrikanischen Umwelt, vor allen Dingen nach Süden hin; da geht es um die Wasserrechte des Nils und Ähnliches. Und insofern gibt es keine ägyptische Vermittlung in Libyen, es gibt keine ägyptische Vermittlung in Syrien. Das muss sicherlich warten, bis in Ägypten hoffentlich irgendwann mal eine echte demokratische Regierung im Amt ist.
Karkowsky: Zur Lage in Ägypten hörten Sie den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo, Ronald Meinardus. Herr Meinardus, Ihnen vielen Dank!
Meinardus: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ronald Meinardus: Schönen guten Morgen!
Karkowsky: Mubarak und seinen Söhne gefangen vor ihrem Richter, ihnen droht die Todesstrafe. Was glauben Sie, welche Wirkung dieses Bild hat auf die Ägypter und auf die arabische Welt insgesamt?
Meinardus: Für die Ägypter eine absolut sensationelle und für alle Menschen, die das politische Geschehen in Ägypten verfolgen, eine absolut sensationelle Wirkung. Es war eine Forderung der Revolutionäre, dass dieses passiert, und es wurde auch angekündigt, dass dieser Prozess stattfindet. Aber bis zuletzt hat kaum einer dran geglaubt, dass Hosni Mubarak persönlich erscheinen würde, und insofern auch die sehr kritischen, die dem Militär sehr kritisch gegenüber gestellten Ägypter mussten dann doch eingestehen, dass das sie doch überrascht hat, weil bis zuletzt es da Zweifel gegeben hat.
Ein sehr, sehr tief greifender Vorgang, ein Prozess des Jahrhunderts, wird einhellig von allen Seiten behauptet. Welche Wirkung das jetzt über das Land hinaus hat, da kann man unterschiedlicher Meinung sein. Sicherlich für die Einen ein Ansporn, dass es auch so gehen kann, dass Diktatoren nicht verschwinden in irgendwelchen Ländern, wo sie dann einen schönen Ruhestand haben, wie das im Falle des Tunesiers Ben Ali ist.
Andere sagen aber auch, dass möglicherweise das Bild von Herrn Mubarak im Käfig andere Diktatoren, die ja noch an der Regierung sind – ich gucke jetzt nach Syrien oder nach Libyen zu Muammar al-Gaddafi –, möglicherweise anspornen, ihren Widerstand, ihren militärischen, gewaltsamen Widerstand gegen die Volksbewegung zu verschärfen. Da muss man sehr, sehr vorsichtig sein mit einer Beurteilung.
Karkowsky: Und darf man Ägypten dennoch nicht mit einer Demokratie verwechseln, es regiert der Militärrat. Wie unabhängig kann dieses Gericht sein?
Meinardus: Das ist genau die Frage! Ich glaube, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir Ägypten, die Messlatte von Ägypten anlegen und deutsche Maßstäbe dort zu Grunde legen, das ist sicherlich nicht richtig. Auf der anderen Seite: Die Justiz hat in Ägypten auch zu Zeiten Mubaraks immer eine doch recht positive Rolle gespielt, auch im Sinne von Rechtsstaatlichkeit und von Transparenz. Es war eine Diktatur, es ist sicherlich noch keine Demokratie, es ist ein Land in einer Transformation, aber die Justiz hat eine relativ gute Rolle gespielt, und Ahmed Refaat, der Richter, der nun ja auch weltbekannt ist durch sein Auftreten gestern, und durch seinen Auftritt in den nächsten Wochen sicherlich noch zusätzliche Reputation gewinnen wird, ist bekannt dafür, dass er ein kritischer Geist ist, ein unabhängiger Geist. Selbst zu Zeiten Mubaraks hat er Prozesse geführt und Entscheidungen getroffen, die ausdrücklich gegen den Wunsch der Regierung waren – er hat zum Beispiel Muslimbrüder freigelassen, ein unerhörter Akt seinerzeit –, und insofern können wir davon ausgehen, dass es einen unabhängigen Prozess geben wird.
Für das Militär ist es eine ganz, ganz schwierige Geschichte. Nicht zuletzt deshalb, weil die Verteidigung von Herrn Mubarak, Farid El Deeb – den Namen sollten wir auch nennen, das ist der Staranwalt, der gestern für Herrn Mubarak und seine Familie sprach –, verlangt hat, dass nun auch Vertreter des Militärrates und Herr Tantawi höchstpersönlich erscheinen sollte. Nämlich – das ist die nächste Geschichte – auch das Militär ist in dieser ganzen Niederschlagung des Aufstandes natürlich irgendwie eine Partei gewesen!
Karkowsky: Bevor wir über die Rolle des Militärs reden, ein Satz noch zu Mubarak Anhängern, die draußen vorm Gericht demonstrieren, die entsetzt sind, die mit Vergeltung drohen und sagen, wenn es hier zum Urteil kommt, dann brennen wir Gericht und Gefängnis nieder, was sind das für Leute?
Meinardus: Ja, dieser Aufmarsch gestern vor dem Gericht, der war nun nicht so massenhaft, wie man das hätte erwarten können. Sie müssen berücksichtigen, Ägypten befindet sich im Ramadan, es ist sehr heiß und dieses Gericht – das ist die ehemalige oder das ist die aktuelle Polizeiakademie, wo sehr schnell für diesen Sonderfall ein Gerichtssaal eingerichtet wurde – befindet sich etwa 20 bis 30 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums, insofern nicht sehr leicht zu erreichen, da gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel und dergleichen. Insofern nicht der Massenaufmarsch, den wir aus Ägypten gewohnt sind.
Es war eine kleine versprengte Gruppe von einigen Hundert, und einige hundert Anhänger von Märtyrern, also von Opfern der Revolution. Aber – das muss man sagen – es gibt doch eine größere Zahl von Ägyptern, denen das alles ein bisschen zu weit geht. Es gibt viele Ägypter, die sagten – die auch eine gewisse Sympathie mit dem alten Präsidenten haben –, nicht dass sie unbedingt gut heißen, was er über 30 Jahre gemacht hat, aber es gibt so ein bisschen auch das Gefühl, dass das verletzt den Stolz dieses Menschen, und man hat Respekt vor dem Alter, und man hat Respekt vor der Krankheit, und daher auch diese "Inszenierung" mit dem Krankenbett – das war auch alles seitens der Verteidigung so inszeniert, damit die Volkesseele da auch ein bisschen da auch befriedigt werden kann.
Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" Ronald Meinardus, den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Herr Meinardus, Sie haben gesagt, das Militär hat einerseits geholfen, Mubarak vor Gericht zu stellen, gleichzeitig hat es sich selbst schuldig gemacht. Es hat auch am Montag noch hart durchgegriffen gegen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, der wurde nämlich erneut geräumt. Wie passt das zusammen?
Meinardus: Wir müssen erstmal nicht vergessen, dass das Militär Teil des alten Systems ist! Das wird häufig vergessen. Herr Tantawi, und das ist der Oberbefehlshaber und jetziger starker Mann, war für viele, viele Jahre Verteidigungsminister unter Mubarak. Das passt insofern gar nicht zusammen, jetzt zu sagen, das Militär sei ein Teil des neuen Ägyptens. Das Militär hat eine gewisse Zitterposition, die aber angesichts der Transformation, in der sich Ägypten befindet, vielleicht auch gar nicht anders möglich ist. Das Militär versucht – und das wird ihm unterstellt –, jetzt gewissermaßen Herrn Mubarak dem Volke vorzuführen beziehungsweise ihn abzuurteilen oder aburteilen zu lassen, um sich damit reinzuwaschen.
Es gibt viele in Ägypten, die sagen: Nein, jetzt muss auch das Militär irgendwann zur Verantwortung gezogen werden. Und das werden wir sehen, ob es in der Tat möglich sein wird, irgendwann auch mal obere Militärs in eine ähnliche Situation zu bringen und ganz kritisch zu fragen, welche Rolle das Militär in dieser ganzen Geschichte gespielt hat. Richtig ist, dass es in diesen Tagen auch Menschenrechtsverletzungen gibt. Richtig ist, wie Sie gesagt haben, dass Militär nicht zimperlich gegen Demonstranten vorgegangen ist. Insofern ist eine kleine Minderheit, aber eine lautstarke Minderheit, die sagt: Das Militär muss da doch irgendwann mal zur Rechenschaft gezogen werden!
Karkowsky: Und es macht einigen Menschen Angst, dass die alten Machthaber nur durch andere alte ersetzt werden, dass am Ende das Volk vielleicht doch nicht mitbestimmen darf. Stimmt das eigentlich, dass das Militär bis zu 50 Prozent der Wirtschaft Ägyptens kontrolliert?
Meinardus: Das ist sicherlich eine überzogene Zahl, und es gibt da nämlich keine empirischen Daten. Aber richtig ist, dass das Militär eine sehr, sehr wichtige Kraft in der ägyptischen Volkswirtschaft hat. Ganz große Bereiche der ägyptischen Wirtschaft von Generälen kontrolliert werden und dass alles relativ intransparent ist. Und das Hauptziel der Generäle ist, diese Privilegien in die Demokratie, in eine neue ägyptische Situation hineinzuretten. Und das wird sicherlich die große Frage der Zukunft sein, wird dies gelingen oder wird dies nicht gelingen?
Karkowsky: Was heißt das denn, die Generäle kontrollieren die Wirtschaft? Gehören denen die Konzerne?
Meinardus: Das heißt, dass große Bereiche der Wirtschaft, auch der produzierenden Wirtschaft – Fabriken, in denen Kühlschränke gebaut werden, in denen Autos zusammengeflickt werden, Hotelanlagen, große landwirtschaftliche Betriebe –, gehören den Militärs, gehören Offizieren und Generälen. Und insofern eine Situation, die mit marktwirtschaftlichen Verhältnissen wenig zu tun hat.
Karkowsky: Wenn das Militär also größter Arbeitgeber Ägyptens ist, wie man immer wieder liest, bedeutet das, es wird keinen Volksaufstand gegen das Militär geben können?
Meinardus: Einen Volksaufstand gegen das Militär schließe ich aus. Dem Militär ist es gelungen – das liegt auch ein bisschen an der Geschichte –, sich wirklich als Verteidiger beziehungsweise als Garant der Revolution zu profilieren, und in allen Umfragen, die es neuerdings auch gibt – und das sind seriöse Umfragen von großen internationalen Instituten –, wird dem Militär großes Vertrauen entgegengebracht.
Und der jetzige Prozess hat dazu beigetragen, dem Militär zusätzliches Vertrauen zu geben, weil das Militär angekündigt hatte, es wird diesen Prozess führen, und es hat jetzt diesen Prozess auch geliefert, wie man sagen kann. Und das hat kurzfristig zu einem großen Vertrauenszuspruch geführt, und hat ein bisschen dieses schlechte Bild, das wir in den letzten Tagen gehabt haben, dadurch, dass da auch dem Tahrir-Platz Demonstranten aufgemischt wurden – um es mal volkstümlich zu sagen –, ein bisschen relativiert im Sinne der Position in der öffentlichen Meinung des Militärs.
Karkowsky: Lassen Sie uns noch über den ägyptischen Tellerrand hinausblicken: Ägypten war ja auch wegen seines starken Militärs einst die Vormacht in der arabischen Welt. Kann es diese Rolle jetzt überhaupt noch ausüben und etwa mäßigend auf Syrien einwirken oder sich in Libyen einmischen, oder sind die Ägypter viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt?
Meinardus: Ich würde Letzteres unterstreichen: Die Ägypter sind dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass sie also kaum die Zeit haben, nach links oder nach rechts zu gucken. Und wenn man sich die Neuorientierung der ägyptischen Außenpolitik ansieht, und da gibt es wichtige Schritte, so ist die Befassung mit Demokratiebewegungen in den Nachbarländern nicht die Priorität.
Die Priorität ist die Wiederherstellung eines halbwegs normalen Verhältnisses zur afrikanischen Umwelt, vor allen Dingen nach Süden hin; da geht es um die Wasserrechte des Nils und Ähnliches. Und insofern gibt es keine ägyptische Vermittlung in Libyen, es gibt keine ägyptische Vermittlung in Syrien. Das muss sicherlich warten, bis in Ägypten hoffentlich irgendwann mal eine echte demokratische Regierung im Amt ist.
Karkowsky: Zur Lage in Ägypten hörten Sie den Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo, Ronald Meinardus. Herr Meinardus, Ihnen vielen Dank!
Meinardus: Dankeschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.