"Eine absolute Bankrotterklärung"
"Naiv", "populistisch", "reaktionär": Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken kritisiert das Buch "Danke, emanzipiert sind wir selber!" von Familienministerin Kristina Schröder. Das Buch sei antifeministisch und ein Plädoyer dafür, dass man das Familienministerium eigentlich abschaffen könnte.
Andreas Müller: "Danke, emanzipiert sind wir selber! Abschied vom Diktat der Rollenbilder", das ist der Titel des Buches, das Bundesfamilienministerin Kristina Schröder zusammen mit Caroline Waldeck geschrieben hat. Heute erscheint es, doch in den vergangenen Tagen und Wochen hat es bereits vernichtende Besprechungen dazu gegeben. Wie kann eine Familien- und Frauenministerin im Jahr 2012 so dezidiert antifeministisch eingestellt sein, fragte der "Spiegel", und in der "Süddeutschen Zeitung" stand zu lesen, schon der Titel klinge in den Ohren junger Frauen wie blanker Hohn.
Warum diese Aufregung: Weil, so eine der zentralen Thesen des Buches, Frauen von heute keine Vorbilder mehr brauchen, oder weil Frau Schröder das Familienleben von Frauen und Männern im Privaten belassen will? Aus Chicago ist uns jetzt Frau Professor Barbara Vinken zugeschaltet, Literaturwissenschaftlerin und unter anderem Autorin des Buches "Die deutsche Mutter", in dem sie sich mit der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf beschäftigt. Schönen guten Tag!
Barbara Vinken: Guten Tag!
Müller: "Abschied vom Diktat der Rollenbilder" heißt es im Titel des Buches. Stimmt es, dass Frauen heute unter Rollendiktaten leiden?
Vinken: Also, sagen wir es mal so: Die Frau Schröder hat diese ganz und gar naive und auch irgendwie rührende Auffassung, dass man Rollenbilder einfach so in die Mottenkiste stecken kann. Das heißt, sie hat dieses Individuum des deutschen Individualismus, das sich frei entscheiden kann. Das Konzept des Rollenbildes ist natürlich aber gerade eingeführt worden, um zu beschreiben, wie sich Leute in gesellschaftlichen Zusammenhängen – Männer und Frauen natürlich – verhalten. Das heißt, man kann sie nicht einfach hinter sich lassen, man kann sich nicht einfach davon befreien. Wir, also jeder von uns, verkörpern diese Bilder nolens volens und wir können die nicht in die Mottenkiste der Geschichte tun. Das schon mal zum Ersten. Zweitens mal hat Frau Schröder damit recht, dass es in Deutschland einen Konflikt von Leitbildern oder von Rollenbildern gibt. Ich sehe jetzt aber nicht genau, wie der verhindert werden kann. Das ist eine objektive Gegebenheit und mit der muss man sich irgendwie politisch auseinandersetzen.
Müller: Die Ministerin schreibt ja, Frauen würden vor allem unter dem feministischen Vorbild der arbeitenden Mutter leiden, dass sie quasi in die Rolle einer Rabenmutter hineingedrängt würden. Ist das für Sie eine nachvollziehbare These oder nicht nachzuvollziehender Antifeminismus?
Vinken: Das ganze Buch ist nicht nachvollziehbarer Antifeminismus und man kann auch sagen, das ganze Buch ist eigentlich ein Plädoyer dafür, dass das Familienministerium abgeschafft werden sollte. Das brauchen wir nämlich, wenn man den Thesen dieses Buches nachgeht, schlicht und einfach nicht. Wir brauchen, wenn man Frau Schröder glaubt und wenn sie das mal konsequent zu Ende denken würde, Familienpolitik nicht, weil nämlich das Problem der Gleichberechtigung, sagt Frau Schröder, wird durch den Markt geregelt. Ja, also, der Markt braucht die jungen Frauen und die kriegen sowieso alle Jobs, a). b), und das andere regele ich lieber privat, dann rede ich mal mit meinem Mann, meinem Geliebten, meinem ... mit dem Geliebten natürlich nicht, meinem Verlobten oder meinem Chef. Und das, wenn ich eine gesellschaftliche Situation dermaßen analysiere, dann ist das Familienministerium schlicht und einfach überflüssig.
Müller: Frau Schröder betont das Private. Also, sie sagt, den Menschen soll endlich die Freiheit gewährt werden, wählen zu können, wie sie ihr Leben gestalten wollen, mit oder ohne Familie, mit oder ohne Karriere, das sind private Entscheidungen, aus der die Politik sich raushalten sollte. Also, das ist sozusagen ...
Vinken: ... sagen wir es mal so ...
Müller: ... manche sagen, das ist eine Kapitulation, also, Frau Schröder kapituliere da und mache die Politik überflüssig, das haben Sie ja auch gerade auch so ein bisschen gesagt. Aber andererseits, ein Staat, der nun wirklich in alle Bereiche und Mikroritzen unseres Lebens hineinregiert, den möchten Sie wahrscheinlich auch nicht?
Vinken: Nein, und darum geht es ja auch gar nicht. Das hat ja auch nie irgendjemand vorgeschlagen. Deswegen ist das auch eine groteske Missrepräsentation von dem, was Politik eigentlich ist. Das Erste ist, dass wir in einem Staat leben, in dem Frauen diese Wahlfreiheit nicht haben. Im Gegensatz zu Ländern wie Dänemark oder auch Frankreich haben wir keine ausreichende Kinderbetreuungsstruktur. Das hat die vorherige Ministerin Ursula von der Leyen ja auch super erkannt und damit wirklich zu einer absoluten Wende in der deutschen Familienpolitik geführt, die jetzt leider Frau Schröder wieder reaktionär zurückdreht. Das ist irgendwie todtraurig.
Und ich finde also, erst mal muss man daran arbeiten, dass es diese Wahlfreiheit überhaupt gibt. Die gibt es nicht. Dem muss man sich schon mal ganz klar stellen. Und selbst, wenn man Politik ganz minimal definiert, kann man ja sagen, okay, also, diese Wahlfreiheit jedenfalls sollte doch möglich gemacht werden. Das hat ja mit Vorschriften gar nichts zu tun. Sie können doch in einer freien Gesellschaft, in der wir ja mehr oder weniger leben, natürlich entscheiden, dass Sie sich eher für den Heirats- als für den Arbeitsmarkt entscheiden, ja. Ich meine, natürlich, es ist doch noch nie irgendjemandem passiert, dass man gesagt hat, du darfst jetzt aber nicht zu Hause bleiben, du musst deine Kinder mit einem Jahr in die Krippe geben. Das gibt's doch gar nicht! Deswegen ist das doch ein völlig falscher, an den Haaren herbeigezogener Konflikt.
Müller: Frau Schröder scheint aber sozusagen diese ideologische Front irgendwo ausgemacht zu haben, nämlich in den Texten und den Theorien feministischer Autoren, Autorinnen, angefangen bei Alice Schwarzer bis zu anderen, dass ein Druck ausgeübt wird auf Frauen, zu sagen, du musst dich selbst verwirklichen, und zwar nicht, indem du Mutter bist und dich den Kindern widmest, sondern indem du einer Arbeit nachgehst.
Vinken: Das ist Quatsch. Also, erst mal ist es sowieso eine völlig reaktionäre Wende, wenn man Frau Herman mit Frau Schwarzer vergleicht. Ich selber teile ...
Müller: ... Eva Herman, die frühere "tagesschau"-Sprecherin, ja.
Vinken: Ja, also, ich teile die meisten Thesen von Frau Schwarzer im Moment, wie man weiß, nicht, aber trotzdem kann man auch Äpfel und Pferde nicht vergleichen. Ich meine, das ist einfach ein Qualitätsunterschied, das ist lächerlich, die über einen Leisten zu brechen. Das ist so, wie wenn man im Kalten Krieg gesagt hat, Faschismus uns Kommunismus sind dasselbe. Ich verstehe nicht, wozu diese Vereinfachungen oder Plattitüden, das sind einfach ideologische Kampfmaschinen, von denen man sich wirklich um einer gewissen Differenziertheit willen hätte längst mal verabschieden können. Das zum einen.
Und zum anderen ist es ja überhaupt nicht so, dass Frauen in den Markt gedrängt werden oder irgendwie so was. Man kann auch sagen, Frau Schröder stellt sich gar nicht dem Faktum, dass die Institution Familie oder der Heiratsmarkt ja gar nicht mehr diese Garantie und also diese Auffanginstitution ist, die sie mal war. Wir haben eine Scheidungsrate, die geht irgendwie gegen 40 Prozent oder liegt irgendwie in Großstädten über 40 Prozent, das heißt, everybody would say, it's a very high-risk business, right, ich meine, das ist irgendwie vielleicht. Die Familie ist keine Versorgungsinstanz mehr und dem, finde ich, muss man sich, hätte sie sich auch mal stellen müssen. Sie tut aber so, als wenn in der Familie eitel Freude und Eierkuchen herrscht, nur Liebe und Vertrauen, und sieht das gar nicht als einen Bereich, der ... Man kann es auch hart sagen: Dass die Institution der Ehe keine Institution mehr ist in Deutschland oder in Europa.
Müller: Über das Buch von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, das heftig kritisiert wird, spreche ich mit Barbara Vinken hier im Deutschlandradio Kultur. Die Politik haben wir schon erwähnt, Sie haben auch gesagt, es geht darum, bestimmte Dinge zu schaffen, zum Beispiel die Kinderbetreuung. Wie weit ist Politik denn überhaupt in der Lage, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Männer und Frauen tatsächlich gleichberechtigt wären? Also, laut Gesetz sind sie es ja.
Vinken: Ja. Das ist immer eine Politik der kleinen Schritte, die geduldig vorangetrieben werden muss. Und natürlich ändern sich Mentalitäten und so was auch nur sehr langsam. Auf der anderen Seite denke ich, dass Politik eigentlich ... Ich würde auch gar nicht mal sagen, dass sie Gleichberechtigung unbedingt, natürlich nicht vorschreiben muss. Ich würde sagen, sie soll Gleichberechtigung ermöglichen, die Strukturen dazu ermöglichen. Und Deutschland hängt im Verhältnis zu Westeuropa 40 Jahre in seiner Familienpolitik nach, was die ganzen Betreuungsstrukturen, was Ganztagsschulen und so was angeht. Das zeigt sich in jedem einzelnen Test und in jeder einzelnen Umfrage. Und da jetzt so eine Vogel-Strauß-Politik zu machen und zusagen, ach, jeder soll doch für sich wählen, wie das ist, das ist wirklich eine Absage an jede Form von Politik, verstehen Sie. Also, ich meine, das ist für eine Politikerin eigentlich ein, das ist eigentlich ein Waterloo, also, das ist eine absolute Bankrotterklärung.
Müller: Frau Schröder ist, das ist bekannt, gegen diese 30-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen. Sie sagt, sie bevorzuge die Flexi-Quote, also, wo Unternehmen selber entscheiden können, wie viele Frauen sie nach oben lassen. Übrigens wie 61 Prozent der Bundesbürger, das war eine Umfrage von vergangener Woche, Infratest dimap hat da mal nachgefragt. Nur 24 Prozent der Befragten können sich mit dieser 30-Prozent-Frauenquote in Führungspositionen von Unternehmen anfreunden und Frau Schröder hat auch schon angekündigt, sie würde zurücktreten, käme es zur starren Quote. Also, da haben wir doch eine Gemengelage, die eigentlich der Linie der Ministerin entspricht?
Vinken: Das Buch hat durchaus populistische, also, das Buch trifft auf einen ganz breiten populistischen Konsens. Die Frage ist jetzt, Berlusconi ist auch auf einen breiten populistischen Konsens gestoßen, es ist ja nicht so, dass diese Art von Strukturveränderungen einfach sind oder dass die unbedingt immer gleich auf eine Mehrheit stoßen. Die Sache mit der Quote ist eine sehr komplexe Sache. Auf der andern Seite muss man sich – und das ist schwierig natürlich, ja –, auf der andern Seite muss man sich auch mal angucken, dass auch da Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern in Westeuropa wahnsinnig hinterherhinkt. Wir haben den größten Verdienstunterschied von allen Ländern in der EU und da kann man jetzt doch nicht als Politikerin sagen, na, die Frauen wollen nicht und irgendwie, die haben eben andere Prioritäten oder irgendwie so was!
Das ist doch ein ganz schwaches Argument, das eigentlich nicht zulässig ist. Also, Politik muss doch an den Strukturen arbeiten, die muss doch irgendwie an Idealen, die muss doch Ideale haben oder die muss doch Idealvorstellungen haben, sagen wir mal. Die kann doch einfach nicht sagen, okay, lassen wir das alles im Privaten! Wobei das im Übrigen bei dem Buch von der Frau Schröder sowieso auch wieder so eine reaktionäre Volte ist, weil sie sagt, ich bin ja auch gar kein Rollenvorbild und übrigens verhalte ich mich im Privaten, wie eine Frau sich im Privaten verhalten soll: Ich rede mit meinem Mann, ich hätte meine Karriere um meines Kindes willen, wäre das denn nötig gewesen, zurückgestellt und so weiter, ja.
Also, auch da behält sie in dieser Trennung des Öffentlichen und des Privaten eigentlich die bürgerliche oder von mir aus mittlerweile kleinbürgerliche Vorstellung, die natürlich in Deutschland sehr stark ist, aber die uns auch in diese Situation reingebracht hat, in der wir sind. Und die ist nicht gut, muss man mit Guido Westerwelle sagen, das ist nicht gut so, wie das jetzt ist!
Müller: Frau Vinken, ein Satz noch: Welchen aktuellen Buchtitel einer Frauen- und Familienministerin hätten Sie sich gewünscht?
Vinken: Also, ich hätte mir gewünscht, dass Frau von der Leyen so ein Buch geschrieben hätte, und das hätte vielleicht heißen können "Anders" oder irgendwie so was!
Müller: Das Buch, über das wir aber gerade gesprochen haben, heißt "Danke, emanzipiert sind wir selber" und das hat Familienministerin Kristina Schröder geschrieben. Das war dazu Frau Professor Barbara Vinken, haben Sie vielen Dank!
Vinken: Danke schön, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Warum diese Aufregung: Weil, so eine der zentralen Thesen des Buches, Frauen von heute keine Vorbilder mehr brauchen, oder weil Frau Schröder das Familienleben von Frauen und Männern im Privaten belassen will? Aus Chicago ist uns jetzt Frau Professor Barbara Vinken zugeschaltet, Literaturwissenschaftlerin und unter anderem Autorin des Buches "Die deutsche Mutter", in dem sie sich mit der Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf beschäftigt. Schönen guten Tag!
Barbara Vinken: Guten Tag!
Müller: "Abschied vom Diktat der Rollenbilder" heißt es im Titel des Buches. Stimmt es, dass Frauen heute unter Rollendiktaten leiden?
Vinken: Also, sagen wir es mal so: Die Frau Schröder hat diese ganz und gar naive und auch irgendwie rührende Auffassung, dass man Rollenbilder einfach so in die Mottenkiste stecken kann. Das heißt, sie hat dieses Individuum des deutschen Individualismus, das sich frei entscheiden kann. Das Konzept des Rollenbildes ist natürlich aber gerade eingeführt worden, um zu beschreiben, wie sich Leute in gesellschaftlichen Zusammenhängen – Männer und Frauen natürlich – verhalten. Das heißt, man kann sie nicht einfach hinter sich lassen, man kann sich nicht einfach davon befreien. Wir, also jeder von uns, verkörpern diese Bilder nolens volens und wir können die nicht in die Mottenkiste der Geschichte tun. Das schon mal zum Ersten. Zweitens mal hat Frau Schröder damit recht, dass es in Deutschland einen Konflikt von Leitbildern oder von Rollenbildern gibt. Ich sehe jetzt aber nicht genau, wie der verhindert werden kann. Das ist eine objektive Gegebenheit und mit der muss man sich irgendwie politisch auseinandersetzen.
Müller: Die Ministerin schreibt ja, Frauen würden vor allem unter dem feministischen Vorbild der arbeitenden Mutter leiden, dass sie quasi in die Rolle einer Rabenmutter hineingedrängt würden. Ist das für Sie eine nachvollziehbare These oder nicht nachzuvollziehender Antifeminismus?
Vinken: Das ganze Buch ist nicht nachvollziehbarer Antifeminismus und man kann auch sagen, das ganze Buch ist eigentlich ein Plädoyer dafür, dass das Familienministerium abgeschafft werden sollte. Das brauchen wir nämlich, wenn man den Thesen dieses Buches nachgeht, schlicht und einfach nicht. Wir brauchen, wenn man Frau Schröder glaubt und wenn sie das mal konsequent zu Ende denken würde, Familienpolitik nicht, weil nämlich das Problem der Gleichberechtigung, sagt Frau Schröder, wird durch den Markt geregelt. Ja, also, der Markt braucht die jungen Frauen und die kriegen sowieso alle Jobs, a). b), und das andere regele ich lieber privat, dann rede ich mal mit meinem Mann, meinem Geliebten, meinem ... mit dem Geliebten natürlich nicht, meinem Verlobten oder meinem Chef. Und das, wenn ich eine gesellschaftliche Situation dermaßen analysiere, dann ist das Familienministerium schlicht und einfach überflüssig.
Müller: Frau Schröder betont das Private. Also, sie sagt, den Menschen soll endlich die Freiheit gewährt werden, wählen zu können, wie sie ihr Leben gestalten wollen, mit oder ohne Familie, mit oder ohne Karriere, das sind private Entscheidungen, aus der die Politik sich raushalten sollte. Also, das ist sozusagen ...
Vinken: ... sagen wir es mal so ...
Müller: ... manche sagen, das ist eine Kapitulation, also, Frau Schröder kapituliere da und mache die Politik überflüssig, das haben Sie ja auch gerade auch so ein bisschen gesagt. Aber andererseits, ein Staat, der nun wirklich in alle Bereiche und Mikroritzen unseres Lebens hineinregiert, den möchten Sie wahrscheinlich auch nicht?
Vinken: Nein, und darum geht es ja auch gar nicht. Das hat ja auch nie irgendjemand vorgeschlagen. Deswegen ist das auch eine groteske Missrepräsentation von dem, was Politik eigentlich ist. Das Erste ist, dass wir in einem Staat leben, in dem Frauen diese Wahlfreiheit nicht haben. Im Gegensatz zu Ländern wie Dänemark oder auch Frankreich haben wir keine ausreichende Kinderbetreuungsstruktur. Das hat die vorherige Ministerin Ursula von der Leyen ja auch super erkannt und damit wirklich zu einer absoluten Wende in der deutschen Familienpolitik geführt, die jetzt leider Frau Schröder wieder reaktionär zurückdreht. Das ist irgendwie todtraurig.
Und ich finde also, erst mal muss man daran arbeiten, dass es diese Wahlfreiheit überhaupt gibt. Die gibt es nicht. Dem muss man sich schon mal ganz klar stellen. Und selbst, wenn man Politik ganz minimal definiert, kann man ja sagen, okay, also, diese Wahlfreiheit jedenfalls sollte doch möglich gemacht werden. Das hat ja mit Vorschriften gar nichts zu tun. Sie können doch in einer freien Gesellschaft, in der wir ja mehr oder weniger leben, natürlich entscheiden, dass Sie sich eher für den Heirats- als für den Arbeitsmarkt entscheiden, ja. Ich meine, natürlich, es ist doch noch nie irgendjemandem passiert, dass man gesagt hat, du darfst jetzt aber nicht zu Hause bleiben, du musst deine Kinder mit einem Jahr in die Krippe geben. Das gibt's doch gar nicht! Deswegen ist das doch ein völlig falscher, an den Haaren herbeigezogener Konflikt.
Müller: Frau Schröder scheint aber sozusagen diese ideologische Front irgendwo ausgemacht zu haben, nämlich in den Texten und den Theorien feministischer Autoren, Autorinnen, angefangen bei Alice Schwarzer bis zu anderen, dass ein Druck ausgeübt wird auf Frauen, zu sagen, du musst dich selbst verwirklichen, und zwar nicht, indem du Mutter bist und dich den Kindern widmest, sondern indem du einer Arbeit nachgehst.
Vinken: Das ist Quatsch. Also, erst mal ist es sowieso eine völlig reaktionäre Wende, wenn man Frau Herman mit Frau Schwarzer vergleicht. Ich selber teile ...
Müller: ... Eva Herman, die frühere "tagesschau"-Sprecherin, ja.
Vinken: Ja, also, ich teile die meisten Thesen von Frau Schwarzer im Moment, wie man weiß, nicht, aber trotzdem kann man auch Äpfel und Pferde nicht vergleichen. Ich meine, das ist einfach ein Qualitätsunterschied, das ist lächerlich, die über einen Leisten zu brechen. Das ist so, wie wenn man im Kalten Krieg gesagt hat, Faschismus uns Kommunismus sind dasselbe. Ich verstehe nicht, wozu diese Vereinfachungen oder Plattitüden, das sind einfach ideologische Kampfmaschinen, von denen man sich wirklich um einer gewissen Differenziertheit willen hätte längst mal verabschieden können. Das zum einen.
Und zum anderen ist es ja überhaupt nicht so, dass Frauen in den Markt gedrängt werden oder irgendwie so was. Man kann auch sagen, Frau Schröder stellt sich gar nicht dem Faktum, dass die Institution Familie oder der Heiratsmarkt ja gar nicht mehr diese Garantie und also diese Auffanginstitution ist, die sie mal war. Wir haben eine Scheidungsrate, die geht irgendwie gegen 40 Prozent oder liegt irgendwie in Großstädten über 40 Prozent, das heißt, everybody would say, it's a very high-risk business, right, ich meine, das ist irgendwie vielleicht. Die Familie ist keine Versorgungsinstanz mehr und dem, finde ich, muss man sich, hätte sie sich auch mal stellen müssen. Sie tut aber so, als wenn in der Familie eitel Freude und Eierkuchen herrscht, nur Liebe und Vertrauen, und sieht das gar nicht als einen Bereich, der ... Man kann es auch hart sagen: Dass die Institution der Ehe keine Institution mehr ist in Deutschland oder in Europa.
Müller: Über das Buch von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, das heftig kritisiert wird, spreche ich mit Barbara Vinken hier im Deutschlandradio Kultur. Die Politik haben wir schon erwähnt, Sie haben auch gesagt, es geht darum, bestimmte Dinge zu schaffen, zum Beispiel die Kinderbetreuung. Wie weit ist Politik denn überhaupt in der Lage, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, in dem Männer und Frauen tatsächlich gleichberechtigt wären? Also, laut Gesetz sind sie es ja.
Vinken: Ja. Das ist immer eine Politik der kleinen Schritte, die geduldig vorangetrieben werden muss. Und natürlich ändern sich Mentalitäten und so was auch nur sehr langsam. Auf der anderen Seite denke ich, dass Politik eigentlich ... Ich würde auch gar nicht mal sagen, dass sie Gleichberechtigung unbedingt, natürlich nicht vorschreiben muss. Ich würde sagen, sie soll Gleichberechtigung ermöglichen, die Strukturen dazu ermöglichen. Und Deutschland hängt im Verhältnis zu Westeuropa 40 Jahre in seiner Familienpolitik nach, was die ganzen Betreuungsstrukturen, was Ganztagsschulen und so was angeht. Das zeigt sich in jedem einzelnen Test und in jeder einzelnen Umfrage. Und da jetzt so eine Vogel-Strauß-Politik zu machen und zusagen, ach, jeder soll doch für sich wählen, wie das ist, das ist wirklich eine Absage an jede Form von Politik, verstehen Sie. Also, ich meine, das ist für eine Politikerin eigentlich ein, das ist eigentlich ein Waterloo, also, das ist eine absolute Bankrotterklärung.
Müller: Frau Schröder ist, das ist bekannt, gegen diese 30-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen. Sie sagt, sie bevorzuge die Flexi-Quote, also, wo Unternehmen selber entscheiden können, wie viele Frauen sie nach oben lassen. Übrigens wie 61 Prozent der Bundesbürger, das war eine Umfrage von vergangener Woche, Infratest dimap hat da mal nachgefragt. Nur 24 Prozent der Befragten können sich mit dieser 30-Prozent-Frauenquote in Führungspositionen von Unternehmen anfreunden und Frau Schröder hat auch schon angekündigt, sie würde zurücktreten, käme es zur starren Quote. Also, da haben wir doch eine Gemengelage, die eigentlich der Linie der Ministerin entspricht?
Vinken: Das Buch hat durchaus populistische, also, das Buch trifft auf einen ganz breiten populistischen Konsens. Die Frage ist jetzt, Berlusconi ist auch auf einen breiten populistischen Konsens gestoßen, es ist ja nicht so, dass diese Art von Strukturveränderungen einfach sind oder dass die unbedingt immer gleich auf eine Mehrheit stoßen. Die Sache mit der Quote ist eine sehr komplexe Sache. Auf der andern Seite muss man sich – und das ist schwierig natürlich, ja –, auf der andern Seite muss man sich auch mal angucken, dass auch da Deutschland im Verhältnis zu anderen Ländern in Westeuropa wahnsinnig hinterherhinkt. Wir haben den größten Verdienstunterschied von allen Ländern in der EU und da kann man jetzt doch nicht als Politikerin sagen, na, die Frauen wollen nicht und irgendwie, die haben eben andere Prioritäten oder irgendwie so was!
Das ist doch ein ganz schwaches Argument, das eigentlich nicht zulässig ist. Also, Politik muss doch an den Strukturen arbeiten, die muss doch irgendwie an Idealen, die muss doch Ideale haben oder die muss doch Idealvorstellungen haben, sagen wir mal. Die kann doch einfach nicht sagen, okay, lassen wir das alles im Privaten! Wobei das im Übrigen bei dem Buch von der Frau Schröder sowieso auch wieder so eine reaktionäre Volte ist, weil sie sagt, ich bin ja auch gar kein Rollenvorbild und übrigens verhalte ich mich im Privaten, wie eine Frau sich im Privaten verhalten soll: Ich rede mit meinem Mann, ich hätte meine Karriere um meines Kindes willen, wäre das denn nötig gewesen, zurückgestellt und so weiter, ja.
Also, auch da behält sie in dieser Trennung des Öffentlichen und des Privaten eigentlich die bürgerliche oder von mir aus mittlerweile kleinbürgerliche Vorstellung, die natürlich in Deutschland sehr stark ist, aber die uns auch in diese Situation reingebracht hat, in der wir sind. Und die ist nicht gut, muss man mit Guido Westerwelle sagen, das ist nicht gut so, wie das jetzt ist!
Müller: Frau Vinken, ein Satz noch: Welchen aktuellen Buchtitel einer Frauen- und Familienministerin hätten Sie sich gewünscht?
Vinken: Also, ich hätte mir gewünscht, dass Frau von der Leyen so ein Buch geschrieben hätte, und das hätte vielleicht heißen können "Anders" oder irgendwie so was!
Müller: Das Buch, über das wir aber gerade gesprochen haben, heißt "Danke, emanzipiert sind wir selber" und das hat Familienministerin Kristina Schröder geschrieben. Das war dazu Frau Professor Barbara Vinken, haben Sie vielen Dank!
Vinken: Danke schön, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Schröder gegen von der Leyen - Die Frauenqote in der Diskussion
Union zerreißt sich wegen Betreuungsgeld - CSU stellt sich quer
101 Jahre nach dem ersten Weltfrauentag
Barbara Vinken: Deutschland braucht mehr "Rabenmütter"
Union zerreißt sich wegen Betreuungsgeld - CSU stellt sich quer
101 Jahre nach dem ersten Weltfrauentag
Barbara Vinken: Deutschland braucht mehr "Rabenmütter"