Eine Arche aus dem Baumarkt

In einem Stück des Autors Thomas Jonigk zu sehen: Schaupieler Peter Moltzen
In einem Stück des Autors Thomas Jonigk zu sehen: Schaupieler Peter Moltzen © picture alliance / dpa / Foto: Claudia Esch-Kenkel
Von Anke Schaefer |
Der Stückemarkt auf dem Berliner Theatertreffen gilt als Sprungbrett für junge Theaterautoren: In szenischen Lesungen werden ihre neuesten Texte vorgetragen. In diesem Jahr ging es gleich mehrfach um den Untergang der "Alten Welt": Afrikaner überfallen Europa, und ein Mann kauft Holz für eine Arche Noah im Baumarkt.
Ein Mann steht in einem Regencape auf der Terrasse der Pan Am Longe, zehnter Stock. Der Blick über Berlin ist atemberaubend, aber dafür hat der Mann keinen Sinn. "Der Gott" hat ihm den Auftrag gegeben, eine Arche zu bauen, die Sintflut steht bevor, er sucht einen Baumarkt, um geeignetes Material zu finden und kann nicht verstehen, dass "der Gott" gerade ihn auserwählt hat:

"Zuversicht ist Ansichtssache und Zukunftsgläubigkeit nicht zeitgemäß! Ich kann nicht mal einen Nagel in die Wand schlagen."

Ein wunderbarer Peter Moltzen, Schauspieler am Deutschen Theater Berlin, in dem Kurzstück, das Thomas Jonigk für den Stückemarkt 2013 geschrieben hat – zum vorgegebenen Thema: "Verfall und Untergang der westlichen Zivilisation?" - mit Fragezeichen. Ein Thema, das zu der altmodischen und skurrilen Pan Am Lounge passte, die man heute mieten kann, und in der sich einst, als es das alte Westberlin noch gab, die Piloten und Stewardessen der amerikanischen Fluggesellschaft auf ein Bier trafen. Für drei Tage war diese Lounge mit ihrer Bar, dem Konferenzzimmer mit dem langen Tisch, dem Kaminzimmer und vor allem dem Blick von der spektakulären Terrasse also Theaterort. Die neuen Texte sah man gespielt und inszeniert von den besten Akteuren der Berliner Szene. Und so amüsierte die Geschichte von dem verzweifelten, mit dem absoluten Untergang konfrontierten Auserwählten das Publikum sehr – und der Dramatiker freute sich darüber:

"Ich kann ja da jetzt nicht eine Analyse hinlegen: Wie sind die Fakten. Ich finde, man muss die Lust am Spiel entwickeln. Und daher glaube ich, ist 'Komödie' ein ganz guter Ausdruck um dieser Zwanghaftigkeit, auf das Ende zuzusteuern, entgegen zu gehen."

Thomas Jonick war 1994 beim Stückemarkt. Er war nicht der Einzige, der im Rahmen dieser Jubiläumsausgabe eine komödiantische Antwort auf die große, existenzielle Frage nach dem Untergang und der Utopie fand. Stefanie Hoster von Deutschlandradio Kultur hat alle Werkaufträge gelesen, denn acht der 30 neuen Texte hat sie als Hörspiel produziert:

"Ich fand es erstaunlich amüsant. Ich fand, dass die Autoren sehr schön spielerisch damit umgegangen sind und sich zum Teil auch selbst veräppelt haben. Oder das Theater veräppelt haben. Und auf der anderen Seite gab es auch philosophische Texte oder denkende Texte. Und das ist ja eine Art zu schreiben, heute, wo man gar nicht mehr genau weiß, für welche Form geschrieben wurde."

Ist es also ein Essay, was da eingereicht wurde, ein Romanfragment oder doch ein Theatertext? Diese Frage ist oft nicht mehr eindeutig zu beantworten. Elfriede Jelinek, die 1978 zum Stückemarkt eingeladen war, schickt längst grundsätzlich nur noch Fließtext an die Theater, und es liegt an den Regisseuren, daraus dann Figuren und Dialoge herauszudestillieren. Ihr Kurzstück "Prolog" gehörte in seiner sprachlichen Rätselhaftigkeit sicher zu den besten des dreitägigen Jubiläums-Theatermarathons, wurde aber auch sehr, sehr gut in Szene gesetzt. Die Frage ist nur: Wo wird es je wieder zu sehen sein? Der 35. Stückemarkt wurde im Vorfeld insofern kritisiert, als dass diese Werkaufträge ja überflüssig seien, denn wo sollen die denn bitte sehr später nachgespielt werden, sie füllen ja keinen Abend. Der Dramatiker Philipp Löhle hält dagegen: Theater könnten ja drei Kurzstücke hintereinander zu einem Abend fügen.

" Ich mag diese kurze Form total, weil man kann ganz komprimiert eine Idee auf den Punkt bringen, und das würde nicht hinhauen, das zu verlängern. Man kann da viel absurder werden, und das würde zusammenbrechen, wenn man da versucht, ein 90-minütiges Stück draus zu machen, das würde nicht funktionieren."

Philipp Löhle griff in seinem Stück "Afrokalypse" auf die typische Theaterform zurück, schrieb also einen Dialog, und zwar zwischen einem Präsidenten in Europa und seinem Adjutanten. Die beiden befinden sich in misslicher Lage, denn ihr Europa geht unter: Die feindlichen Afrikaner haben es überfallen. Und der Präsident – wunderbar gespielt von Wolfram Koch - entpuppt sich als Mann voller Vorurteile, der im Namen der Freiheit einen Zaun zwischen sich und den Afrikanern ziehen will:

"Der Afrikaner denkt, die Freiheit sei an einen Ort gebunden, an einen geografisch zu verortenden Ort. Denkt der Afrikaner. Er denkt, Freiheit und Europa, das sei miteinander verbunden. Er denkt, die Freiheit sei in Europa. Aber das ist falsch. Frei kann man überall sein, weil die Freiheit hat ihren Ort in ihm drin – im Afrikaner."

Auf inhaltlich ebenso wie formal unglaublich unterschiedliche Art und Weise ging die alte Welt bei dieser Jubiläumsausgabe des Stückemarktes also unter – oft ebenso tiefgründig wie unterhaltsam. In den Diskussionen nach dem jeweiligen Lesemarathon konnte man dann hören, wie sehr den Autoren die Einladung zum Stückemarkt in den vergangenen 35 Jahren geholfen hat, im deutschen Theaterbetrieb Fuß zu fassen. Aber natürlich kamen auch die Probleme zur Sprache. Zum Beispiel die Tatsache, dass es zwar im deutschsprachigen Raum ein sehr großes Interesse an Uraufführungen gibt, dass die neuen Stücke dann aber zu selten nachgespielt werden. Rebekka Kricheldorf, die 2002 zum Stückemarkt eingeladen war und anlässlich des Jubiläums eine tolle Farce über die "Maskulinisten" geschrieben hat – über Männer also, die sich im Gruppenseminar wieder als ganze Männer beweisen - meinte:

"Diese Argumente, warum man diese Stücke nicht nachspielen kann, die finde ich dann ein bisschen windig. Theater sagen dann: Ja wir brauchen doch auch eine Aufmerksamkeit, eine mediale. Und dann kommt die Presse nicht. Aber ich glaube das könnte man anders regeln. Man hört ja ganz oft den Satz: Das letzte Stück war ganz toll, dann schreib uns doch mal ein neues. Aber dann sag ich: Warum spielt ihr denn nicht das, was ihr so toll findet? Das ist irgendwie ein bisschen absurd. Das halte ich für das größte Problem."

Aber die Stücke junger Autoren füllen die Theater nicht, wie es die Klassiker tun und insofern braucht das Theater Subventionen, um Wagnisse einzugehen. Wie schade, dass all die Politiker, die so leichtfertig über Kürzungen entscheiden, in den vergangenen drei Tagen nicht Gast in der Berliner Pan Am Lounge waren. Sie hätten dort mal erleben können, was Förderinstitutionen wie der Stückemarkt des Theatertreffens für Früchte tragen. Wie vielfältig, relevant und klug Autoren das Jetzt in Kunst gießen. Darauf kann und sollte eine Gesellschaft – wenn sie sich selbst reflektieren will - schlicht nicht verzichten.

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