Eine asymmetrische Beziehung
Israel ist auf dem deutschen Buchmarkt sehr präsent. Seitdem der größte lebende Schriftsteller des Landes, Amos Oz, 1992 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, reißt der Strom der Übersetzungen nicht ab. In keinem anderen europäischen Land gibt es so viele.
Wer sich nun auf die fabulierfreudige Erzählliteratur Israels einlässt, begegnet deutschen Themen auf Schritt und Tritt. Niemand hat das so bewegend geschildert wie Amos Oz selbst in seiner großartigen Familienbiographie "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis": Das deutsch-europäische Erbe bildet einen unverrückbaren Bestandteil der nationalen Identität Israels.
Nicht zufällig ist die Vision eines zionistischen Staates in Wiener Kaffeehäusern ersonnen, in Basel verkündet und in deutschsprachigen Zeitschriften am lebhaftesten diskutiert worden. Noch das Gesicht der israelischen Städte sollte das Urbild der mitteleuropäischen Stadt heraufbeschwören, schreibt Amos Oz, mit einem großen Fluss in der Mitte, mit pompösen Brücken, die den Fluss überspannen und mit bewaldeten Höhen, auf die man von diesen Brücken aus blickt.
Natürlich hat die zweite Generation israelischer Schriftsteller sich davon gelöst und misst nicht mehr alles, was sie hervorbringt, am deutsch-europäischen Urmeter. Aber die Geschichte der Verfolgung, die in jede Familie hineinreicht, dann aber auch die Erinnerungen an kulturelle Prägungen, die es auch für viele Familien gibt, sie legen den Bezug auf Deutschland und vor allem auf deutsche Literatur, Musik und Malerei immer wieder nahe.
Zu den vielen schmerzlichen Erfahrungen, die die Israelis in den vergangenen 60 Jahren machen mussten, zählt jedoch die Tatsache, dass Neugier und Interesse, auch Passionen und Obsessionen, die sich auf Deutschland richten, von unserer Seite nicht geteilt werden. Sicher, Tausende von Deutschen haben das Land bereist. Organisationen wie "Aktion Sühnezeichen" oder die "Wochen der Brüderlichkeit" haben den deutsch-israelischen Dialog befördert. Er findet auf allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Ebenen statt.
Aber ins kreative Zentrum der deutschen Kultur dringt Israel kaum vor. Eine der wenigen Autorinnen hierzulande, die als studierte Judaistin auch literarisch ein enges Verhältnis zu Israel pflegt, die 40-jährige Katharina Hacker nämlich, brachte den Stand der Dinge kürzlich bei einem Literaturgipfel auf den Punkt: "Israel löst bei deutschen Künstlern keine Phantasien aus. Es regt sie nicht an und reizt sie nicht zu kreativer Verarbeitung."
Woran liegt das? Warum kann man vom deutsch-israelischen Verhältnis sagen, es sei eine asymmetrische, um nicht zu sagen einseitige Beziehung? Vielleicht gibt der Blick auf die israelarme deutsche Literatur selbst einen Hinweis, auf diejenige jedenfalls, in der Israel dann plötzlich doch einmal vorkommt. Friedrich Christian Delius legte 1999 eine längere Erzählung mit dem Titel "Flatterzunge" vor. Er griff darin einen seinerzeit vielbeachteten Vorgang auf. Bei einem Israel-Gastspiel hatte ein Mitglied der Berliner Philharmoniker in einem Gästebuch mit Adolf Hitler unterzeichnet. Er tat es in angetrunkenem Zustand. Aber er war durchaus kein Antisemit. Er nahm, so deutet jedenfalls Delius in seinem psychologisch einfühlsamen Buch den Vorfall, die vermeintliche Erwartungshaltung des Gastgeber-Landes vorweg, obwohl er keineswegs deutschenfeindliche Äußerungen erlebt hatte. Aber in der Verbindung von Ängsten und Schuldgefühlen, die Israel in ihm auslöste, das er zum ersten Mal betrat, habe sein Unbewusstes ihm eingeflüstert: "Die müssen uns doch alle für Nazis halten."
Wie auch immer man die merkwürdige emotionale Gemengelage dieses Orchestermusikers bewerten will, eines kann man mit Gewissheit sagen: Es mangelte ihr vollkommen an Unbefangenheit. Der seelische und dann wohl auch der geistige Zugang der meisten Deutschen im Hinblick auf Israel: er ist nicht frei, er ist nicht unbefangen. Israel, ein so mediterranes Land, dessen impulsive, herzliche, streitlustige Bevölkerung über eine Mentalität verfügt, die viele Deutsche an Italien oder Griechenland so lieben, es ist doch weitgehend für deutsche Intellektuelle und Künstler vermintes Gelände. Vielleicht spüren sie auch, dass ihre Anliegen gemessen an der permanenten Lebensbedrohung, unter der Israelis existieren, doch letztlich Luxusprobleme sind – und schämen sich.
Und dann: Die Deutschen wollen es immer richtig machen. Ihr Schuldtrauma hat sie zu ängstlichen Musterschülern werden lassen, die sich gerade im intellektuellen Bereich immer erst bei den sogenannten Autoritäten vergewissern müssen. In keinem Land der Welt wahrscheinlich spielen geistige Lehrmeister eine so große (und oft verhängnisvolle) Rolle wie in Deutschland. Ganze geistige Bezirke und Traditionen ihrer eigenen nationalen Identität haben die Deutschen mit dieser Haltung preisgegeben. Und nun sollen sie sich gegenüber einer so chaotischen, farbigen Gesellschaft wie der israelischen verhalten! Da müssten sie mal spontan sein. Aber genau das können sie nicht.
Anmerkung: An dieser Stelle möchten wir auf einen Fehler hinweisen, der uns im vorliegenden Text unterlaufen ist. Unser Autor Tilman Krause schreibt, bei einem Israel-Gastspiel habe ein Mitglied der Berliner Philharmoniker in einem Gästebuch mit "Adolf Hitler" unterzeichnet. Dem war nicht so. Bei dem Vorfall im Jahre 1997 handelte es sich vielmehr um einen Orchestermusiker der "Deutschen Oper Berlin", der eine Rechnung auf diese Weise gezeichnet hatte. Autor und Redaktion bitten das Versehen zu entschuldigen.
Tilman Krause, 1959 in Kiel geboren, Studium der Germanistik, Geschichte und Romanistik in Tübingen. 1980/81 erster von vielen Frankreich-Aufenthalten, beginnend mit einer Stelle als Deutschlehrer am Pariser Lycée Henri IV. 1981 Fortsetzung des Studiums an der Berliner FU. Dortselbst 1991 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit über den Publizisten Friedrich Sieburg, den ersten ‚Literaturpapst’ der Bundesrepublik. Seitdem diverse Lehraufträge an der FU, der Humboldt-Universität, an der Universität Hildesheim und am Leipziger Literatur-Institut. Sein journalistischer Werdegang führte Tilman Krause über die FAZ (1990-1994) und den Tagesspiegel (1994-1998) zu seinem jetzigen Posten als leitendem Literatur-Redakteur bei der WELT.
Nicht zufällig ist die Vision eines zionistischen Staates in Wiener Kaffeehäusern ersonnen, in Basel verkündet und in deutschsprachigen Zeitschriften am lebhaftesten diskutiert worden. Noch das Gesicht der israelischen Städte sollte das Urbild der mitteleuropäischen Stadt heraufbeschwören, schreibt Amos Oz, mit einem großen Fluss in der Mitte, mit pompösen Brücken, die den Fluss überspannen und mit bewaldeten Höhen, auf die man von diesen Brücken aus blickt.
Natürlich hat die zweite Generation israelischer Schriftsteller sich davon gelöst und misst nicht mehr alles, was sie hervorbringt, am deutsch-europäischen Urmeter. Aber die Geschichte der Verfolgung, die in jede Familie hineinreicht, dann aber auch die Erinnerungen an kulturelle Prägungen, die es auch für viele Familien gibt, sie legen den Bezug auf Deutschland und vor allem auf deutsche Literatur, Musik und Malerei immer wieder nahe.
Zu den vielen schmerzlichen Erfahrungen, die die Israelis in den vergangenen 60 Jahren machen mussten, zählt jedoch die Tatsache, dass Neugier und Interesse, auch Passionen und Obsessionen, die sich auf Deutschland richten, von unserer Seite nicht geteilt werden. Sicher, Tausende von Deutschen haben das Land bereist. Organisationen wie "Aktion Sühnezeichen" oder die "Wochen der Brüderlichkeit" haben den deutsch-israelischen Dialog befördert. Er findet auf allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Ebenen statt.
Aber ins kreative Zentrum der deutschen Kultur dringt Israel kaum vor. Eine der wenigen Autorinnen hierzulande, die als studierte Judaistin auch literarisch ein enges Verhältnis zu Israel pflegt, die 40-jährige Katharina Hacker nämlich, brachte den Stand der Dinge kürzlich bei einem Literaturgipfel auf den Punkt: "Israel löst bei deutschen Künstlern keine Phantasien aus. Es regt sie nicht an und reizt sie nicht zu kreativer Verarbeitung."
Woran liegt das? Warum kann man vom deutsch-israelischen Verhältnis sagen, es sei eine asymmetrische, um nicht zu sagen einseitige Beziehung? Vielleicht gibt der Blick auf die israelarme deutsche Literatur selbst einen Hinweis, auf diejenige jedenfalls, in der Israel dann plötzlich doch einmal vorkommt. Friedrich Christian Delius legte 1999 eine längere Erzählung mit dem Titel "Flatterzunge" vor. Er griff darin einen seinerzeit vielbeachteten Vorgang auf. Bei einem Israel-Gastspiel hatte ein Mitglied der Berliner Philharmoniker in einem Gästebuch mit Adolf Hitler unterzeichnet. Er tat es in angetrunkenem Zustand. Aber er war durchaus kein Antisemit. Er nahm, so deutet jedenfalls Delius in seinem psychologisch einfühlsamen Buch den Vorfall, die vermeintliche Erwartungshaltung des Gastgeber-Landes vorweg, obwohl er keineswegs deutschenfeindliche Äußerungen erlebt hatte. Aber in der Verbindung von Ängsten und Schuldgefühlen, die Israel in ihm auslöste, das er zum ersten Mal betrat, habe sein Unbewusstes ihm eingeflüstert: "Die müssen uns doch alle für Nazis halten."
Wie auch immer man die merkwürdige emotionale Gemengelage dieses Orchestermusikers bewerten will, eines kann man mit Gewissheit sagen: Es mangelte ihr vollkommen an Unbefangenheit. Der seelische und dann wohl auch der geistige Zugang der meisten Deutschen im Hinblick auf Israel: er ist nicht frei, er ist nicht unbefangen. Israel, ein so mediterranes Land, dessen impulsive, herzliche, streitlustige Bevölkerung über eine Mentalität verfügt, die viele Deutsche an Italien oder Griechenland so lieben, es ist doch weitgehend für deutsche Intellektuelle und Künstler vermintes Gelände. Vielleicht spüren sie auch, dass ihre Anliegen gemessen an der permanenten Lebensbedrohung, unter der Israelis existieren, doch letztlich Luxusprobleme sind – und schämen sich.
Und dann: Die Deutschen wollen es immer richtig machen. Ihr Schuldtrauma hat sie zu ängstlichen Musterschülern werden lassen, die sich gerade im intellektuellen Bereich immer erst bei den sogenannten Autoritäten vergewissern müssen. In keinem Land der Welt wahrscheinlich spielen geistige Lehrmeister eine so große (und oft verhängnisvolle) Rolle wie in Deutschland. Ganze geistige Bezirke und Traditionen ihrer eigenen nationalen Identität haben die Deutschen mit dieser Haltung preisgegeben. Und nun sollen sie sich gegenüber einer so chaotischen, farbigen Gesellschaft wie der israelischen verhalten! Da müssten sie mal spontan sein. Aber genau das können sie nicht.
Anmerkung: An dieser Stelle möchten wir auf einen Fehler hinweisen, der uns im vorliegenden Text unterlaufen ist. Unser Autor Tilman Krause schreibt, bei einem Israel-Gastspiel habe ein Mitglied der Berliner Philharmoniker in einem Gästebuch mit "Adolf Hitler" unterzeichnet. Dem war nicht so. Bei dem Vorfall im Jahre 1997 handelte es sich vielmehr um einen Orchestermusiker der "Deutschen Oper Berlin", der eine Rechnung auf diese Weise gezeichnet hatte. Autor und Redaktion bitten das Versehen zu entschuldigen.
Tilman Krause, 1959 in Kiel geboren, Studium der Germanistik, Geschichte und Romanistik in Tübingen. 1980/81 erster von vielen Frankreich-Aufenthalten, beginnend mit einer Stelle als Deutschlehrer am Pariser Lycée Henri IV. 1981 Fortsetzung des Studiums an der Berliner FU. Dortselbst 1991 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit über den Publizisten Friedrich Sieburg, den ersten ‚Literaturpapst’ der Bundesrepublik. Seitdem diverse Lehraufträge an der FU, der Humboldt-Universität, an der Universität Hildesheim und am Leipziger Literatur-Institut. Sein journalistischer Werdegang führte Tilman Krause über die FAZ (1990-1994) und den Tagesspiegel (1994-1998) zu seinem jetzigen Posten als leitendem Literatur-Redakteur bei der WELT.