"Eine Bewegung gegen das parlamentarische System"
Nach Ansicht des Ulmer Oberbürgermeisters Ivo Gönner (SPD) wird der Protest gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" auch aus Unbehagen an der repräsentativen Demokratie gespeist. Mit dem Protest werde "schlicht und einfach" in Abrede gestellt, dass Parlamentarier etwas entscheiden dürften, sagte Gönner.
Ute Welty: Nach der Kundgebung ist vor der Kundgebung. In Stuttgart haben wieder etwa 8000 Menschen ihren Protest deutlich gemacht auf der schwäbischen Montagsdemo, und für morgen hat man sich verabredet vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten. Die Demonstranten wollen nach wie vor den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs stoppen. Bestandteil des Projektes Stuttgart 21 ist aber auch der Ausbau der Strecke nach Ulm. Dort ist Ivo Gönner von der SPD seit 18 Jahren Oberbürgermeister. Guten Morgen, Herr Gönner!
Ivo Gönner: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Können Sie sich an einen ähnlichen Sturm der Entrüstung erinnern, den ein öffentliches Projekt dieser Größenordnung jemals begleitet hat?
Gönner: Ja, wir hatten hier vor vielen Jahren ja im Zusammenhang mit einem geplanten Kernkraftwerk in Wyhl auch ähnliche große Kundgebungen, Veranstaltungen, Diskussionen. Aber in dieser Art und Weise bezüglich eines Verkehrsinfraprojektes, also es geht ja um eine Verkehrsmaßnahme, das hatten wir sicherlich so noch nie.
Welty: Der aktuelle Protest zeigt ja erste Wirkung. Nach Bahnchef Grube hat jetzt auch der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus eine Gesprächsrunde angekündigt. Kommen diese Angebote an die Gegner von Stuttgart 21 nicht reichlich spät?
Gönner: Ach das kann ich nicht beurteilen. Es ist ja so, das Verfahren um dieses Projekt Stuttgart-Ulm wird seit vielen Jahren, fast über 18 Jahren ja geredet, diskutiert, es ist öffentlich debattiert worden, es ist in öffentlichen Sitzungen gesprochen worden, es wurden Tausende von Einwendungen eingebracht, es wurden diese abgewogen, es gibt einen Planfeststellungsbeschluss oder mehrere sogar, und es sind alle gerichtlichen Verfahren durch. Also es ist ja keine geheime Veranstaltung irgendwo im Hinterzimmer in den letzten Jahren gewesen, sondern in aller demokratischer Öffentlichkeit.
Welty: Die Proteste stützen sich aber auf diverse Gutachten, die zum Teil jetzt doch erst bekannt geworden sind und erschreckende Ergebnisse liefern, was die Zweckmäßigkeit und die Berechnung der Kosten angeht. Gehen diese Gutachten an Ihnen als einem der Befürworter des Projektes oder der Projekte spurlos vorüber?
Gönner: Nein, aber auch das gehört zum Spiel. Dass natürlich sich jeder jetzt gerufen fühlt und – nicht abschätzig gemeint, sondern nur eben aufzählend – jetzt mit Gutachten und Stellungnahmen da noch einmal das Thema aufzuwerfen, das ist bei großen Projekten immer so. Also ich möchte nicht mal reinhören, wie vor 150 Jahren, als eine Eisenbahn von Stuttgart nach Ulm gebaut wurde, was da alles an Bedenken eingeleitet wurde!
Welty: Welche Auswirkungen befürchten Sie für Ulm, wenn das Projekt sich verzögert oder gar gekippt wird? Und wie weh tut es Ihnen, wenn in Stuttgart Transparente hochgehalten werden mit der Aufschrift oder mit der Frage, ob denn jemand überhaupt nach Ulm wolle?
Gönner: Die Frage kann ich nicht beantworten. Wenn jemand etwas hochhält, weil er nicht nach Ulm will, dann ist das hoch respektiert. Aber es gibt Tausende, um nicht zu sagen Zehntausende, die pendeln hin und her, übrigens auch wie wir von Ulm nach München und umgekehrt. Diese Strecke Stuttgart-Ulm ist Teil einer europäischen Magistrale, ist Teil eines Bundeswegeplanes, Verkehrswegeplanes, ist vor allem innerhalb von Baden-Württemberg ein wichtiger Punkt, die Wirtschaftszentren Rhein-Neckar, also Mannheim und Heidelberg, Karlsruhe, Stuttgart und Ulm zu verbinden.
Und ich erinnere mich noch sehr gut, wie vor vielen, vielen Jahren, als die neue, schnelle Zugverbindung zwischen Mannheim und Stuttgart gebaut wurde, Transparente hochgehalten wurden: "Wir brauchen keine Bonzenschleuder". Ja, das ist ungefähr so wie "Wir wollen ja gar nicht nach Ulm". Damals hat man gesagt, so eine Zugverbindung ist nur für die Bonzen, heute ist es jeden Tag für Tausende von Arbeitnehmern zwischen dem Wirtschaftszentrum Rhein-Neckar und Stuttgart eine Pendelverkehrsstrecke. Also das ist, das Transparent "Wir brauchen keine Bonzenschleuder" und heute "Wir wollen nicht nach Ulm", das ist alles relativ.
Welty: Müssen Sie nicht auch persönliche Konsequenzen bei der nächsten Wahl befürchten? Als Befürworter macht man sich ja zurzeit wenig Freunde, zumal wenn Sie noch eins draufsetzen und zeitgleich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer fordern.
Gönner: Also ich muss das gar nicht befürchten, ich habe jetzt drei Oberbürgermeisterwahlen bestanden, die letzte mit etwas mehr wie 80 Prozent. Also die vorherige mit 79 Prozent und die davor mit knapp 55 Prozent bei der ersten Wahl. Also ...
Welty: ... ja vielleicht denken Sie auch mal an Ihre Partei?
Gönner: Das ist wieder was anderes, eine Oberbürgermeisterwahl ist eine Personen- und Persönlichkeitswahl. Die Parteien stehen im März zur Diskussion und ich glaube, im Moment versuchen vor allem die Grünen daraus Honig zu saugen, aber es ist ja inzwischen zum Teil ja eine Bewegung auch gegen das parlamentarische System. Denn es wird ja schlicht und einfach in Abrede gestellt, dass Parlamentarier etwas entscheiden dürfen. Wenn ich höre, dass der Herr Schauspieler Sittler erklärt hat, das sei alles eine Mafiaveranstaltung, dann habe ich eher um unsere repräsentative parlamentarische Demokratie Sorge wie um die Frage, ob man gewählt wird oder nicht.
Welty: Bleiben wir doch noch mal einen Moment bei Ihrer Partei, bei der SPD. Das Projekt Stuttgart 21 ist dort auch nicht unumstritten. Ficht Sie das an oder könnten sich diese unterschiedlichen Positionen dann doch irgendwann mal zu einer Zerreißprobe entwickeln?
Gönner: Zerreißprobe sicherlich nicht. Es ist klar, dass es ein Pro und Kontra auch in der SPD gibt, aber zuletzt im November – das ist ja nun so lange nicht her, im November letzten Jahres – hat ein Parteitag mit fast 70 Prozent dieses Projekt noch einmal bestätigt, und vor allem auch die vielen Kommunalpolitiker in Stuttgart und im Raum Stuttgart, die sind ja alle nicht Idioten und die sind ja alle sozusagen nicht Ignoranten. Und die sind letztes Jahr, das ist jetzt knapp ein Jahr her, im Juni, auch mit weniger Stimmen, aber gewählt worden.
Und im Stuttgarter Gemeinderat, das ist ja nun das Kommunalparlament, habe ich mir sagen lassen, sind knapp ein Drittel dagegen und zwei Drittel dafür. Also das ist ja doch alles nicht jetzt irgendwie eine Erfindung oder Bockbeinigkeit oder Halsstarrigkeit oder Ignoranz, sondern das ist ja von der Bürgerschaft in Stuttgart beispielhaft im Juni letzten Jahres durch Wahlen bestätigt worden.
Welty: Das Projekt Stuttgart 21 und die Auswirkungen für Stuttgart, Ulm und die Demokratie. Dazu Ivo Gönner in Deutschlandradio Kultur, der Ulmer Oberbürgermeister, ich danke fürs Gespräch!
Gönner: Ich danke auch!
Ivo Gönner: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Können Sie sich an einen ähnlichen Sturm der Entrüstung erinnern, den ein öffentliches Projekt dieser Größenordnung jemals begleitet hat?
Gönner: Ja, wir hatten hier vor vielen Jahren ja im Zusammenhang mit einem geplanten Kernkraftwerk in Wyhl auch ähnliche große Kundgebungen, Veranstaltungen, Diskussionen. Aber in dieser Art und Weise bezüglich eines Verkehrsinfraprojektes, also es geht ja um eine Verkehrsmaßnahme, das hatten wir sicherlich so noch nie.
Welty: Der aktuelle Protest zeigt ja erste Wirkung. Nach Bahnchef Grube hat jetzt auch der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus eine Gesprächsrunde angekündigt. Kommen diese Angebote an die Gegner von Stuttgart 21 nicht reichlich spät?
Gönner: Ach das kann ich nicht beurteilen. Es ist ja so, das Verfahren um dieses Projekt Stuttgart-Ulm wird seit vielen Jahren, fast über 18 Jahren ja geredet, diskutiert, es ist öffentlich debattiert worden, es ist in öffentlichen Sitzungen gesprochen worden, es wurden Tausende von Einwendungen eingebracht, es wurden diese abgewogen, es gibt einen Planfeststellungsbeschluss oder mehrere sogar, und es sind alle gerichtlichen Verfahren durch. Also es ist ja keine geheime Veranstaltung irgendwo im Hinterzimmer in den letzten Jahren gewesen, sondern in aller demokratischer Öffentlichkeit.
Welty: Die Proteste stützen sich aber auf diverse Gutachten, die zum Teil jetzt doch erst bekannt geworden sind und erschreckende Ergebnisse liefern, was die Zweckmäßigkeit und die Berechnung der Kosten angeht. Gehen diese Gutachten an Ihnen als einem der Befürworter des Projektes oder der Projekte spurlos vorüber?
Gönner: Nein, aber auch das gehört zum Spiel. Dass natürlich sich jeder jetzt gerufen fühlt und – nicht abschätzig gemeint, sondern nur eben aufzählend – jetzt mit Gutachten und Stellungnahmen da noch einmal das Thema aufzuwerfen, das ist bei großen Projekten immer so. Also ich möchte nicht mal reinhören, wie vor 150 Jahren, als eine Eisenbahn von Stuttgart nach Ulm gebaut wurde, was da alles an Bedenken eingeleitet wurde!
Welty: Welche Auswirkungen befürchten Sie für Ulm, wenn das Projekt sich verzögert oder gar gekippt wird? Und wie weh tut es Ihnen, wenn in Stuttgart Transparente hochgehalten werden mit der Aufschrift oder mit der Frage, ob denn jemand überhaupt nach Ulm wolle?
Gönner: Die Frage kann ich nicht beantworten. Wenn jemand etwas hochhält, weil er nicht nach Ulm will, dann ist das hoch respektiert. Aber es gibt Tausende, um nicht zu sagen Zehntausende, die pendeln hin und her, übrigens auch wie wir von Ulm nach München und umgekehrt. Diese Strecke Stuttgart-Ulm ist Teil einer europäischen Magistrale, ist Teil eines Bundeswegeplanes, Verkehrswegeplanes, ist vor allem innerhalb von Baden-Württemberg ein wichtiger Punkt, die Wirtschaftszentren Rhein-Neckar, also Mannheim und Heidelberg, Karlsruhe, Stuttgart und Ulm zu verbinden.
Und ich erinnere mich noch sehr gut, wie vor vielen, vielen Jahren, als die neue, schnelle Zugverbindung zwischen Mannheim und Stuttgart gebaut wurde, Transparente hochgehalten wurden: "Wir brauchen keine Bonzenschleuder". Ja, das ist ungefähr so wie "Wir wollen ja gar nicht nach Ulm". Damals hat man gesagt, so eine Zugverbindung ist nur für die Bonzen, heute ist es jeden Tag für Tausende von Arbeitnehmern zwischen dem Wirtschaftszentrum Rhein-Neckar und Stuttgart eine Pendelverkehrsstrecke. Also das ist, das Transparent "Wir brauchen keine Bonzenschleuder" und heute "Wir wollen nicht nach Ulm", das ist alles relativ.
Welty: Müssen Sie nicht auch persönliche Konsequenzen bei der nächsten Wahl befürchten? Als Befürworter macht man sich ja zurzeit wenig Freunde, zumal wenn Sie noch eins draufsetzen und zeitgleich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer fordern.
Gönner: Also ich muss das gar nicht befürchten, ich habe jetzt drei Oberbürgermeisterwahlen bestanden, die letzte mit etwas mehr wie 80 Prozent. Also die vorherige mit 79 Prozent und die davor mit knapp 55 Prozent bei der ersten Wahl. Also ...
Welty: ... ja vielleicht denken Sie auch mal an Ihre Partei?
Gönner: Das ist wieder was anderes, eine Oberbürgermeisterwahl ist eine Personen- und Persönlichkeitswahl. Die Parteien stehen im März zur Diskussion und ich glaube, im Moment versuchen vor allem die Grünen daraus Honig zu saugen, aber es ist ja inzwischen zum Teil ja eine Bewegung auch gegen das parlamentarische System. Denn es wird ja schlicht und einfach in Abrede gestellt, dass Parlamentarier etwas entscheiden dürfen. Wenn ich höre, dass der Herr Schauspieler Sittler erklärt hat, das sei alles eine Mafiaveranstaltung, dann habe ich eher um unsere repräsentative parlamentarische Demokratie Sorge wie um die Frage, ob man gewählt wird oder nicht.
Welty: Bleiben wir doch noch mal einen Moment bei Ihrer Partei, bei der SPD. Das Projekt Stuttgart 21 ist dort auch nicht unumstritten. Ficht Sie das an oder könnten sich diese unterschiedlichen Positionen dann doch irgendwann mal zu einer Zerreißprobe entwickeln?
Gönner: Zerreißprobe sicherlich nicht. Es ist klar, dass es ein Pro und Kontra auch in der SPD gibt, aber zuletzt im November – das ist ja nun so lange nicht her, im November letzten Jahres – hat ein Parteitag mit fast 70 Prozent dieses Projekt noch einmal bestätigt, und vor allem auch die vielen Kommunalpolitiker in Stuttgart und im Raum Stuttgart, die sind ja alle nicht Idioten und die sind ja alle sozusagen nicht Ignoranten. Und die sind letztes Jahr, das ist jetzt knapp ein Jahr her, im Juni, auch mit weniger Stimmen, aber gewählt worden.
Und im Stuttgarter Gemeinderat, das ist ja nun das Kommunalparlament, habe ich mir sagen lassen, sind knapp ein Drittel dagegen und zwei Drittel dafür. Also das ist ja doch alles nicht jetzt irgendwie eine Erfindung oder Bockbeinigkeit oder Halsstarrigkeit oder Ignoranz, sondern das ist ja von der Bürgerschaft in Stuttgart beispielhaft im Juni letzten Jahres durch Wahlen bestätigt worden.
Welty: Das Projekt Stuttgart 21 und die Auswirkungen für Stuttgart, Ulm und die Demokratie. Dazu Ivo Gönner in Deutschlandradio Kultur, der Ulmer Oberbürgermeister, ich danke fürs Gespräch!
Gönner: Ich danke auch!