Autor: Peter Kessen
Es sprechen: IlkaTeichmüller, Romanus Fuhrmann
Ton: Ralf Perz
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Redaktion: Martin Hartwig
Die Landbockwurst als "Werk"
29:46 Minuten
Ein Auftrag, ein Werk, eine Zahlung: Nicht immer wird nach Stunden bezahlt. Werkverträge haben inzwischen in vielen Betrieben reguläre Anstellung ersetzt - sehr zum Nachteil der Beschäftigten, sagen Kritiker. In den Fleischfabriken gilt nun ein Verbot.
"Wir befinden uns jetzt in der Artothek der sozialen Künstlerförderung, genauer gesagt im Depot in Berlin-Mariendorf", sagt Wolf-Dieter Kopp. "In diesem Depot, das 1300 Quadratmeter umfasst, lagern ungefähr 14.500 Exponate unterschiedlicher Gattung."
Weggebunkerte Kunstwerke - zu Tausenden hinter braunem Backstein in einem Industriebau der 20er-Jahre vergraben. Gemälde, Skulpturen und Grafiken: Manches Kultur minderer Güte, aber bestimmt auch manch unentdecktes Meisterwerk, das kaum je das Tageslicht gesehen hat.
Werkverträge zur Förderung der Kunst
Gemeinsam ist allen, dass Sie im Auftrag des Landes Berlin entstanden sind, erzählt der Leiter Wolf-Dieter Kopp: "Die ersten Ankäufe fanden 1951 statt. Nach einem positiven Juryentscheid wurden Werkverträge abgeschlossen, die dann dazu führten, dass die Kunstwerke zur sozialen Künstlerförderung gelangten."
Im Gesetz heißt es zum Werkvertrag unter anderem: "§631, Vertragstypische Pflichten beim Werkvertrag: Durch den Werkvertrag wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes, der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet." Und weiter: "Gegenstand des Werkvertrags kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein."
"Wir haben hier im ersten Teil Installationen und Skulpturen." Kopp führt durch eine Wunderkammer, Schränke, Regale alles randvoll mit Kunst. Scharf um die Ecke, dann stoßen wir auf die Skulpturensammlung. 30 Meter weiter lagern die Gemälde, auf der linken Seite leuchtet eine Leinwand, dick aufgetragene Farbe hat sich in ein Mondgebirge verwandelt, ein Werk der neuseeländischen Künstlerin Angela Dwyer.
Soziale Not gelindert, Karrieren unterstützt
Ab 1950 versuchte der Westberliner Senat durch die Vergabe von Werkverträgen, die soziale Not von Künstlern zu lindern und die Stadt mit einem Fundus zeitgenössischer Kunst auszustatten.
Etliche Karrieren begannen mit dieser Förderung. So malte zum Beispiel ein Georg Baselitz, 1964 im Auftrag des Senates den Grunewaldturm am Wannsee. Rund 2100 Kunstschaffende erhielten die Unterstützung zwischen 1950 und 2003, es flossen Beträge zwischen 17 D-Mark und 4400 Euro.
Die Werke gehörten dann dem Land Berlin, landeten in der städtischen Artothek und bei rund 80 Behörden und Institutionen, wo etliche verschwanden.
Trotzdem hat es insgesamt gut funktioniert. Kunst und Senat gingen ein kurzes, klar definiertes Sachverhältnis ein.
Geld fließt nicht für Arbeitsstunden
Werkverträge gibt es seit dem Jahr 1900. Das Bürgerliche Gesetzbuch versteht darunter, dass Auftragnehmer ein besonderes Werk erfolgreich und selbstständig erledigen. Solche Verträge können von einem Auftraggeber an einzelne Beschäftigte aber auch an Firmen vergeben werden.
Geld fließt nicht für Arbeitsstunden oder für Arbeitskraft, wie im regulären Arbeitsvertrag, beim Werkvertrag zählt einzig das Resultat. Eben ein "Werk" – das kann ein Buch oder ein Möbel sein, aber auch das Verfliesen einer Wand, oder das Abschleifen eines Bodens.
Ob allerdings die Kunst des Schweinehalbierens oder Autositzmontierens dazu gehört, ist umstritten.
"Die Gewerkschaft NGG für Nahrung und Genussmittel ist ja die älteste Gewerkschaft in Deutschland und die haben 150 Jahre Bestehen gefeiert. Die Ursprünge sind, dass ganz zu Beginn die Zigarrendreher in Deutschland jeder für sich zu Hause in Heimarbeit in Zigarren gedreht haben. Und die Arbeitgeber hatten es ganz leicht, und haben die alle unterschiedlich bezahlt. Und als sie sich dann getroffen haben, haben sie festgestellt, dass sie zu unterschiedlichen Löhnen arbeiten. Und dazu hat sich der Vorläufer der Gewerkschaft für Nahrung und Genussmittel gegründet, nämlich aus dem Bestreben zu einheitlichen Löhnen zu kommen, insofern eine ähnliche Situation. Und dass sich diese Situation jetzt wieder zusammenschließt und bündelt, das finde ich ganz spannend", sagt Anja Piel vom Bundesvorstand des DGB.
Der ursprüngliche Zweck geht verloren
"Ich kann mich gut erinnern, als ich 1984 angefangen habe, war unter dem Thema Werkvertrag zu verstehen: Wenn der Fliesenleger kam und die Toilette in irgendeiner Produktionshalle neu gefliest war. Wir hatten bei uns im Betrieb sogar eine eigene Malerabteilung. All das Mitarbeiter, die bei Daimler zu guten Tarifen beschäftigt waren, wenn sie heute zu Daimler kommen, finden sie das nicht mehr, das ist mittlerweile alles draußen", sagt Jörg Spies, Betriebsratsvorsitzender, in der Daimler-Zentrale in Stuttgart.
"Ich kann mich jederzeit von den Leuten trennen, ich habe keine Abfindungskosten, ich habe keine Risiken mich kümmern zu müssen, zum Beispiel Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. All das wird ausgelagert auf Werkvertragsunternehmen", erklärt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz.
Sonderwirtschaftszone für Millionen Beschäftigte
Folgt man dem Gewerkschaftler und der Wissenschaft, hat sich unter dem eigentlich für andere Zwecke vorgesehenen Werkvertrag eine Sonderwirtschaftszone herausgebildet in der Millionen Beschäftigte unter teilweise skandalösen Bedingungen arbeiten. Zu einigem Ruhm hat es in dieser Hinsicht die Fleischindustrie gebracht.
So berichtete die "Tagesschau": "Durch Corona werde offensichtlich, was in der Fleischbranche schon lange falsch laufe. Mitarbeiter werden zu Billiglöhnen aus dem Ausland angeworben, die Arbeitsbedingungen oft schlecht. Die Gewerkschaft kritisiert diese Zustände schon lange. "Der Hauptfehler ist, dass wir bis zu 90 Prozent der Beschäftigten im Rahmen von Werkverträgen haben. Und das wird dazu benutzt sich von jeder sozialen Verantwortung zu entbinden und die Kolleginnen und Kollegen auszubeuten."
Steaks, Koteletts, Landbockwürsten standen bis vor Kurzem noch im selben arbeitsvertragsrechtlichen Rang wie das Kunstwerk. Millionenfach wurden zu Beispiel beim Fleischunternehmen Tönnies Werke geschaffen und Werte. Allein 2019 verarbeitete Tönnies 17 Millionen Schweine und erzielte erstmals mehr als sieben Milliarden Euro Umsatz. Dann kam die Pandemie.
Corona, Tönnies und der Sonderfall Fleischindustrie
Rund 6500 Mitarbeiter und ihre Familien mussten im Juni 2020 in Quarantäne. Mit den Infektionen gerieten auch die Arbeitsverhältnisse dort ins Blickfeld: Beengte Wohn- und Arbeitsverhältnisse, eine migrantische schlecht organisierte Belegschaft in prekären Verträgen.
Denn das Schlachten und Zerlegen von Tieren erledigen keine angestellten Arbeiter, sondern Beschäftigte von Werkvertragssubunternehmen. Mit häufig schlechten Arbeitsbedingungen.
Was die Gewerkschaften über Jahrzehnte nicht hinkriegten, schaffte das Virus in kürzester Zeit. Seit dem 1. Januar 2021 sind in der ganzen Fleischindustrie Werkverträge verboten, und ab 1. April auch Zeitarbeit: Schlachtung und Zerlegung dürfen dann nur noch von eigenem Stammpersonal vorgenommen werden. Das Fleischerhandwerk - Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten - ist davon ausgenommen.
Alltägliche Praxis im Handwerk
"Nehmen sie ein Beispiel, sie wollen ihr Wohnzimmer renovieren lassen", sagt Stefan Sell, Professor für Volkswirtschaftslehre, Sozialpolitik und Sozialwissenschaften an der Hochschule Koblenz.
"Sie gehen zum Maler, der macht ihnen ein Angebot, 2000 Euro Pauschalpreis", erklärt er. "Und dann geben sie ihm den Auftrag. Wenn sie das tun, dann haben sie an dem Maler einen Werkvertrag vergeben und der wird sozusagen diesen Auftrag in eigener Verantwortung durchführen müssen."
Werkverträge sind alltägliche Praxis: Der DGB geht von rund zehn Millionen Beschäftigten aus, die meisten Arbeitsverhältnisse seien auch aus Gewerkschaftssicht nicht zu beanstanden. Häufig haben die Beschäftigten ein festes Arbeitsverhältnis, zum Beispiel der angestellte Maler. Mitunter beschäftigen Subunternehmen die Menschen aber nur auf Zeit, wie Tagelöhner.
Unternehmen lagern Kernprozesse aus
"Neu ist allerdings jetzt die Entwicklung, dass Unternehmen ihre gängigen Prozesse in Werkverträge aufteilen," erklärt Johannes Jakob, Abteilungsleiter Arbeitsmarktpolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB.
"Wir haben hier ein Reinfressen in Kernbereiche, die über eigene feste Mitarbeiter erledigt werden sollten", sagt er. "Da werden ja Werkverträge, die Hülle wird missbraucht, um eigentliche Stammbeschäftigte zu ersetzen durch natürlich billigere Werkvertragsarbeitnehmer."
Fast 90 Prozent aller deutschen Unternehmen lagern mindestens einen Kernprozess mittels Werkvertrag aus, fand eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) heraus. Unter Kernprozess versteht man Bereiche, die für die Wertschöpfung zentral sind. Beispielsweise gehört eine Betriebskantine nicht dazu.
Werkverträge gibt es inzwischen in allen Wirtschaftsbereichen: in der Automobilindustrie, dem Supermarkt, in der Kantine, im Lager, Transport an der Universität, auf dem Bau und vor allem in der Fleischindustrie.
Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts gehören Werkverträge zum Wirtschaftsalltag und waren lange Zeit kein großes Problem. Dies änderte sich im November 1973: "Der Anwerbestopp von ausländischen Arbeitnehmern ist von der Bundesregierung ausdrücklich als eine vorsorgliche Maßnahme bezeichnet worden", hieß es in den Nachrichten.
Anwerbestopp und Wiedervereinigung als Etappen
Stefan Sell: "Also, man muss rückblickend sagen: Der wichtigste Einschnitt von oben betrachtet bei den Werkverträgen, deren Instrumentalisierung für grenzüberschreitenden Arbeitskräfteverkehr, der bis dahin über klassische Zuwanderung geregelt wurde, mit Festanstellung. So und dann hat man aber das Problem gehabt, nach dem Anwerbestopp, dass natürlich in bestimmten Branchen weiterhin sehr hoher Bedarf, an wohlgemerkt ausländischen Arbeitskräften, die auch zu niedrigeren Löhnen bereit sind zu arbeiten, bestand."
Den zweiten großen Schub gab es nach der Wiedervereinigung, die Länder des ehemaligen Ostblocks öffneten sich. Allein die sogenannte Osterweiterung 2004 brachte zehn neue Länder in die Europäische Union und damit willige und billige Arbeitskräfte.
"Also hat man die Werkverträge instrumentalisiert für den Import billigerer, ausländischer Arbeitskräfte. Und das ist auf der einen Seite verständlich, auf der anderen Seite auch Quelle der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Werkverträgen, die sich bis in die heutige Zeit hinzieht."
In manchen Branchen Normalität statt Ausnahme
Besonders im verarbeitenden Gewerbe, im Bau und in der Fleischindustrie, wurden Werkverträge von der Ausnahme zur Normalität. Für die Beschäftigten trotzdem eine Chance, vergleichsweise gutes Geld zu verdienen. Auch wenn es weniger ist als der Tariflohn und so die Gewerkschaften auf den Plan ruft.
"Es soll dadurch verschleiert werden, dass man im Grunde das Lohngefälle in Europa auch nach Deutschland importiert", erklärt Johannes Jacob vom DGB.
Hinter den kolossalen Mauern der alten Reichsbank in Mannheim residiert die Rechtsanwalt-Sozietät Professor Dr. Tuengerthal, Andorfer, Greulich und Prochaska. Die Anwälte beraten und vertreten Unternehmen in Fragen des Werkvertrages.
Eingeladen sind heute auch zwei Beschäftigte aus Bulgarien, die für das Werkvertragsunternehmen Stieffater in der Nürnberger Fleischbranche tätig sind: Reneta Manoleva und Ventsislav Penov.
Sie arbeitet als sogenannte Einlegerin, die die Fleischstücke in die Verpackungen legt. Er ist Staplerfahrer, transportiert Rohware und das in Kartons verpackte Endprodukt.
"Ich bin Ventsislav Penov, ich bin 23 Jahre alt, ich komme aus Bulgarien: Ich habe in der Schule Informationstechnologie gelernt. Nach der Schule bin ich nach Deutschland gekommen. Zurzeit lebe ich in Nürnberg und arbeite auch dort. Ich bin da Staplerfahrer. Es gefällt mir super, es ist gut für erste Arbeit."
"Die Bezahlung ist höher als in Bulgarien"
Rund 1200 Euro netto verdient er im Monat, ein Gehalt auf Mindestlohnniveau. Warum ist der Job für ihn attraktiv?
"Erst mal die Bezahlung ist höher als in Bulgarien", erzählt er. "Dann gibt es viele Gesetze, die sind besser für die Leute. Und zum Beispiel hier in Deutschland bezahlen sie immer die Krankenstunde, die Urlaubsstunde, man hat immer mindestens 22 Tage Urlaub. In Bulgarien sind es 13 Tage. Ich habe Freunde, die arbeiten dort. Und die arbeiten sehr viel mehr als ich. Zum Beispiel elf, zwölf, 13 Stunden - und mehr. Und hier es gibt Gesetze: Maximal 10 Stunden, darf man arbeiten, nicht mehr. In der gleichen Branche in Bulgarien kriegt man 300 – 400 Euro pro Monat. Das ist ein Drittel von dem, was ich hier verdiene."
Die Lebenshaltungskosten in Deutschland sind ungefähr doppelt so hoch wie in Bulgarien, gleichzeitig ist aber das Gehalt ungefähr dreieinhalbmal so hoch wie in dem osteuropäischen Land. Penov möchte mehr, will aufsteigen.
Sein nächstes Ziel ist eine Ausbildung. Auch für Renata Manolovo rechnet sich der Werkvertrag erst mal. Sie verdient 9,79 Euro pro Stunde, also rund 1100 Euro netto im Monat. Ihre Mutter in Bulgarien verdient für eine vergleichbare Tätigkeit circa 350 Euro - und muss mehr arbeiten.
In der VW-Halle arbeiten, aber für eine VW-Tochter
Ein Regentag in Ostfriesland, genauer gesagt in Ostgroßefehn, bei Aurich, rund 3600 Menschen leben hier. Einer davon ist Uwe Zirngast, er sitzt im spartanisch eingerichteten Wohnzimmer seines Backsteinhauses und spricht von seiner Arbeit im VW-Werk in Emden:
"Wir bekommen Kisten, verschiedene Größen oder Paletten-Gestelle. Da sind Bleche eingelagert und Kleinteile und die werden auf Anhänger gestellt. Mit einem Stapler werden die dann von unserem Bahnhof in die Halle 18 zum Produktionsort gefahren. Die werden dann von VW-Mitarbeitern aus den Behältnissen genommen auf ein Band reingesetzt und den Rest machen alles Roboter und setzen das Auto zusammen."
Uwe Zirngast arbeitet zwar in der VW-Halle, aber nicht direkt beim Autoproduzenten, sondern bei einer Tochtergesellschaft namens VW Group Services. Angefangen hat er im Jahr 2011, damals hieß die Firma noch Autovision. Sie war schon damals ein reines Werkvertragsunternehmen und eine 100-prozentige Tochter von VW.
Insgesamt sind unter dem Dach VW Group Services rund 12.000 Mitarbeiter beschäftigt, die an 18 VW Standorten Dienstleistungen für den Mutterkonzern anbieten - von IT über Anlagenbau bis zum Management des VfL Wolfsburg.
"Ich will eine Karriere"
Zirngast schätzt die Arbeit bei Volkswagen und eigentlich hatte er noch große Pläne.
"Wenn man dann zwei oder drei Jahre arbeitet, dann rutscht man da langsam bei VW rein", sagt er. "Und das ist halt nie passiert. VW ist ein guter Arbeitgeber. Ich will eine Karriere. Natürlich, ich möchte am Auto eingesetzt werden, ich möchte von der Autoelektrik, Scheinwerfertechnik, oder Innenraumtechnik möchte ich mehr erleben, mehr erfahren."
Aber diese Karriere wird es nur geben, wenn Uwe Zirngast seinen Prozess gewinnt.
Rat und Tat heißt die Kanzlei im Hamburger Stadtteil Harburg, geführt vom Rechtsanwalt Rolf Geffken. Hier werden die Prozesse für Uwe Zirngast vorbereitet, der gegen VW Group Services klagt – er sieht sich mit einem Scheinwerkvertrag beschäftigt.
"Ja, bei dem Herrn Zirngast ist es so, dass er zu den Logistikern gehört", erklärt der Anwalt. "Eine Besonderheit besteht allerdings darin, dass er zwischendurch immer zahlreiche andere Aufgaben wahrgenommen hat - und von Arbeitsort zu Arbeitsort wechselte. Und da ist zum Beispiel die Frage, inwieweit das vom Auftrag, den diese Werkvertragsfirma von der Stammfirma hatte, gedeckt war."
Klage gegen behaupteten Scheinwerkvertrag
Seit gut drei Jahren klagt Rolf Geffken vor Arbeitsgerichten gegen den behaupteten Scheinwerkvertrag seines Mandanten.
"Hier ist es jetzt so, dass die Firma, um die es geht, die eigentliche Firma, die Stammfirma, nun Aufträge vergibt an Fremdfirmen, die sie als Werkverträge bezeichnet. Und diese wiederum setzt Leute im Stammbetrieb ein. Das heißt, das ist sozusagen Leiharbeit, ohne dass dies als Leiharbeit sichtbar ist."
Zentral in diesen Prozessen ist der Beweis, dass Uwe Zirngast nicht unabhängig und selbstständig mit der Werksvertragsfirma einen Auftrag erledigt. Sondern in den Betriebsablauf von VW eingebettet ist und von VW Mitarbeitern Weisungen erhält. Dann wäre es ein Scheinwerkvertrag, der nur Leiharbeit verschleiert.
"Und ja, die Tätigkeiten, die wir tun, sind Konzerntätigkeiten in vielerlei Hinsicht", sagt er. "Aber trotzdem sind wie ein separater Betrieb und dann haben die uns nichts zu sagen. Nur mein Vorgesetzter hat mir was zu sagen. Wir müssen auch ständig bei irgendwelchen Maschinen, die wir fahren, für Volkswagen die Mängelkarte ausfüllen. Und hier steht ganz klar: Dann müsste das normalerweise der Meister machen. Nein, es müssen die Mitarbeiter machen, das ist nicht in Ordnung. Und dann fahren wir mit den Mulis wieder raus. Und dann reden wieder Menschen mit uns, die vom Konzern kommen, obwohl die das nicht dürften."
VW weist den Vorwurf zurück
Auf den Vorwurf "Scheinwerkverträge" abzuschließen antwortet Volkswagen Group Services schriftlich:
"Diesen Vorwurf weisen wir auch weiterhin entschieden zurück. In Emden haben wir die Situation, dass die Volkswagen Group Services GmbH mit der Halle 11 eine vollständig eigenständige Montagehalle betreibt, in der ausschließlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Volkswagen Group Services GmbH die werkvertraglich übertragenen Auftragsumfänge bearbeiten."
Volkswagen Group Services wirbt auf seiner Webseite damit ein "erfolgreiche(r) Dienstleister im Volkswagen Konzern" zu sein und betont die – Zitat – "wettbewerbsfähigen Kosten" und "flexiblen Personalstrukturen".
Deutliche Unterschiede bei der Bezahlung
Rolf Geffken erklärt: "Es geht einfach um die Bezahlung, die vielfach maximal die Hälfte, manchmal ein bisschen mehr als die Hälfte dessen beträgt, was die Stammbeschäftigten bekommen, es sind gewaltige Unterschiede."
Das Unternehmen und der Betriebsrat wollen keine konkrete Lohnsumme nennen. Eine Sprecherin des zuständigen IG-Metall-Bezirks erklärte auf Anfrage von Deutschlandfunk Kultur, die IG Metall habe für die Beschäftigten einen Tarifvertrag abgeschlossen und etliche Verbesserungen erreicht: "Beispielsweise eine monatliche Altersversorgung von circa 100,- Euro durchzusetzen, was für alle Geschäftsbereiche im Branchenvergleich seinesgleichen sucht."
Gleichzeitig gäbe es natürlich "Unterschiede zu den Arbeitsbedingungen der Volkswagen AG". Als Grund gilt die Konkurrenz innerhalb der Automobilindustrie, die generell Werkvertragsunternehmen mit schlechteren Arbeitsbedingungen als im Stammunternehmen beschäftigt: "Vergleichbare Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Branche und anderenfalls wahrscheinlich das Ausbleiben von Aufträgen sind dabei eine Rahmenbedingung."
Weniger als die Hälfte beim Jahresgehalt
Auch die IG Metall nannte keine konkreten Gehälter. Im Internet findet man auf der Webseite Kununu, einem Bewertungsportal für Unternehmen und Unternehmenskultur, Genaueres zur durchschnittlichen Gehaltshöhe.
So beträgt, nach Selbstangaben von Beschäftigten, das durchschnittliche Gehalt eines Logistikers bei VW-Group-Service 26.000 Euro brutto im Jahr, etwas unter dem Branchendurchschnitt. Laut der Webseite Jobvoting erzielt ein festangestellter Logistiker beim Stammunternehmen VW im Durchschnitt 63.000 Euro brutto im Jahr.
Festangestellte Logistikerinnen und Logistiker beim Konzern verdienen also etwas mehr als doppelt so viel wie ihre Kolleginnen und Kollegen beim Werkvertragsunternehmen.
Rechtsanwalt Geffken hat bisher für rund drei Dutzend Beschäftigte beim VW Tochterunternehmen geklagt: Testfahrer, Beschäftigte aus den Bereichen IT und Logistik. Zumeist wurden die Klagen von Arbeitsgerichten abgewiesen, weil Justitia keine Eingliederung in das Hauptunternehmen sah. Auch Uwe Zirngast hat verloren. Nur einige Programmierer waren erfolgreich, erstritten Vergleiche.
Erfolg vor dem Bundesarbeitsgericht
Zuletzt hat Geffken einen großen Erfolg erzielt. Am 27. Oktober 2020 wies die höchste richterliche Instanz, das Bundesarbeitsgericht in Erfurt, das Landesarbeitsgericht Hannover an, die Klage eines Beschäftigten neu zu verhandeln und erneut auf einen möglichen Scheinwerkvertrag zu prüfen.
"Das ökonomische Grundprinzip lautet: Jeder macht das, was er am besten kann. Und dann tauscht man Waren untereinander aus", meint Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft.
Aus der Perspektive der Unternehmen ist der Werkvertrag ein sehr nützliches Werkzeug: "Das ist effizienter, als wenn jeder alles allein macht! Das hat man vor langer Zeit schon erkannt. Das haben schon die klassischen Ökonomen erkannt."
Zunahme in der Logistik und im Krankenhauswesen
Und auch die Gewerkschaften haben keine grundsätzlichen Bedenken. "Gegen normale Werkverträge hat niemand etwas einzuwenden", sagt Johannes Jacob vom DGB.
"Aber man müsste erfassen, ob dieser Trend, dass die Unternehmen sich selber aufteilen, ob dieser Trend zunimmt. Und nach unserer Beobachtung ist das so. Wir haben das Phänomen in der Logistik, ganz stark ausgeprägt im Krankenhauswesen. Die privaten Kliniken haben sich selber in zig Unternehmen aufgeteilt. Die Öffentlichen folgen jetzt zum Teil, auch weil für sie dadurch Kostendruck entsteht."
Jacob sieht in der massiven Ausweitung der Werkverträge allerdings vor allem den Versuch, die Löhne zu senken.
"Bei diesen Werkverträgen ist es immer so", sagt er, "dass die gut qualifizierten, die können ihre Positionen halten, aber die anderen, die kommen dabei unter die Räder, werden auf Mindestlohnniveau gedrückt oder auf jeden Fall deutlich schlechter als früher. Und da liegt der Gewinn für die Unternehmen."
Druck auf die Stammbelegschaft
Stefan Sell von der Uni Koblenz sieht noch einen Effekt: "Die Stammbelegschaft schrumpft nicht nur und die Werkverträgler werden hochgefahren, sondern das übt natürlich auch einen äußersten, disziplinierenden Druck auf die Stammbeschäftigten aus, nach dem Motto seit mal nicht zu frech mit Lohnforderungen."
Anja Piel vom Bundesvorstand Deutscher Gewerkschaftsbund sagt: "Also, alle Art von befristeter Beschäftigung, und in diesem Fall auch von Werkverträgen, ist natürlich schlechter für die Mitbestimmung, weil Menschen, die in Unternehmen unbefristet eingestellt sind, haben ein viel höheres Interesse, sich auch über eine Gewerkschaft zu organisieren."
Für Jörg Spies den IG-Metaller und Betriebsratsvorsitzender in der Zentrale von Daimler in Stuttgart, ist es wichtig, dass Werkverträge keine Rolle im Kerngeschäft des Unternehmens spielen:
"Und alles was damit zu tun hat, wenn es um diese Produktvielfalt geht – egal ob Motoren, Getriebe, gesamte Fahrzeuge, über den Vertrieb, das Thema IT, Technologie - sind das Dinge, die wir selbst brauchen, die auch wichtig sind. Und da gehört die Beschäftigung innen ins Unternehmen und nicht in Werkverträge gepackt!"
Verzicht auf betriebliche Sozialleistungen und Zuschläge
Zum Beispiel bei Ingenieuren: Rund 15 Prozent der Fahrzeugentwicklung wird über Werkvertragsunternehmen abgewickelt. Und diese Beschäftigten haben keine vergleichbare Sicherheit des Arbeitsplatzes und verzichten auf betriebliche Sozialleistungen und Zuschläge.
"Also, wir haben 3100 Werksverträgler und haben rund 14.000 Stammbeschäftigte", erzählt er. "Wir haben ja Doktoranden, Diplomanden, dann haben wir Ferientätigkeiten. Ich würde dieses Felder gerne ausklammern wollen, sondern es beziehen auf die im Tarif angestellten Kolleginnen und Kollegen, weil das ist die direkte Vergleichsgröße. Von daher sind wir dort mit rund 3100 vielleicht heute zwischen neun und zehn Prozent, seit Jahren konstant bei dem Thema Werkvertragseinsatz. Und ich sage eine Größenordnung, die knapp unter zehn Prozent liegt, das ist eine Größenordnung, die so nicht sein dürfte."
Flexibilität als "Totschlagargument"
Das Argument Werkverträge seien Instrumente der Flexibilität, hält er für vorgeschoben: "Es geht doch nur um Kosten. Wir haben gerade eben darüber geredet, dass wir kontinuierlich über 3000 Menschen innerhalb der letzten zehn Jahre bei uns im Betrieb mit Werkverträgen unterwegs hatten. Und fast immer in den gleichen Gewerken. Das ist doch ein Totschlagargument, zu behaupten, das wäre dann Flexibilität. Sondern das ist Ersatz von Stammbelegschaft und hat mit Flexibilität im Sinne dessen, da ist mal eine Arbeit da, die wieder wegfällt, nichts zu tun."
Auch Stefan Sell sieht vor allem ein finanzielles Motiv hinter dem Boom der Werkverträge: "Weil sämtliche Arbeitgeberrisiken auf ein Werkvertragsunternehmen verlagert werden."
Die Freiheit des Unternehmers bestehe auch in der Organisation der Produktion. Und diese Organisation verändere sich, betont dagegen Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft. Dabei gehe es vor allem um flachere Wertschöpfungsketten, will sagen: Immer mehr Produktionsschritte würden vom Unternehmen nicht mehr selbst durchgeführt, sondern an andere Unternehmen ausgelagert.
"Also, es hat insofern eine Ausweitung gegeben, als dass Unternehmen flachere Wertschöpfungsketten haben", sagt er. "Das heißt: Viele Leistungen, die früher ein Unternehmen selbst gemacht hat, vergibt es jetzt an andere spezialisierte Anbieter, lässt sich die entsprechenden Produkte und Dienstleistungen zuliefern und integriert die in die eigene Produktion. Was ja auch dann zur Folge hat, dass wir produktiver sind."
"Es ist einfach falsch, mit Menschen so umzugehen"
Für die Gewerkschaften und die Vertreter der Belegschaften ist die ganze Richtung falsch und sie würden die Sonderwirtschaftszone Werkvertrag gerne weitgehend abwickeln.
"Und als Betriebsrat würde ich mir wünschen, ich sage auch das hier so offen, dass man diese Art der Beschäftigung schlicht und ergreifend in den Feldern, von den wir jetzt gerade gesprochen haben, einfach abstellt", sagt Jörg Spies. "Es ist einfach ein falscher Umgang, mit Menschen so umzugehen. Es gibt eine unternehmerische Verantwortung und solche Werkverträge gehören eigentlich der Vergangenheit an."