Eine Blutorgie für den Heiligen Franziskus

Von Bernhard Doppler |
Holzkreuze, nackte Männer - und jede Menge rote Farbe: Der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch bringt Olivier Messiaens Oper über Franz von Assisi als sakrales Blut-Ritual auf die Bühne.
Sein Ziel sei es, endlich einmal Richard Wagners "Bühnenweihfestspiel" "Parsifal" in Szene setzen zu dürfen, erklärte Hermann Nitsch auch diesmal wieder vor der Produktion von Messiaens einzigartiger Oper "Saint Francois". Vermutlich hätte das auch keinen so großen Unterschied gemacht, denn gleich, ob es sich um "Faust" in Zürich (nach Schumann) , "Salome" in Wien (nach Massenete) oder nun "Saint Francois" in München handelt, Hermann Nitschs bisherigen Operninszenierungen sind nicht herkömmliches Regietheater, sondern die immer gleichen austauschbaren sakralen Rituale.

Nitschs Opernarbeiten sind durchaus eine konsequente Entwicklung vom Wiener Aktionismus, als dessen Vertreter der Maler Nitsch in den 60er-Jahren provozierte. Statt des Inhalts eines Bildes standen seine Mittel, die Farbe, vor allem die Herstellung des Bildes im Mittelpunkt. Tiere wurden mit blutigen Händen ausgeweidet, in Obst und Gemüse getrampelt, Farbe und Blut über Leinwände und gefesselte nackte Körper geschüttet. In seinem Schlossgut Prinzendorf weitete Nitsch diese Mal-Aktionen zu einem Gesamtkunstwerk, dem sechstägigen "Orgienmysterientheater" aus, eine Art sakral-archaisches Volksfest mit Schlachtungen, Morgengebeten, Blutverkostungen und Berauschungen.

Spätestens hier wurde Nitschs Aktionismus museal, die Videos des Orgienmyterientheaters und die bei den Aktionen erzeugten Schüttbilder erzielten hohe Verkaufswerte. In den Operninszenierungen schließlich ist die Malaktion des Wiener Aktionismus selbst Gegenstand einer Theatervorstellung: ein Paradox. Auch in der Bayrischen Staatsoper werden Holzkreuze aufgebaut, nackte Männer daran gebunden und mit roter Farbe begossen - aber auch Eimer mit Farben von weißen Maler-Assistenten auf Leinwände geschüttet. Malen als Messe. Chor und Solisten sind in priesterlichem Ornat. Die Bläser des Orchesters wie bei einem Volksfest auf der Bühne.

Dramaturgisch mag es durchaus einleuchten, Hermann Nitsch mit Messiaens Oper zu beauftragen. Die fast handlungslose Oper besteht aus sakralen Stationen - Kuss des Aussätzigen, Engelserscheinung, Vogelpredigt, Tod - und insbesondere die Stigmatisierung des Heiligen Franz im letzten Akt findet ihre Entsprechung in den Blutorgien bzw. Orgien mit dem Verschütten der Farbe Rot. Auch sieht sich der Heilige Franz im Opfertod in der Nachfolge Christi, wie auch Nitsch in seinen Ritualen den Opfertod Christi nachvollziehen will. Für den Opernbesucher kippt die Faszination in der Regel bald in Abwehr um. Der Farbrausch ermüdet. Liturgie also statt Regie.

Faszinierend allerdings die Musik, die nämlich an keiner Stelle behäbig oder gar weihrauchgeschwängert wirkt (wie es durchaus bei Wagners "Parsifal" der Fall ist), sondern anklopfend, tänzerisch - voller Fanfaren: ein spirituelles und intellektuelles Erlebnis, abgeleitet von einem anspruchsvollen Wahrheitsbegriff. "Gott blendet den Menschen durch die Überfülle der Wahrheit, Musik lässt mit Gott sprechen durch den Mangel an Wahrheit", formuliert es der Engel. Gottes Wahrheit verstehen wir also nicht, so der tiefgläubige Komponist, von dem auch das Libretto stammt. Wir können ihm uns nur - durch Musik - annähern. Es liegt wohl an Kent Nagano, Assistent von Messiaen, das die überlangen Szenen keine Sekunde langweilen, sondern voll dramatischer Energie pulsieren. Christine Schäfer klopft als Engel betörend an und Paul Gray vertraut man sich sehr gerne als Saint Francois auf der Reise durch Messiaens Welt an. "Ich habe Angst" ruft gleich zu Beginn und auch später Mitbruder Leon - am Ende: Verklärung.