Eine Brief-Liebe
Mit dem Schriftsteller Basil Schlupp und der evangelischen Theologin Maja Schneilin begegnen sich zwei, die in allerglücklichsten Eheverhältnissen leben. Und doch vermissen beide etwas, das sie zueinander führt. Dabei begegnen sie sich im Roman nur zwei Mal, ohne dabei miteinander zu sprechen.
Ein Empfang beim Bundespräsidenten ist nicht unbedingt der Ort, an dem man den Anfang einer Liebesgeschichte vermuten würde. Martin Walser stört das nicht, im Gegenteil: Gerade das Unwahrscheinliche, das ganz und gar Unmögliche interessiert ihn, und das Unwahrscheinlichste und immer wieder von neuem Allererstaunlichste ist doch die Liebe – oder das, was man der Einfachheit halber so nennt.
Seit dem Roman "Der Augenblick der Liebe" aus dem Jahr 2004 hat er in immer neuen Versuchen die Beständigkeit der Ehe mit dem Lieben über die Ehe hinaus in Einklang zu bringen versucht; "Kommen aber Gehen" lautete die Formel dazu, die den unauflöslichen Widerspruch in eine Pendelbewegung verwandeln sollte. Doch das konnte nicht gelingen. Am Ende stand stets der schmerzhafte Verzicht auf das "Gehen" zugunsten des Bleibens und die Erfahrung, dass es unmöglich ist, die Liebe in der Ehe und die Liebe außerhalb zugleich zu leben.
Das hat sich im neuen Roman "Das dreizehnte Kapitel" radikal geändert, obwohl Walser die Ausgangssituation hier noch einmal zuspitzt: In dem Schriftsteller Basil Schlupp und der evangelischen Theologin Maja Schneilin begegnen sich zwei, die in allerglücklichsten Eheverhältnissen leben und keine Minute daran denken, diese in Frage zu stellen. Und doch vermissen beide etwas, das sie zueinander führt. Dabei begegnen sie sich im ganzen Roman nur zwei Mal, ohne dabei miteinander zu sprechen.
Die Bindung, die zwischen ihnen entsteht und immer stärker wird, beruht auf nichts als Briefen (und im zweiten Teil auf E-Mails). In seinem Goetheroman "Ein liebender Mann" hat Walser die Briefform für sich (oder vielmehr für Goethe) entdeckt. Jetzt hat er einen ganzen Briefroman geschrieben.
Alles, was an Zuwendung, Gefühl und Verbundenheit entsteht zwischen Basil Schlupp und Maja Schneilin, ist aus Sprache gebaut. Es ist eine regelrechte Wortekstase, in die sich vor allem der Schriftsteller hineinsteigert. Die Theologin bleibt nüchterner. "Unsere Buchstabenketten sind Hängebrücken über einen Abgrund namens Wirklichkeit", schreibt er an sie, doch ihr ist dieses Bild immer noch zu fest, zu zuversichtlich: Für sie hängt die Brücke ohne Pfeiler in der Luft. Sie will "voraussetzungslos bauen" und bezieht sich damit auf ihren Lehrmeister Karl Barth und dessen negative Theologie der "Hoffnung auf keine Hoffnung hin".
Damit greift Walser Gedanken aus seinem im Frühjahr erschienenen Essay "Über Rechtfertigung" auf und führt die in dem vorigen Roman "Muttersohn" begonnene Auseinandersetzung mit dem Glauben weiter. Weil Gott fehlt, ist er vorhanden, sonst wäre der Mangel nicht zu spüren. Für die Liebe ergibt sich daraus im Unmöglichen der Freiraum, in dem sie stattfinden kann.
Glaube und Liebe, so zeigt sich jetzt, vollziehen sich nach den selben Mustern. Glaubende und Liebende halten hartnäckig daran fest, das Unglaubliche für glaubhaft und das Unmögliche für möglich zu halten. Auch das Schreiben selbst ist für Walser eine damit verwandte produktive Bewegung, wenn er immer wieder beteuert: "Meine Muse ist der Mangel".
Gerade da, wo nichts ist, auch keine Hoffnung, kann im Schreiben etwas entstehen. Die beiden Brief-Liebenden beweisen das, auch wenn am Ende ein endgültiges Schweigen steht und ihre sprachliche Annäherung keine Entsprechung in der körperlichen Wirklichkeit findet.
Ja, mehr noch: Ihre Bewegung aufeinander zu ist eine fortgesetzte Bekräftigung ihrer jeweiligen Eheverhältnisse. "Ich habe immer schon alle Ihre Sätze wie direkte Berührungen erlebt", schreibt Basil Schlupp. Kann man es schöner sagen?
Besprochen von Jörg Magenau
Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel
Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012, 272 Seiten, 19,95 Euro
Seit dem Roman "Der Augenblick der Liebe" aus dem Jahr 2004 hat er in immer neuen Versuchen die Beständigkeit der Ehe mit dem Lieben über die Ehe hinaus in Einklang zu bringen versucht; "Kommen aber Gehen" lautete die Formel dazu, die den unauflöslichen Widerspruch in eine Pendelbewegung verwandeln sollte. Doch das konnte nicht gelingen. Am Ende stand stets der schmerzhafte Verzicht auf das "Gehen" zugunsten des Bleibens und die Erfahrung, dass es unmöglich ist, die Liebe in der Ehe und die Liebe außerhalb zugleich zu leben.
Das hat sich im neuen Roman "Das dreizehnte Kapitel" radikal geändert, obwohl Walser die Ausgangssituation hier noch einmal zuspitzt: In dem Schriftsteller Basil Schlupp und der evangelischen Theologin Maja Schneilin begegnen sich zwei, die in allerglücklichsten Eheverhältnissen leben und keine Minute daran denken, diese in Frage zu stellen. Und doch vermissen beide etwas, das sie zueinander führt. Dabei begegnen sie sich im ganzen Roman nur zwei Mal, ohne dabei miteinander zu sprechen.
Die Bindung, die zwischen ihnen entsteht und immer stärker wird, beruht auf nichts als Briefen (und im zweiten Teil auf E-Mails). In seinem Goetheroman "Ein liebender Mann" hat Walser die Briefform für sich (oder vielmehr für Goethe) entdeckt. Jetzt hat er einen ganzen Briefroman geschrieben.
Alles, was an Zuwendung, Gefühl und Verbundenheit entsteht zwischen Basil Schlupp und Maja Schneilin, ist aus Sprache gebaut. Es ist eine regelrechte Wortekstase, in die sich vor allem der Schriftsteller hineinsteigert. Die Theologin bleibt nüchterner. "Unsere Buchstabenketten sind Hängebrücken über einen Abgrund namens Wirklichkeit", schreibt er an sie, doch ihr ist dieses Bild immer noch zu fest, zu zuversichtlich: Für sie hängt die Brücke ohne Pfeiler in der Luft. Sie will "voraussetzungslos bauen" und bezieht sich damit auf ihren Lehrmeister Karl Barth und dessen negative Theologie der "Hoffnung auf keine Hoffnung hin".
Damit greift Walser Gedanken aus seinem im Frühjahr erschienenen Essay "Über Rechtfertigung" auf und führt die in dem vorigen Roman "Muttersohn" begonnene Auseinandersetzung mit dem Glauben weiter. Weil Gott fehlt, ist er vorhanden, sonst wäre der Mangel nicht zu spüren. Für die Liebe ergibt sich daraus im Unmöglichen der Freiraum, in dem sie stattfinden kann.
Glaube und Liebe, so zeigt sich jetzt, vollziehen sich nach den selben Mustern. Glaubende und Liebende halten hartnäckig daran fest, das Unglaubliche für glaubhaft und das Unmögliche für möglich zu halten. Auch das Schreiben selbst ist für Walser eine damit verwandte produktive Bewegung, wenn er immer wieder beteuert: "Meine Muse ist der Mangel".
Gerade da, wo nichts ist, auch keine Hoffnung, kann im Schreiben etwas entstehen. Die beiden Brief-Liebenden beweisen das, auch wenn am Ende ein endgültiges Schweigen steht und ihre sprachliche Annäherung keine Entsprechung in der körperlichen Wirklichkeit findet.
Ja, mehr noch: Ihre Bewegung aufeinander zu ist eine fortgesetzte Bekräftigung ihrer jeweiligen Eheverhältnisse. "Ich habe immer schon alle Ihre Sätze wie direkte Berührungen erlebt", schreibt Basil Schlupp. Kann man es schöner sagen?
Besprochen von Jörg Magenau
Martin Walser: Das dreizehnte Kapitel
Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2012, 272 Seiten, 19,95 Euro