Eine Buchsammlung als Mahnung und Kulturgut

Von Barbara Roth |
Georg Salzmann sammelt seit mehr als 30 Jahren Erstausgaben jener Schriftsteller, deren Werke bei den Bücherverbrennungen der Nazis im Mai 1933 in Flammen aufgingen. Salzmanns Sammlung umfasst mehr als 14.500 Bände und ist weltweit einzigartig, enthält sie doch unter anderem den kompletten Stefan Zweig. Jetzt soll sie nach dem Willen des Bayerischen Landtags eine feste Bleibe in der Augsburger Universitätsbibliothek bekommen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Ein schlichtes Einfamilienhaus in Gräfeling bei München: Georg Salzmann führt Besucher in den Keller.

"Das ist jetzt der Archivbestand."

Er öffnet eine Tür, dahinter drei kleine, dunkle Räume. An den Wänden meterlange Regale bis hoch zur Decke. Tische, ein paar Stühle. Und überall Bücher - nichts als Bücher. Dicht gedrängt in den Regalen, meterhoch gestapelt auf den Tischen, sogar auf den Stühlen. Salzmann hat sie nie gezählt; er schätzt, dass es etwa 14.500 sind.

"Die obere Reihe links ist der komplette Carl Zuckmayr, daneben ist der komplette Josef Roth, der komplette Erich Maria Remarque, der komplette Hans Habe, die komplette Vicki Baum ... Das hier ist bis auf zwei ganz frühe Theaterstücke der absolut komplette Lion Feuchtwanger."

Er zählt Namen von Autoren auf - minutenlang. Es sind über 100 Schriftsteller, die von Nazis ermorden oder ins Exil getrieben worden sind; deren Bücher vor 75 Jahren verbrannt und verboten worden sind. Sein halbes Leben hat der heute 79-Jährige damit verbracht, ihre Werke - es sind vor allem Erstausgaben - zu sammeln. Er stöberte an den Wochenenden auf Flohmärkten und Dachböden. Er nutzte Urlaubsreisen mit der Familie, um in ganz Europa Antiquariate zu durchforsten.

"Ich stamme aus einem tiefbraunen Elternhaus. Mein Vater und mein Großvater waren alte Nationalsozialisten. Und ich bin natürlich in diesem Umfeld indoktriniert worden: Schule, Hitlerjugend, Elternhaus. Und dann hat sich mein Vater am 7. April 1945, als die Amerikaner einmarschierten, erschossen. Und ich musste durch den Tod meines Vaters mein Leben neu organisieren und einen neuen Weg suchen. Und da habe ich in Weimar in der Volksbuchhandlung den 'Jüdischen Krieg', das ist eine Trilogie, von Lion Feuchtwanger gelesen. Damit fing es an."

Als 16-Jähriger las er mit wachsender Begeisterung, was ihm zuvor die Eltern und der Nazi-Staat verboten hatten. In den 70er Jahren, Salzmann war mit seiner Frau nach Westdeutschland geflohen und ließ sich in München nieder, ergriff ihn die Sammelleidenschaft dann richtig und er begann systematisch damit, nach Exilliteratur zu forschen.

"Das ist mein Herzblut: Das ist der komplette - bis auf eine winzige Ausnahme - der komplette Stefan Zweig. Auf den bin ich besonders stolz, weil es den in der Form nicht wieder gibt. Ich habe genügend Stefan Zweig-Forscher hier gehabt, die sich bei mir hier Fotokopien gemacht haben. Es fehlen nur die Worte am Sarg von Siegmund Freud. Hier: 'Die Schachnovelle'. Die ist ja nur in Argentinien erschienen mit 250 Exemplaren. Die habe ich aus einem Antiquariat in Hamburg. Da habe ich die Rechnung noch. Das war damals für mich sehr viel Geld: 1.500 Mark habe ich damals bezahlt. 1991. Aber das kriegen Sie für das Geld heute bei weitem nicht mehr."

Sein ganzes privates Vermögen hat Salzmann in die Sammlung gesteckt. Seine Frau und die beiden Töchter, erzählt er, mussten auf viele Dinge verzichten.

"Oskar Maria Graf hat ein Kinderbuch geschrieben, ein Indianerbuch. Das habe ich in Bamberg gekauft, wir wollten zwei, drei Tage Bamberg entdecken. Da gehe ich an einem Antiquariat vorbei, das lag es auf einem Tisch und da habe ich gesagt, für 800 nehme ich es mit. Es kostet sehr viel mehr. Ich habe es gekauft und habe zu meiner Frau gesagt, jetzt können wir gleich wieder nach Hause fahren. Ich habe eben das ganze Geld für ein Buch ausgegeben."

Salzmann hat den Wert seiner Sammlung auf 450.000 Euro festgelegt. Für diese Summe bietet er sie dem Freistaat Bayern zum Kauf an, obwohl er dafür schon weit mehr hätte haben können. Eine amerikanische Universität hatte ihm mal eine Million US-Dollar geboten. Doch der Kaufmann im Ruhestand lehnte ab: Die Bücher sollen in Deutschland bleiben - als Mahnung und als Kulturgut.

"Es bleibt in Deutschland. Inzwischen habe ich mich da festgefressen: Es bleibt hier. Es soll für die nächste Generation als Präsenzbibliothek dienen, auch zur wissenschaftlichen Ausarbeitung. Wenn es in Amerika ist, dann ist es zugänglich für die amerikanischen Studenten, und das will ich nicht. Mich treibt um, dass den Nazis es doch noch gelingen könnte, dass eine ganze Generation von Autoren vergessen wird. Das ist etwas, was mich echt bewegt."

Der Kulturausschuss des bayerischen Landtags gab am Mittwochvormittag grünes Licht: Der Freistaat soll die Salzmann-Sammlung mit Hilfe privater Sponsoren kaufen. In einem Gutachten der Bayerischen Staatsbibliothek heißt es wörtlich, der Bücherbestand sei in seiner Qualität und Quantität nicht zu übertreffen. Etwa 80 Autoren sind in Salzmanns Bibliothek fast vollständig oder lückenlos dokumentiert. Weitere 30 Autoren zumindest mit ihren wichtigsten Werken vertreten. Die SPD-Abgeordnete Hildegard Kronawitter zur Expertise.

"Jetzt ist von einer staatlichen Einrichtung festgelegt worden ist, dass es eine einzigartige Sammlung ist und dass es unbedingt wert ist, sie als Kulturgut zu sichern. Diese Aussage ist elementar für die nächsten Schritte. Insofern haben wir jetzt die Aussage einer Einrichtung, die sich früher so nicht äußern wollte."

Vier Wochen hat das bayerische Kultusministerium nun Zeit, sich mit Salzmann einig zu werden. Der Kaufpreis, den man ihm anbieten will, bleibt aus verhandlungstaktischen Gründen geheim. Künftiger Standort der "Bibliothek der verbrannten Bücher" soll Augsburg oder das NS-Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichparteitagsgelände in Nürnberg sein. Eine knappe Mehrheit im Kulturausschuss favorisiert die Universitätsbibliothek in Augsburg, wo die Sammlung unter wissenschaftlicher Anleitung der Öffentlichkeit rasch zugänglich gemacht werden kann.

Hildegard Kronawitter: " Es gibt einen guten Forschungsstand über die Exilliteratur der NS-Zeit. Die andere Ebene muss sein, jeder nachwachsenden Generation sichtbar zu machen, was Literatur in Freiheit bedeutet. Da braucht man die unmittelbare Erfahrung, das gehörte Wort, um nachvollziehen zu können, warum hat man die Freiheit des Geistes so gefürchtet."

Salzmann ist froh, dass nach jahrelangem staatlichem Desinteresse der Wert seiner Sammlung nun endlich anerkannt wird. Der 79-Jährige will, so sagt er, seine Angelegenheiten regeln, bevor er stirbt. Die Sammlung zu verschenken - wozu ihn einst die Stadt München aufgefordert hatte - das könne er seinen Töchtern nicht antun, denn mehr als seine Bücher habe er nicht zu vererben.

"Ich werde dünnhäutiger und ich werde nervös, ich werde immer älter. Und die biologische Uhr tickt, das ist das Problem. Ich werde immer älter. Und wenn ich die Augen zumache, weiß ich nicht, was damit passiert."
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