Eine Chance der Parlamente

Von Ernst Rommeney, Deutschlandradio Kultur · 10.09.2011
Sie haben ihnen den Rücken gestärkt - wieder einmal! Aber helfen können die Bundesverfassungsrichter den Bundestagsabgeordneten nicht. Sie müssen selbst dafür sorgen, dass ihnen das Haushaltsrecht nicht entgleitet, und auch selbst entscheiden, welche finanziellen Risiken sie zu übernehmen bereit sind.
Vor ihnen liegen die Entwürfe für den nächsten Haushalt und den künftigen Rettungsschirm für die Eurozone. Was immer sie beschließen, sie handeln nicht nur in nationaler, sondern auch in europäischer Verantwortung. Historisch gesehen neu an der EU ist es ja gerade, dass der Binnenmarkt, der Euro, die politische Union und die militärischen Außenlandseinsätze nicht - wie die klassische Außenpolitik - von Regierungen bestimmt werden.

Ein gemeinsames Europa, so hat es das Bundesverfassungsgericht mehrfach deutlich gemacht, wird parlamentarisch kontrolliert – entweder durch 27 nationale oder durch eine europäische Volksvertretung. Und so steht es bereits in den Verträgen. Nur offenbart die Krise um die Staatsschulden, dass die Parlamentarier nicht geübt sind, ihr umfassendes Mandat wahrzunehmen.

Die Europäische Union mag durch große Staatsmänner geschaffen worden sein, ihre Bewährungsprobe wird sie in den Parlamenten bestehen müssen. Eines der Prinzipien Europas ist die Subsidiarität. Sie bedeutet, dass jede Ebene – Gemeinde, Region oder Bundesland, Nation und EU – die Aufgaben erledigt, die sie am besten kann, für die sie zuständig ist.

Umgekehrt gilt dann auch, wer von der nächsthöheren Ebene nicht entmündigt werden will, muss selbst nachweisen, dass er solide wirtschaften kann – in guten wie in schlechten Zeiten. Leider hat das Prinzip der Subsidiarität versagt. Deswegen schleichen durch Europa Angst und Misstrauen. Schuldnerstaaten werden angezählt und Staatsanleihen abgestoßen. Banken verweigern einander Kredite und Aktienkurse fallen. Alle fürchten um ihr Geld.

Diese Krise ist heilsam. Denn sie zwingt zu abgestimmtem Handeln. Sonst kehrt Vertrauen nicht zurück. Es gibt auch keinen Ausweg. Eine EU, die dem Mezzogiorno nicht helfen kann, eine Eurozone, die Griechenland ausschließt, wird nicht überzeugen, dass sie Kraft und Ideen hat, dem ganzen Kontinent eine wirtschaftliche und soziale Perspektive geben kann.

Die strukturschwachen Regionen Europas voranzubringen, erweist sich immer wieder als Kärrnerarbeit, vor der es kein Entrinnen gibt – auch nicht durch Grundsatzdiskussionen. Der Euro ist eingeführt und stark, aber er ist eben nicht alles.

Nun soll eine Wirtschaftsregierung helfen, vielleicht auch ein europäischer Finanzminister. Aber der Europäische Rat – und mit ihm unsere Bundeskanzlerin - wiederholt seine alten Fehler. Er will solche Aufgaben europaweiter Koordination an sich ziehen. Sie gehörten aber besser zur Brüssler EU-Administration und damit zugleich in die Obhut des Europäischen Parlaments.

Ein Vorbild könnte ja das Amt der EU-Außenbeauftragten sein. Doch Catherine Ashton und ihr Diplomatischer Dienst werden eher sabotiert als unterstützt. Diese Haltung macht den EU-Rat unglaubwürdig. Da könnten die Abgeordneten im Bundestag gemeinsam mit den Europaparlamentariern gegenhalten. Nationale Eifersüchteleien jedenfalls schaffen kein Vertrauen.

Die besten Antworten auf die kombinierten Krisen der Finanzmärkte, Banken und Staatsanleihen kommen ja aus dem Europaparlament, beispielsweise Haushaltskontrolle und Schuldenbremse zu verbinden mit regionaler Strukturpolitik. Jedes Land hat die gleichen Hausaufgaben, kommunale Finanzen zu sichern, mit denen Leistungen für die Bürger bezahlt werden, und gleichzeitig die Märkte zu beachten, auf denen das Geld dazu verdient wird.

Es ist nicht nachzuvollziehen, warum sich die nationalen Parlamente nicht mit dem europäischen abstimmen, warum sie nicht ein gemeinsames Konzept entwerfen. Sie sind souverän genug, um selbst zu handeln, brauchen nicht auf die EU-Kommission oder den Rat zu warten.

Schnelle Lösungen wird es nicht geben. Aber einen Masterplan, der schrittweise, nachprüfbar umgesetzt wird, würde helfen, gegen Angst und Misstrauen anzugehen, und beweisen, dass die Europäische Union fähig ist, Krisen zu bewältigen. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht den Parlamentariern den Rücken gestärkt.

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