"Eine der letzten Familiensendungen"

Die Quiz-Show "Wer wird Millionär" zählt zu den am längsten ausgestrahlten Sendungen im deutschen Fernsehen. Heute Abend, zur besten Sendezeit, läuft sie zum 1.000sten Mal. Dass sie so erfolgreich ist, liegt für Moderator Günther Jauch vor allem an den Kandidaten - und am nahezu unveränderten Konzept.
Ulrike Timm: 36.306 Euro, das ist der Durchschnittsgewinn, mit dem ein Kandidat bei "Wer wird Millionär?" nach Hause geht. Dafür kann man wirklich schon mal eine Stunde lang schwitzen. Zuhause im Wohnzimmer sitzen dann Millionen und raten mit, denken dann womöglich, also, wenn ich da jetzt säße, das Geld wäre mir doch sicher, oder sie überlegen, was sie jetzt täten: riskieren, nicht riskieren, Joker setzen oder doch besser aufhören? Heute Abend jedenfalls ist die 1000. Folge von "Wer wird Millionär?", und einer ist immer dabei: Günther Jauch. Ich grüße Sie!

Günther Jauch: Guten Tag!

Timm: Erst mal Glückwunsch und Chapeau, dass Sie so lang durchgehalten haben!

Jauch: Danke schön, aber es gibt ja schwierigere Berufe in diesem Land.

Timm: Es gibt Schlimmeres. 1000. Sendung heute, fast drei Stunden lang – lassen Sie da eine Million springen, so oder so, oder müssen sich die Kandidaten die Million heute genau so hart erarbeiten wie sonst auch?

Jauch: Also sie müssen sie sich im Prinzip genau so hart erarbeiten wie sonst, mit zwei Ausnahmen: Wir werden heute Abend einen fünften, einen Jubiläumsjoker, zur Verfügung stehen haben, der aus einer Jury von drei Millionären besteht, also Menschen, die bei uns schon mal eine Million gewonnen haben – Barbara Schöneberger, Oliver Pocher, und der letzte Millionengewinner mit seinem Café, das er in Hannover betreibt, also drei sehr kluge Leute, auf deren Rat man dann auch noch mal zurückgreifen kann –, und zum Zweiten haben wir uns ausgedacht, dass heute Abend wir in jedem Fall einem der Kandidaten die Eine-Million-Euro-Frage stellen werden. Das heißt also, es gibt heute Abend tatsächlich die Chance, mit einer Frage die Million zu gewinnen.

Timm: Ist Ihr Auftraggeber eigentlich sauer, wenn jemand die Million knackt? Ich meine, dann wird doch der Abend ziemlich teuer.

Jauch: Habe ich auch lange Zeit gedacht und auch immer mal nachgefragt. Es war interessanterweise so, dass in den ersten Sendungen – allerdings dauerte das nicht sehr lange –, da war der Millionengewinn sogar versichert bei einer englischen Versicherung. Das war sehr nervig, da standen dann immer des Deutschen überhaupt nicht mächtige Menschen in der Regie und gestikulierten, ließen sich dann Fragen übersetzen und sagten dann, oh, die ist doch viel zu einfach, um Himmels willen, das geht doch alles gar nicht. Und davon hat man sich sehr schnell verabschiedet, weil, glaube ich, auch die Prämie relativ teuer war. Also seitdem zahlt RTL das eins zu eins, und mir wird immer gesagt, wir freuen uns, wenn die Million mal wieder rausgeht, das zeigt, dass sie eben gewinnbar ist, das bringt auch wieder ein bisschen Stimmung in die Bude und draußen merken die Leute, aha, da geht tatsächlich was. Und man muss ja auch sagen, in zwölf Jahren haben zehn Menschen diese Million gewonnen und das ist ja eigentlich ein ordentlicher Schnitt.

Timm: Sie haben schon so, so viele Fragen gestellt. Kam man denn etwa in den ersten Sendungen, sagen wir, leichter ans Geld? Waren die teuren Fragen da weniger schwer?

Jauch: Ja, das wird heutzutage von manchen behauptet, unter anderem auch von unserem ersten Millionengewinner, dem Universitätsprofessor Freise aus Wuppertal, der rückblickend sagt, dass er meint, dass seine Fragen noch leichter gewesen seien. Nun ist das zum einen immer subjektiv, zum Zweiten muss ich aber auch sagen, dass früher doch öfter Menschen total naiv in unsere Sendung gerumpelt sind und wirklich von gar nichts eine Ahnung hatten, während ja jetzt, nach mittlerweile fast 13 Jahren jeder weiß, was in dieser Sendung gefordert wird, und ich sage mal, die Leute, die völlig nackt da stehen würden, die bewerben sich schon gar nicht. Also insofern ist auch, glaube ich, das Niveau der Leute, die da sitzen – auch wenn man manchmal die Hände vors Gesicht schlagen möchte –, ist insgesamt, glaube ich, doch gestiegen.

Timm: Welche Kandidaten sind Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben in den 13 Jahren?

Jauch: Ach, klar, der erste Millionen-Gewinner bleibt einem in Erinnerung, die zweite übrigens auch, weil das eine arbeitslose Hausfrau war und damit im Grunde der Bogen geschlagen war, was ich von Anfang an immer behauptet habe, dass in dieser Sendung wirklich vom Vollakademiker bis zum Arbeitslosen jeder tatsächlich die Chance hat, auch die Million zu gewinnen, und so war das dann auch. Unvergessen ist mir sicherlich Hape Kerkeling, der als Horst Schlämmer einfach mal das Ganze umgedreht hat und mir die Fragen gestellt hat. Und ich denke immer noch sehr oft an einen Lüftungsmonteur zurück, das war noch zu D-Mark-Zeiten, der 500.000 Mark gewonnen hatte. Und von der Biografie her war das einer, der eben den ganzen Tag in Deutschland unterwegs war und irgendwelche Lüftungen montieren musste und dann auch erzählte, dass er in irgendwelchen trostlosen Pensionen untergebracht war. Und da sage ich: Aber wie ist denn das, acht Stunden müssen Sie Lüftungen montieren, acht Stunden müssen Sie ja im allgemeinen schlafen – was machen Sie denn mit den restlichen acht Stunden? Da sagt er: Ja, da könnte ich mich dann an die Bar setzen oder Fernsehen gucken oder einfach aus dem Fenster, aber da gehe ich dann in Museen, da interessiere ich mich für die Städte, in denen ich bin, da lese ich eine ganze Menge. Und da habe ich gemerkt, dass man unabhängig vom formalen Bildungsabschluss tatsächlich in der Lage ist, sich viel anzueignen – Kultur, Wissen, Bildung in sein Leben reinzulassen –, und dann irgendwann auch davon zu profitieren.

Timm: Also die Gleichung Bücherwissen plus Uniabschluss macht zuverlässig reich, die stimmt offenbar nicht.

Jauch: Nein.

Timm: Hat sich eigentlich in all den Jahren schon mal eine Frage bei Ihnen gedoppelt?

Jauch: Nicht bei uns, weil das wohl die Computer der Fragenredaktion ausschließen. Aber es hat schon so Dinge gegeben, dass andere Sendungen, die ja interessanterweise nicht ganz unähnlich dann oft im Vergleich zu unserer Sendung daherkommen, dass die auf die identische Frage gekommen sind, und dann manchmal …

Timm: Was für ein Zufall.

Jauch: … ja, und dann manchmal vor uns ausgestrahlt haben, und dann sahen wir dumm aus, obwohl wir unsere Sendung vorher schon aufgezeichnet hatten. Also da gab es zum Teil manchmal so parallele Fragestellungen – aber nicht innerhalb unserer Sendung.

Timm: Das ist ja auch ärgerlich, dann kann man keinen Joker mehr ziehen.

Jauch: So ist es.

Timm: Herr Jauch, Hand aufs Herz: Erinnern Sie sich selbst an irgendeine popelige 500-Euro-Frage, an der Sie selbst gescheitert wären? Das gibt es doch, so Flecken, die alle kennen außer mir?

Jauch: Also wissensmäßig nicht. Manchmal ist es so, dass wir – oder öfter ist es mittlerweile so, dass wir diese ersten fünf Fragen eher so als halbe Scherzfragen, dass die da konzipiert werden, und dann steht man einfach auf dem Schlauch und durchschaut den doppelten Boden nicht, den diese Frage hat. Wenn man aber mit ein bisschen weniger Aufregung und etwas analytisch rangeht, sind die ja eigentlich – speziell die 500-Euro-Fragen – immer zu knacken.

Timm: Ich hatte das mal, irgendeine Pop-Band, kannten alle außer mir. War sehr peinlich. Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit Günther Jauch aus Anlass der 1000. Sendung von "Wer wird Millionär?". In einer Sendung, Herr Jauch, ist es mal passiert, dass sich aus der Auswahlrunde dreimal niemand für den heißen Stuhl qualifiziert hat. Was haben Sie da gedacht, das Team hat lauter Doofies engagiert, oder eher, jetzt sind wir zu schwierig und werden elitär?

Jauch: Ich glaube, dass ich da eher mit den Doofies gerechnet habe, wobei man ja in Rechnung stellen muss, es geht ja zum einen um das Wissen, also die richtige Reihenfolge bei der Auswahlfrage, zum Zweiten aber natürlich auch um Schnelligkeit. Und da vertippen sich dann einfach doch Menschen. Also die wissen eigentlich, wie die richtige Antwort ist, wollen aber ganz schnell sein, und in der Hektik machen sie dann einfach Eingabefehler, das muss man immer mit berücksichtigen.

Timm: Sie haben ja viele Nachahmer gefunden, die nicht ganz so erfolgreich sind. Am Format selbst ist in all den Jahren eigentlich nur homöopathisch was verändert worden. Was meinen Sie selbst, warum ist diese Quizsendung so unkaputtbar?

Jauch: Zum einen habe ich selbst auch immer Wert drauf gelegt, dass nur kleine, meistens kosmetische Änderungen an der Sendung vorgenommen wurden und man nicht ständig alle zwei Jahre, wie es im Mediendeutsch heißt, einen Relaunch forciert hat. Ich glaube, dass das Erfolgsgeheiminis der Sendung ist, dass Sie vor dem Fernseher sitzen, und das im besten Sinne des Wortes interaktives Fernsehen ist. Sie können sofort immer prüfen, Sie können sich erst mal identifizieren mit dem Kandidaten, der da sitzt, oder sie können den ganz entsetzlich blöd finden. Dann können Sie prüfen, ob der mehr weiß oder ob Sie mehr wissen. Sie können zwischendurch durch einen Telefonanruf abgelenkt sein, kommen zehn Minuten später wieder, finden sofort durch irgendeine andere Frage wieder den Einstieg, können auch mal vor Ende der Sendung sagen, jetzt habe ich keine Lust mehr, sind in der nächsten Sendung automatisch aktuell wieder auf der Höhe des Geschehens. Sie können Menschen kennenlernen innerhalb ihrer Familie: Die Oma, die sitzt neben Ihnen, die weiß es auch nicht, aber neben Ihnen das siebenjährige Enkelkind, das kriegt dann auf einmal die Märchenfrage hin. Und das macht, glaube ich, diese Sendung noch zu einer der letzten Familiensendung im deutschen Fernsehen.

Timm: Welche Kandidaten liegen Ihnen denn mehr: die Vorsichtigen oder die mit dem Zocker-Gen?

Jauch: Ja, natürlich die, die etwas riskieren. Aber mir gefallen besonders Kandidaten, die ich zu Beginn, wenn ich sie sehe, die paar Sekunden, und wenn ich diese Karte mit den dürren biografischen Details mir durchlese, wenn ich die in eine bestimmte Schublade stecke. Also arroganter Banker, oder ahnungslose Friseurin, oder langweiliger Angestellter. So, und wenn die es dann schaffen – und das passiert sehr, sehr oft –, aus dieser Schublade, in die ich sie praktisch ideologisch dann mal reingesteckt habe, innerhalb von drei, vier, fünf Minuten herauszuspringen und wirklich wie Phönix aus der Asche meine ganzen Klischees, die ich im Kopf hatte, Lügen zu strafen. Und das sind eigentlich so die schönen Momente, die ich auch sehr genieße.

Timm: Und jetzt nehmen wir Sie beim Wort, heute Abend gibt es in jedem Fall eine Million, eventuell auch für etwas weniger Arbeit als sonst. Heute Abend die 1000. Sendung von "Wer wird Millionär?". Vielen Dank, Günther Jauch!

Jauch: Danke!

Timm: Und 15:50 Uhr in unserer Debatte, da wollen wir Sie fragen: Raten Sie eigentlich noch mit?


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema