Die Dutschkes aus Luckenwalde
Rudi Dutschke wird 1940 geboren und wächst im brandenburgischen Luckenwalde auf. Als überzeugter Christ darf der junge Mann in der DDR nicht studieren und so geht Dutschke nach West-Berlin. Seine Familie bleibt im Märkischen, wo es den Studentenführer später immer wieder hinzieht.
Vietnamkongress, Chor:
"Ho, Ho, Ho-Chi-Minh!...Ho, Ho, Ho-Chi-Minh!"
Rudi Dutschke:
"Es lebe…"
Creedence Clearwater Revival, "Fortunate Son":
"Some folks are born made to wave the flag. Ooh, they're red, white and blue. And when the band plays ´Hail to the chief`, ooh, they point the cannon at you, Lord. It ain't me, it ain't me, I ain't no senator's son, son It ain't me, it ain't me, I ain't no fortunate one, no."
O-Ton Rudi Dutschke:
"…Es lebe…Es lebe…"
"Some folks are born made to wave the flag. Ooh, they're red, white and blue. And when the band plays ´Hail to the chief`, ooh, they point the cannon at you, Lord. It ain't me, it ain't me, I ain't no senator's son, son It ain't me, it ain't me, I ain't no fortunate one, no."
Er kam aus der brandenburgischen Provinz und dachte groß, weltumspannend.
"Es lebe… Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie Gesellschaft der ganzen Welt und nicht nur eines Dorfes!"
Torsten Dutschke: "Also, er war ´n total cooler Hund. Also man konnte mit ihm reichlich Späße machen. Er war ja auch der jüngste der Brüder, war herzlich, liebevoll, auch zu seinen Kindern, ´n liebevoller Vater. Er war eben halt auch der besondere Onkel, der nicht irgendwie ständig da war. Der eben halt ab und zu mal zu Besuch kam."
Torsten Dutschke war sieben oder acht, als er seinen Onkel Rudi in den frühen 70er-Jahren zum ersten Mal sah. Rudi, der am 7. März 1940 im brandenburgischen Schönefeld als letzter von vier Söhnen der Eheleute Elsbeth und Alfred Dutschke geboren war. Sportbegeistert, sprachgewandt und christlich erzogen. Rudi hätte gern Sportjournalistik studiert, aber als überzeugter Christ, der regelmäßig den Gottesdienst besuchte, lehnte er es ab, den freiwilligen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee zu leisten. Deshalb ließ der Arbeiter- und Bauernstaat den begabten jungen Mann nach dem Abitur 1958 nicht studieren. Rudi Dutschke setzte sich nach Westberlin ab, wo er auch am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus, war.
Sein Neffe Torsten Dutschke, der heute in der Luckenwalder Stadtverwaltung arbeitet, erinnert sich noch, wie sehr er seinen Lieblings-Onkel als Kind bewundert hat. Torsten ist der Sohn von Rudis zweitältestem Bruder Günter, Jahrgang 1934.
"Die üblichen Westverwandten haben immer Kaugummis und Schokolade mitgebracht. Rudi hat meistens Gespräche mitgebracht. Er wollte denn ja viel diskutieren, hat mit den Brüdern viel Skat gespielt und beim Skatspielen sehr viel über Politik geredet, weil er wissen wollte, wie sich die Situation hier darstellt, wie entwickelt sich der Sozialismus unter realen Bedingungen."
Luckenwalde, etwa 50 Kilometer südlich von Berlin gelegen, knapp 30.000 Einwohner zu DDR-Zeiten, heute 20.000. Brandenburgische Provinz, damals in der DDR: Bezirk Potsdam. Dass ein Sohn der bodenständigen, kleinbürgerlich-konservativen Familie Dutschke sich zu dem wohl größten Rebellen der westdeutschen Bundesrepublik aufschwingen würde: das hätten sich die Luckenwalder Dutschkes selbst in den abenteuerlichsten Träumen sicher nicht vorstellen können.
"Ho, Ho, Ho-Chi-Minh!...Ho, Ho, Ho-Chi-Minh!"
Rudi Dutschke:
"Es lebe…"
Creedence Clearwater Revival, "Fortunate Son":
"Some folks are born made to wave the flag. Ooh, they're red, white and blue. And when the band plays ´Hail to the chief`, ooh, they point the cannon at you, Lord. It ain't me, it ain't me, I ain't no senator's son, son It ain't me, it ain't me, I ain't no fortunate one, no."
O-Ton Rudi Dutschke:
"…Es lebe…Es lebe…"
"Some folks are born made to wave the flag. Ooh, they're red, white and blue. And when the band plays ´Hail to the chief`, ooh, they point the cannon at you, Lord. It ain't me, it ain't me, I ain't no senator's son, son It ain't me, it ain't me, I ain't no fortunate one, no."
Er kam aus der brandenburgischen Provinz und dachte groß, weltumspannend.
"Es lebe… Es lebe die Weltrevolution und die daraus entstehende freie Gesellschaft der ganzen Welt und nicht nur eines Dorfes!"
Torsten Dutschke: "Also, er war ´n total cooler Hund. Also man konnte mit ihm reichlich Späße machen. Er war ja auch der jüngste der Brüder, war herzlich, liebevoll, auch zu seinen Kindern, ´n liebevoller Vater. Er war eben halt auch der besondere Onkel, der nicht irgendwie ständig da war. Der eben halt ab und zu mal zu Besuch kam."
Torsten Dutschke war sieben oder acht, als er seinen Onkel Rudi in den frühen 70er-Jahren zum ersten Mal sah. Rudi, der am 7. März 1940 im brandenburgischen Schönefeld als letzter von vier Söhnen der Eheleute Elsbeth und Alfred Dutschke geboren war. Sportbegeistert, sprachgewandt und christlich erzogen. Rudi hätte gern Sportjournalistik studiert, aber als überzeugter Christ, der regelmäßig den Gottesdienst besuchte, lehnte er es ab, den freiwilligen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee zu leisten. Deshalb ließ der Arbeiter- und Bauernstaat den begabten jungen Mann nach dem Abitur 1958 nicht studieren. Rudi Dutschke setzte sich nach Westberlin ab, wo er auch am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus, war.
Sein Neffe Torsten Dutschke, der heute in der Luckenwalder Stadtverwaltung arbeitet, erinnert sich noch, wie sehr er seinen Lieblings-Onkel als Kind bewundert hat. Torsten ist der Sohn von Rudis zweitältestem Bruder Günter, Jahrgang 1934.
"Die üblichen Westverwandten haben immer Kaugummis und Schokolade mitgebracht. Rudi hat meistens Gespräche mitgebracht. Er wollte denn ja viel diskutieren, hat mit den Brüdern viel Skat gespielt und beim Skatspielen sehr viel über Politik geredet, weil er wissen wollte, wie sich die Situation hier darstellt, wie entwickelt sich der Sozialismus unter realen Bedingungen."
Luckenwalde, etwa 50 Kilometer südlich von Berlin gelegen, knapp 30.000 Einwohner zu DDR-Zeiten, heute 20.000. Brandenburgische Provinz, damals in der DDR: Bezirk Potsdam. Dass ein Sohn der bodenständigen, kleinbürgerlich-konservativen Familie Dutschke sich zu dem wohl größten Rebellen der westdeutschen Bundesrepublik aufschwingen würde: das hätten sich die Luckenwalder Dutschkes selbst in den abenteuerlichsten Träumen sicher nicht vorstellen können.
"Ich glaube, dass sowohl der Vater als auch die Brüder Rudi als Person damals, welche Rolle er da gespielt hat, also auch nur begrenzt wahrgenommen haben und im Prinzip auch verstanden haben, was da irgendwo passiert ist. Ansonsten war die Familie Dutschke ´ne völlig normale Familie, außer, dass eben Rudi da war mit seiner… mit seiner, ja, Idee, die Welt zu verbessern und ansonsten waren die Biografien typische DDR-Biografien."
Die Dutschkes aus dem Märkischen
Alfred und Elsbeth Dutschke, Rudis Eltern, waren einfache Leute; aufgewachsen auf Bauernhöfen in märkischen Dörfern im Luckenwalder Umland. Alfred Dutschke, Jahrgang 1900, wurde später Postbeamter, seine zehn Jahre jüngere Frau Elsbeth, eine fromme Protestantin, versorgte zu Hause die Kinder:
Manfred, der älteste der Dutschke Söhne, geboren 1932, machte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Lehre in der Landwirtschaft. Günter, Torstens Vater, war Jahrgang 1934 und lernte Kaufmann; Helmut, 1936 geboren, studierte Elektrotechnik. Und dann kam Rudi, das Nesthäkchen, 1940, als Hitler schon den Krieg entfesselt hatte.
Torsten Dutschke: "Na, ick glaube, am nächsten gestanden hat ihm Helmut, aufgrund dessen, dass da nur vier Jahre Unterschied waren. Und die beiden anderen, also mein Vater und Manfred, waren die Großen. Von daher, würde ich jetzt sagen, dass da sicherlich Helmut da jetzt den engsten Kontakt hatte. Aber nichtsdestotrotz hat er zu allen Brüdern ´nen vernünftigen und guten und liebevollen Kontakt gepflegt."
Seit dem 13. August 1961 lebten die Dutschkes aus Luckenwalde und Rudi, ihr jüngster, in zwei verschiedenen Welten. Die einen im realen Sozialismus, der andere im Kapitalismus, den er in einen demokratischen Sozialismus verwandeln wollte. Die einen arbeiteten in ihren praktischen Berufen, der andere war immer öfter im West-Radio zu hören und im Fernsehen zu sehen.
Rudi Dutschke: "Die Konzeption der Parteiorganisation als Institutsakademie , in der die universellen Revolutionäre sich allseitig schöpferisch ausbilden und in permanenter Wechselwirkung zur revolutionären Praxis stehen, verflüchtigte sich ins Reich der utopischen Nebelbildung."
Manfred, der älteste der Dutschke Söhne, geboren 1932, machte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Lehre in der Landwirtschaft. Günter, Torstens Vater, war Jahrgang 1934 und lernte Kaufmann; Helmut, 1936 geboren, studierte Elektrotechnik. Und dann kam Rudi, das Nesthäkchen, 1940, als Hitler schon den Krieg entfesselt hatte.
Torsten Dutschke: "Na, ick glaube, am nächsten gestanden hat ihm Helmut, aufgrund dessen, dass da nur vier Jahre Unterschied waren. Und die beiden anderen, also mein Vater und Manfred, waren die Großen. Von daher, würde ich jetzt sagen, dass da sicherlich Helmut da jetzt den engsten Kontakt hatte. Aber nichtsdestotrotz hat er zu allen Brüdern ´nen vernünftigen und guten und liebevollen Kontakt gepflegt."
Seit dem 13. August 1961 lebten die Dutschkes aus Luckenwalde und Rudi, ihr jüngster, in zwei verschiedenen Welten. Die einen im realen Sozialismus, der andere im Kapitalismus, den er in einen demokratischen Sozialismus verwandeln wollte. Die einen arbeiteten in ihren praktischen Berufen, der andere war immer öfter im West-Radio zu hören und im Fernsehen zu sehen.
Rudi Dutschke: "Die Konzeption der Parteiorganisation als Institutsakademie , in der die universellen Revolutionäre sich allseitig schöpferisch ausbilden und in permanenter Wechselwirkung zur revolutionären Praxis stehen, verflüchtigte sich ins Reich der utopischen Nebelbildung."
Gretchen Dutschke-Klotz aus Illinois
In diese andere Dutschke-Welt mit ihren – für brandenburgische Gemüter unfassbar –
hochfliegenden Träumen geriet eine junge Frau, die eines Tages in einem Café im Westberliner Stadtteil Charlottenburg saß und neugierig wahrnahm, dass ihr Nachbar polnische Bücher las.
Zitat:
"Der junge Mann, der sich neben mich setzte, trug eine kurze Lederhose und hatte mittellanges schwarzes Haar. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Stapel Bücher in polnischer Sprache. Ob er aus Polen komme, fragte ich ihn, nachdem ich mich gesetzt hatte, woraufhin er sagte: ´Nein, aber ich lerne Polnisch, damit ich die Bücher im Original lesen kann. Ich heiße Rudi, Rudi Dutschke`."
Schreibt Gretchen Dutschke-Klotz in ihrem Buch "1968 – worauf wir stolz sein dürfen". Carol "Gretchen" Klotz stammte aus Oak Park, Illinois. Sie war aus der geistigen Enge eines sehr religiös-konservativen Elternhauses geflohen. Ihr Vater war Apotheker, die Mutter Hausfrau. Für ihr Philosophie Studium musste sie Deutsch lernen, deswegen hatte die 22jährige Amerikanerin beschlossen, nach Europa zu gehen. Ein rostiger Kohledampfer, der in Newport News ablegte und zwei Wochen zur Atlantiküberquerung brauchte, brachte sie zusammen mit zwölf anderen Passagieren nach Antwerpen. Die erste Zeit in Deutschland verbrachte Gretchen Klotz als Gast des Goethe-Instituts in Bayern. Dann ging sie zusammen mit einer Französin, die in einem Nachtclub arbeitete, nach West-Berlin.
Gretchen Klotz: "Also, erstmal musste man ja durch die DDR fahren mit dem Zug. Und dann hörte man immer von schlimmen Dingen. Also hat man schon bisschen Angst. Und dann in Westberlin, okay, das war eine besondere Atmosphäre. Es kamen Kriegsdienstverweigerer. Es kamen Gammler. Es kamen Leute, die woanders vielleicht, ja, Schwierigkeiten haben. Also, es gab diese Subkultur."
Rudi aus Luckenwalde war kein Gammler, aber einer aus dieser Subkultur. Die beiden familiär stark religiös geprägten jungen Leute heirateten im März 1966. Kurz zuvor hatte Gretchen Rudis Familie in Luckenwalde kennengelernt. Allein, ohne Rudi.
"Also meine erste Tour nach Luckenwalde, das war, bevor wir geheiratet haben. Ich soll seine Familie kennenlernen. Er durfte ja nicht kommen. Aber ich durfte, als Amerikanerin durfte ich dahin. Ich bin nach Luckenwalde, mit total Angst natürlich, diese Familie kennenzulernen."
Wer mochten sie sein, die Dutschkes in Luckenwalde? Rudis Vater Alfred war auf einem Bauernhof aufgewachsen, aber weil der nicht genug abwarf, hatte er als junger Mann eine Elektrikerlehre begonnen, die er jedoch abbrach, als sich die Chance bot, zur Reichswehr zu gehen. 1933 wurde der Bauernsohn, der für Militär und Uniformen schwärmte, bei der Reichspost angestellt und im September 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, zur Wehrmacht eingezogen. Mutter Elsbeth blieb mit den drei Söhnen Manfred, Günter und Helmut allein zurück. ´Für ihn war Soldat zu sein eine nationale Pflicht`, schreibt Dutschke-Biograf Ulrich Chaussy über Rudis Vater Alfred.
Gretchen Dutschke: "Obwohl er schon beinahe 40 Jahre alt war, haben die ihn eingezogen. Alle mussten einfach. Dann war er in russische Gefangenschaft, glaube ich, bis 49 oder so. Ja, und dann kam er nach Hause und ist wieder Postbeamter gewesen."
Autor: "War er ein politischer Mensch? War er überzeugt davon, oder hat er einfach mitgemacht, weil er mitmachen musste?"
"Also, Rudi auf jeden Fall war der Eindruck, dass seine Familie nicht einfach so Nazis waren. Die haben nicht die Nazi-Partei gewählt, sondern irgendeine andere, konservative Partei. Aber dass sie auf jeden Fall nicht dagegen waren. Also sie waren einfach: ´So isses. Das muss man akzeptieren."
"Der junge Mann, der sich neben mich setzte, trug eine kurze Lederhose und hatte mittellanges schwarzes Haar. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Stapel Bücher in polnischer Sprache. Ob er aus Polen komme, fragte ich ihn, nachdem ich mich gesetzt hatte, woraufhin er sagte: ´Nein, aber ich lerne Polnisch, damit ich die Bücher im Original lesen kann. Ich heiße Rudi, Rudi Dutschke`."
Schreibt Gretchen Dutschke-Klotz in ihrem Buch "1968 – worauf wir stolz sein dürfen". Carol "Gretchen" Klotz stammte aus Oak Park, Illinois. Sie war aus der geistigen Enge eines sehr religiös-konservativen Elternhauses geflohen. Ihr Vater war Apotheker, die Mutter Hausfrau. Für ihr Philosophie Studium musste sie Deutsch lernen, deswegen hatte die 22jährige Amerikanerin beschlossen, nach Europa zu gehen. Ein rostiger Kohledampfer, der in Newport News ablegte und zwei Wochen zur Atlantiküberquerung brauchte, brachte sie zusammen mit zwölf anderen Passagieren nach Antwerpen. Die erste Zeit in Deutschland verbrachte Gretchen Klotz als Gast des Goethe-Instituts in Bayern. Dann ging sie zusammen mit einer Französin, die in einem Nachtclub arbeitete, nach West-Berlin.
Gretchen Klotz: "Also, erstmal musste man ja durch die DDR fahren mit dem Zug. Und dann hörte man immer von schlimmen Dingen. Also hat man schon bisschen Angst. Und dann in Westberlin, okay, das war eine besondere Atmosphäre. Es kamen Kriegsdienstverweigerer. Es kamen Gammler. Es kamen Leute, die woanders vielleicht, ja, Schwierigkeiten haben. Also, es gab diese Subkultur."
Rudi aus Luckenwalde war kein Gammler, aber einer aus dieser Subkultur. Die beiden familiär stark religiös geprägten jungen Leute heirateten im März 1966. Kurz zuvor hatte Gretchen Rudis Familie in Luckenwalde kennengelernt. Allein, ohne Rudi.
"Also meine erste Tour nach Luckenwalde, das war, bevor wir geheiratet haben. Ich soll seine Familie kennenlernen. Er durfte ja nicht kommen. Aber ich durfte, als Amerikanerin durfte ich dahin. Ich bin nach Luckenwalde, mit total Angst natürlich, diese Familie kennenzulernen."
Wer mochten sie sein, die Dutschkes in Luckenwalde? Rudis Vater Alfred war auf einem Bauernhof aufgewachsen, aber weil der nicht genug abwarf, hatte er als junger Mann eine Elektrikerlehre begonnen, die er jedoch abbrach, als sich die Chance bot, zur Reichswehr zu gehen. 1933 wurde der Bauernsohn, der für Militär und Uniformen schwärmte, bei der Reichspost angestellt und im September 1939, nach dem deutschen Überfall auf Polen, zur Wehrmacht eingezogen. Mutter Elsbeth blieb mit den drei Söhnen Manfred, Günter und Helmut allein zurück. ´Für ihn war Soldat zu sein eine nationale Pflicht`, schreibt Dutschke-Biograf Ulrich Chaussy über Rudis Vater Alfred.
Gretchen Dutschke: "Obwohl er schon beinahe 40 Jahre alt war, haben die ihn eingezogen. Alle mussten einfach. Dann war er in russische Gefangenschaft, glaube ich, bis 49 oder so. Ja, und dann kam er nach Hause und ist wieder Postbeamter gewesen."
Autor: "War er ein politischer Mensch? War er überzeugt davon, oder hat er einfach mitgemacht, weil er mitmachen musste?"
"Also, Rudi auf jeden Fall war der Eindruck, dass seine Familie nicht einfach so Nazis waren. Die haben nicht die Nazi-Partei gewählt, sondern irgendeine andere, konservative Partei. Aber dass sie auf jeden Fall nicht dagegen waren. Also sie waren einfach: ´So isses. Das muss man akzeptieren."
Eine US-Amerikanerin in der DDR
Gretchen Klotz, die Mitte der 60er-Jahre zwar schon in Ostberlin gewesen war, aber noch keine Erfahrung mit der DDR-Provinz hatte, fuhr mit großem Bammel mit der Deutschen Reichsbahn nach Luckenwalde zum Antrittsbesuch bei den Dutschkes. Die junge Amerikanerin war allein unterwegs und hatte Zweifel, ob die Familie sie akzeptieren und der kommunistische Klassenfeind sie wieder ausreisen lassen würde.
"Also, erstmal waren die sehr unglücklich, dass Rudi nicht eine Deutsche geheiratet hat. Die fanden das unmöglich. Rudis Mutter hat sogar gesagt: ´Warum musst Du jemand von eine andere Rasse heiraten?`"
Eine Rasse sogar…
"Das hat sie gesagt, ja… na ja, aber das ist geradezu sehr komisch, weil meine Vorfahren sind zumeist deutsch, aber okay."
Rudis Eltern machten sich in Luckenwalde Sorgen, was aus ihrem Sohn, der diese Amerikanerin, geheiratet hatte, in Westberlin bloß werden würde. Als die Dutschkes Rentner wurden, konnten sie nach Westberlin reisen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Was seiner Mutter sofort auffiel und worüber sie sich sehr aufregte, waren die fehlenden Gardinen in der Schöneberger Wohnung des jungen Ehepaars. Dabei achtete Rudi darauf, dass er bei seinen Eltern, vor allem bei seiner Mutter, einen guten Eindruck machte, wenn der Besuch anstand: Er lieh sich einen Anzug, band sich einen Schlips um und wienerte Küche und Bad.
Vater Alfred, der nicht so genau wusste, was sein Sohn, an der Freien Universität in seinem Studium so trieb, fuhr gleich zur Fakultät der Soziologen, um Rudis Professor Lieber direkt zu befragen. Dieser habe Vater Dutschke versichert, dass er und seine Gemahlin sich nicht zu sorgen brauchten, schreibt Ulrich Chaussy in seiner Dutschke-Biografie:
Zitat:
"Er hatte auch Glück mit seinem Sohn, der so eifrig war, (…) – daran konnte sich der Professor erinnern – sich von Anfang an zu Wort meldete, ganz höflich in der Form, respektvoll mit Handzeichen, abwartend, bis ihm das Wort erteilt war, dann aber aufstand und loslegte, kenntnisreich und belesen, in der Sache respektlos, wenn nötig auch dem Herrn Professor selbst gegenüber, der sich heiß reden konnte und dann am Ende seiner Wortmeldung manchmal ein wenig über sich selbst erschrocken schien, sich mit seinen dunklen Augen umschaute in der Runde, schnell seinen Stuhl wieder heranzog und sich hinter seine auf dem Tisch liegende Aktenmappe und die aus ihr herausgestapelten Bücher in Deckung brachte."
"Also, erstmal waren die sehr unglücklich, dass Rudi nicht eine Deutsche geheiratet hat. Die fanden das unmöglich. Rudis Mutter hat sogar gesagt: ´Warum musst Du jemand von eine andere Rasse heiraten?`"
Eine Rasse sogar…
"Das hat sie gesagt, ja… na ja, aber das ist geradezu sehr komisch, weil meine Vorfahren sind zumeist deutsch, aber okay."
Rudis Eltern machten sich in Luckenwalde Sorgen, was aus ihrem Sohn, der diese Amerikanerin, geheiratet hatte, in Westberlin bloß werden würde. Als die Dutschkes Rentner wurden, konnten sie nach Westberlin reisen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Was seiner Mutter sofort auffiel und worüber sie sich sehr aufregte, waren die fehlenden Gardinen in der Schöneberger Wohnung des jungen Ehepaars. Dabei achtete Rudi darauf, dass er bei seinen Eltern, vor allem bei seiner Mutter, einen guten Eindruck machte, wenn der Besuch anstand: Er lieh sich einen Anzug, band sich einen Schlips um und wienerte Küche und Bad.
Vater Alfred, der nicht so genau wusste, was sein Sohn, an der Freien Universität in seinem Studium so trieb, fuhr gleich zur Fakultät der Soziologen, um Rudis Professor Lieber direkt zu befragen. Dieser habe Vater Dutschke versichert, dass er und seine Gemahlin sich nicht zu sorgen brauchten, schreibt Ulrich Chaussy in seiner Dutschke-Biografie:
Zitat:
"Er hatte auch Glück mit seinem Sohn, der so eifrig war, (…) – daran konnte sich der Professor erinnern – sich von Anfang an zu Wort meldete, ganz höflich in der Form, respektvoll mit Handzeichen, abwartend, bis ihm das Wort erteilt war, dann aber aufstand und loslegte, kenntnisreich und belesen, in der Sache respektlos, wenn nötig auch dem Herrn Professor selbst gegenüber, der sich heiß reden konnte und dann am Ende seiner Wortmeldung manchmal ein wenig über sich selbst erschrocken schien, sich mit seinen dunklen Augen umschaute in der Runde, schnell seinen Stuhl wieder heranzog und sich hinter seine auf dem Tisch liegende Aktenmappe und die aus ihr herausgestapelten Bücher in Deckung brachte."
Das Attentat am 11. April 1968
Etwas später ist er dann bekanntlich aus der Deckung gekommen und wurde für die Studentenbewegung zum Idol, für die linksliberalen Medien zu einem gefragten Interviewpartner, für die konservative Presse zur Inkarnation des Bösen – und für die breite Öffentlichkeit zu einem Medienstar. Von dessen Reden man mitgerissen war, auch wenn man sie nicht verstanden hatte.
Rudi Dutschke: "Die Strukturkrise muss subventionistisch verschleppt werden, um noch mit einem System von Konzessionen die Massen von der Revolution abzuhalten. Damit bereitet sie in einem langfristigen Sinne tiefere und neuere Widersprüche vor, die die Massen zwingen werden, die Revolution zu machen."
Dann geschah am 11. April 1968 das Unfassbare.
Augenzeuge, Dutschke-Attentat:
Rudi Dutschke: "Die Strukturkrise muss subventionistisch verschleppt werden, um noch mit einem System von Konzessionen die Massen von der Revolution abzuhalten. Damit bereitet sie in einem langfristigen Sinne tiefere und neuere Widersprüche vor, die die Massen zwingen werden, die Revolution zu machen."
Dann geschah am 11. April 1968 das Unfassbare.
Augenzeuge, Dutschke-Attentat:
"Wir dachten, dass hier auf Tauben geschossen wird. Aber dann sahen wir einen Mann weglaufen. Und dann kamen wir hier rüber und sahen dann Dutschke liegen. Er stand dann auf und schrie nach Vater und Mutter. Und ich muss zum Friseur und ist ungefähr dann fuffzig Meter weitergelaufen und ist dort umgekippt. Und seine letzten Worte waren Soldaten, Soldaten."
In Luckenwalde erfuhren die Dutschkes über die West-Medien von dem Attentat vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds auf dem Kurfürstendamm. Durch eine Notoperation konnten die Ärzte Rudi Dutschkes Leben retten. Die engsten Verwandten erhielten von der DDR Sondergenehmigungen für Krankenbesuche im Westen. Als Rudi dann das Krankenhaus verlassen konnte, zog die Familie zusammen mit dem kleinen Sohn Hosea Che erst einmal nach Italien. Sie mussten Abstand gewinnen von dem Land, in dem Zeitungen wie die Blätter des Springer-Verlags Rudi zum ´Volksfeind Nummer 1` erklärt hatten. In Italien lebten sie beim Komponisten Hans Werner Henze. Doch vor dem Haus lauerten Tag und Nacht ´Paparazzi`. Über die Schweiz floh die Familie zu Erich Fried nach London. Eine Rückkehr nach Deutschland kam nicht infrage.
Gretchen Dutschke: "Rudi wusste, dass er überhaupt erst zurückgehen konnte, wenn er überhaupt in der Lage war, wieder aktiv zu sein, Politik zu machen. Und das war er nicht. Und deswegen wollte er nicht zurück. Und ich wollte auch nicht zurück. Es war keine Situation, in dem man mit einem kleinen Kind, mit ´nen kranken Mann leben konnte."
Black Sabbath, Paranoid: "Finished with my woman 'cause she couldn't help me with my mind. People think that I'm insane, because I am frowning all the time. All day long I think of things, but nothing seems to satisfy. 'Think I'll lose my mind if I don't find something to pacify."
In Luckenwalde erfuhren die Dutschkes über die West-Medien von dem Attentat vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds auf dem Kurfürstendamm. Durch eine Notoperation konnten die Ärzte Rudi Dutschkes Leben retten. Die engsten Verwandten erhielten von der DDR Sondergenehmigungen für Krankenbesuche im Westen. Als Rudi dann das Krankenhaus verlassen konnte, zog die Familie zusammen mit dem kleinen Sohn Hosea Che erst einmal nach Italien. Sie mussten Abstand gewinnen von dem Land, in dem Zeitungen wie die Blätter des Springer-Verlags Rudi zum ´Volksfeind Nummer 1` erklärt hatten. In Italien lebten sie beim Komponisten Hans Werner Henze. Doch vor dem Haus lauerten Tag und Nacht ´Paparazzi`. Über die Schweiz floh die Familie zu Erich Fried nach London. Eine Rückkehr nach Deutschland kam nicht infrage.
Gretchen Dutschke: "Rudi wusste, dass er überhaupt erst zurückgehen konnte, wenn er überhaupt in der Lage war, wieder aktiv zu sein, Politik zu machen. Und das war er nicht. Und deswegen wollte er nicht zurück. Und ich wollte auch nicht zurück. Es war keine Situation, in dem man mit einem kleinen Kind, mit ´nen kranken Mann leben konnte."
Black Sabbath, Paranoid: "Finished with my woman 'cause she couldn't help me with my mind. People think that I'm insane, because I am frowning all the time. All day long I think of things, but nothing seems to satisfy. 'Think I'll lose my mind if I don't find something to pacify."
Ein Leben mit den Folgen
Als die Familie aus England ausgewiesen wurde, zog sie nach Dänemark in eine Kommune. Die Dutschkes lebten zu dieser Zeit überwiegend von Spenden und Stipendien. Dann fand Gretchen eine Stelle beim Hygieneinstitut. Weil nun ein Einkommen da war, konnte sich Rudi darauf vorbereiten, sein Soziologie-Studium in Cambridge abzuschließen. Doch das Attentat und die Folgen ließen ihn nicht los.
Gretchen Dutschke: "Ja, also das war natürlich für Rudi ein riesengroßes Problem. Und es ist nie aus dem Kopf rausgekommen. Angst hatte er immer. Er wollte immer, dass ich bei ihm wäre. Dann würde er sagen: ´Sieh diesen Menschen! Meinst Du nicht, dass er mich, ich weiß nicht, irgendwie verfolgt?` Dann guckte ich die Leute an, sagte: ´Nein, die gehen eben nur in diese Richtung, weil sie irgendwo hin wollen. Die gucken nicht nach dir.` Aber das war ständig. Und das war eine große Belastung für mich."
Von Dänemark aus reiste die Familie regelmäßig nach Luckenwalde. Allerdings konnte es vorkommen, dass die Behörden die Einreise verweigerten. Wenn sie kamen, saß Gretchen am Steuer des alten Mercedes und fuhr, die Kinder Hosea-Che und Polly-Nicole auf der Rückbank, vor Rudis elterlichem Reihenhaus in der Straße des Friedens vor.
Marek Dutschke: "Später, da sind wir ja, als wir noch in Dänemark gelebt haben, regelmäßig in die DDR gefahren."
Gretchen Dutschke: "Ja, also das war natürlich für Rudi ein riesengroßes Problem. Und es ist nie aus dem Kopf rausgekommen. Angst hatte er immer. Er wollte immer, dass ich bei ihm wäre. Dann würde er sagen: ´Sieh diesen Menschen! Meinst Du nicht, dass er mich, ich weiß nicht, irgendwie verfolgt?` Dann guckte ich die Leute an, sagte: ´Nein, die gehen eben nur in diese Richtung, weil sie irgendwo hin wollen. Die gucken nicht nach dir.` Aber das war ständig. Und das war eine große Belastung für mich."
Von Dänemark aus reiste die Familie regelmäßig nach Luckenwalde. Allerdings konnte es vorkommen, dass die Behörden die Einreise verweigerten. Wenn sie kamen, saß Gretchen am Steuer des alten Mercedes und fuhr, die Kinder Hosea-Che und Polly-Nicole auf der Rückbank, vor Rudis elterlichem Reihenhaus in der Straße des Friedens vor.
Marek Dutschke: "Später, da sind wir ja, als wir noch in Dänemark gelebt haben, regelmäßig in die DDR gefahren."
Marek Dutschke, Jahrgang 1980, ist das jüngste Kind von Gretchen und Rudi. Er wurde geboren, als sein Vater bereits tot war.
Marek Dutschke: "Also klar, natürlich, die haben da schon, glaube ich, verschiedene Weltansichten. Und dadurch, dass sie in den USA so eher diese Beatnik-, Hippie-Erfahrungen gemacht hat und die Dutschkes ja eher aus´m evangelischen, konservativen Haushalt kommen, haben da schon, glaube ich, Welten aufeinander gestoßen. Aber gut, um die Sommer, die man miteinander verbracht hat, glaube ich schon, dass man da gut miteinander ausgekommen ist."
Marek Dutschke war fünf Jahre alt, als sein Großvater Alfred, den der Tod seines jüngsten Sohnes Rudi tief getroffen hatte, in Luckenwalde starb. Seine Großmutter Elsbeth war schon Ende 1967 verstorben. Im Garten mit den Pflaumenbäumen, gleich hinter dem Haus in der Straße des Friedens, wo sein Vater zusammen mit seinen drei Brüdern aufgewachsen war, hat Marek schon als Kind gespielt. Zum Familienkaffee in Luckenwalde gibt es noch heute hausgemachten Pflaumenkuchen.
Marek Dutschke: "Also, ich bin relativ oft in Luckenwalde. Mein Onkel Manfred, Tante Heidi und Tante Eva wohnen da noch. Ich versuche schon, den Kontakt zu pflegen. Aber die sind natürlich jetzt etwas älter und natürlich in dieser Zeit, wo wir nicht in Deutschland gelebt haben, war natürlich schon ´nen großer Abstand zwischen uns."
Autor: "Wie ist das, hören Sie noch manchmal die Stimme Ihres Vaters? Jetzt, wenn wir drüber reden, haben Sie die Stimme irgendwie im Kopf oder im Ohr oder ist das weit weg?"
Marek Dutschke: "Ja, ich kann´s hören. Aber ich muss mich drauf konzentrieren. Dann könnte ich´s hören, weil ich vieles gehört habe. Über die Jahre natürlich."
Rudi Dutschke: "Der revolutionäre deutsche Sozialismus verschwand historisch von der politischen Bühne nach dem Zweiten Weltkrieg, um erst nach 20 Jahren in einzelnen Abteilungen der Studentenschaft, einzelnen Fraktionen der Lohnabhängigen in Industrie und Verwaltung und in Gruppen von Schülern wieder geschichtliche Realität zu gewinnen."
Marek Dutschke: "Also klar, natürlich, die haben da schon, glaube ich, verschiedene Weltansichten. Und dadurch, dass sie in den USA so eher diese Beatnik-, Hippie-Erfahrungen gemacht hat und die Dutschkes ja eher aus´m evangelischen, konservativen Haushalt kommen, haben da schon, glaube ich, Welten aufeinander gestoßen. Aber gut, um die Sommer, die man miteinander verbracht hat, glaube ich schon, dass man da gut miteinander ausgekommen ist."
Marek Dutschke war fünf Jahre alt, als sein Großvater Alfred, den der Tod seines jüngsten Sohnes Rudi tief getroffen hatte, in Luckenwalde starb. Seine Großmutter Elsbeth war schon Ende 1967 verstorben. Im Garten mit den Pflaumenbäumen, gleich hinter dem Haus in der Straße des Friedens, wo sein Vater zusammen mit seinen drei Brüdern aufgewachsen war, hat Marek schon als Kind gespielt. Zum Familienkaffee in Luckenwalde gibt es noch heute hausgemachten Pflaumenkuchen.
Marek Dutschke: "Also, ich bin relativ oft in Luckenwalde. Mein Onkel Manfred, Tante Heidi und Tante Eva wohnen da noch. Ich versuche schon, den Kontakt zu pflegen. Aber die sind natürlich jetzt etwas älter und natürlich in dieser Zeit, wo wir nicht in Deutschland gelebt haben, war natürlich schon ´nen großer Abstand zwischen uns."
Autor: "Wie ist das, hören Sie noch manchmal die Stimme Ihres Vaters? Jetzt, wenn wir drüber reden, haben Sie die Stimme irgendwie im Kopf oder im Ohr oder ist das weit weg?"
Marek Dutschke: "Ja, ich kann´s hören. Aber ich muss mich drauf konzentrieren. Dann könnte ich´s hören, weil ich vieles gehört habe. Über die Jahre natürlich."
Rudi Dutschke: "Der revolutionäre deutsche Sozialismus verschwand historisch von der politischen Bühne nach dem Zweiten Weltkrieg, um erst nach 20 Jahren in einzelnen Abteilungen der Studentenschaft, einzelnen Fraktionen der Lohnabhängigen in Industrie und Verwaltung und in Gruppen von Schülern wieder geschichtliche Realität zu gewinnen."
Rudi Dutschke stirbt an den Spätfolgen
Torsten Dutschke: "War der Erste Weihnachtsfeiertag. Saßen oben im Kinderzimmer, ´ne Etage höher hier."
Heiligabend 1979 in Luckenwalde. Torsten Dutschke war damals 13 Jahre alt.
Torsten Dutschke: "Hab mit meinen beiden Cousins oben Monopoly gespielt, selbst gebastelt, zu DDR-Zeiten. Auf einmal geht Tür auf, Manfred, der älteste Bruder, sagt: ´Jungs, hört mal auf mit Spielen, der Rudi ist verstorben.` Denn bin ick runter, hier im Haus betretene Stimmung. Mein Großvater saß hier nebenan, werde ick auch nie vergessen, ja, und hat geweint und hat dann zu mir gesagt, ´Mein Junge ist gestorben.`"
Wolf Biermann, Auditorium Maximum Freie Universität: "Ich kann´s ja versuchen, zu singen… Mein Freund ist tot, und ich bin zu traurig. Zu traurig, um große Gemälde zu malen. Sanft war er, sanft! Ein bisschen zu sanft, wie alle echten Radikalen….Hmmmm, haaaaaa, huuaaaahaaaah..."
Autor: "Da ist Biermann…"
Torsten Dutschke: "Ja, da ist Biermann. Genau. Das ist die Veranstaltung im Auditorium Maximum. Beisetzung auf dem St. Annen Friedhof. Dutschke-Familie am Grab. So, Trauerfeier im Audimax der FU Berlin."
Autor: "Und der St. Annen Friedhof ist in…"
Dutschke: "Berlin-Dahlem."
Autor: "Und das Grab ist da auch immer noch?"
Dutschke: "Das Grab ist da und der Stein, der da steht, der ist hier aus dem Märkischen. Wir haben ja dadurch, dass mein Vater sehr früh verstorben ist…"
Nach Rudis Tod an Heiligabend 1979 beschlossen die Luckenwalder Dutschkes, im Fläming nach einem Grabstein zu suchen. Sie wollten ein Stück Heimat auf den Friedhof nach Westberlin bringen. Torstens Vater Günter, der zweitälteste der vier Dutschke-Brüder, übernahm die Organisation, als Produktionsleiter im Luckenwalder Betriebsteil des VEB Meliorationskombinat Potsdam. Er delegierte einen Bagger und einen großen Lkw des Volkseigenen Betriebs in die Märkische Heide, um bei Jüterbog einen sesselgroßen, schwarzen Granitfindling aufladen, den er zusammen mit seinem Sohn Torsten bei tagelangen Erkundungsfahrten entdeckt hatte. In Luckenwalde bekam der Brocken bei Steinmetz Lorke eine schlichte Inschrift. Um den Stein anschließend auf den Dahlemer Friedhof schaffen zu können, musste Günter Dutschke Verhandlungen mit der Stasi aufnehmen, die die Familie Dutschke seit Rudis Wechsel in den Westen lückenlos überwachte.
Heiligabend 1979 in Luckenwalde. Torsten Dutschke war damals 13 Jahre alt.
Torsten Dutschke: "Hab mit meinen beiden Cousins oben Monopoly gespielt, selbst gebastelt, zu DDR-Zeiten. Auf einmal geht Tür auf, Manfred, der älteste Bruder, sagt: ´Jungs, hört mal auf mit Spielen, der Rudi ist verstorben.` Denn bin ick runter, hier im Haus betretene Stimmung. Mein Großvater saß hier nebenan, werde ick auch nie vergessen, ja, und hat geweint und hat dann zu mir gesagt, ´Mein Junge ist gestorben.`"
Wolf Biermann, Auditorium Maximum Freie Universität: "Ich kann´s ja versuchen, zu singen… Mein Freund ist tot, und ich bin zu traurig. Zu traurig, um große Gemälde zu malen. Sanft war er, sanft! Ein bisschen zu sanft, wie alle echten Radikalen….Hmmmm, haaaaaa, huuaaaahaaaah..."
Autor: "Da ist Biermann…"
Torsten Dutschke: "Ja, da ist Biermann. Genau. Das ist die Veranstaltung im Auditorium Maximum. Beisetzung auf dem St. Annen Friedhof. Dutschke-Familie am Grab. So, Trauerfeier im Audimax der FU Berlin."
Autor: "Und der St. Annen Friedhof ist in…"
Dutschke: "Berlin-Dahlem."
Autor: "Und das Grab ist da auch immer noch?"
Dutschke: "Das Grab ist da und der Stein, der da steht, der ist hier aus dem Märkischen. Wir haben ja dadurch, dass mein Vater sehr früh verstorben ist…"
Nach Rudis Tod an Heiligabend 1979 beschlossen die Luckenwalder Dutschkes, im Fläming nach einem Grabstein zu suchen. Sie wollten ein Stück Heimat auf den Friedhof nach Westberlin bringen. Torstens Vater Günter, der zweitälteste der vier Dutschke-Brüder, übernahm die Organisation, als Produktionsleiter im Luckenwalder Betriebsteil des VEB Meliorationskombinat Potsdam. Er delegierte einen Bagger und einen großen Lkw des Volkseigenen Betriebs in die Märkische Heide, um bei Jüterbog einen sesselgroßen, schwarzen Granitfindling aufladen, den er zusammen mit seinem Sohn Torsten bei tagelangen Erkundungsfahrten entdeckt hatte. In Luckenwalde bekam der Brocken bei Steinmetz Lorke eine schlichte Inschrift. Um den Stein anschließend auf den Dahlemer Friedhof schaffen zu können, musste Günter Dutschke Verhandlungen mit der Stasi aufnehmen, die die Familie Dutschke seit Rudis Wechsel in den Westen lückenlos überwachte.
Immer überwacht von der Stasi
Torsten Dutschke: "In der Stasi-Akte meines Vaters ist dann im Prinzip die Geschichte des Grabsteins verewigt worden… Jetzt muss ich bloß nochmal selber gucken, wo ich diese Geschichte hier habe… Genau. Hier steht´s:
´18.3.81. Aktenvermerk über die am heutigen Tage durchgeführte Aussprache mit Dutschke, Günter, Straße des Friedens 62 b. Zielstellung der Aussprache war es, zu klären, auf welche Art und Weise es zu der Überführung eines Gedenksteins für den Dutschke, Rudi, nach Westberlin kam und mit welchen Dienststellen sich Dutschke, Günter, hierzu in Verbindung setzte. Des Weiteren sollte der Dutschke zum Ablauf der Gedenksteineinweihung Ausführungen machen…`"
Torsten Dutschke erinnert sich an einige Stasi-Aktionen gegen die Familie. Als er mit seinem Vater und seinem Onkel Helmut in Ostberlin mit Rudi, der auf dem Weg zu seinem Freund Wolf Biermann war, in der Friedrichstraße in einem Lokal essen ging, saßen in der Nähe zwei Männer in Lederjacken, die sie nicht aus den Augen ließen. Als Günther und Torsten in ihren alten Moskwitsch stiegen und zurück nach Luckenwalde fuhren, wurden sie von den beiden in einem nagelneuen Wartburg bis vor die Haustür verfolgt.
Zuhause knackte es beim Telefonieren regelmäßig in der Leitung. Manchmal nahmen Mitarbeiter der Staatssicherheit Onkel Rudi an der Grenze in Empfang, chauffierten ihn in schweren Limousinen nach Luckenwalde zur Familie zum Kaffee und brachten ihn anschließend wieder zurück zur Westberliner Sektorengrenze. So hatte man den abtrünnigen, linksradikalen Aktivisten, der ein anderes Leben im Westen führte, wenigstens auf dem Gebiet der DDR unter Kontrolle.
Torsten Dutschke: "Also ich glaube, dass Rudi sowohl für die DDR damals als auch für die Bundesrepublik ´ne schwierige Person war. Und ich glaube, dass die Genossen hier froh waren, dass Rudi drüben war."
Keiner der Dutschke-Brüder war Mitglied der SED. Helmut, Rudis jüngster Bruder, der zu DDR-Zeiten in Teltow bei Berlin im Gerätereglerwerk als Elektroingenieur arbeitete, war bei den Liberaldemokraten. Manfred, der Älteste, Mitglied der Deutschen Bauernpartei, war im Rat des Kreises, Abteilung Landwirtschaft, beschäftigt. Torstens Vater Günter gehörte keiner Partei an und engagierte sich neben seiner Leitungsfunktion im Meliorationskombinat in mehreren Funktionen für den FSV Luckenwalde, den besten Fußballclub der Stadt.
Torsten Dutschke: "Und mein Großvater Alfred der hat ja dann viel Zeit im Garten zugebracht. Wir sind ja allet ländlich geprägt, die Familie. Wir hatten Kaninchen, Hühner, Gänse. Man hat Gurken, Tomaten, Erdbeeren angebaut. Und dann standen eben halt die Obstbäume hier im Garten, so dass man sich eigentlich – Kartoffeln haben wir angebaut –, zu DDR-Zeiten musste man sich da dann halt auch´n bisschen selbst verpflegen. Und dit ham´ wir hier denn auch getan. Da gab´s dann auch immer diese berühmte Bauernpflaume, die dann am sonntäglichen Kuchentisch und Kaffeetische da gedeckt und aufgetischt wurde."
Luckenwalde, Fußgängerzone, Autor: "Hallo. Guten Tag. Darf ich Sie kurz was fragen zu Rudi Dutschke?"
"Buch ham´ wir da. Natürlich."
Autor: "Ist der noch ein großer Name hier in der Stadt? Wird er sehr verehrt?"
"Ja, aber da würd´ ick Sie an den Heimatverein schicken. Touristeninformation, direkt am Markt. Die ham´ dort sämtliche Sachen da. Die ham´ auch Originalpullover etc. So was ham´ se da. Ick kann Ihnen leider gar nichts weiter dazu sagen."
Autor: "Ich wollte hier fragen Menschen in der Stadt, ob Ihnen der Name Rudi Dutschke irgendwas sagt?"
"Nee, kenne ich nicht. Wer soll das sein?"
Autor/Umfrage:
Autor: "Sagt Euch der Name Rudi Dutschke was?"
"Ja."
Autor: "Ist er hier sehr verehrt in Luckenwalde?"
"Also an unserer Schule, am Gymnasium, steht ein Denkmal, so ´ne Tafel, wo halt draufsteht, dass hier Rudi Dutschke zur Schule gegangen ist. Ja, aber halt sehr klein, das steht so neben dem Haupteingang. Aber ich weiß nicht, ob viele an unserer Schule den kennen."
Zuhause knackte es beim Telefonieren regelmäßig in der Leitung. Manchmal nahmen Mitarbeiter der Staatssicherheit Onkel Rudi an der Grenze in Empfang, chauffierten ihn in schweren Limousinen nach Luckenwalde zur Familie zum Kaffee und brachten ihn anschließend wieder zurück zur Westberliner Sektorengrenze. So hatte man den abtrünnigen, linksradikalen Aktivisten, der ein anderes Leben im Westen führte, wenigstens auf dem Gebiet der DDR unter Kontrolle.
Torsten Dutschke: "Also ich glaube, dass Rudi sowohl für die DDR damals als auch für die Bundesrepublik ´ne schwierige Person war. Und ich glaube, dass die Genossen hier froh waren, dass Rudi drüben war."
Keiner der Dutschke-Brüder war Mitglied der SED. Helmut, Rudis jüngster Bruder, der zu DDR-Zeiten in Teltow bei Berlin im Gerätereglerwerk als Elektroingenieur arbeitete, war bei den Liberaldemokraten. Manfred, der Älteste, Mitglied der Deutschen Bauernpartei, war im Rat des Kreises, Abteilung Landwirtschaft, beschäftigt. Torstens Vater Günter gehörte keiner Partei an und engagierte sich neben seiner Leitungsfunktion im Meliorationskombinat in mehreren Funktionen für den FSV Luckenwalde, den besten Fußballclub der Stadt.
Torsten Dutschke: "Und mein Großvater Alfred der hat ja dann viel Zeit im Garten zugebracht. Wir sind ja allet ländlich geprägt, die Familie. Wir hatten Kaninchen, Hühner, Gänse. Man hat Gurken, Tomaten, Erdbeeren angebaut. Und dann standen eben halt die Obstbäume hier im Garten, so dass man sich eigentlich – Kartoffeln haben wir angebaut –, zu DDR-Zeiten musste man sich da dann halt auch´n bisschen selbst verpflegen. Und dit ham´ wir hier denn auch getan. Da gab´s dann auch immer diese berühmte Bauernpflaume, die dann am sonntäglichen Kuchentisch und Kaffeetische da gedeckt und aufgetischt wurde."
Luckenwalde, Fußgängerzone, Autor: "Hallo. Guten Tag. Darf ich Sie kurz was fragen zu Rudi Dutschke?"
"Buch ham´ wir da. Natürlich."
Autor: "Ist der noch ein großer Name hier in der Stadt? Wird er sehr verehrt?"
"Ja, aber da würd´ ick Sie an den Heimatverein schicken. Touristeninformation, direkt am Markt. Die ham´ dort sämtliche Sachen da. Die ham´ auch Originalpullover etc. So was ham´ se da. Ick kann Ihnen leider gar nichts weiter dazu sagen."
Autor: "Ich wollte hier fragen Menschen in der Stadt, ob Ihnen der Name Rudi Dutschke irgendwas sagt?"
"Nee, kenne ich nicht. Wer soll das sein?"
Autor/Umfrage:
Autor: "Sagt Euch der Name Rudi Dutschke was?"
"Ja."
Autor: "Ist er hier sehr verehrt in Luckenwalde?"
"Also an unserer Schule, am Gymnasium, steht ein Denkmal, so ´ne Tafel, wo halt draufsteht, dass hier Rudi Dutschke zur Schule gegangen ist. Ja, aber halt sehr klein, das steht so neben dem Haupteingang. Aber ich weiß nicht, ob viele an unserer Schule den kennen."
"Er war nicht die große Leuchte"
Das Friedrich-Gymnasium in der Luckenwalder Parkstraße ist ein altehrwürdiger Bau. 1958, als Rudi Dutschke hier Abitur machte, hieß die Schule noch Gerhart Hauptmann-Schule. Karl-Heinz Prib und seine Frau waren zur selben Zeit wie Rudi Dutschke auf dem Hauptmann-Gymnasium. Er einen Jahrgang über, sie einen Jahrgang unter Rudi.
Frau Prib: "Wir haben mal die Voranzeige gehört vom Fernsehen, dass dort was von Rudi Dutschke gezeigt wird. Und da man schon hin und wieder von drüben was verlauten hat, sind wir… nachts haben wir uns sogar den Wecker gestellt und wollten Rudi mal sehen, ob er das auch wirklich ist, also überprüfen sozusagen. Und dann war er´s wirklich. Aber der hat... für uns war es… ja… überspannt. Wirklich."
Karl-Heinz Prib: "Wir hatten einfach keine Beziehung. Es hatte sich ja da, das kommt dann eben dazu, eine Studentenbewegung entwickelt, so die Anfänge davon. Das öffentliche Protestieren, was wir nicht durften hier auch in der DDR. Und – muss man ganz klar sagen –, wir und unser Bekanntenkreis hier hatten eigentlich kein Verständnis dafür. So nach dem Motto: Na ja, Rudi, wat machst Du da eigentlich so alles? Auf der einen Seite war man erstaunt, dass einer, den man so kannte, sich so entwickelt hatte hier. Aber, wie gesagt, er konnte auch hier normal ganz gut reden und hat sich auch immer so kräftig auch mit sofort zu Worte gemeldet gehabt, wenn´s irgendwo ging usw. Aber er war nicht die große Leuchte."
In der Welt des real existierenden DDR-Sozialismus konnte man mit einem, der sich als christlicher Sozialist weigerte, zur NVA zu gehen und den Klassenstandpunkt nicht bedingungslos übernahm, nichts anfangen. Querköpfe, eigenwillige Denker wie Rudi Dutschke waren damals in der DDR, nicht nur in Luckenwalde, suspekt.
Torsten Dutschke: "Wir haben beim Aufräumen auch noch ´nen interessanten Brief gefunden, den wir eigentlich auch vergessen hatten. Den hatte Rudi irgendwie 1970/71 geschrieben, an seinen Vater. Die Adresse, die er hier angibt, die ist schon in Dänemark."
Auch die Dutschkes hatten es nie leicht mit ihrem berühmtesten Familienmitglied. Rudi, der sich vor jedem Heimatbesuch widerwillig wenigstens die Spitzen seiner Langhaarfrisur schneiden ließ und manchmal sogar in einen Anzug schlüpfte, um nervigen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, gehörte zwar irgendwie dazu und war doch ganz anders.
Torsten Dutschke: "`Lieber Vater, liebe große Familie D., lasse schnell mal etwas von mir hören. Wir werden also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit Ende 71 bis Anfang Januar 72 bei Euch auftauchen. Eure Kinder und unsere werden mit Sicherheit schon in kurzer Zeit kooperieren. Für die Kinder bedeutet Solidarität manchmal mehr als für verdinglichte Bürokraten der SED. Haltet Euch gesund und munter. Alfred, achte besonders auf deine Gesundheit. Bis bald, Rotfront, Grüße und Kuss, Rudi.`"
Das Friedrich-Gymnasium in der Luckenwalder Parkstraße ist ein altehrwürdiger Bau. 1958, als Rudi Dutschke hier Abitur machte, hieß die Schule noch Gerhart Hauptmann-Schule. Karl-Heinz Prib und seine Frau waren zur selben Zeit wie Rudi Dutschke auf dem Hauptmann-Gymnasium. Er einen Jahrgang über, sie einen Jahrgang unter Rudi.
Frau Prib: "Wir haben mal die Voranzeige gehört vom Fernsehen, dass dort was von Rudi Dutschke gezeigt wird. Und da man schon hin und wieder von drüben was verlauten hat, sind wir… nachts haben wir uns sogar den Wecker gestellt und wollten Rudi mal sehen, ob er das auch wirklich ist, also überprüfen sozusagen. Und dann war er´s wirklich. Aber der hat... für uns war es… ja… überspannt. Wirklich."
Karl-Heinz Prib: "Wir hatten einfach keine Beziehung. Es hatte sich ja da, das kommt dann eben dazu, eine Studentenbewegung entwickelt, so die Anfänge davon. Das öffentliche Protestieren, was wir nicht durften hier auch in der DDR. Und – muss man ganz klar sagen –, wir und unser Bekanntenkreis hier hatten eigentlich kein Verständnis dafür. So nach dem Motto: Na ja, Rudi, wat machst Du da eigentlich so alles? Auf der einen Seite war man erstaunt, dass einer, den man so kannte, sich so entwickelt hatte hier. Aber, wie gesagt, er konnte auch hier normal ganz gut reden und hat sich auch immer so kräftig auch mit sofort zu Worte gemeldet gehabt, wenn´s irgendwo ging usw. Aber er war nicht die große Leuchte."
In der Welt des real existierenden DDR-Sozialismus konnte man mit einem, der sich als christlicher Sozialist weigerte, zur NVA zu gehen und den Klassenstandpunkt nicht bedingungslos übernahm, nichts anfangen. Querköpfe, eigenwillige Denker wie Rudi Dutschke waren damals in der DDR, nicht nur in Luckenwalde, suspekt.
Torsten Dutschke: "Wir haben beim Aufräumen auch noch ´nen interessanten Brief gefunden, den wir eigentlich auch vergessen hatten. Den hatte Rudi irgendwie 1970/71 geschrieben, an seinen Vater. Die Adresse, die er hier angibt, die ist schon in Dänemark."
Auch die Dutschkes hatten es nie leicht mit ihrem berühmtesten Familienmitglied. Rudi, der sich vor jedem Heimatbesuch widerwillig wenigstens die Spitzen seiner Langhaarfrisur schneiden ließ und manchmal sogar in einen Anzug schlüpfte, um nervigen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, gehörte zwar irgendwie dazu und war doch ganz anders.
Torsten Dutschke: "`Lieber Vater, liebe große Familie D., lasse schnell mal etwas von mir hören. Wir werden also mit sehr großer Wahrscheinlichkeit Ende 71 bis Anfang Januar 72 bei Euch auftauchen. Eure Kinder und unsere werden mit Sicherheit schon in kurzer Zeit kooperieren. Für die Kinder bedeutet Solidarität manchmal mehr als für verdinglichte Bürokraten der SED. Haltet Euch gesund und munter. Alfred, achte besonders auf deine Gesundheit. Bis bald, Rotfront, Grüße und Kuss, Rudi.`"