Eine enge und freie Ehe
Wilhelm von Humboldt war jahrzehntelang mit Caroline von Dacheröden verheiratet. Sie war eine Gefährtin im Geiste, räumlich allerdings waren sie oft getrennt. Die Kulturwissenschaftlerin Hazel Rosenstrauch hat nun in "Wahlverwandt und ebenbürtig" die Geschichte dieser Verbindung nachgezeichnet.
Schon zu Lebzeiten galt ihre Ehe als Idealfall. Tatsächlich führten die beiden eine Beziehung, die nicht nur für ihre Zeit überraschend war: Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und Caroline von Dacheröden (1766-1829) waren 40 Jahre lang verheiratet und setzten sich bis zum Ende in regem und zweifelsfrei gleichrangigem Dialog auseinander. Beide stammten aus adeligen, sehr begüterten Verhältnissen.
Er, ein Intellektueller, der - gleichfalls ungewöhnlich in dieser Zeit - praktisch gewirkt hat, machte sich als Philosoph, Sprachforscher und preußischer Staatsmann einen Namen. Ihr Leben erschöpfte sich von Anfang an keinesfalls in der Rolle der Frau an seiner Seite. Hoch gebildet beherrschte sie fließend fünf Sprachen, sie lernte Griechisch, um mit ihm zusammen Pindar und Aischylos zu übersetzen, sie verfasste Gedichte und war Mäzenin vieler Künstler, denen sie wie Christian Daniel Rauch und den beiden Schadows große Aufträge verschaffte.
Nicht nur über Kunst und Politik hatte sie dezidierte Ansichten, auch an Naturwissenschaften war sie interessiert. Gern ließ sich Wilhelm von ihr beraten. Da sie oft - berufsbedingt von seiner Seite aus - getrennt lebten, führten sie eine intensive Korrespondenz, die den stattlichen Umfang von 3200 Seiten einnimmt.
Darin erzählen sie von ihrem Leben, zwei selbständige Persönlichkeiten, von denen jede ihren Kreis und ihre Beschäftigungen hat. Beide sprechen viel von Sehnsucht und finden sich offenkundig gut allein zurecht. Beide haben ihre Liebe nicht auf den ehelichen Partner beschränkt, was der Intensität ihrer Beziehung keinen Abbruch tat. Während ihrer zehnjährigen Fernehe zwischen Berlin, Jena, Paris, Rom, Erfurt, Königsberg, Wien oder London hieß ihr gemeinsames Lebensmotto Freiheit ebenso wie skeptische Selbstbefragung, was einen radikalen Austausch von Gedanken über Pflicht, Neigung und Nähe einschloss.
Wie schon in ihrem 2003 erschienenen historischen Essay über Karl August Varnhagen, den Mann und Editor von Rahel Varnhagens Schriften, beschwört Hazel Rosenstrauch jene Epoche zwischen Revolution und Befreiungskriegen als Geschichte der Bildung von Individuen herauf. Während sie dort quasi modellhaft schildert, wie sich in den Berliner Salons ein Zusammenleben von Juden und Deutschen ergab, geht sie hier der Frage nach, ob und wie das Ideal einer "vernünftigen Liebe" jenseits romantischer Schwärmerei experimentell entworfen wurde. Dabei kommt die Autorin ohne jede Heroisierung aus. Denn Verklärung ist ihre Sache nicht. Stets liest sie die Texte ihrer Helden aus dem Blickwinkel der Gegenwart, befragt sie auch auf den Nutzen und die Praktikabilität für emanzipierte Beziehungen heute.
Allerdings hält sie nicht immer konsequent die Doppelperspektive ein. Das mag an der Natur der Überlieferung liegen. Schließlich wurde über Caroline von Dacheröden nie so viel geredet und geschrieben wie über Wilhelm von Humboldt. In vielen Fällen ist die Autorin auf Vermutungen angewiesen, wie im Falle der amourösen Abenteuer Carolines oder über deren antisemitische Ausfälle.
Neben der jüngst erschienenen Biographie von Manfred Geier über "Die Brüder Humboldt" ist Rosenstrauchs Buch mehr als nur eine Facette im Familienalbum der großen preußischen Dynastie. Es ist eine sorgfältige und beeindruckende Studie über die Welt der Gefühle am Vorabend der Moderne.
Rezensiert von Edelgard Abenstein
Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt
Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2009, 320 Seiten, 30 Euro
Er, ein Intellektueller, der - gleichfalls ungewöhnlich in dieser Zeit - praktisch gewirkt hat, machte sich als Philosoph, Sprachforscher und preußischer Staatsmann einen Namen. Ihr Leben erschöpfte sich von Anfang an keinesfalls in der Rolle der Frau an seiner Seite. Hoch gebildet beherrschte sie fließend fünf Sprachen, sie lernte Griechisch, um mit ihm zusammen Pindar und Aischylos zu übersetzen, sie verfasste Gedichte und war Mäzenin vieler Künstler, denen sie wie Christian Daniel Rauch und den beiden Schadows große Aufträge verschaffte.
Nicht nur über Kunst und Politik hatte sie dezidierte Ansichten, auch an Naturwissenschaften war sie interessiert. Gern ließ sich Wilhelm von ihr beraten. Da sie oft - berufsbedingt von seiner Seite aus - getrennt lebten, führten sie eine intensive Korrespondenz, die den stattlichen Umfang von 3200 Seiten einnimmt.
Darin erzählen sie von ihrem Leben, zwei selbständige Persönlichkeiten, von denen jede ihren Kreis und ihre Beschäftigungen hat. Beide sprechen viel von Sehnsucht und finden sich offenkundig gut allein zurecht. Beide haben ihre Liebe nicht auf den ehelichen Partner beschränkt, was der Intensität ihrer Beziehung keinen Abbruch tat. Während ihrer zehnjährigen Fernehe zwischen Berlin, Jena, Paris, Rom, Erfurt, Königsberg, Wien oder London hieß ihr gemeinsames Lebensmotto Freiheit ebenso wie skeptische Selbstbefragung, was einen radikalen Austausch von Gedanken über Pflicht, Neigung und Nähe einschloss.
Wie schon in ihrem 2003 erschienenen historischen Essay über Karl August Varnhagen, den Mann und Editor von Rahel Varnhagens Schriften, beschwört Hazel Rosenstrauch jene Epoche zwischen Revolution und Befreiungskriegen als Geschichte der Bildung von Individuen herauf. Während sie dort quasi modellhaft schildert, wie sich in den Berliner Salons ein Zusammenleben von Juden und Deutschen ergab, geht sie hier der Frage nach, ob und wie das Ideal einer "vernünftigen Liebe" jenseits romantischer Schwärmerei experimentell entworfen wurde. Dabei kommt die Autorin ohne jede Heroisierung aus. Denn Verklärung ist ihre Sache nicht. Stets liest sie die Texte ihrer Helden aus dem Blickwinkel der Gegenwart, befragt sie auch auf den Nutzen und die Praktikabilität für emanzipierte Beziehungen heute.
Allerdings hält sie nicht immer konsequent die Doppelperspektive ein. Das mag an der Natur der Überlieferung liegen. Schließlich wurde über Caroline von Dacheröden nie so viel geredet und geschrieben wie über Wilhelm von Humboldt. In vielen Fällen ist die Autorin auf Vermutungen angewiesen, wie im Falle der amourösen Abenteuer Carolines oder über deren antisemitische Ausfälle.
Neben der jüngst erschienenen Biographie von Manfred Geier über "Die Brüder Humboldt" ist Rosenstrauchs Buch mehr als nur eine Facette im Familienalbum der großen preußischen Dynastie. Es ist eine sorgfältige und beeindruckende Studie über die Welt der Gefühle am Vorabend der Moderne.
Rezensiert von Edelgard Abenstein
Hazel Rosenstrauch: Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt
Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2009, 320 Seiten, 30 Euro