Eine entschleunigte Existenz
Hauptfigur des 25-jährigen Österreichers Reinhard Kaiser-Mühlacker ist ein Bauernsohn namens Theodor, der am Beginn des Romans offenbar den Coup seines Lebens gelandet hat. Er hat eine junge Frau aus der Stadt geheiratet und auf den elterlichen Hof gelockt – in eine rückständige, beengende Welt. Die Ehe nimmt einen unguten Verlauf.
Auch wenn "Der lange Gang über die Stationen" in mancher Hinsicht durchaus ins Bild der Antiheimatliteratur passt – ein "Tannöd"-Erfolg wird diesem Buch wohl nicht beschert sein. Denn es platziert keine spannungsträchtige Kriminalhandlung zwischen Scheunen und Kuhställen (auch wenn es einen Erhängten im Zwetschgenbaum gibt), sondern setzt ganz auf eine Sprache von kunstvoller Verschrobenheit. "Der gesamte Landstrich ist so schön, und seine Bewohner sind eigen und engstirnig wohl deshalb, weil sie den Weitblick nicht haben." Was ist das?, wundert sich der Leser, und fragt sich zunächst, ob da womöglich ein unbekanntes Romanmanuskript von Martin Heidegger den Buchmarkt erreicht hat.
Es handelt sich jedoch um den Debütroman des erst 25-jährigen Reinhard Kaiser-Mühlecker aus Eberstalzell in Oberösterreich. Dass dieser junge Autor mit den Gerätschaften und den vielfältigen sinnlichen Eindrücken des bäuerlichen Lebens bestens vertraut ist, erklärt sich aus dem Umstand, dass er selbst auf dem elterlichen Hof aufwuchs, bevor er in Wien Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung studierte.
Hauptfigur und Ich-Erzähler seines Romans ist ein Bauernsohn namens Theodor aus dem oberösterreichischen Seengebiet, der offenbar gerade den Coup seines Lebens gelandet hat: Er hat geheiratet, es ist ihm gelungen, eine junge Frau aus der Stadt auf den elterlichen Hof zu locken, in eine ärmliche, rückständige, beengende Welt.
Hinweise auf die zeitliche Verankerung des Geschehens bleiben spärlich. Wenn der Sonntag als "Tag des Herrn" gelobt wird und die Ehefrau mit "Leibchen" und Zöpfen auftritt, ahnt man allerdings, dass es sich um eine Vorzeit handeln muss. Der Bauer läuft noch hinterm Ochsen gezogenen Pflug übers Feld; der eine oder andere erfolgreichere Konkurrent in der Gegend verfügt allerdings schon über einen Traktor. Und bald unternimmt der Ich-Erzähler die erste Autofahrt seines Lebens, im Wagen eines Freundes seiner Frau (womit auch die Eifersuchtsdramaturgie langsam auf den Weg kommt).
Schließlich fällt eine Jahreszahl: 1956. Damals brach ein Schwellenjahrzehnt für die Landwirtschaft an – bald machte sich die Moderne mit Maschinenparks und Kunstdünger auch in den hintersten ländlichen Regionen geltend, wo die Lebensverhältnisse jahrhundertelang eine mythische Gleichförmigkeit bewahrt hatten, wo selbst die Tabakspfeife vom Urgroßvater vererbt wurde: "Die Wiederholung, die nie langweilig wurde."
Bisweilen bezieht sich der Roman auf Stifters Poetik des "sanften Gesetzes" und der kleinen, unscheinbaren Vorgänge. Es gibt Beschreibungen von eigenwilliger Schönheit. Auch der poetische Handke-Ton mit seinen gezielten stilistischen Ungeschicklichkeiten hat offenbar als Einfluss gewirkt. So werden zum Beispiel allerhand sprachliche Umstände gemacht, wenn Theodor von einem Holzstapel aufsteht: "... und ich, der ich eben noch so in den Gedanken und dem Betrachten der Landschaft versunken gewesen war, stieß mich mit einem Mal mit den Händen vom Holzstapel ab, drückte sie von mir weg gegen das Holz, mein eigenes Gewicht aufhebend, ihm Impuls gebend, es nach vor bringend, über das längsseitige Ende des Stapels hinaus, sprang mit einem Satz hinunter..." Auch dass eine Zigarette beim Rauchen "zwischen die sich dafür öffnenden Lippen" geführt wird, ist erwähnenswert. Das hat Methode: Wer sich schon die größten Selbstverständlichkeiten derart bewusst halten muss, der kommt beim Tempo der modernen Welt gewiss nicht mit. Wir haben es mit einer in jeder Hinsicht entschleunigten Existenz zu tun, die ganz dem "Zuhause-Sein" und der Beruhigung verpflichtet ist.
Es mangelt aber nicht an Störfrequenzen und Unheilssignalen. Das ferne Stadtleben wirkt auf die Frau wieder zunehmend anziehend, der Nachbar, ein mühsam trockengelegter Alkoholiker, dem nach dem Tod seiner Frau aller Lebenssinn abhanden gekommen ist, begeht Selbstmord, hinten im Zimmer stirbt Theodors Vater vor sich hin, und die Dörfler erweisen sich wieder einmal als borniert und grob.
Landbewohner gelten seit je als wortkarge Menschen. Die Gespräche zwischen Theodor und seiner Frau aber wirken wie eine Parodie auf diesen Umstand. Erst auf Seite 17 findet der erste Dialog zwischen ihnen statt: "Das Essen ist fertig. Kommst du?" – "Was gibt es?" – Wurstknödel mit Salat." Das war’s dann erst einmal; im Folgenden werden die Gespräche über dieses lakonische Verständigungsniveau nur selten hinauskommen: "Was ist so lustig, dass du um diese Zeit schon lachen musst, Theodor?" – "Ich habe mich gerade selbst gekitzelt. Kannst du das auch?" So bleibt man auch in schlechten Zeiten nicht ganz ohne Vergnügen: "Ich, der sonst nicht leicht einen Grund zum Lachen fand, erwies mich als übermäßig kitzlig."
"Nichts werde erklärt", liest man im Klappentext. Das ist als Qualität gemeint, nach dem Motto: Rede nicht Autor, beschreibe! Aber auch die Beschreibungen dieser Ehe, die allmählich einen unguten Verlauf nimmt, machen sie nicht plausibler; sie bleibt erklärungsbedürftig. Was hält die Frau so lange bei dem Ich-Erzähler – diesem völlig aus der Welt gefallenen Mann, der sich während einer Wien-Reise gar als ungewaschener Schrat in Szene setzt?
Wenn man den Anspruch auf psychologischen Realismus jedoch fallen lässt (vor diesem Anspruch wirkt dieser Ich-Erzähler überhaupt unglaubwürdig) und in der Lage ist, das Befremdliche und Kuriose als Reiz eines literarischen Werkes zu genießen, liest man diese Geschichte aus der aufgestörten Heidegger-Provinz mit einigem Vergnügen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Reinhard Kaiser-Mühlacker:
Der lange Gang über die Stationen. Roman.
Hoffmann und Campe 2008, 158 Seiten, 16,90 Euro
Es handelt sich jedoch um den Debütroman des erst 25-jährigen Reinhard Kaiser-Mühlecker aus Eberstalzell in Oberösterreich. Dass dieser junge Autor mit den Gerätschaften und den vielfältigen sinnlichen Eindrücken des bäuerlichen Lebens bestens vertraut ist, erklärt sich aus dem Umstand, dass er selbst auf dem elterlichen Hof aufwuchs, bevor er in Wien Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung studierte.
Hauptfigur und Ich-Erzähler seines Romans ist ein Bauernsohn namens Theodor aus dem oberösterreichischen Seengebiet, der offenbar gerade den Coup seines Lebens gelandet hat: Er hat geheiratet, es ist ihm gelungen, eine junge Frau aus der Stadt auf den elterlichen Hof zu locken, in eine ärmliche, rückständige, beengende Welt.
Hinweise auf die zeitliche Verankerung des Geschehens bleiben spärlich. Wenn der Sonntag als "Tag des Herrn" gelobt wird und die Ehefrau mit "Leibchen" und Zöpfen auftritt, ahnt man allerdings, dass es sich um eine Vorzeit handeln muss. Der Bauer läuft noch hinterm Ochsen gezogenen Pflug übers Feld; der eine oder andere erfolgreichere Konkurrent in der Gegend verfügt allerdings schon über einen Traktor. Und bald unternimmt der Ich-Erzähler die erste Autofahrt seines Lebens, im Wagen eines Freundes seiner Frau (womit auch die Eifersuchtsdramaturgie langsam auf den Weg kommt).
Schließlich fällt eine Jahreszahl: 1956. Damals brach ein Schwellenjahrzehnt für die Landwirtschaft an – bald machte sich die Moderne mit Maschinenparks und Kunstdünger auch in den hintersten ländlichen Regionen geltend, wo die Lebensverhältnisse jahrhundertelang eine mythische Gleichförmigkeit bewahrt hatten, wo selbst die Tabakspfeife vom Urgroßvater vererbt wurde: "Die Wiederholung, die nie langweilig wurde."
Bisweilen bezieht sich der Roman auf Stifters Poetik des "sanften Gesetzes" und der kleinen, unscheinbaren Vorgänge. Es gibt Beschreibungen von eigenwilliger Schönheit. Auch der poetische Handke-Ton mit seinen gezielten stilistischen Ungeschicklichkeiten hat offenbar als Einfluss gewirkt. So werden zum Beispiel allerhand sprachliche Umstände gemacht, wenn Theodor von einem Holzstapel aufsteht: "... und ich, der ich eben noch so in den Gedanken und dem Betrachten der Landschaft versunken gewesen war, stieß mich mit einem Mal mit den Händen vom Holzstapel ab, drückte sie von mir weg gegen das Holz, mein eigenes Gewicht aufhebend, ihm Impuls gebend, es nach vor bringend, über das längsseitige Ende des Stapels hinaus, sprang mit einem Satz hinunter..." Auch dass eine Zigarette beim Rauchen "zwischen die sich dafür öffnenden Lippen" geführt wird, ist erwähnenswert. Das hat Methode: Wer sich schon die größten Selbstverständlichkeiten derart bewusst halten muss, der kommt beim Tempo der modernen Welt gewiss nicht mit. Wir haben es mit einer in jeder Hinsicht entschleunigten Existenz zu tun, die ganz dem "Zuhause-Sein" und der Beruhigung verpflichtet ist.
Es mangelt aber nicht an Störfrequenzen und Unheilssignalen. Das ferne Stadtleben wirkt auf die Frau wieder zunehmend anziehend, der Nachbar, ein mühsam trockengelegter Alkoholiker, dem nach dem Tod seiner Frau aller Lebenssinn abhanden gekommen ist, begeht Selbstmord, hinten im Zimmer stirbt Theodors Vater vor sich hin, und die Dörfler erweisen sich wieder einmal als borniert und grob.
Landbewohner gelten seit je als wortkarge Menschen. Die Gespräche zwischen Theodor und seiner Frau aber wirken wie eine Parodie auf diesen Umstand. Erst auf Seite 17 findet der erste Dialog zwischen ihnen statt: "Das Essen ist fertig. Kommst du?" – "Was gibt es?" – Wurstknödel mit Salat." Das war’s dann erst einmal; im Folgenden werden die Gespräche über dieses lakonische Verständigungsniveau nur selten hinauskommen: "Was ist so lustig, dass du um diese Zeit schon lachen musst, Theodor?" – "Ich habe mich gerade selbst gekitzelt. Kannst du das auch?" So bleibt man auch in schlechten Zeiten nicht ganz ohne Vergnügen: "Ich, der sonst nicht leicht einen Grund zum Lachen fand, erwies mich als übermäßig kitzlig."
"Nichts werde erklärt", liest man im Klappentext. Das ist als Qualität gemeint, nach dem Motto: Rede nicht Autor, beschreibe! Aber auch die Beschreibungen dieser Ehe, die allmählich einen unguten Verlauf nimmt, machen sie nicht plausibler; sie bleibt erklärungsbedürftig. Was hält die Frau so lange bei dem Ich-Erzähler – diesem völlig aus der Welt gefallenen Mann, der sich während einer Wien-Reise gar als ungewaschener Schrat in Szene setzt?
Wenn man den Anspruch auf psychologischen Realismus jedoch fallen lässt (vor diesem Anspruch wirkt dieser Ich-Erzähler überhaupt unglaubwürdig) und in der Lage ist, das Befremdliche und Kuriose als Reiz eines literarischen Werkes zu genießen, liest man diese Geschichte aus der aufgestörten Heidegger-Provinz mit einigem Vergnügen.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Reinhard Kaiser-Mühlacker:
Der lange Gang über die Stationen. Roman.
Hoffmann und Campe 2008, 158 Seiten, 16,90 Euro