Eine Expedition, die Geschichte schrieb
Werner Biermann feiert in seinem Buch "Der Traum meines ganzen Lebens" Alexander von Humboldt als den wahren Entdecker Amerikas. Gut 300 Jahre nach Columbus war Humboldt wohl der erste Europäer, der den südamerikanischen Kontinent mit friedlichen Absichten bereiste. Biermann erzählt seine Reisereportage mit großer Sympathie zu Humboldt - und wahrt doch den notwendigen kritischen Abstand.
Am 5. Juni 1799 legt sein Schiff, die Pizarro, von Spanien ab. Und damit beginnt eine unglaubliche, epochale Forschungsreise durch Süd- und Mittelamerika: mit wilden Flussfahrten, gefährlichen Dschungeldurchquerungen und Vulkanbesteigungen. Werner Biermann hat über Alexander von Humboldts Reise eine faszinierende Historische Reportage geschrieben, in der er Humboldt als den wahren Entdecker Amerikas feiert.
Dieser Mann führt keine kanonenbestückte Flotte an, sondern ein einzelnes kleines Boot. Er sucht weder Gold noch Macht, er will das Land nicht beherrschen und die Menschen nicht unterwerfen. Alexander von Humboldt, so beschreibt ihn der Autor Werner Biermann, ist gut 300 Jahre nach Columbus wohl der erste Europäer, der den südamerikanischen Kontinent mit absolut friedlichen Absichten betritt. Der aufgeklärte Humanist will das Wissen der Welt vergrößern: von der Anthropologie bis zur Zoologie, denn er glaubt, dass sich die Lage des Menschen vor allem durch Wissen verbessern lässt.
Gemeinsam mit seinem Gefährten Aimé Bonpland reist Humboldt fünf Jahre lang (1799-1804) durch Süd- und Mittelamerika und erfüllt sich damit den Traum seines Lebens. Die Abenteuer beginnen mit einer Flussfahrt über den Orinoco und den Rio Negro. 2800 Kilometer durch den Urwald, vorbei an Klippen und Stromschnellen, in Gesellschaft von Schlangen, Krokodilen und Moskitos. Zweimal kentert des Boot und der Nicht-Schwimmer Humboldt entkommt nur mit knapper Not.
Werner Biermann, Reporter und Filmemacher, war selbst jahrelang in Südamerika auf Humboldts Spuren unterwegs. Und so kann er die Erlebnisse des jungen Preußen atemberaubend und mit viel Witz beschreiben. Humboldts Reisegesellschaft auf dem Orinoco etwa: ein elfköpfiges Expeditionsteam, das in einem 13 Meter langen, ein Meter schmalen Boot sitzt – ein mit Äxten und Feuer ausgehöhlter Baumstamm. Obwohl wenig Platz ist, hat Humboldt neben seinen unzähligen Messinstrumenten bereits acht Affen, sieben Papageien und zwei Felshühner an Bord genommen. Und nun, in einer indianischen Siedlung, kann er nicht widerstehen – und kauft noch zwei Tukane.
Humboldts weitere Reiseroute verläuft über Havanna nach Cartagena. Er besteigt Berge und Vulkane in den Anden und schlägt sich bis Lima durch. Später wandert er durch Mexiko. Humboldt vermisst das Land, er entdeckt die Unterschiede der Vegetationszonen, nimmt Luftproben in Vulkankratern, erforscht Inkaruinen genauso wie die ökonomische Situation der Region. Seine Methode: So genau wie möglich beobachten und wann immer es geht Messungen vornehmen, Daten und Material sammeln. Keine schnellen Urteile fällen und Erklärungen geben – und daran denken, dass die Wissenschaft ihre Grenzen hat: "Alles, was zur Seele des Menschen spricht, entzieht sich den Messungen."
In den Anden trifft Humboldt einen begabten Forscher, Francisco José de Caldas, der sich der Reisegruppe anschließen will. Doch obwohl Humboldt sein Talent sieht und eigentlich Unterstützung gebrauchen könnte, lehnt er ab. Biermann zeigt hier die Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb: Während Caldas einer der neuen Spezialisten ist, die in einem eng abgesteckten Gebiet alles erforschen wollen, ist Humboldt der letzte große Generalist: Er will das Ganze betrachten, er will die Zusammenhänge der Welt sehen.
Immer wieder rückt Biermann diese philosophische Forschungshaltung Humboldts in den Mittelpunkt, seine Fragen nach dem Einfluss des Menschen auf die Natur, und danach wie die Menschen miteinander umgehen. Mehrmals verhindert Humboldt Misshandlungen von Indios und Sklaven. Gegenüber den Herrschenden fordert er ein Ende der Sklaverei, die er für das größte Übel hält, das die Menschheit je betroffen hat.
Werner Biermann erzählt seine historische Reisereportage mit großer Sympathie zu Humboldt – und wahrt doch den notwendigen kritischen Abstand. Etwa, wenn er beschreibt, wie Humboldt in einer Grabhöhle der Indios Leichenfledderei betreibt – oder, augenzwinkernder, wenn er die "lebenslange Humboldt-Brothers-PR-Kampagne" anspricht. Humboldt hat nicht nur großartige Abenteuer erlebt, schreibt Biermann, er konnte auch großartig davon erzählen. Und das kann Biermann auch.
Rezensiert von Marcus Weber
Werner Biermann: Der Traum meines ganzen Lebens.
Humboldts amerikanische Reise
Rowohlt 2008, 362 Seiten, 19,90 Euro
Dieser Mann führt keine kanonenbestückte Flotte an, sondern ein einzelnes kleines Boot. Er sucht weder Gold noch Macht, er will das Land nicht beherrschen und die Menschen nicht unterwerfen. Alexander von Humboldt, so beschreibt ihn der Autor Werner Biermann, ist gut 300 Jahre nach Columbus wohl der erste Europäer, der den südamerikanischen Kontinent mit absolut friedlichen Absichten betritt. Der aufgeklärte Humanist will das Wissen der Welt vergrößern: von der Anthropologie bis zur Zoologie, denn er glaubt, dass sich die Lage des Menschen vor allem durch Wissen verbessern lässt.
Gemeinsam mit seinem Gefährten Aimé Bonpland reist Humboldt fünf Jahre lang (1799-1804) durch Süd- und Mittelamerika und erfüllt sich damit den Traum seines Lebens. Die Abenteuer beginnen mit einer Flussfahrt über den Orinoco und den Rio Negro. 2800 Kilometer durch den Urwald, vorbei an Klippen und Stromschnellen, in Gesellschaft von Schlangen, Krokodilen und Moskitos. Zweimal kentert des Boot und der Nicht-Schwimmer Humboldt entkommt nur mit knapper Not.
Werner Biermann, Reporter und Filmemacher, war selbst jahrelang in Südamerika auf Humboldts Spuren unterwegs. Und so kann er die Erlebnisse des jungen Preußen atemberaubend und mit viel Witz beschreiben. Humboldts Reisegesellschaft auf dem Orinoco etwa: ein elfköpfiges Expeditionsteam, das in einem 13 Meter langen, ein Meter schmalen Boot sitzt – ein mit Äxten und Feuer ausgehöhlter Baumstamm. Obwohl wenig Platz ist, hat Humboldt neben seinen unzähligen Messinstrumenten bereits acht Affen, sieben Papageien und zwei Felshühner an Bord genommen. Und nun, in einer indianischen Siedlung, kann er nicht widerstehen – und kauft noch zwei Tukane.
Humboldts weitere Reiseroute verläuft über Havanna nach Cartagena. Er besteigt Berge und Vulkane in den Anden und schlägt sich bis Lima durch. Später wandert er durch Mexiko. Humboldt vermisst das Land, er entdeckt die Unterschiede der Vegetationszonen, nimmt Luftproben in Vulkankratern, erforscht Inkaruinen genauso wie die ökonomische Situation der Region. Seine Methode: So genau wie möglich beobachten und wann immer es geht Messungen vornehmen, Daten und Material sammeln. Keine schnellen Urteile fällen und Erklärungen geben – und daran denken, dass die Wissenschaft ihre Grenzen hat: "Alles, was zur Seele des Menschen spricht, entzieht sich den Messungen."
In den Anden trifft Humboldt einen begabten Forscher, Francisco José de Caldas, der sich der Reisegruppe anschließen will. Doch obwohl Humboldt sein Talent sieht und eigentlich Unterstützung gebrauchen könnte, lehnt er ab. Biermann zeigt hier die Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb: Während Caldas einer der neuen Spezialisten ist, die in einem eng abgesteckten Gebiet alles erforschen wollen, ist Humboldt der letzte große Generalist: Er will das Ganze betrachten, er will die Zusammenhänge der Welt sehen.
Immer wieder rückt Biermann diese philosophische Forschungshaltung Humboldts in den Mittelpunkt, seine Fragen nach dem Einfluss des Menschen auf die Natur, und danach wie die Menschen miteinander umgehen. Mehrmals verhindert Humboldt Misshandlungen von Indios und Sklaven. Gegenüber den Herrschenden fordert er ein Ende der Sklaverei, die er für das größte Übel hält, das die Menschheit je betroffen hat.
Werner Biermann erzählt seine historische Reisereportage mit großer Sympathie zu Humboldt – und wahrt doch den notwendigen kritischen Abstand. Etwa, wenn er beschreibt, wie Humboldt in einer Grabhöhle der Indios Leichenfledderei betreibt – oder, augenzwinkernder, wenn er die "lebenslange Humboldt-Brothers-PR-Kampagne" anspricht. Humboldt hat nicht nur großartige Abenteuer erlebt, schreibt Biermann, er konnte auch großartig davon erzählen. Und das kann Biermann auch.
Rezensiert von Marcus Weber
Werner Biermann: Der Traum meines ganzen Lebens.
Humboldts amerikanische Reise
Rowohlt 2008, 362 Seiten, 19,90 Euro