Eine fast biedermeierliche Metropole
Stephan Wackwitz ist Programmchef des Goethe-Instituts in New York und leidenschaftlicher Stadtspaziergänger. Seine Beobachtungen in Big Apple versammelt er in einem klugen Buch zwischen Essay, historischem Streifzug und ironischer Selbstbespiegelung.
Kann man eine Stadt erzählen? Man kann, selbst dann, wenn man nicht in ihr geboren ist. Das beweist der 1952 in Stuttgart geborene Autor Stephan Wackwitz in seinem jüngsten Buch, das auf sehr persönliche Weise von der Stadt erzählt, in der er derzeit lebt als Programmchef des dortigen Goethe-Instituts: New York. In "Fifth Avenue. Spaziergänge durch das letzte Jahrhundert" ist Stephan Wackwitz als "essayistischer Stadtwanderer des frühen 21. Jahrhunderts’ zwischen Harlem und Greenwich Village unterwegs – zu Fuß oder auch mit dem Rad. Ein stets an der Historie interessierter Spurensucher, der auf der berühmten Luxusmeile nicht die zahlreichen Nobelgeschäfte aufsucht, wohl aber die Museen und Kirchen, die die Fifth Avenue säumen.
So zum Beispiel die Collegiate Marble Church, deren Pastor ein halbes Jahrhundert lang Norman Vincent Peale war – der Autor des Weltbestsellers "The Power of Positive Thinking" und Mitbegründer der sogenannten "New Thought"-Bewegung. Eine äußerst wirkmächtige religiöse Strömung, die noch im "Yes, we can"-Slogan des politischen Propheten und Präsidenten Barack Obama widerhallt.
So werden Stephan Wackwitz bestimmte architektonische Erkennungszeichen der Fifth Avenue zu "Meditationsgegenständen". Gewisse Gebäude liefern ihm den Anstoß nachzudenken – zum Beispiel über die amerikanische Mentalität. Wie spiegelt sie sich im Stadtbild? Sein Büro im Goethe-Institut liegt direkt an der Fifth Avenue, und als Repräsentant deutscher Kultur lernt er viele Leute kennen. Er trifft Marieluise Hessel, eine Millionärin, die in den 50ern mal Miss Germany war und jetzt eine bedeutende Museumsgründerin und Mäzenin ist – so, wie es Gertrude Vanderbilt Whitney einst in den 30er Jahren war. Zum Lunch bei einem berühmten Kunstsammler in dessen hoch gelegenem Penthouse an der Fith-Avenue eingeladen, gewinnt der Autor einen ganz neuen Blick auf den Central Park, diese hortikulturell höchst anspruchsvoll gestaltete Grünanlage, und lässt einen teilhaben an seiner Art, die Stadt zu lesen.
Jeder New-York-Besucher kennt das seltsame Gefühl, das einen beschleicht, wenn man sich in dieser Stadt bewegt: Man glaubt an all diesen Orten schon mal gewesen zu sein, weil man sie im Kino oder Fernsehserien gesehen hat. Man wähnt, überall könnte gleich Woody Allen um Ecke kommen. Wackwitz spricht von "einer Art Kunsthalluzination", die da fast übermächtig wird beim Spazierengehen. Das alles ist klug beobachtet und behauptet auch gar nicht, mehr zu sein als ein "entschieden kleines Buch". Geschrieben von einem, der schon als Kleinkind mit seiner Mutter – einer Modezeichnerin - für ein Jahr nach New York kam, 1979 dort als verliebter und kurz darauf geläuterter Marxist-Leninist einen Sommer verbrachte und 2007 schließlich ziemlich lange brauchte, um eine vernünftige Bleibe in seiner berufsbedingt "zeitweiligen Heimatstadt" zu finden.
Wackwitz ist die Gabe der Ironie glücklicherweise nicht fremd, weshalb auch die biografischen Einsprengsel nicht aufdringlich ichbezogen wirken. Immerhin handelt es sich hier um einen personal essay, der von den Idiosynkrasien seines Verfassers nicht schweigen möchte. Wackwitz begegnet auf seinen Streifzügen vieles, was einem New-York-Reisenden neu sein dürfte – so auch die Lebensgeschichte des schwarzen Gepäckträgers Henry Lincoln Johnson, der zu einem Helden des Ersten Weltkriegs wurde und an den am nördlichen Ursprung der Fifth Avenue ein unscheinbarer kleiner grauer Obelisk aus Granit erinnert.
"Fifth Avenue" ist die Besichtigung einer laut Autor heute fast biedermeierlichen Metropole, deren Attraktivität für Künstler eindeutig abnimmt. Was andere "gentrification" nennen, nennt Wackwitz "Vermünchnerung" – dort, wo die "Kapitalismusbohème" dominiert, können nur noch Julian Schnabel und Iggy Pop sich Wohnungen leisten – junge, aufstrebende Talente aber, so Wackwitz, zöge New York aufgrund der rasant steigenden Mieten leider immer weniger an. So ist es schwierig, heute ein "glücklicher paysan de New York" zu sein.
Besprochen von Knut Cordsen
Stephan Wackwitz: "Fifth Avenue. Spaziergänge durch das letzte Jahrhundert"
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2010
272 Seiten, 18,95 Euro
So zum Beispiel die Collegiate Marble Church, deren Pastor ein halbes Jahrhundert lang Norman Vincent Peale war – der Autor des Weltbestsellers "The Power of Positive Thinking" und Mitbegründer der sogenannten "New Thought"-Bewegung. Eine äußerst wirkmächtige religiöse Strömung, die noch im "Yes, we can"-Slogan des politischen Propheten und Präsidenten Barack Obama widerhallt.
So werden Stephan Wackwitz bestimmte architektonische Erkennungszeichen der Fifth Avenue zu "Meditationsgegenständen". Gewisse Gebäude liefern ihm den Anstoß nachzudenken – zum Beispiel über die amerikanische Mentalität. Wie spiegelt sie sich im Stadtbild? Sein Büro im Goethe-Institut liegt direkt an der Fifth Avenue, und als Repräsentant deutscher Kultur lernt er viele Leute kennen. Er trifft Marieluise Hessel, eine Millionärin, die in den 50ern mal Miss Germany war und jetzt eine bedeutende Museumsgründerin und Mäzenin ist – so, wie es Gertrude Vanderbilt Whitney einst in den 30er Jahren war. Zum Lunch bei einem berühmten Kunstsammler in dessen hoch gelegenem Penthouse an der Fith-Avenue eingeladen, gewinnt der Autor einen ganz neuen Blick auf den Central Park, diese hortikulturell höchst anspruchsvoll gestaltete Grünanlage, und lässt einen teilhaben an seiner Art, die Stadt zu lesen.
Jeder New-York-Besucher kennt das seltsame Gefühl, das einen beschleicht, wenn man sich in dieser Stadt bewegt: Man glaubt an all diesen Orten schon mal gewesen zu sein, weil man sie im Kino oder Fernsehserien gesehen hat. Man wähnt, überall könnte gleich Woody Allen um Ecke kommen. Wackwitz spricht von "einer Art Kunsthalluzination", die da fast übermächtig wird beim Spazierengehen. Das alles ist klug beobachtet und behauptet auch gar nicht, mehr zu sein als ein "entschieden kleines Buch". Geschrieben von einem, der schon als Kleinkind mit seiner Mutter – einer Modezeichnerin - für ein Jahr nach New York kam, 1979 dort als verliebter und kurz darauf geläuterter Marxist-Leninist einen Sommer verbrachte und 2007 schließlich ziemlich lange brauchte, um eine vernünftige Bleibe in seiner berufsbedingt "zeitweiligen Heimatstadt" zu finden.
Wackwitz ist die Gabe der Ironie glücklicherweise nicht fremd, weshalb auch die biografischen Einsprengsel nicht aufdringlich ichbezogen wirken. Immerhin handelt es sich hier um einen personal essay, der von den Idiosynkrasien seines Verfassers nicht schweigen möchte. Wackwitz begegnet auf seinen Streifzügen vieles, was einem New-York-Reisenden neu sein dürfte – so auch die Lebensgeschichte des schwarzen Gepäckträgers Henry Lincoln Johnson, der zu einem Helden des Ersten Weltkriegs wurde und an den am nördlichen Ursprung der Fifth Avenue ein unscheinbarer kleiner grauer Obelisk aus Granit erinnert.
"Fifth Avenue" ist die Besichtigung einer laut Autor heute fast biedermeierlichen Metropole, deren Attraktivität für Künstler eindeutig abnimmt. Was andere "gentrification" nennen, nennt Wackwitz "Vermünchnerung" – dort, wo die "Kapitalismusbohème" dominiert, können nur noch Julian Schnabel und Iggy Pop sich Wohnungen leisten – junge, aufstrebende Talente aber, so Wackwitz, zöge New York aufgrund der rasant steigenden Mieten leider immer weniger an. So ist es schwierig, heute ein "glücklicher paysan de New York" zu sein.
Besprochen von Knut Cordsen
Stephan Wackwitz: "Fifth Avenue. Spaziergänge durch das letzte Jahrhundert"
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2010
272 Seiten, 18,95 Euro