Eine faszinierende biografische Feldstudie
Johann Gottfried Seume hat viel erlebt zu seinen Lebzeiten zwischen 1763 und 1810. Bruno Preisendörfer erzählt die Geschichte des ersten Reporters aber nicht chronologisch, sondern in Form kurzer Essays. Eine spannende Biografie.
Bei Johann Gottfried Seume fällt den Vorwitzigen allenfalls noch der "Spaziergang nach Syrakus" ein, der 1802 veröffentlichte Bestseller von einer Fußwanderung über die Alpen bis nach Sizilien. Dass es sich bei dem 1763 geborenen und 1810 gestorbenen freien Gelehrten aber um den ersten großen deutschen Reporter gehandelt hat, ist lange in Vergessenheit geblieben. Seume eckte an, er kam aus kleinen Verhältnissen, und er hielt mit seinen Meinungen nicht hinterm Berg. Das waren alles beste Voraussetzungen, sich Feinde zu machen, und sein Nachruhm wurde nicht unbedingt dadurch gefördert, dass er wenig Geschick darin hatte, in das akademische und bildungsbürgerliche Establishment vorzudringen.
Bruno Preisendörfer weist in seinem abwechslungsreichen und merklich mit großer Lust geschriebenen Seume-Buch, das weit mehr ist als eine bloße Biografie, nachdrücklich auf diesen freien deutschen Geist hin. Und dass dieser Reporter wurde, auch wenn es für diesen Beruf noch gar keine Bezeichnung gab, ist offenkundig seinen Lebensumständen geschuldet. Der gebürtige Sachse wurde von seinem Landesgrafen nach Leipzig geschickt, um Theologie zu studieren. Dort lebte er von 60 Talern im Jahr - Goethe, der ebenfalls an der Nicolaischule studierte, hatte 1000 Taler zur Verfügung - und büchste einfach aus. In der Rhön wurde er von hessischen Häschern aufgegriffen und den Engländern als Soldat verkauft. Die Beschreibung der grässlichen Überfahrt nach Kanada verstärkte seinen Hass gegen die Fürstenwillkür.
Als er ankam, war der Krieg aber bereits vorbei, nach der Rückkehr nach Deutschland versuchte Seume zu desertieren, fiel diesmal aber preußischen Soldatenwerbern in die Hände. Im Gefängnis hielt er sich mit Literatur über Wasser und bekam angesichts seiner Gelehrsamkeit eine Kaution, mit der er sich freikaufen und in Leipzig als Hauslehrer und Übersetzer durchschlagen konnte. Bald fand er sich als Sekretär in russischen Diensten in Warschau, wo er 1794 einen polnischen Aufstand erlebte und in Lebensgefahr geriet. Anschließend arbeitete er für den Verleger Göschen. Und als ihm die Arbeit zu kleinkariert wurde - er fürchtete, dass "sein ganzes Leben ein Druckfehler werden" würde - brach er zur berühmten Wanderung nach Syrakus auf.
Bruno Preisendörfer beschreibt Seumes abenteuerliches Leben nicht chronologisch, sondern schafft kleine essayistische Einheiten: "Der Vater und die Väter", "Die Mutter und die Mädchen" oder "Die Freunde und die Chefs". Seume erscheint hier als ein Rastloser, einer, der klassisch gebildet, aber mit dem Makel der Armut und der falschen Herkunft behaftet ist und nie zur "Elite" gehören kann. Seumes Eintreten für die Ideale der französischen Revolution stempelt ihn in Deutschland umso mehr zum Einzelgänger. Ein faszinierender Lebenslauf, eine faszinierende biografische Feldstudie.
Besprochen von Helmut Böttiger
Bruno Preisendörfer: Der waghalsige Reisende. Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben
Verlag Galiani Berlin, 2012
382 Seiten, 19,99 Euro
Bruno Preisendörfer weist in seinem abwechslungsreichen und merklich mit großer Lust geschriebenen Seume-Buch, das weit mehr ist als eine bloße Biografie, nachdrücklich auf diesen freien deutschen Geist hin. Und dass dieser Reporter wurde, auch wenn es für diesen Beruf noch gar keine Bezeichnung gab, ist offenkundig seinen Lebensumständen geschuldet. Der gebürtige Sachse wurde von seinem Landesgrafen nach Leipzig geschickt, um Theologie zu studieren. Dort lebte er von 60 Talern im Jahr - Goethe, der ebenfalls an der Nicolaischule studierte, hatte 1000 Taler zur Verfügung - und büchste einfach aus. In der Rhön wurde er von hessischen Häschern aufgegriffen und den Engländern als Soldat verkauft. Die Beschreibung der grässlichen Überfahrt nach Kanada verstärkte seinen Hass gegen die Fürstenwillkür.
Als er ankam, war der Krieg aber bereits vorbei, nach der Rückkehr nach Deutschland versuchte Seume zu desertieren, fiel diesmal aber preußischen Soldatenwerbern in die Hände. Im Gefängnis hielt er sich mit Literatur über Wasser und bekam angesichts seiner Gelehrsamkeit eine Kaution, mit der er sich freikaufen und in Leipzig als Hauslehrer und Übersetzer durchschlagen konnte. Bald fand er sich als Sekretär in russischen Diensten in Warschau, wo er 1794 einen polnischen Aufstand erlebte und in Lebensgefahr geriet. Anschließend arbeitete er für den Verleger Göschen. Und als ihm die Arbeit zu kleinkariert wurde - er fürchtete, dass "sein ganzes Leben ein Druckfehler werden" würde - brach er zur berühmten Wanderung nach Syrakus auf.
Bruno Preisendörfer beschreibt Seumes abenteuerliches Leben nicht chronologisch, sondern schafft kleine essayistische Einheiten: "Der Vater und die Väter", "Die Mutter und die Mädchen" oder "Die Freunde und die Chefs". Seume erscheint hier als ein Rastloser, einer, der klassisch gebildet, aber mit dem Makel der Armut und der falschen Herkunft behaftet ist und nie zur "Elite" gehören kann. Seumes Eintreten für die Ideale der französischen Revolution stempelt ihn in Deutschland umso mehr zum Einzelgänger. Ein faszinierender Lebenslauf, eine faszinierende biografische Feldstudie.
Besprochen von Helmut Böttiger
Bruno Preisendörfer: Der waghalsige Reisende. Johann Gottfried Seume und das ungeschützte Leben
Verlag Galiani Berlin, 2012
382 Seiten, 19,99 Euro