Eine Festivalgroteske
Der finnische Regisseur Kristian Smeds hat sich für die Inszenierung von Tschechows "Der Kirschgarten" etwas Besonderes einfallen lassen. Das sogenannte Flüchtlingsdorf im 11. Wiener Bezirk wurde als Spielort auserkoren, und das Publikum in Bussen dort hinausgekarrt.
Erstmals begegnete mir der finnische Regisseur Kristian Smeds mit seiner Inszenierung des (auch verfilmten) Romans "Der unbekannte Soldat", der das finnische Nationalbewusstsein mit seiner kritischen Schilderung über die Ereignisse in Finnland während des Weltkrieges mächtig bewegte. Die von kraftvoll aggressiven Arrangements und Chorszenen bestimmte Inszenierung am Nationaltheater Helsinki war zu Recht Smeds berühmteste Inszenierung.
Mittlerweile hat Kristian Smeds einen der fünf europäischen Theaterpreise für "neue theatrale Realitäten" erhalten und ist im europäischen Festivalbetrieb angekommen. Beides scheint ihn in Originalitätszwang getrieben zu haben. So hat er im vergangenen Jahr mit Schauspielern aus Litauen in einem Sommerhaus am Stadtrand von Litauen Tschechows "Der Kirschgarten" gelesen und geprobt. In einem winzigen Zimmer, in dem kaum ein Dutzend Zuschauer Platz fanden, wurde dann diese Aufführungsprobe gezeigt, - aber auch Zuschauern auf einer Videoleinwand im Garten des Hauses sowie per Livestream Festivalbesuchern in der Mülheimer Stadthalle.
Das klingt irgendwie spektakulär, müssen sich die Wiener Festwochen gesagt haben, also kaufen wir das. Und da ein reines Videotheater allein heutzutage nichts Besonderes mehr ist, musste ein besonderer Spielort her. Das sogenannte Flüchtlingsdorf im 11. Wiener Bezirk wurde gefunden, und das Publikum in Bussen dort hinausgekarrt. Seit den 50er-Jahren werden hier Flüchtlinge aus aller Herren Länder einquartiert: die Gärten, die sie angelegt haben, sollen jetzt neuen Gebäuden weichen. Wie im Kirschgarten, klar. Und so wurde angekündigt, dass das Smeds-Ensemble sich hier mit den Bewohnern treffen, ihnen zuhören und mit ihnen feiern werde.
Doch die Zuschauer erlebten, nachdem sie aus ihren Bussen auf dem Parkplatz eines Discounters ausgestiegen und durch eine Zauntür in das Macondo-Gelände eingetreten waren, nur ein multikulturelles Flüchtlingsensemble beim Fußballspiel. Das war es aber auch schon mit dem Bezug zum Ort und seinen Bewohnern. Fürderhin blieben die Besucher mit den Künstlern allein im Festivalbereich. Der war ein großer Garten, patschnass von zweitägigem Regen. Hier saß man auf Plastikstühlen vor einer riesigen Videowand, ein Teil der Zuschauer notdürftig gewärmt von winzigen, hauchdünnen Wolldecken.
Die Schauspieler begaben sich in ein Holzhäuschen an der Seite des Areals, und was sie dort im vollgerümpelten Raum, umgeben von einigen wenigen Zuschauern, taten, wurde auf die Videowand übertragen. Theater als Public Viewing, mit Untertitelung. Das genauso gut im Volksgarten am Wiener Ring hätte stattfinden können, - oder in einem festen Theaterhaus. Oder als Schauspiel- statt Videotheater. Das Ganze: eine Festivalgroteske und ein Beispiel dafür, wie sich der internationale Festivalbetrieb bei seiner Suche nach Neuigkeiten und Spektakeln ad absurdum führt.
Immerhin: Die Schauspielergroßaufnahmen zeigten intensives psychologisch-realistisches Spiel. Aber wer diese Figuren sind, wo und wie sie leben, das wurde nicht klar. Gesellschaftliche Fragen wurden nicht verhandelt, es wurde nur ein elegantes Spiel von vorzüglichen Schauspielern vor und mit dem Publikum gezeigt. Immerhin fügte Petja, der ewige Student, in seinen Monolog über das Elend auf der Welt allgemeine Anspielungen auf unsere Gegenwart ein und klagte: Wir reden ja nur. Was stimmte. Denn zu sehen war selbstbezogenes Schauspieler-Kunst-Theater. Das kurz vor Mitternacht, im dritten Akt, nach draußen drängte. Dort wurde Lopachin, der vorher ein mild philosophierender älterer Herr war, ganz rabiat. Nachdem er den Kirschgarten ersteigert hatte, setzte er die vorherige Gutsbesitzerin in eine Schubkarre und scheuchte sie mit allen anderen und dem Publikum aus dem Garten, seinem neuen Eigentum, heraus und begann Schampus zu trinken. So was nennt man wohl einen Regieeinfall. Der leider noch weiter ging: denn ein authentischer (?) Bewohner des Flüchtlingsdorfes erklärte über Mikrofon, was man gesehen habe, sei auch das Schicksal der Bewohner von Macondo. Daraufhin forderte er die Theaterzuschauer auf, wieder in den Garten zu kommen. Sein Text, wie die gesamte Szene, waren ein schlimmes Beispiel dafür, wie richtiges Engagement im falschen Theaterspiel zur Peinlichkeit entgleisen kann.
Das Publikum jedenfalls drängte in seiner Mehrheit zu den Bussen zurück. Es war nach Mitternacht, als man am Wiener Karlsplatz wieder abgesetzt wurde. Wer wollte, konnte dann zwei Tage später den vierten Akt des Stückes im Schauspielhaus Wien sehen.
Ich wollte nicht.
Mittlerweile hat Kristian Smeds einen der fünf europäischen Theaterpreise für "neue theatrale Realitäten" erhalten und ist im europäischen Festivalbetrieb angekommen. Beides scheint ihn in Originalitätszwang getrieben zu haben. So hat er im vergangenen Jahr mit Schauspielern aus Litauen in einem Sommerhaus am Stadtrand von Litauen Tschechows "Der Kirschgarten" gelesen und geprobt. In einem winzigen Zimmer, in dem kaum ein Dutzend Zuschauer Platz fanden, wurde dann diese Aufführungsprobe gezeigt, - aber auch Zuschauern auf einer Videoleinwand im Garten des Hauses sowie per Livestream Festivalbesuchern in der Mülheimer Stadthalle.
Das klingt irgendwie spektakulär, müssen sich die Wiener Festwochen gesagt haben, also kaufen wir das. Und da ein reines Videotheater allein heutzutage nichts Besonderes mehr ist, musste ein besonderer Spielort her. Das sogenannte Flüchtlingsdorf im 11. Wiener Bezirk wurde gefunden, und das Publikum in Bussen dort hinausgekarrt. Seit den 50er-Jahren werden hier Flüchtlinge aus aller Herren Länder einquartiert: die Gärten, die sie angelegt haben, sollen jetzt neuen Gebäuden weichen. Wie im Kirschgarten, klar. Und so wurde angekündigt, dass das Smeds-Ensemble sich hier mit den Bewohnern treffen, ihnen zuhören und mit ihnen feiern werde.
Doch die Zuschauer erlebten, nachdem sie aus ihren Bussen auf dem Parkplatz eines Discounters ausgestiegen und durch eine Zauntür in das Macondo-Gelände eingetreten waren, nur ein multikulturelles Flüchtlingsensemble beim Fußballspiel. Das war es aber auch schon mit dem Bezug zum Ort und seinen Bewohnern. Fürderhin blieben die Besucher mit den Künstlern allein im Festivalbereich. Der war ein großer Garten, patschnass von zweitägigem Regen. Hier saß man auf Plastikstühlen vor einer riesigen Videowand, ein Teil der Zuschauer notdürftig gewärmt von winzigen, hauchdünnen Wolldecken.
Die Schauspieler begaben sich in ein Holzhäuschen an der Seite des Areals, und was sie dort im vollgerümpelten Raum, umgeben von einigen wenigen Zuschauern, taten, wurde auf die Videowand übertragen. Theater als Public Viewing, mit Untertitelung. Das genauso gut im Volksgarten am Wiener Ring hätte stattfinden können, - oder in einem festen Theaterhaus. Oder als Schauspiel- statt Videotheater. Das Ganze: eine Festivalgroteske und ein Beispiel dafür, wie sich der internationale Festivalbetrieb bei seiner Suche nach Neuigkeiten und Spektakeln ad absurdum führt.
Immerhin: Die Schauspielergroßaufnahmen zeigten intensives psychologisch-realistisches Spiel. Aber wer diese Figuren sind, wo und wie sie leben, das wurde nicht klar. Gesellschaftliche Fragen wurden nicht verhandelt, es wurde nur ein elegantes Spiel von vorzüglichen Schauspielern vor und mit dem Publikum gezeigt. Immerhin fügte Petja, der ewige Student, in seinen Monolog über das Elend auf der Welt allgemeine Anspielungen auf unsere Gegenwart ein und klagte: Wir reden ja nur. Was stimmte. Denn zu sehen war selbstbezogenes Schauspieler-Kunst-Theater. Das kurz vor Mitternacht, im dritten Akt, nach draußen drängte. Dort wurde Lopachin, der vorher ein mild philosophierender älterer Herr war, ganz rabiat. Nachdem er den Kirschgarten ersteigert hatte, setzte er die vorherige Gutsbesitzerin in eine Schubkarre und scheuchte sie mit allen anderen und dem Publikum aus dem Garten, seinem neuen Eigentum, heraus und begann Schampus zu trinken. So was nennt man wohl einen Regieeinfall. Der leider noch weiter ging: denn ein authentischer (?) Bewohner des Flüchtlingsdorfes erklärte über Mikrofon, was man gesehen habe, sei auch das Schicksal der Bewohner von Macondo. Daraufhin forderte er die Theaterzuschauer auf, wieder in den Garten zu kommen. Sein Text, wie die gesamte Szene, waren ein schlimmes Beispiel dafür, wie richtiges Engagement im falschen Theaterspiel zur Peinlichkeit entgleisen kann.
Das Publikum jedenfalls drängte in seiner Mehrheit zu den Bussen zurück. Es war nach Mitternacht, als man am Wiener Karlsplatz wieder abgesetzt wurde. Wer wollte, konnte dann zwei Tage später den vierten Akt des Stückes im Schauspielhaus Wien sehen.
Ich wollte nicht.