Eine fromme Hanseatin tritt ab

Von Michael Hollenbach |
Am Ende fehlte ihr die Kraft zum Weiterkämpfen: Die Hamburger Bischöfn Maria Jepsen, religiöses Oberhaupt von einer Million Protestanten, hat ihr Amt niedergelegt. Sie übernimmt damit die Verantwortung für eine Missbrauchsaffäre eines Pastors.
Als die Synodenpräsidentin am 4. April 1992 das Ergebnis verkündete, war die Überraschung perfekt: Maria Jepsen, bis dahin Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Harburg, wurde zur Bischöfin der knapp eine Million Hamburger Protestanten gewählt – und war damit die weltweit erste Frau in einem lutherischen Bischofsamt. Schon bei der Bewerbung um das Bischofsamt machte die damals 47-Jährige, die ganz in Lila gekleidet war, ihre Prioritäten deutlich:

"Dass ich mich für eine neue Gemeinschaft von Frauen und Männern einsetze ist selbstverständlich, sah es doch so aus, dass wir in der Kirche bisher einseitig die Fähigkeiten von Frauen wahrgenommen haben, sie fast nur an der Basis Dienst tun ließen. Das darf so nicht fortgesetzt werden, wie inzwischen viele eingesehen haben."

Maria Jepsen stammt aus einer eher konservativen Familie, wuchs mit vier Geschwistern in Bad Segeberg auf. Als sie sechs war, trennten sich die Eltern; die Mutter musste allein für die Familie sorgen. Vielleicht war diese Erfahrung für Maria Jepsen prägend, dass sie nicht nur – wie sie selbst sagt – zu einer gemäßigten Feministin wurde, sondern sich stets für die Schwachen einsetzte:

"Es geht weniger darum, dass wir für andere etwas tun von oben herab, wichtiger ist, dass wir die Betroffenen zu solidarischem Handeln anstiften und befähigen, dass wir Kirche unten sind, nicht für die Armen, sondern mit den Armen."

Selbst in der liberalen nordelbischen Kirche wehte Maria Jepsen anfangs von konservativen Männern ein heftiger Wind entgegen. Vor der Wahl hatten einige hanseatische Pastoren behauptet, als Bischöfin sei sie eine Katastrophe für die Kirche.

"Manchmal habe ich wirklich gedacht, wieso nimmst du das auf dich? Dass ich für eine Katastrophe der Weltgeschichte und der Kirche gehalten wurde, und es war interessant, wie viele ehrwürdige Männergremien sich dann damit befassten, ob eine Frau im Bischofsamt sein kann."

Maria Jepsen machte sich in den ersten Jahren ihrer Amtszeit stark für die Rechte Homosexueller. Nordelbien war die erste Kirche, in der homosexuelle Paare den kirchlichen Segen erhielten. Und die Bischöfin setzte sich immer wieder für Flüchtlinge ein, engagierte sich in der weltweiten wie in der hanseatischen Ökumene. Ähnlich wie Margot Käßmann, die ebenfalls in diesem Jahr als Bischöfin zurücktrat, verband sie ihr soziales und politisches Engagement mit einer ausgeprägten Frömmigkeit. Auch in ihrer kurzen Rücktrittserklärung vom vergangenen Wochenende berief sie sich mehrmals auf die Bibel:

"Ich habe mein Bischofsamt angetreten mit dem mir aus Kindertagen vertrauten Psalmwort 'Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen'."

Anlass für den Rücktritt: Einem Pastor in Ahrensburg bei Hamburg wird vorgeworfen, vor allem in den 80er Jahren Jungen und Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Die Schwester eines Opfers und die damalige Pröpstin Heide Emse berichten, sie hätten Maria Jepsen 1999 auf den Fall hingewiesen. Die Bischöfin will aber erst vor drei Monaten von den Vorfällen erfahren haben. Nach der heftigen Kritik in den Medien sei für sie ihre Arbeitsgrundlage ins Wanken geraten, erklärte Maria Jepsen bei ihrem Rücktritt:

"…fein und lieblich ist momentan fast gar nichts in meinem bischöflichen Amt, meine Glaubwürdigkeit wird angezweifelt. Von daher sehe ich mich nicht in der Lage, die Frohe Botschaft so weiter zu sagen, wie ich es bei meiner Ordination und der Bischofseinführung vor Gott und der Gemeinde versprochen habe."'"

In ihrer Rücktrittserklärung sprach Maria Jepsen allerdings nicht von eigenen Versäumnissen, sondern von "Äußerungen in den Medien, die ihr Schlimmes" unterstellten.

Die 65-Jährige wäre in zwei Jahren in den Ruhestand gegangen. Dann - 2012 - soll auch die neue Nordkirche aus der Taufe gehoben werden. Ein Projekt, das Maria Jepsen nicht gerade mit Feuer und Flamme unterstützt hat; vielleicht auch deswegen nicht, weil die Städte ihres Sprengels, Hamburg und Lübeck, sowohl als Bischofssitz der Nordkirche als auch als Ort der Kirchenverwaltung leer ausgingen. Beobachter deuteten ihr mangelndes Engagement bei dem Projekt Nordkirche auch als eine gewisse Amtsmüdigkeit.

Trotz ihrer langen Amtszeit als Bischöfin hat Maria Jepsen innerhalb der EKD kaum Akzente gesetzt. Das war auch nicht ihr Ziel und ihre Art. Sie ist kein Machtmensch gewesen; keine Basta-Frau. Mit Maria Jepsen ist eine Symbolfigur einer hanseatischen, politisch engagierten Frömmigkeit zurückgetreten. Ein Rücktritt, der aufgrund der Vorkommnisse nicht zwingend notwendig war, meint Jepsens Bischofskollege Gerhard Ulrich:

""Es ist von besonderer Tragik, dass Bischöfin Jepsen für etwas Verantwortung übernimmt, das ihr in keiner Weise als persönliche Schuld angelastet werden kann und darf. Sie hat im Rahmen ihrer Verantwortung getan, was zu tun nötig war. Gerade auch in der Frage des Umgangs mit sexuellem Missbrauch."

Aber wahrscheinlich hat der 65-Jährigen zum Schluss die Kraft und das Engagement gefehlt, eine Auseinandersetzung um ihre Glaubwürdigkeit durchzustehen, die sich womöglich noch monatelang hingezogen hätte.