Eine ganz normale Familie

Von Georg Gruber · 20.11.2008
"Unter Einzelgängern" heißt der Erstling von Christopher Kloeble. Es ist eine vielschichtige Familiengeschichte, für die der 26-jährige Autor mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung ausgezeichnet wird. In der Begründung der Jury heißt es, der Roman verschränke "auf artistische, originelle Weise Elemente der Familiengeschichte, des Romans im Roman, der Kriminalstory und der künstlerischen Selbstmaskerade".
Der Tod spielt eine zentrale Rolle in Christopher Kloebles Debüt "Unter Einzelgängern": Die Mutter erwartet ihre erwachsenen Kinder, Simon und Katrin. Als es an der Tür klingelt, stürzt sie unglücklich. So beginnt die Geschichte über eine ganz normale Familie, die schon längst nicht mehr so harmoniert, wie es nach außen scheint. Der Tod der Mutter ist für Christopher Kloeble Ausgangspunkt für ein literarisches Experiment:

Kloeble: "Das fand ich das Spannende, was passiert eigentlich, wenn die Leute in alle Richtungen davon streben, das Bild fand ich sehr schön, wie so ein Mobile, wo man eines der Dinge, die runterhängen abschneidet und alle anderen so wackeln und nicht mehr im Gleichgewicht sind, das fand ich das grundlegend Spannende, wohin können Menschen davon driften, wenn so ein zentraler Kern fehlt, weil ja für mich die Mutter so ein zentraler Kern war, der, ohne dass sie es gemerkt haben, das so zusammenhielt."

In einer Geschichte in der Geschichte, verfasst von Sohn Simon, der wie Kloeble am Literaturinstitut in Leipzig studiert, wird wieder eine Familie durch einen Todesfall erschüttert. Klingt nach schwerer Kost, ist aber unterhaltsam geschrieben. Ein berührendes Debüt.

Wenn man Christopher Kloeble - 26, schlank, kurze Haare, wache Augen - gegenüber sitzt in seiner Kreuzberger Altbauwohnung, dann spürt man, dass er das gefunden hat, was ihn ausfüllt: Schreiben.

"Ich schreibe jeden Tag, auch wenn ich auf Reisen bin, ich weiß nicht, ob man es schon als Sucht bezeichnet, aber es gibt mir grundsätzlich ein besseres Gefühl, wenn ich es getan habe. Also wenn ich es ein paar Tage nicht mache, dann werde ich aus sehr unruhig. Das merke ich schon, die Weihnachtsfeiertage, das geht dann noch, aber dann muss auch mal wieder was rein."

Aufgewachsen ist er im bayerischen Königsdorf, im Alpenvorland. Sein Vater, Schauspieler und Fernsehproduzent, hat schon die ersten Kurzgeschichten des Elfjährigen aufmerksam gelesen:

"Ich hab sie mir auch gut aufgehoben, um mich zu erinnern, dass man sich zumindest ein bisschen entwickelt haben muss, und das ist absurd, wenn sie da die Seite sehen, auf einer Seite sind bestimmt an die 50 Anmerkungen, weil er es sehr ernsthaft analysiert hat und jeden Fehler und jedes inhaltliches Problem angemerkt wurde und es war sicher hilfreich, dass man da ernst genommen wurde und nicht: ja, der Kleine, der schreibt, das ist ja nett, ja und das hat mir immer die Zuversicht und den Mut gegeben, das weiter zu machen. Allerdings als Hobby."

Geprägt hat ihn auch eine andere Kindheitserfahrung, das Singen im Nachbarort, im Tölzer Knabenchor.

"Ich war zum Beispiel in dieser Zeit ein ziemlich dickes Kind und ich hab darunter auch sehr gelitten im Chor, nicht nur von den Mitsingern, sondern auch von den Lehrern, mal eben so: der Dicke soll mal singen! Das war wirklich, da gab's noch viel, viel schlimmere Sachen, die will ich gar nicht erzählen, in der Hinsicht war es nicht so schön, wenn man das den Eltern erzählt sagen die: was!?! Aber man dachte halt als Kind, das ist okay."

Fünf Jahre, bis zum Stimmbruch, war er in dem Chor – bis heute ist ihm die Lust am Singen vergangen. Er hat allerdings auch gelernt fürs Leben, einiges was ihm heute beim Schreiben hilft:

"Man lernt halt Sachen wie Pünktlichkeit, fertig sein, zu einem bestimmten Termin wo sein, Ablieferungstermine und solche Sachen. Die kriegt man schon indoktriniert, man lernt da lernen, das lernt man dort definitiv, was ja in der Schule auch so oft fehlt, man lernt wie man sich selber beibringt, einen Text singen zu können, und wenn man das grundsätzlich beherrscht, dann kann man das auf alle anderen Sachen auch anwenden."

Nach dem Abitur bricht er ein Praktikum bei einer Werbeagentur ab und entscheidet sich für seine wahre Leidenschaft. Seitdem greift eins ins andere: Er nimmt an einer Schreibwerkstatt an der Universität München teil, schafft es aufs Literaturinstitut in Leipzig, bekommt Stipendien. Seine Abschlussarbeit, ein Theaterstück, wird als Werkstattinszenierung an den Kammerspielen in München gezeigt. Sein Debüt-Roman erscheint bei dtv, zwei weitere Buch-Manuskripte hat er bereits in der Schublade. Er arbeitet fürs Fernsehen und schreibt Drehbücher. Gerade hat er das Angebot bekommen, eine TV-Serie zu konzipieren, Inhalt noch geheim.

"Die erstaunliche Erfahrung mache ich gerade, dass ich richtig leben kann vom Schreiben. Im Moment ist das ein ganz neues Gefühl, dass ich etwas schreibe und jemand noch eine Rechnung hinterher schicke, faszinierend, ja dass man sich davon was zu essen kaufen kann."

In Berlin lebt der 26-Jährige mit seiner Freundin zusammen, die nun seine erste und vielleicht strengste Lektorin ist. In seinem Debüt hat er – und dies ist eine Warnung, das Buch nicht zu schnell zur Seite zu legen – allerdings eine Hürde aufgebaut: Die Mutter führt im Sterben einen Dialog mit einer "Wollmaus":

"Ich mag das manchmal auch an Geschichten, wenn es eine Übernatürlichkeit gibt. Ich weiß, dass sich da die Meinungen spalten, es gibt Leute, die finden die total originell und es gibt Leute, die können die überhaupt nicht ausstehen. Aber das ist vielleicht auch nicht das Schlechteste, wenn man das erreicht, dass Leute etwas lieben und hassen."

Christopher Kloeble: Unter Einzelgängern
dtv, 220 Seiten, 14,90 Euro