Eine gefeierte Frau
Wie konnte es geschehen, dass Königin Luise in einem nur 34 Jahre währenden Leben zum preußischen Mythos werden konnte? Dieser und anderen Fragen geht Sibylle Wirsing in ihrem Buch "Die Königin" nach.
Die "Schönste der Schönen", die "beste Mutter aller Zeiten", die "Todfeindin Napoleons", der "Schutzgeist deutscher Sache", die "preußische Madonna" - wer war die Frau, die so hymnisch gefeiert wurde und deren Anziehungskraft noch heute so ungebrochen ist?
Und wie konnte es geschehen, dass sie, "Sancta Louisen", nach einem nur 34 Jahre währenden Leben zum preußischen Mythos ohne Vergleich und Beispiel werden sollte, von der "Märtyrerin der Nation" zur "Mutter des Deutschen Reiches", von der "stillen Dulderin" zur "edelsten Frau der Geschichte", wie noch Meyers Konversationslexikon von 1877 sie genannt hat?
200 Jahre nach dem Tod der Königin Luise von Preußen ist die Anzahl der Bücher über diese bis heute populärste Hohenzollernfürstin nur schwer zu ummessen. Hunderte werden es sein, die seit ihrem Tod 1810 erschienen sind, nun, 2010, kommen mehrere Titel hinzu, darunter auch Sibylle Wirsings "Die Königin - Luise nach 200 Jahren".
Luise, 1776 als Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz geboren und 1793 mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm vermählt, ihm in herzlicher Zuneigung zugetan, mit zehn Kindern, von denen sieben überleben, gesegnet, für ihre Schönheit und Volksnähe gefeiert, schließlich in den Strudel der napoleonischen Ära hineingerissen, die Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt miterlebend, dem großen Korsen dann in Tilsit 1807 selbst entgegentretend, aber vergebens um einen milderen Frieden bittend, starb 1810 nach einem nur 34 Jahre währenden Leben, aufgerieben zwischen Krieg und Frieden, ständigen Reisen und Fluchten, dabei über 16 Jahre nahezu permanent schwanger.
Ende des 18. Jahrhunderts, während viele Bürger und Intellektuelle fasziniert auf die Vorgänge im Frankreich der Revolution von 1789 schauten, besaß Luise von Anfang an politische Bedeutung. Sie wurde zum Inbegriff der "neuen Frau", der treuen, häuslichen und zärtlichen Mutter – und dergestalt zur Mittlerin zwischen Bürgertum und Krone. Jede Frau und Mutter solle ein Bild der Königin in ihrem Zimmer haben, begeisterte sich Novalis, der "Liebe" an die Stelle der nicht gewährten Verfassung stellte, denn ein Königspaar, das nach den Maximen des Bürgertums zu leben schien, konnte diesem kein Gegner im Kampf um Freiheit und politische Rechte sein, sondern wies in eine gemeinsame, bürgerliche Zukunft.
Wie so oft aber war das Wunschdenken mächtiger als die Wirklichkeit. Vergessen war, dass Luise zur Verschwendung neigte, erst gegen Mittag das Bett verließ und schon vor den Mahlzeiten das eine oder andere Glas Stettiner Bier zu sich nahm. Vergessen war, dass Friedrich Wilhelm nur den Bürger mimte, weil ihm seine Königswürde eine Bürde war. Was machte es, dass König und Königin im absolutistischen Denken gefangen blieben, die zelebrierte Natürlichkeit im Zeitalter der Empfindsamkeit auch eine Bewegung des Adels war und Luise von Eingeweihten zwiespältig beurteilt wurde?
"Die Königin Luise wurde von allen geliebt und war daher für ihre Kritiker ein Problem. Wer sie oberflächlich und gefallsüchtig fand und an ihr die wahre weibliche Hoheit vermisste, konnte seinen Standpunkt noch so überzeugend vertreten, aber musste die Sache selber trotzdem verfehlen."
Die historische Quellenlage zum Leben und Sterben der Königin Luise ist gut, viel Neues spätestens seit Paul Bailleus großer Darstellung ihres Lebens von 1908 nicht mehr zu erwarten. Und der Leser tut gut daran, ein wenig Vorbildung zu haben, wenn es an die Lektüre von Sybille Wirsings Publikation geht.
Elegant geschrieben, wenngleich mitunter etwas beiläufig und darum nicht immer ganz einfach zu lesen, belohnt das Buch den Leser vor allem mit ausführlichen, gut recherchierten und auf den richtigen Punkt gebrachten Zitaten: Briefe, Tagebucheinträge, Gedichte - stellenweise schmiert die Autorin nur wenig eigenen Zement zwischen diese Bausteine ihres Buches, das sie geschickt und kurzweilig aufbaut, ein Aufbau, der einem liegen muss, der aber den großen Vorteil hat, dass man der historischen Luise und ihren Zeitgenossen, von Novalis bis Napoleon, von Humboldt bis Hardenberg, auf besondere Weise nahe kommt.
Stellenweise vermeint man, einem Sprechtheater beizuwohnen, so plastisch tritt uns die Figur der Königin entgegen, zumal, wenn es, wie so oft in ihren Briefen, darum geht, dem eigenen, zögerlichen Gemahl im Angesicht der Bedrohung Napoleons den Rücken zu stärken, ihm, dem "Dilettant mit einer kolossalen Schwäche für Ruhe und Frieden", wie Sybille Wirsing ihn treffend nennt.
So schreibt Luise, auf der Flucht vor Napoleon gen Ostpreußen, Station machend in Berlin:
"Bester Freund. Es wäre vergeblich, dir die Empfindungen schildern zu wollen, die ich empfand, als ich Potsdam und Berlin wiedersah. Das Volk in Berlin, welches glaubte, ich sei gefangen, begleitete meinen Wagen und sammelte sich zu Tausenden am Palais unter meinem Fenster und schrien immer nach mir. Nein, solch ein Volk gibt es nicht mehr.
12.000 Bürger wollen sich bewaffnen und 1500 von die vornehmsten außer die 12.000 sind ebenfalls bereit, dir zu folgen und für dich zu fechten, wo du willst. Die Nachricht der unglücklichen Bataille, statt sie niederzuschlagen, hat sie nur noch mehr erbittert gegen den Feind und ihre Anhänglichkeit und Ergebenheit für dich für ihren König u Vaterland noch vermehrt. Es ist unbeschreiblich, wie sehr sie dich lieben, alle Aufopferungen bereit zu bringen, ihr Blut und Gut. Kinder und Väter, alles steht auf, Dich zu schützen! Benutze die Gelegenheit ja, es kann etwas Großes herauskommen. Nur um Gotteswillen keinen schändlichen Frieden."
Nicht zuletzt solche hinterlassenen Briefe sind es gewesen, die Luise nach ihrem frühen Tod zur Märtyrerin werden ließen - aber auch zum Inbegriff des Durchhaltewillens und der Leidensfähigkeit der deutschen Frau. Kein Wunder, dass noch die Nationalsozialisten ihr Bild als leuchtendes Beispiel priesen.
200 Jahre nach Luise ist der politische Kult um sie vergessen; doch sie bleibt, überliefert in den Meisterwerken der klassizistischen Bildhauerei von Schadow und Rauch, Preußens schönstes, inspirierendstes Gesicht, ganz dem Satz von Edgar Allan Poe gemäß: "Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt."
Sibylle Wirsing: Die Königin. Luise nach 200 Jahren
WJS Verlag, Berlin 2010
Und wie konnte es geschehen, dass sie, "Sancta Louisen", nach einem nur 34 Jahre währenden Leben zum preußischen Mythos ohne Vergleich und Beispiel werden sollte, von der "Märtyrerin der Nation" zur "Mutter des Deutschen Reiches", von der "stillen Dulderin" zur "edelsten Frau der Geschichte", wie noch Meyers Konversationslexikon von 1877 sie genannt hat?
200 Jahre nach dem Tod der Königin Luise von Preußen ist die Anzahl der Bücher über diese bis heute populärste Hohenzollernfürstin nur schwer zu ummessen. Hunderte werden es sein, die seit ihrem Tod 1810 erschienen sind, nun, 2010, kommen mehrere Titel hinzu, darunter auch Sibylle Wirsings "Die Königin - Luise nach 200 Jahren".
Luise, 1776 als Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz geboren und 1793 mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm vermählt, ihm in herzlicher Zuneigung zugetan, mit zehn Kindern, von denen sieben überleben, gesegnet, für ihre Schönheit und Volksnähe gefeiert, schließlich in den Strudel der napoleonischen Ära hineingerissen, die Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt miterlebend, dem großen Korsen dann in Tilsit 1807 selbst entgegentretend, aber vergebens um einen milderen Frieden bittend, starb 1810 nach einem nur 34 Jahre währenden Leben, aufgerieben zwischen Krieg und Frieden, ständigen Reisen und Fluchten, dabei über 16 Jahre nahezu permanent schwanger.
Ende des 18. Jahrhunderts, während viele Bürger und Intellektuelle fasziniert auf die Vorgänge im Frankreich der Revolution von 1789 schauten, besaß Luise von Anfang an politische Bedeutung. Sie wurde zum Inbegriff der "neuen Frau", der treuen, häuslichen und zärtlichen Mutter – und dergestalt zur Mittlerin zwischen Bürgertum und Krone. Jede Frau und Mutter solle ein Bild der Königin in ihrem Zimmer haben, begeisterte sich Novalis, der "Liebe" an die Stelle der nicht gewährten Verfassung stellte, denn ein Königspaar, das nach den Maximen des Bürgertums zu leben schien, konnte diesem kein Gegner im Kampf um Freiheit und politische Rechte sein, sondern wies in eine gemeinsame, bürgerliche Zukunft.
Wie so oft aber war das Wunschdenken mächtiger als die Wirklichkeit. Vergessen war, dass Luise zur Verschwendung neigte, erst gegen Mittag das Bett verließ und schon vor den Mahlzeiten das eine oder andere Glas Stettiner Bier zu sich nahm. Vergessen war, dass Friedrich Wilhelm nur den Bürger mimte, weil ihm seine Königswürde eine Bürde war. Was machte es, dass König und Königin im absolutistischen Denken gefangen blieben, die zelebrierte Natürlichkeit im Zeitalter der Empfindsamkeit auch eine Bewegung des Adels war und Luise von Eingeweihten zwiespältig beurteilt wurde?
"Die Königin Luise wurde von allen geliebt und war daher für ihre Kritiker ein Problem. Wer sie oberflächlich und gefallsüchtig fand und an ihr die wahre weibliche Hoheit vermisste, konnte seinen Standpunkt noch so überzeugend vertreten, aber musste die Sache selber trotzdem verfehlen."
Die historische Quellenlage zum Leben und Sterben der Königin Luise ist gut, viel Neues spätestens seit Paul Bailleus großer Darstellung ihres Lebens von 1908 nicht mehr zu erwarten. Und der Leser tut gut daran, ein wenig Vorbildung zu haben, wenn es an die Lektüre von Sybille Wirsings Publikation geht.
Elegant geschrieben, wenngleich mitunter etwas beiläufig und darum nicht immer ganz einfach zu lesen, belohnt das Buch den Leser vor allem mit ausführlichen, gut recherchierten und auf den richtigen Punkt gebrachten Zitaten: Briefe, Tagebucheinträge, Gedichte - stellenweise schmiert die Autorin nur wenig eigenen Zement zwischen diese Bausteine ihres Buches, das sie geschickt und kurzweilig aufbaut, ein Aufbau, der einem liegen muss, der aber den großen Vorteil hat, dass man der historischen Luise und ihren Zeitgenossen, von Novalis bis Napoleon, von Humboldt bis Hardenberg, auf besondere Weise nahe kommt.
Stellenweise vermeint man, einem Sprechtheater beizuwohnen, so plastisch tritt uns die Figur der Königin entgegen, zumal, wenn es, wie so oft in ihren Briefen, darum geht, dem eigenen, zögerlichen Gemahl im Angesicht der Bedrohung Napoleons den Rücken zu stärken, ihm, dem "Dilettant mit einer kolossalen Schwäche für Ruhe und Frieden", wie Sybille Wirsing ihn treffend nennt.
So schreibt Luise, auf der Flucht vor Napoleon gen Ostpreußen, Station machend in Berlin:
"Bester Freund. Es wäre vergeblich, dir die Empfindungen schildern zu wollen, die ich empfand, als ich Potsdam und Berlin wiedersah. Das Volk in Berlin, welches glaubte, ich sei gefangen, begleitete meinen Wagen und sammelte sich zu Tausenden am Palais unter meinem Fenster und schrien immer nach mir. Nein, solch ein Volk gibt es nicht mehr.
12.000 Bürger wollen sich bewaffnen und 1500 von die vornehmsten außer die 12.000 sind ebenfalls bereit, dir zu folgen und für dich zu fechten, wo du willst. Die Nachricht der unglücklichen Bataille, statt sie niederzuschlagen, hat sie nur noch mehr erbittert gegen den Feind und ihre Anhänglichkeit und Ergebenheit für dich für ihren König u Vaterland noch vermehrt. Es ist unbeschreiblich, wie sehr sie dich lieben, alle Aufopferungen bereit zu bringen, ihr Blut und Gut. Kinder und Väter, alles steht auf, Dich zu schützen! Benutze die Gelegenheit ja, es kann etwas Großes herauskommen. Nur um Gotteswillen keinen schändlichen Frieden."
Nicht zuletzt solche hinterlassenen Briefe sind es gewesen, die Luise nach ihrem frühen Tod zur Märtyrerin werden ließen - aber auch zum Inbegriff des Durchhaltewillens und der Leidensfähigkeit der deutschen Frau. Kein Wunder, dass noch die Nationalsozialisten ihr Bild als leuchtendes Beispiel priesen.
200 Jahre nach Luise ist der politische Kult um sie vergessen; doch sie bleibt, überliefert in den Meisterwerken der klassizistischen Bildhauerei von Schadow und Rauch, Preußens schönstes, inspirierendstes Gesicht, ganz dem Satz von Edgar Allan Poe gemäß: "Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt."
Sibylle Wirsing: Die Königin. Luise nach 200 Jahren
WJS Verlag, Berlin 2010