Eine Geschichte der Umweltbewegten
Von der Anti-Atom-Initiative bis zum Öko-Feminismus: Joachim Radkau zeichnet in diesem Übersichtswerk die Entwicklung der weltweiten Umweltbewegungen nach.
Die Ökologiebewegung - lässt sich die überhaupt definieren? Der Historiker Joachim Radkau erkennt schon am Anfang seines neuen Buchs "Die Ära der Ökologie", dass man sich von diesem Ehrgeiz besser löst. Schon die Frage, wo die Geschichte dieser Bewegung überhaupt beginnen soll, führt ihn zu keinem eindeutigen Ergebnis. Beginnt sie im 18. Jahrhundert, als die ersten Wandervögel die Natur priesen? Oder sind die 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Ausgangspunkt – die Zeit, in der sich Öko-Aktivisten immer stärker zusammenschlossen?
Radkau versucht gar nicht erst, in seinem fast 800 Seiten starken Werk die unterschiedlichen Strömungen der Vergangenheit auf einen Nenner zu bringen oder gar einen chronologischen Ablauf ohne Brüche zu konstruieren.
Er arbeitet vielmehr heraus, wie stark die Entwicklung der Ökologiebewegung von kleinen Anstößen, großen Umweltskandalen und auch zufälligen Ereignissen geprägt war – und wie diese sie immer wieder in neue Richtungen lenkten. Wie etwa Rachels Carsons Klassiker `Der stille Frühling', der die Bevölkerung erstmals für die Gefahren von Pestiziden sensibilisierte. Oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die für eine Revitalisierung der Anti-Atom-Bewegung sorgte.
Radkau beleuchtet dabei immer wieder die Zerreißproben, denen die Umweltbewegungen ausgesetzt waren. Sie mussten und müssen mit schier unerträglichen Widersprüchen leben: Wer das Klima schützen will und Windräder aufstellt, zieht den Zorn der Vogelfreunde auf sich, die in den Anlagen eine Gefahr für die Tiere sehen. Wer vermeintlich umweltfreundlich mit Holzpellets heizt, muss in Kauf nehmen, dass Wälder gerodet werden. Radkau schreibt:
"Konflikt-Konsens-Schleifen kennzeichnen das um den Naturschutz gebündelte Spannungsfeld: zwischen dem Naturschutz für die Menschen und dem gegen die Menschen, zwischen Naturschutz und Jagd, Naturschutz und Tourismus und überhaupt zwischen ökologischen und sozialen Motiven in der Umweltbewegung – ein besonders weites und unübersichtliches Feld. Und dann am Schluss jene Diskrepanz, die von den Anfängen der Umweltbewegung bis heute einen besonders markanten Spannungsbogen beschreibt: die zwischen dem globalen Horizont und den grassroots movements – eine Spannung, die mit der Parole "Global denken – lokal handeln" nur verbal, nicht real aufgelöst wird."
Schon um das Jahr 1900 keimten Radkau zufolge die ersten Konflikte auf: Städter zogen aufs Land und wurden Naturschwärmer, während sich die in der Stadt lebenden Technokraten der Hygiene verschrieben und sich um die Wasser- und Elektrizitätsversorgung kümmerten. Radkau kommt zu einer eher ernüchternden Erkenntnis:
"Zuallererst muss man sich gründlich von der ganz und gar ahistorischen Idee frei machen, es gebe für die Lösung der Umweltprobleme unserer Welt ein Patentrezept, eine effektive Methode, eine optimale Instanz und Organisation. Hier gibt es keine Wahrheiten ohne Raum und Zeit, ohne Situation und Akteure. Alle Werturteile sind hier relativ und zeitgebunden, sind an bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft."
Schwerpunktmäßig seziert Radkau die deutsche Ökologiegeschichte. So beschreibt er den Entstehungsprozess der Grünen oder auch die überdramatisierte Sorge um das Waldsterben in den 80er-Jahren. Gleichzeitig ordnet er die Ereignisse aber in einen internationalen Kontext ein. So kamen überraschend viele Anstöße im Umweltschutz aus den USA - dem Land, das Umweltschützern wegen seiner Weigerung, das Kyoto-Klimaschutzprotokoll zu ratifizieren, so vorzüglich als Feindbild dient.
Radkau bricht vertraute Freund-Feind-Bilder auf oder versetzt ihnen zumindest Kratzer. Er erinnert daran, dass der Stromproduzent RWE bis in die späten 60er-Jahre den Einstieg in die Kernenergie eher gebremst hatte. Maßgeblich sei der Einstieg damals von der Wissenschaft vorangetrieben worden. Ohne sich mit der Atomlobby gemein zu machen, zweifelt Radkau daran, dass die Branche so diabolisch ist, wie ihre Widersacher sie sehen. Er plädiert für einen Dialog:
"Wer dem Ideal der unberührten Natur huldigt und in jeder Umweltveränderung eine Umweltschädigung erblickt, verfällt zwangsläufig in ohnmächtige Wut oder igelt sich in Reservaten ein. Da gibt es nichts zu verhandeln; es gibt kein Konzept von Gerechtigkeit, auf das sich beide Seiten auch nur im Prinzip einigen könnten. Vergleicht man jedoch typische Umweltkonflikte mit anderen klassischen Konflikttypen, fällt auf, in welchem Maße in Umweltfragen Spielräume für kreative Lösungen bestehen, bei denen beide Seiten gewinnen."
Radkau gelingt es, die Geschichte der Ökologie gleichzeitig lehrreich und unterhaltsam und doch angenehm unaufgeregt zu schildern. Nichtsdestotrotz bezieht er laufend Stellung und verteilt genussvoll Seitenhiebe - etwa auf den "Spiegel", der nach seiner Meinung allzu oft Entwicklungen verschlief, um mit ihnen anschließend umso reißerischer auf dem Magazintitel aufzumachen.
Er erinnert an Verfehlungen der Weltbank, die mit ihren Auflagen ärmere Länder zwang, Naturschätze zu zerstören oder auch an irrlichternde Politiker – wie etwa an Willy Brandt, der als Regierender Bürgermeister von Berlin damit liebäugelte, auf der Pfaueninsel im Wannsee ein Kernkraftwerk zu errichten. Der Plan wurde erst zu den Akten gelegt, als der Politik klar wurde, dass den West-Berlinern im Fall einer Evakuierung nur der Grenzübertritt in die DDR geblieben wäre.
Unter dem Eindruck der jüngsten Atomkatastrophe in Japan wirkt Radkaus Werk an mehreren Stellen fast schon prophetisch. Auch wenn das Unglück nach Erscheinen des Buchs geschah und somit keine Erwähnung findet, tragen Radkaus Schilderungen den Leser gedanklich immer wieder in die Gegenwart.
Wenn er etwa darauf hinweist, dass sich nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima am Ende des zweiten Weltkriegs keine nennenswerte Anti-Kernkraft-Bewegung in Japan gebildet hat. Zu stark sei das rohstoffarme Land von der Atomtechnik abhängig, vermutet er. Ein unheilvolles Zweckbündnis - wie sowohl der Blick in die Geschichte, als auch ins Heute zeigt.
Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte
C. H. Beck Verlag München, 2011
Radkau versucht gar nicht erst, in seinem fast 800 Seiten starken Werk die unterschiedlichen Strömungen der Vergangenheit auf einen Nenner zu bringen oder gar einen chronologischen Ablauf ohne Brüche zu konstruieren.
Er arbeitet vielmehr heraus, wie stark die Entwicklung der Ökologiebewegung von kleinen Anstößen, großen Umweltskandalen und auch zufälligen Ereignissen geprägt war – und wie diese sie immer wieder in neue Richtungen lenkten. Wie etwa Rachels Carsons Klassiker `Der stille Frühling', der die Bevölkerung erstmals für die Gefahren von Pestiziden sensibilisierte. Oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die für eine Revitalisierung der Anti-Atom-Bewegung sorgte.
Radkau beleuchtet dabei immer wieder die Zerreißproben, denen die Umweltbewegungen ausgesetzt waren. Sie mussten und müssen mit schier unerträglichen Widersprüchen leben: Wer das Klima schützen will und Windräder aufstellt, zieht den Zorn der Vogelfreunde auf sich, die in den Anlagen eine Gefahr für die Tiere sehen. Wer vermeintlich umweltfreundlich mit Holzpellets heizt, muss in Kauf nehmen, dass Wälder gerodet werden. Radkau schreibt:
"Konflikt-Konsens-Schleifen kennzeichnen das um den Naturschutz gebündelte Spannungsfeld: zwischen dem Naturschutz für die Menschen und dem gegen die Menschen, zwischen Naturschutz und Jagd, Naturschutz und Tourismus und überhaupt zwischen ökologischen und sozialen Motiven in der Umweltbewegung – ein besonders weites und unübersichtliches Feld. Und dann am Schluss jene Diskrepanz, die von den Anfängen der Umweltbewegung bis heute einen besonders markanten Spannungsbogen beschreibt: die zwischen dem globalen Horizont und den grassroots movements – eine Spannung, die mit der Parole "Global denken – lokal handeln" nur verbal, nicht real aufgelöst wird."
Schon um das Jahr 1900 keimten Radkau zufolge die ersten Konflikte auf: Städter zogen aufs Land und wurden Naturschwärmer, während sich die in der Stadt lebenden Technokraten der Hygiene verschrieben und sich um die Wasser- und Elektrizitätsversorgung kümmerten. Radkau kommt zu einer eher ernüchternden Erkenntnis:
"Zuallererst muss man sich gründlich von der ganz und gar ahistorischen Idee frei machen, es gebe für die Lösung der Umweltprobleme unserer Welt ein Patentrezept, eine effektive Methode, eine optimale Instanz und Organisation. Hier gibt es keine Wahrheiten ohne Raum und Zeit, ohne Situation und Akteure. Alle Werturteile sind hier relativ und zeitgebunden, sind an bestimmte Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft."
Schwerpunktmäßig seziert Radkau die deutsche Ökologiegeschichte. So beschreibt er den Entstehungsprozess der Grünen oder auch die überdramatisierte Sorge um das Waldsterben in den 80er-Jahren. Gleichzeitig ordnet er die Ereignisse aber in einen internationalen Kontext ein. So kamen überraschend viele Anstöße im Umweltschutz aus den USA - dem Land, das Umweltschützern wegen seiner Weigerung, das Kyoto-Klimaschutzprotokoll zu ratifizieren, so vorzüglich als Feindbild dient.
Radkau bricht vertraute Freund-Feind-Bilder auf oder versetzt ihnen zumindest Kratzer. Er erinnert daran, dass der Stromproduzent RWE bis in die späten 60er-Jahre den Einstieg in die Kernenergie eher gebremst hatte. Maßgeblich sei der Einstieg damals von der Wissenschaft vorangetrieben worden. Ohne sich mit der Atomlobby gemein zu machen, zweifelt Radkau daran, dass die Branche so diabolisch ist, wie ihre Widersacher sie sehen. Er plädiert für einen Dialog:
"Wer dem Ideal der unberührten Natur huldigt und in jeder Umweltveränderung eine Umweltschädigung erblickt, verfällt zwangsläufig in ohnmächtige Wut oder igelt sich in Reservaten ein. Da gibt es nichts zu verhandeln; es gibt kein Konzept von Gerechtigkeit, auf das sich beide Seiten auch nur im Prinzip einigen könnten. Vergleicht man jedoch typische Umweltkonflikte mit anderen klassischen Konflikttypen, fällt auf, in welchem Maße in Umweltfragen Spielräume für kreative Lösungen bestehen, bei denen beide Seiten gewinnen."
Radkau gelingt es, die Geschichte der Ökologie gleichzeitig lehrreich und unterhaltsam und doch angenehm unaufgeregt zu schildern. Nichtsdestotrotz bezieht er laufend Stellung und verteilt genussvoll Seitenhiebe - etwa auf den "Spiegel", der nach seiner Meinung allzu oft Entwicklungen verschlief, um mit ihnen anschließend umso reißerischer auf dem Magazintitel aufzumachen.
Er erinnert an Verfehlungen der Weltbank, die mit ihren Auflagen ärmere Länder zwang, Naturschätze zu zerstören oder auch an irrlichternde Politiker – wie etwa an Willy Brandt, der als Regierender Bürgermeister von Berlin damit liebäugelte, auf der Pfaueninsel im Wannsee ein Kernkraftwerk zu errichten. Der Plan wurde erst zu den Akten gelegt, als der Politik klar wurde, dass den West-Berlinern im Fall einer Evakuierung nur der Grenzübertritt in die DDR geblieben wäre.
Unter dem Eindruck der jüngsten Atomkatastrophe in Japan wirkt Radkaus Werk an mehreren Stellen fast schon prophetisch. Auch wenn das Unglück nach Erscheinen des Buchs geschah und somit keine Erwähnung findet, tragen Radkaus Schilderungen den Leser gedanklich immer wieder in die Gegenwart.
Wenn er etwa darauf hinweist, dass sich nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima am Ende des zweiten Weltkriegs keine nennenswerte Anti-Kernkraft-Bewegung in Japan gebildet hat. Zu stark sei das rohstoffarme Land von der Atomtechnik abhängig, vermutet er. Ein unheilvolles Zweckbündnis - wie sowohl der Blick in die Geschichte, als auch ins Heute zeigt.
Joachim Radkau: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte
C. H. Beck Verlag München, 2011