"Eine Geschichte in Moll, gespielt in Dur"

Felix van Groeningen und Johan Heldenbergh im Gespräch mit Holger Hettinger |
Schonungslos werden in "The Broken Circle Breakdown" die existenziellen Fragen des Lebens zwischen der Tätowiererin Elise und dem Banjo-Spieler Didier verhandelt. Regisseur und Hauptdarsteller sprechen im Interview darüber, wie belastbar eine Liebe sein kann.
So spielerisch leicht, wie der Musiker seine Banjo-Soli interpretiert, so fasst er auch seine Ehe auf, Konflikte werden weggespielt. Das ändert sich, als seine Tochter todkrank wird - eine Belastung, der die Beziehung der beiden nicht standhält. Wir haben mit dem Regisseur Felix van Groeningen und dem Darsteller des Didier – Johan Heldenbergh - gesprochen.

Holger Hettinger: Felix van Groeningen, ihr Film "The Broken Circle Breakdown" basiert auf einem erfolgreichen Theaterstück. Nun könnte man sagen: prima, ist ja alles da, es ist ganz einfach, eine Filmfassung herzustellen. Nun hat mir mal ein Regisseur erzählt, das sei so ziemlich das Schwierigste überhaupt, da ein Theaterstück dialogbasiert ist, und es höllisch schwer sei, Bilder, Stimmungen und Erzählrhythmen so zu entwickeln, dass es nicht schnöde bebildert wirkt. Wie ist es ihnen gegangen bei "The Broken Circle Breakdown"?

Felix van Groeningen: Das war ziemlich schwer, aber es ist immer schwer, einen Film zu machen. Ich bin mir nicht sicher, ob es jetzt besonders schwer war. Als ich das Theaterstück las, dachte ich - das ist perfekt - Johann ist wirklich ein Genie. Für die Bühne ist das Stück auch perfekt und die Gefahr bestand darin, dass ich mit diesem Anspruch das filmisch nicht umsetzen könnte, weil es um tiefe Gefühle geht, um eine kleine Geschichte, die ganz groß wird, da ist die Musik – da sind so viele Elemente, die mich bewegt haben. Nach 20 Minuten begann ich zu weinen und habe eine halbe Stunde lang nicht mehr aufgehört.

Das wollte ich im Film abbilden - und es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis ich den Dreh gefunden hatte, wie ich Monologe in Filmszenen umwandeln könnte. Ich brauchte andere kleine Elemente, um den Charakter zu zeigen, im Theater hingegen wirkt der Schauspieler durch seine Präsenz - indem er seine Erlebnisse erzählt – während man im Film das ganze Leben der Personen erzählen muss. Aber es war eine großartige Erfahrung. Johann hat mir alle Freiheit gegeben und mich sogar unterstützt.

Johan Heldenbergh: Ich wusste von Anfang an, dass ich Felix nicht viel helfen könnte, weil ich zu nah am Projekt, am Theaterstück dran war. Jeder Ratschlag wäre kontraproduktiv. Ich stecke zu sehr drin, denn ich habe das Stück 130 Mal gespielt.

Holger Hettinger: Johan Heldenbergh, sie sind nicht nur der Hauptdarsteller, sondern auch der Co-Autor des Theaterstücks – was haben sie bei der Arbeit an diesem Film über den Charakter des Didier erfahren, was sie vorher noch nicht wussten?

Johan Heldenbergh: Zunächst habe ich im Theaterstück mit einer anderen Schauspielerin gespielt. Für den Film hart Felix Veele Baetens gebeten, die Rolle zu übernehmen. Und er hat die Rolle umgeschrieben, denn im Stück war Alabama sehr verschlossen, schüchtern. Im Film ist Elise eine Rock 'n' Rollerin. Für Didier war es etwas ganz anderes, sich in diese Frau zu verlieben. Meine Rolle wurde dadurch sehr verändert. Dennoch ist es die Rolle, die meinem eigenen Leben am ehesten entspricht. Ich habe sie geschrieben, um meine eigene Angst und Unruhe zu überkommen, und das spürt man im Film.

Holger Hettinger: Das Paar Elsie und Didier zieht einiges an Beziehungsenergie von den Gegensätzen: Didier ist immer gut gelaunt, er weiß, dass er im Zweifelsfall mit seinem Charme alle Hürden nimmt, er ist absolut diesseitig. Elise ist polarer, hat sonnige Momente, sie durchlebt aber auch Phasen tiefer Traurigkeit, sie ist sehr religiös. Im normalen Beziehungsalltag ist das nicht tragisch, die beiden witzeln darüber. Aber als es dann wirklich ernst wird und ihr gemeinsames Kind todkrank wird, spürt man, wie gravierend und unüberwindbar diese Gegensätze sind. Ich hatte das Gefühl: Elsie und Didier stehen auch für Lebenskonzepte. Für welche?

Johan Heldenbergh: Ja, das ist der Kern der Geschichte. Gegensätze ziehen sich an. Wenn Du Dich verliebst dann in jemanden, der Dir etwas geben kann: Energie, die Du nicht hast und in dem anderen findest. Das ist großartig. Einmal in einem Interview wurde ich gefragt: Man kann doch Trauer nicht teilen? Aber genau darum geht es in dem Film. Die Gegensätze, die Dich am Anfang faszinieren, fangen an Dich zu nerven. Und es ist fürchterlich, wenn man in einer Situation der Trauer nicht zueinander findet.

Felix van Groeningen: Hinzu kommt, dass Didier rationaler ist und Elise eher emotional, spirituell reagiert. Aber das überschneidet sich, denn er wird irrational bei all seiner Vernunft. Und bei Elise wird es umgekehrt. Sie wird immer nüchterner bei all ihrer Spiritualität. Aber wir gehen im Film ja noch weiter. Didier ist Feuer und Erde. Elise ist Wasser und Luft.

Holger Hettinger: Mich hat auch Nell Cattrysse beeindruckt, die das 6-Jährige Kind der beiden spielt. Nicht von ungefähr hat der große Max Reinhard mal gesagt: Kinder und Tiere haben auf der Bühne nichts verloren, weil sie so unberechenbar sind. Wie haben sie Nell dazu gebracht, dieses Vertrauen auszustrahlen und diese schwierigen Sterbe-Szenen zu spielen?

Felix van Groeningen: Ich glaube es war umgekehrt: Nell hat uns einfach vertraut und alles gegeben.

Johan Heldenbergh: Wir haben uns sehr bemüht, eine Familie mit ihr zu bilden. Ich glaube, wir alle, das ganze Team hat versucht auf dem Dreh das Gefühl einer großen Familie zu vermitteln und ich glaube, sie hat sich wohl gefühlt. Und sie hat ihren Teil dazu beigetragen. Natürlich wusste sie, dass es ein Spiel war, aber sie hat mitgemacht. Deshalb wirkt sie so natürlich: Sie ist einfach präsent.

Felix van Groeningen: Vielleicht sollte ich das nicht sagen: Aber sie hat einfach gut gespielt, sie weiß, was sie tut. Sie spielt einfach, ohne an all die Leute um sie herum zu denken. Und das macht sie toll. Interessant ist auch, dass sie beim Casting sehr schüchtern war. Wir haben vielleicht 200 Kinder im Alter von vier, fünf oder sechs Jahren gesehen. Da waren aufgewecktere. Aber wenn man die bittet, etwas noch mal zu machen, dann sagen die nein! Und bei ihr war da so: "Ja, warum nicht?" und sie hat viel gelernt. Sie spielt auch in anderen Filmen und sie ist wirklich sehr intelligent. Sie sucht sich ihre Filme aus! Einige Angebote hat sie ausgeschlagen.

Johan Heldenbergh: Sie ist auch schon mal zum Casting gegangen und hat gesagt: Diese Leute mag ich nicht! Und ist heimgegangen. Sie ist schon eine kleine Diva. Da war die Szene mit den toten Vögeln. Da sollte sie weinen. Wir dachten, wir müssen ihr Angst machen, sie zum Weinen bringen, weil ich so ein liebevoller Vater zu ihr war, bin ich dann in dieser Szene wirklich wütend auf sie geworden – da wurde sie stutzig und begann zu weinen. Aber drei Wochen zuvor hatten wir ein Codewort vereinbart, damit sie weiß, dass das, was ich sage, nicht wahr ist. Nach der Szene habe ich dann das Wort zu ihr gesagt. Da hat sie mir geantwortet: Johann – ich weiß doch, dass ich hier nur eine Rolle spiele. Sie ist einfach eine fantastische Schauspielerin.

Holger Hettinger: Man verbringt viel Zeit damit, die zahlreichen Tattoos von Elise zu studieren. Diese kleinen Kunstwerke haben doch mehr als rein dekorative Funktion, oder?

Felix van Groeningen: Die Tattoos gehören zur Geschichte dazu. Es gab sie im Theaterstück, aber im Film spielen sie eine viel größere Rolle. Johann und Micke haben das aus einem Dokumentarfilm kopiert, wo die Hauptdarstellerin sagt, sie trägt die Namen ihrer Exfreunde auf ihrem Körper, aber wenn es vorbei ist, übermalt sie sie. Sie trägt Didiers Namen und am Ende verdeckt sie den auch. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber das gehört zum Ende der Geschichte dazu. Als Regisseur muss man solche Elemente ausbauen.

Johan Heldenbergh: Alles, was visuell ist, nimmst Du und verstärkst den Effekt. Aber auf ihre Frage wollte ich noch sagen: Jedes Tattoo besitzt Symbolkraft. Ein Künstler hat sie zusammen mit Felix und Veerle geschaffen, damit jedes Tattoo bei Elise zu einem Symbol wird, eine Geschichte erzählt aus ihrem Leben mit Didier. Zum Beispiel das Tattoo auf dem Rücken soll sagen: Ich bin ein Geschenk für dich. Jedes Tattoo hat eine Geschichte. Das ist erstaunlich, wenn man das jetzt sieht.

Felix van Groeningen: Ich bin zu einem Tätowierer gegangen und da habe ich gelernt, dass für diese Menschen jede Tätowierung eine Bedeutung, eine Geschichte in ihrem Leben hat. Als ich Veerle traf, habe ich zu ihr gesagt: Du musst all diese Tattoos für diese Rolle bekommen.

Johan Heldenbergh: Das hat sie super gemacht.

Holger Hettinger: Die Musik nimmt einen großen Raum ein in ihrem Film, Elise und Didier spielen in einer Bluegrass-Band. Nun sind diese Bluegrass-Leute eine ganz spezielle Truppe, wage ich mal aus meiner Musiker-Perspektive zu behaupten, das ist ein wenig wie Liegeradfahren, das sind ganz schöne Freaks. Was bedeutet das für die Dramaturgie ihres Films?

Felix van Groeningen: Ehrlich gesagt sind die meisten Bluegrass-Leute ein bisschen weltfremd. Im Film haben wir das etwas geändert. Die ganze Band trägt weiße Anzüge und sieht großartig aus. Für mich war es wichtig, dass diese Typen cool wären. Die Bedeutung leitet sich vom Stück ab: Didier träumt von einem Amerika, er hat ein Fantasiebild wie es einmal war, aber längst nicht mehr ist. Das wollten wir im Film auch darstellen. Obwohl wir nicht so tun wollten, als hätten wir wirklich in Amerika gedreht.

Johan Heldenbergh: Blue Grass Musik ist für mich etwas sehr simples: Jeder Song erzählt eine Geschichte. Es ist eigentlich eine Geschichte in Moll, die aber in Dur gespielt wird. Das sorgt für eine spezielle Vibration und eine Authentizität. Die Musik ist akustisch, nicht verzerrt. Du hörst die Instrumente, das ist echt – integer. Wenn man über Eltern schreibt, die so etwas durchmachen, dann ist Ehrlichkeit, Authentizität angesagt, sonst würde das von denen, die so etwas wirklich durchmachen, als Beleidigung empfunden. Das wollte ich nicht. Alles ist ehrlich, aufrichtig im Skript, bei der Kameraführung und bei der Musik. Keine Verzerrung.

Holger Hettinger: Ich fand die Farben ihres Films ausgesprochen packend, da ist alles in ein sattes honiggelb getaucht, es schimmert bernsteinfarben, ein wenig wie der amerikanische Süden. Welchen Beitrag hat das Farbkonzept an der emotionalen Botschaft des Films?

Felix van Groeningen: Zum ersten Mal – wir haben schon mehrere Filme zusammen gemacht – wollten wir echtes Kino, etwas was ich gehasst habe, als ich mit dem Filmemachen anfing, weil es so einfach schien und mir gefiel es besser, wenn die Kamera sich bewegte. Mein erster Film war entsprechend. Dieses Mal wollten wir jedoch klassisches Kino machen – überdimensional.

Johan Heldenbergh: Die Kamera bewegt sich immer noch, aber sehr sehr langsam. Er konnte die Kamera einfach nicht ruhig stehen lassen. Für Felix ist es aber dennoch sehr ruhig und das gab uns die Gelegenheit, Bilder zu schießen. Einfach toll.


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