Eine Geschichte über Michelangelo aus 1001 Nacht

Von Carolin Fischer · 19.12.2011
2010 mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet, ist der jetzt auf Deutsch erschienene Roman aus Frankreich über Michelangelo ein funkelndes Lesevergnügen. Der Florentiner Künstler begibt sich darin in Lebensumstände, von denen er wohl nie geträumt hätte.
"Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten" lautet der rätselhafte Titel des neuesten Romans von Mathias Énard, und er hält, was er verspricht. Die Könige sind Papst Julius II. und der Sultan Bayezid II., bei den Schlachten handelt es sich um diverse Hofintrigen und die inneren Kämpfe Michelangelos, und echte Elefanten gibt es tatsächlich, wenngleich nur in einer Nebenrolle. Protagonist des Romans ist der Künstler Michelangelo, der sich auf Einladung des Sultans nach Istanbul einschifft, um dort mit Aussicht auf ein enormes Honorar eine Brücke über das Goldene Horn zu entwerfen.

Die Geschichte ist der Fantasie des Autors entsprungen. Als Sprungbrett dienen ihr dramatische Ereignisse im Leben des berühmten Florentiners. 1505 erhielt er von Papst Julius II. den Auftrag, sein Grabmonument zu schaffen, das heute, zusammen mit dem berühmten Moses, in San Pietro in Vincoli zu bewundern ist. Genau vierzig Jahre sollte seine Fertigstellung dauern, was unter anderem daran lag, dass der Papst 1506 die Gelder für die Großskulptur strich und Michelangelo schließlich von seinen Palastwächtern abweisen ließ. In Todesangst floh dieser daraufhin in seine Heimatstadt, wo ihn, und hier setzt Énards Romanfiktion ein, die Einladung Bayezids erreicht.

Der Beginn der Fabel ist mit der Flucht aus Rom also historisch belegt, doch anschließend entspinnt sich eine Geschichte aus 1001 Nacht. Diese Dichotomie trägt den ganzen Roman und macht seinen besonderen Reiz aus. Zum Einen entwirft Énard einen Michelangelo mit all den ihm eigenen Charakterzügen: besessen von seiner Kunst, voller Neid auf seine Konkurrenten, allen voran Raffael, dazu fromm, asketisch, aber jähzornig, im ständigen Zwist mit seinen Auftraggebern und dies nicht allein ob der Bezahlung. Zum Anderen findet sich der Michelangelo des Romans in Lebensumständen wieder, von denen er vermutlich nicht einmal geträumt hätte.

Die orientalische Kulisse nutzt der Autor zur Schilderung eindringlicher Sinneseindrücke, doch wird die körperliche Dimension weitgehend sublimiert, was ihrer Intensität keinerlei Abbruch tut. Dies gilt für die Beziehung Michelangelos, der selbst großartige Sonette verfasste, zu dem berühmten Dichter und Kalligrafen Mesihi - auch hier verknüpft Énard historische Fakten und Fiktion, - wie für die Faszination, die eine hermaphroditische Schönheit auf den Florentiner ausübt. Ihr verleiht der Autor eine betörende Stimme, mit der sie den widerstrebenden Künstler erfolglos zu umgarnen versucht. Es sind zweifellos die poetischsten Passagen des Buches. Énard stellt ihnen die buchhalterisch trocknen Briefe Michelangelos an den Bruder gegenüber, beides eingebunden in zahlreiche kurze, erzählende Abschnitte, in denen weitere Figuren auftreten und für ein farbenprächtiges orientalisches Panorama sorgen. Solche sorgsam orchestrierten Kontraste machen den Roman, der 2010 mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet wurde, zu einem funkelnden Lesevergnügen.

Besprochen von Carolin Fischer

Mathias Énard: Erzähl ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Berlin Verlag, Berlin 2011
150 Seiten, 17,90 Euro