Eine Gesellschaft im Ausnahmezustand
Ein steinreicher Medientycoon, der seine Welt mit Medien und Sex manipuliert, heiratet eine Frau, die ihn später aus Wut ermordet. "Die Königin ist tot" ist ein Anschlag auf den behaglichen Lesesessel, fesselt mit düsteren Schilderungen.
Eine hübsche junge Frau aus einfachen Verhältnissen irgendwo im Ausland ist ein Liftgirl, die nach einem Blowjob im Fahrstuhl den Medientycoon Duncan heiratet - und ihn ermordet, als er sie nach der Geburt von zwei Kindern durch eine Jüngere ersetzt; sie wird daraufhin wahnsinnig. Der Stoff von Olga Flors viertem Roman "Die Königin ist tot" klingt boulevardesk. Die Österreicherin hat ihn allerdings mit dem Mythos der Königstochter Medea sowie mit Shakespeares Macbeth verschnitten und erzählt so, dass man auf beängstigende Weise hineinversetzt wird in eine hypergefährliche Welt.
Der jungen Frau gelingt der Aufstieg in die Sphäre der Macht: Duncan und seine Männer manipulieren durch Medien und Sex. Gefährlichen "Thronfolgern" wird Kinderpornografie untergeschoben, den Rest erledigt Polizeichef Stuart, Duncans ehemaliger Sicherheitsbeauftragter. Selbst wenn sich der Tycoon "um so etwas wie Vertrautheit" gegenüber seiner Frau bemüht, hat das Methode. Denn in dieser Welt hat alles Methode.
Die Königin behauptet sich in einer Kulturwildnis, in der Anzugträger "Funktionsträger" und "Krieger" sind. Hinter jedem Wort steckt ein Abgrund, den zu ergründen lebensrettend sein kann. Sicherheit ist das Ideal und trotz gewaltigen Aufwands nie zu erreichen. Auf niemanden ist Verlass, nur auf die Bereitschaft eines jeden, zuzuschlagen. Die Welt ist ein hoch gefährliches, "ständig sich weiterbewegendes Bezugssystem".
Individualität gibt es nicht. Empfindungen sind "rahmenbedingungsabängig", sie fußen auf der jeweiligen Situation: "Das ist der gesamte Gefühlswurzelstock." Restbestände von Gefühl lassen die Königin die Nähe des attraktiven Türstehers Peter und der lebensfrohen Gärtnerin suchen, verständigen kann sie sich nicht mit ihnen. Als sie Peter am Ende den eigenen Mord an Duncan unterschiebt, wird sie wahnsinnig wie Lady Macbeth.
Verdacht, Überwachung und Vernichtung, Medien, Macht und Manipulation übersetzt Flor, Jahrgang 1968, in eine eingängige Topographie: Duncan residiert mit der Königin in einem unzugänglichen Apartment eines autarken Chicagoer Hochhauses am See, während zu Füßen des "Turms" und im Süden der Stadt der meist schwarze Unterschichtenmob von seinen Medien zur Lynchjustiz aufgewiegelt und von der Armee brutal unterdrückt wird.
Diese Mischung aus Gendertheorie, Medienkritik und Apokalypse könnte plakativ klingen. Doch die Lektüre ist ein einziger Anschlag auf den behaglichen Lesesessel. Flors kraftvolle, sehr technisch anmutende Sprache versetzt den Leser mitten hinein in eine Gesellschaft, in der kleinste Ereignisse ausufernde, untergründig panische Interpretationen nach sich ziehen. Wenn Duncan mit einem Vertrauten spricht, analysiert die Königin: "Diese zielorientierte Unterwürfigkeit: da erkennt man gleich den Fachmann, und wenn ich etwas zu bewundern bereit bin, dann ist es Könnerschaft, die Expertise auf dem Gebiet der nonverbalen Kriegsrhetorik". Mit diesem düsteren Roman über eine Gesellschaft im Ausnahmezustand kann Olga Flor selbstbewusst neben Kathrin Röggla und Marlene Streeruwitz treten.
Besprochen von Jörg Plath
Olga Flor: "Die Königin ist tot"
Zsolnay Verlag, Wien 2012
222 Seiten, 18,90 Euro
Der jungen Frau gelingt der Aufstieg in die Sphäre der Macht: Duncan und seine Männer manipulieren durch Medien und Sex. Gefährlichen "Thronfolgern" wird Kinderpornografie untergeschoben, den Rest erledigt Polizeichef Stuart, Duncans ehemaliger Sicherheitsbeauftragter. Selbst wenn sich der Tycoon "um so etwas wie Vertrautheit" gegenüber seiner Frau bemüht, hat das Methode. Denn in dieser Welt hat alles Methode.
Die Königin behauptet sich in einer Kulturwildnis, in der Anzugträger "Funktionsträger" und "Krieger" sind. Hinter jedem Wort steckt ein Abgrund, den zu ergründen lebensrettend sein kann. Sicherheit ist das Ideal und trotz gewaltigen Aufwands nie zu erreichen. Auf niemanden ist Verlass, nur auf die Bereitschaft eines jeden, zuzuschlagen. Die Welt ist ein hoch gefährliches, "ständig sich weiterbewegendes Bezugssystem".
Individualität gibt es nicht. Empfindungen sind "rahmenbedingungsabängig", sie fußen auf der jeweiligen Situation: "Das ist der gesamte Gefühlswurzelstock." Restbestände von Gefühl lassen die Königin die Nähe des attraktiven Türstehers Peter und der lebensfrohen Gärtnerin suchen, verständigen kann sie sich nicht mit ihnen. Als sie Peter am Ende den eigenen Mord an Duncan unterschiebt, wird sie wahnsinnig wie Lady Macbeth.
Verdacht, Überwachung und Vernichtung, Medien, Macht und Manipulation übersetzt Flor, Jahrgang 1968, in eine eingängige Topographie: Duncan residiert mit der Königin in einem unzugänglichen Apartment eines autarken Chicagoer Hochhauses am See, während zu Füßen des "Turms" und im Süden der Stadt der meist schwarze Unterschichtenmob von seinen Medien zur Lynchjustiz aufgewiegelt und von der Armee brutal unterdrückt wird.
Diese Mischung aus Gendertheorie, Medienkritik und Apokalypse könnte plakativ klingen. Doch die Lektüre ist ein einziger Anschlag auf den behaglichen Lesesessel. Flors kraftvolle, sehr technisch anmutende Sprache versetzt den Leser mitten hinein in eine Gesellschaft, in der kleinste Ereignisse ausufernde, untergründig panische Interpretationen nach sich ziehen. Wenn Duncan mit einem Vertrauten spricht, analysiert die Königin: "Diese zielorientierte Unterwürfigkeit: da erkennt man gleich den Fachmann, und wenn ich etwas zu bewundern bereit bin, dann ist es Könnerschaft, die Expertise auf dem Gebiet der nonverbalen Kriegsrhetorik". Mit diesem düsteren Roman über eine Gesellschaft im Ausnahmezustand kann Olga Flor selbstbewusst neben Kathrin Röggla und Marlene Streeruwitz treten.
Besprochen von Jörg Plath
Olga Flor: "Die Königin ist tot"
Zsolnay Verlag, Wien 2012
222 Seiten, 18,90 Euro