Eine große Chance verspielt
Warum bloß wurde der englische Architekt David Chipperfield in die Jury für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses berufen? Herr Chipperfield ist gegen historische Fassaden. Herr Chipperfield ist gegen den Wiederaufbau des Schlosses, von dem ja nichts als die historischen Fassaden errichtet werden sollen.
Wenn Herr Chipperfield das letzte Wort behielte, würden die tapferen Initiatoren des Wiederaufbaus einen Pyrrhussieg errungen haben. Indem man es uns scheinbar wiedergibt, nimmt man uns endgültig das 1950 abgerissene Berliner Schloss. Und dann übrigens ist Herr Chipperfield auch noch gegen jene Mentalität der Deutschen, die sie, wie er meint, keinen Schlaf finden lasse, solange der Platz in der Mitte Berlins nicht bebaut sei. Was daran hindere, noch zehn Jahre länger zu diskutieren.
Also gut. Nehmen wir seine Einladung an und diskutieren wir! Beginnen wir noch einmal von vorn – jetzt, da ein moderner Bau errichtet werden soll, dem man eine historische Fassade anklebt. Ein Schloss wird man das schwerlich nennen können. In Braunschweig war man so konsequent, gleich ein Kaufhaus zu errichten mit ein paar alten Steinen davor. Beginnen wir uns zu wundern über diese seltsame Allianz aus revolutionärer Bauhaus-Moderne und originalitätsfixierter Denkmalpflege. Dieses überraschende Bündnis nämlich will verbieten, alte, meist standardisierte und hervorragend dokumentierte Formensprachen aufzugreifen, während es doch die längste Zeit in der europäischen Geschichte und wahrscheinlich in den meisten Kulturen dieser Welt selbstverständlich war, bedeutende Gebäude, die durch ein Unglück verloren gingen, schon aus Gründen der Selbstachtung wiederherzustellen.
Die Münchner Residenz, das Warschauer Schloss, der Dogenpalast von Venedig, japanische Shinto-Tempel und nicht zuletzt die Dresdner Frauenkirche – all das war zerstört und wurde wieder gewonnen, all das gäbe es nicht ohne jene schlichte Anhänglichkeit, ohne den tiefen Wunsch zerrissener Seelen, verheerenden Zeitläuften zu trotzen und Brücken zu bauen über katastrophale Abgründe. Nein, es gibt keine moralische Pflicht, Wunden offen zu halten. Berlin ist Dresden, und Dresden ist Berlin. Das Bekenntnis zur eigenen Herkunft kann aus jeder Rekonstruktion ein authentisches Zeugnis machen.
Den Kölner Dom und die Burg Hohenzollern, zu großen Teilen Bauten des 19. Jahrhunderts, verdanken wir starker historistischer Einbildungskraft, die für Jahrhunderte und für Millionen Besucher anhaltende Attraktionen schuf. Ja, Herr Chipperfield, diskutieren wir! Warum hat man bestimmt, dass der Bau binnen vier Jahren vollendet sein soll? Warum hat man mit dieser Beschränkung alles unterbunden, was Begeisterung hätte auslösen können? Hat der Bund so viel Geld, dass er auf Teufel komm raus den Löwenanteil der Baukosten tragen muss? All das ist nur als Ausdruck einer Angst zu verstehen. Der Angst nämlich, dass eine originalgetreue Rekonstruktion des vorzüglich dokumentierten Berliner Schlosses mitsamt seinen Repräsentationsräumen ein attraktives Projekt für ganz Berlin sein könnte, für seine Schulen, für sein Handwerk, für seine Touristen, und das, wie gesagt, für Jahrzehnte, wenn nicht für Jahrhunderte.
Es ist vollkommen egal, wie lange am Schloss gebaut wird. Seien es zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre. Je länger es dauert, desto mehr Generationen von Schülern und Handwerkern werden in einer großen Bauhütte alte Handwerkskunst erleben, desto mehr Besucher werden in die deutsche Hauptstadt strömen, um die Fortschritte zu sehen, desto mehr Spenden werden die öffentliche Hand entlasten. Der Staat, der hier eingegriffen und eine schöne Bürgerinitiative übernommen hat, ist dabei, eben diese große Chance zu verspielen, und alles, was an reichen Empfindungen von diesem Ereignis hätte ausgehen können, im Keim zu ersticken.
In ein-, zweihundert Jahren wäre das wieder aufgebaute Schloss längst ein historischer Bau! Warum hat man nicht den radikalen Modernisten, die doch überall zum Zuge kommen, mit diesem Argument laut und deutlich widersprochen: Dass das Schloss kein Bau der Reaktion, sondern der Zukunft ist, einer um so schöneren und erhabeneren Zukunft, je weniger öffentliches Geld er verschlingt, je weniger er den Rechnungshofkriterien und den bürokratischen Nutzungsanforderungen entspricht, kurz gesagt, dass dieser Bau um so herrlicher wird, je weniger Funktion man in ihn hineinstopft. Ein weiter nichts als – schönes Schloss, das wäre ein Fest für Berlin. Für alle, die in dieser Stadt leben. Für alle, die sie besuchen.
Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geboren 1963 in Hamburg. Studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Seit 1997 Mitarbeiter der "Berliner Zeitung". 1999 erschien sein Buch "Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte"; 2005 "Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden" in der Zeitschrift "Merkur" (Heft 680); 2007 "Mechanik der Mächte. Über die politischen Schriften von Panajotis Kondylis" in "Panajotis Kondylis. Aufklärer ohne Mission" (hrsg. von Falk Horst). 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin (www.landtverlag.de).
Also gut. Nehmen wir seine Einladung an und diskutieren wir! Beginnen wir noch einmal von vorn – jetzt, da ein moderner Bau errichtet werden soll, dem man eine historische Fassade anklebt. Ein Schloss wird man das schwerlich nennen können. In Braunschweig war man so konsequent, gleich ein Kaufhaus zu errichten mit ein paar alten Steinen davor. Beginnen wir uns zu wundern über diese seltsame Allianz aus revolutionärer Bauhaus-Moderne und originalitätsfixierter Denkmalpflege. Dieses überraschende Bündnis nämlich will verbieten, alte, meist standardisierte und hervorragend dokumentierte Formensprachen aufzugreifen, während es doch die längste Zeit in der europäischen Geschichte und wahrscheinlich in den meisten Kulturen dieser Welt selbstverständlich war, bedeutende Gebäude, die durch ein Unglück verloren gingen, schon aus Gründen der Selbstachtung wiederherzustellen.
Die Münchner Residenz, das Warschauer Schloss, der Dogenpalast von Venedig, japanische Shinto-Tempel und nicht zuletzt die Dresdner Frauenkirche – all das war zerstört und wurde wieder gewonnen, all das gäbe es nicht ohne jene schlichte Anhänglichkeit, ohne den tiefen Wunsch zerrissener Seelen, verheerenden Zeitläuften zu trotzen und Brücken zu bauen über katastrophale Abgründe. Nein, es gibt keine moralische Pflicht, Wunden offen zu halten. Berlin ist Dresden, und Dresden ist Berlin. Das Bekenntnis zur eigenen Herkunft kann aus jeder Rekonstruktion ein authentisches Zeugnis machen.
Den Kölner Dom und die Burg Hohenzollern, zu großen Teilen Bauten des 19. Jahrhunderts, verdanken wir starker historistischer Einbildungskraft, die für Jahrhunderte und für Millionen Besucher anhaltende Attraktionen schuf. Ja, Herr Chipperfield, diskutieren wir! Warum hat man bestimmt, dass der Bau binnen vier Jahren vollendet sein soll? Warum hat man mit dieser Beschränkung alles unterbunden, was Begeisterung hätte auslösen können? Hat der Bund so viel Geld, dass er auf Teufel komm raus den Löwenanteil der Baukosten tragen muss? All das ist nur als Ausdruck einer Angst zu verstehen. Der Angst nämlich, dass eine originalgetreue Rekonstruktion des vorzüglich dokumentierten Berliner Schlosses mitsamt seinen Repräsentationsräumen ein attraktives Projekt für ganz Berlin sein könnte, für seine Schulen, für sein Handwerk, für seine Touristen, und das, wie gesagt, für Jahrzehnte, wenn nicht für Jahrhunderte.
Es ist vollkommen egal, wie lange am Schloss gebaut wird. Seien es zehn, zwanzig oder fünfzig Jahre. Je länger es dauert, desto mehr Generationen von Schülern und Handwerkern werden in einer großen Bauhütte alte Handwerkskunst erleben, desto mehr Besucher werden in die deutsche Hauptstadt strömen, um die Fortschritte zu sehen, desto mehr Spenden werden die öffentliche Hand entlasten. Der Staat, der hier eingegriffen und eine schöne Bürgerinitiative übernommen hat, ist dabei, eben diese große Chance zu verspielen, und alles, was an reichen Empfindungen von diesem Ereignis hätte ausgehen können, im Keim zu ersticken.
In ein-, zweihundert Jahren wäre das wieder aufgebaute Schloss längst ein historischer Bau! Warum hat man nicht den radikalen Modernisten, die doch überall zum Zuge kommen, mit diesem Argument laut und deutlich widersprochen: Dass das Schloss kein Bau der Reaktion, sondern der Zukunft ist, einer um so schöneren und erhabeneren Zukunft, je weniger öffentliches Geld er verschlingt, je weniger er den Rechnungshofkriterien und den bürokratischen Nutzungsanforderungen entspricht, kurz gesagt, dass dieser Bau um so herrlicher wird, je weniger Funktion man in ihn hineinstopft. Ein weiter nichts als – schönes Schloss, das wäre ein Fest für Berlin. Für alle, die in dieser Stadt leben. Für alle, die sie besuchen.
Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geboren 1963 in Hamburg. Studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Seit 1997 Mitarbeiter der "Berliner Zeitung". 1999 erschien sein Buch "Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte"; 2005 "Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden" in der Zeitschrift "Merkur" (Heft 680); 2007 "Mechanik der Mächte. Über die politischen Schriften von Panajotis Kondylis" in "Panajotis Kondylis. Aufklärer ohne Mission" (hrsg. von Falk Horst). 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin (www.landtverlag.de).