Eine Hauptfigur namens Meinleser
Im Buch des deutsch-georgischen Autors Giwi Margwelaschwili ist Meinleser ein Inspektor einer besonderen Kriminalpolizei. Sie ist damit beschäftigt, Kriminalromane zu lesen, um deren mögliche Umsetzung in der Realität zu verhindern. Margwelaschwilis Annahme ist es, dass sich jeder Fall der Literatur irgendwann einmal genauso verwirklicht.
So mancher wird sich noch an den Film "Das Schweigen der Lämmer" mit Jodie Foster und Anthony Hopkins erinnern. Die FBI-Schülerin Clarence Starling hat es dabei mit dem inhaftierten Psychiater und Kannibalen Hannibal Lecter zu tun. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Roman des US-Autors Thomas Harris.
Dieser Roman wiederum ist die Vorlage für "Officer Pembry" von Giwi Margwelaschwili. Der deutsch-georgische Autor, der voriges Jahr 80 Jahre alt geworden ist, lässt seine Geschichte ungefähr 100 Jahre nach dem Erscheinen von " Das Schweigen der Lämmer" spielen. Sein Erzähler im Buch nennt sich Meinleser, ein Name, der programmatisch zu deuten ist. Meinleser ist im Grunde genommen niemand anderer als der Leser eines Buches selbst, der bestimmend in Handlungen eingreifen und über Schicksale bestimmen kann.
Im Buch ist Meinleser ein Inspektor der sogenannten prospektiven Kriminalpolizei (PKP). Sie ist damit beschäftigt, Kriminalromane zu lesen, um deren mögliche Umsetzung in der Realität zu verhindern. Margwelaschwilis Annahme im Buch ist es, dass sich jeder Kriminalfall der Literatur irgendwann einmal genauso verwirklicht. Um die Opfer zu schützen, greift die PKP ein und versucht das durch die Handlung im Buch vorgegebene Schicksal vom jeweiligen Opfer abzuwenden.
Im konkreten Fall ist eine Nebenfigur des Romans "Das Schweigen der Lämmer" die Hauptperson: Officer Pembry, der von Hannibal Lecter bei dessen Ausbruchsversuch umgebracht wird. Der Autor erzählt die mühsame Vorbereitungsarbeit von Meinleser, Pembry vor der sicher erscheinenden Ermordung zu retten. Das aber ist alles andere als einfach. Erst muss Pembry davon überzeugt werden, dass ihm dasselbe Schicksal wie im Buch droht. Dann muss eine Strategie gefunden werden, das letale Schicksal abzuwenden.
Margwelaschwili bedient sich dabei in den Überlegungen Meinlesers einer technischen, fast bürokratischen Sprache, wenn er zwischen "Realperson" und "Buchperson" unterscheidet und über "krimibibliologisch parallele Realmordfälle" philosophiert. Seitenweise handelt er Gesetzmäßigkeiten ab, wonach Pembry sich nur retten könne, wenn er bis knapp an seine im zugrunde liegenden Roman stattfindende Ermordung mitspiele. Er müsse vor der Zellentür seinen Mörder Lecter bei dessen Ausbruch im Roman "an sich heran lesen", dann abrupt abbrechen und den auf sich Zustürzenden ansehen: Das würde den Killer von seiner Tat abhalten. Warum das Schicksal nur so und nicht anders aufzuhalten sei, begründet der Autor wortreich, aber nicht logisch. Für jede einfachere Version fällt ihm eine Gesetzmäßigkeit ein, die einen Erfolg verhindern würde: Da wäre einmal die stärker wirkende "Buchweltwirklichkeit", die etwa ein direktes Eingreifen der PKP vereiteln würde. Dann wieder bestünde die Gefahr, dass sich der Täter plötzlich nicht mehr "buchthematisch" verhielte. Alle diese Gesetzmäßigkeiten wirken aber willkürlich gesetzt, um nur mehr eine Alternative als durchsetzbar erscheinen zu lassen.
Doch auch die scheitert letztlich und der arme Officer Pembry scheint dem Schicksal seines "buchparallelen" Doppelgängers ausgeliefert zu sein. Wenn es da nicht noch eine simple Rettungsvariante gäbe, die hier aber nicht verraten werden soll.
Auch die Biografie des Autors Giwi Margwelaschwili liest sich zeitweilig wie ein Krimi: Der Sohn georgischer Einwanderer in Berlin wurde 1946 mit seinem Vater vom NKWD verschleppt. In Georgien lernte er Deutsch und schrieb dort Romane und Erzählungen. Nachdem er 1987 nach Deutschland ausreisen durfte, wurden seine Werke nach und nach hierzulande veröffentlicht. Auch darin spielt er immer wieder mit der Verknüpfung von Realität und Lesewelt, lässt den Leser in Handlungen eingreifen und zum Akteur zwischen den Buchseiten werden.
Rezensiert von Stefan May
Giwi Margwelaschwili: "Officer Pembry",
Roman, Verbrecher-Verlag, Berlin 2007,
198 Seiten, 19,90 €
Dieser Roman wiederum ist die Vorlage für "Officer Pembry" von Giwi Margwelaschwili. Der deutsch-georgische Autor, der voriges Jahr 80 Jahre alt geworden ist, lässt seine Geschichte ungefähr 100 Jahre nach dem Erscheinen von " Das Schweigen der Lämmer" spielen. Sein Erzähler im Buch nennt sich Meinleser, ein Name, der programmatisch zu deuten ist. Meinleser ist im Grunde genommen niemand anderer als der Leser eines Buches selbst, der bestimmend in Handlungen eingreifen und über Schicksale bestimmen kann.
Im Buch ist Meinleser ein Inspektor der sogenannten prospektiven Kriminalpolizei (PKP). Sie ist damit beschäftigt, Kriminalromane zu lesen, um deren mögliche Umsetzung in der Realität zu verhindern. Margwelaschwilis Annahme im Buch ist es, dass sich jeder Kriminalfall der Literatur irgendwann einmal genauso verwirklicht. Um die Opfer zu schützen, greift die PKP ein und versucht das durch die Handlung im Buch vorgegebene Schicksal vom jeweiligen Opfer abzuwenden.
Im konkreten Fall ist eine Nebenfigur des Romans "Das Schweigen der Lämmer" die Hauptperson: Officer Pembry, der von Hannibal Lecter bei dessen Ausbruchsversuch umgebracht wird. Der Autor erzählt die mühsame Vorbereitungsarbeit von Meinleser, Pembry vor der sicher erscheinenden Ermordung zu retten. Das aber ist alles andere als einfach. Erst muss Pembry davon überzeugt werden, dass ihm dasselbe Schicksal wie im Buch droht. Dann muss eine Strategie gefunden werden, das letale Schicksal abzuwenden.
Margwelaschwili bedient sich dabei in den Überlegungen Meinlesers einer technischen, fast bürokratischen Sprache, wenn er zwischen "Realperson" und "Buchperson" unterscheidet und über "krimibibliologisch parallele Realmordfälle" philosophiert. Seitenweise handelt er Gesetzmäßigkeiten ab, wonach Pembry sich nur retten könne, wenn er bis knapp an seine im zugrunde liegenden Roman stattfindende Ermordung mitspiele. Er müsse vor der Zellentür seinen Mörder Lecter bei dessen Ausbruch im Roman "an sich heran lesen", dann abrupt abbrechen und den auf sich Zustürzenden ansehen: Das würde den Killer von seiner Tat abhalten. Warum das Schicksal nur so und nicht anders aufzuhalten sei, begründet der Autor wortreich, aber nicht logisch. Für jede einfachere Version fällt ihm eine Gesetzmäßigkeit ein, die einen Erfolg verhindern würde: Da wäre einmal die stärker wirkende "Buchweltwirklichkeit", die etwa ein direktes Eingreifen der PKP vereiteln würde. Dann wieder bestünde die Gefahr, dass sich der Täter plötzlich nicht mehr "buchthematisch" verhielte. Alle diese Gesetzmäßigkeiten wirken aber willkürlich gesetzt, um nur mehr eine Alternative als durchsetzbar erscheinen zu lassen.
Doch auch die scheitert letztlich und der arme Officer Pembry scheint dem Schicksal seines "buchparallelen" Doppelgängers ausgeliefert zu sein. Wenn es da nicht noch eine simple Rettungsvariante gäbe, die hier aber nicht verraten werden soll.
Auch die Biografie des Autors Giwi Margwelaschwili liest sich zeitweilig wie ein Krimi: Der Sohn georgischer Einwanderer in Berlin wurde 1946 mit seinem Vater vom NKWD verschleppt. In Georgien lernte er Deutsch und schrieb dort Romane und Erzählungen. Nachdem er 1987 nach Deutschland ausreisen durfte, wurden seine Werke nach und nach hierzulande veröffentlicht. Auch darin spielt er immer wieder mit der Verknüpfung von Realität und Lesewelt, lässt den Leser in Handlungen eingreifen und zum Akteur zwischen den Buchseiten werden.
Rezensiert von Stefan May
Giwi Margwelaschwili: "Officer Pembry",
Roman, Verbrecher-Verlag, Berlin 2007,
198 Seiten, 19,90 €