Eine Hoffnung für die Gemeinde

Von Stefan May |
Die jüdische Gemeinde in Österreich ist bunt und lebendig. Auch ungarische Familien finden hier ihre neue geistige Heimat finden, nachdem sie vor dem Antisemitismus in ihrem Heimatland geflohen sind. Doch es gibt Krisenphänomene in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien.
Sigmund Freud, Arthur Schnitzler, Gustav Mahler, Stefan Zweig, Berta Zuckerkandl – bis zum Massenmord der Nazis an den Juden vor rund 70 Jahren blühte die Jüdische Gemeinde in Wien. Doch nach dem Krieg konnte sie nicht mehr an diese große Tradition anknüpfen. Das liegt auch an den strengen Einwanderungsgesetzen in Österreich, die jüdischen Zuzug bisher kaum zuließen. Seit das österreichische Fremdenrechtsänderungsgesetz von 2011 eine so genannte Rot-Weiß-Rot-Karte eingeführt hat und so Einwanderung unter bestimmten Umständen ermöglicht, kommen aber wieder etwas mehr Juden nach Österreich - in letzter Zeit verstärkt aus Ungarn. Was der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, mit gemischten Gefühlen registriert.

"Als Konsequenz davon, nämlich dieser steigende Antisemitismus in Ungarn, haben wir vermehrt Anfragen von Ungarn, die flüchten wollen, es gibt auch schon einige ungarische Familien, die hier in Wien angekommen sind. Und die Frau Innenminister und der Herr Bürgermeister haben uns versprochen, wenn das stärkere Ausmaße annehmen wird, dabei behilflich zu sein."

In erster Linie aber ist der Zuzug neuer Mitglieder eine Hoffnung für Deutsch. Denn er muss um den Bestand seiner Gemeinde fürchten.

"Um sicherzustellen, dass es in 20, 30 Jahren noch eine Gemeinde geben wird, ist es notwendig, dass wir mehr Mitglieder haben. Also wollen wir in den nächsten Jahren jedes Jahr 150 Familien nach Wien, beziehungsweise nach Österreich bringen, um eben unsere Gemeinden zu verstärken."

Dabei zeichnet sich die Wiener Gemeinde durch eine herausragende Infrastruktur im Vergleich mit anderen jüdischen Gemeinden in Europa aus: Es gibt mehrere Synagogen, koschere Einkaufsmöglichkeiten, Kulturprogramme, eine Schule mit 130 Plätzen für Kinder vom Kindergarten bis zum Abitur, ein Berufsbildungszentrum, einen psychosozialen Dienst, das Sportzentrum des schon in der Zwischenkriegszeit bekannten Vereins Hakoah, sogar eine Moped-Ambulanz, die im dichten Verkehr schneller zu den Patienten kommen kann als ein Rettungswagen.

Übergriffe auf Juden: Beschmierungen, Bedrohungen, Diffamierungen
Bis zur Verfolgung in der NS-Zeit wohnten viele Wiener Juden im Bezirk Leopoldstadt, zwischen Donau und Donaukanal, weshalb er von den Wienern spöttisch die Mazzesinsel genannt wurde. Dort ist auch heute wieder jüdisches Leben sichtbar. Doch über das Anknüpfen an damals legt sich ein Schatten, denn der Antisemitismus ist laut Präsident Deutsch im Ansteigen begriffen:

"2011 waren es eben 71 und 2012 35. Das sind aber nur die Vorfälle, die uns als Gemeinde gemeldet wurden. Ich nehme an, dass die korrekte Zahl um ein Vielfaches höher ist. Aber ich kann jetzt meine Statistik nur nehmen. Und das sind Beschmierungen, das sind Bedrohungen, Diffamierungen und alles, was dazu gehört, ja."

Deutsch macht dafür nicht nur Rechtsextreme, sondern auch Linksextreme und radikale Islamisten verantwortlich. Beim Umgang mit dem Antisemitismus gibt es Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland.

"Das ist ja auch gute Tradition hier in Österreich, jemand sagt etwas, gegen Ausländer, etwas Antisemitisches,, dann wie gesagt die Politiker grosso modo, sind sehr zurückhaltend, sagen nichts, und es passiert auch nichts mit dieser Person, mit diesem Politiker. In Deutschland, wenn so etwas passiert, und da gibt es viele, viele Beispiele, ist der nach ein paar Tagen spätestens Vergangenheit, dieser Politiker."

Im Gegenteil: Vertreter der rechtspopulistischen FPÖ fallen regelmäßig mit antisemitischen Äußerungen auf. Schon der Vorgänger von Oskar Deutsch, Ariel Muzicant, hatte als Zielscheibe für Jörg Haider herhalten müssen. Deutsch ist bereits in seiner zweiten Amtsperiode Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Wien. Im vorigen November war der Kultusvorstand neu gewählt worden. Es war dabei heftig gestritten worden, man bezichtigte sich gegenseitig des Stimmenkaufs und intransparenter Amtsführung.

Doch die neun gewählten Gruppen spiegeln die Vielfalt des Wiener Judentums wieder: Da gibt es jene, die sich über ihre Religionsnähe definieren, etwa die Orthodoxen oder die Liberalen, die neuen Wind in die Gemeinde bringen wollen. Dann sind jene vertreten, für die ihre Herkunft das Wichtigste ist: Die Bucharen aus dem zentralasiatischen Raum der ehemaligen Sowjetunion oder die Grusinen aus Georgien. Und schließlich traten zur Wahl auch politische Gruppierungen wie die Sozialdemokraten an. So wird das jüdische Leben in Wien bunter – und offener. Das spiegelt sich auch im Programm von Oskar Deutsch für die nächsten Jahre:

"Wir wollen uns nach außen öffnen, das bedeutet, dass ich der österreichischen Bevölkerung zeigen möchte, dass wir genauso normal oder genauso meschugge sind wie alle Österreicher. Der einzige Unterschied ist eben die Religion."