Eine junge Frau findet zu sich selbst
Eine Kindheit in einem thüringischen Dorf, ein Leben als Studentin in Potsdam: "Brandstatt" erzählt von der Selbstbefreiung einer jungen Frau aus einer seit der Pubertät anhaltenden schweren Krise. Anousch Muellers Text ist kein ästhetisch ausgeklügeltes Meisterwerk - aber authentisch und im besten Sinne naiv.
Es ist Anousch Müllers erster Roman, und das Buch hat es nicht leicht. Die Juroren des letzten Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs haben teils vernichtend darüber geurteilt: Der Text der 1979 in Erfurt geborenen Schriftstellerin sei viel zu unausgereift. Tatsächlich ist ihr Roman "Brandstatt" ganz sicher kein ästhetisch ausgeklügeltes Meisterwerk. Aber er ist – und hier ist das leider allzu abgenutzte Adjektiv: authentisch. Anousch Müllers Text lebt. Und vor allem: Er ist glaubwürdig. Vielleicht hängt dies auch damit zusammen, dass es sich schwer zwischen Ich-Erzählerin, Autorin und Heldin unterscheiden lässt. Man spürt allerdings sofort, dass hier jemand schreibt, der sich die Geschichte nicht aus den Fingern saugen muss.
"Brandstatt" erzählt von der Selbstbefreiung einer jungen Frau aus einer seit der Pubertät anhaltenden schweren Krise. Die Handlung verläuft auf mehreren Zeitebenen. Erinnerungen an eine 80er-Jahre-Kindheit in einem thüringischen Dorf werden genauso wach wie an die Zeit nach 1989 – und das Leben als Studentin in Potsdam zur Jahrtausendwende. Der Heldin Annie wird dabei immer wieder das elementar wichtige Gefühl der Zugehörigkeit verweigert, von ihrer Mutter genauso wie von der Dorfgemeinschaft, aber auch von den zahlreichen Männern, mit denen sie Beziehungen der verschiedensten Art eingeht. Nähe und Bindung entsteht für sie meist nur für kurze Momente durch Sex.
Wirklich prägend wird für sie nur die Beziehung zu dem deutlich älteren Jan, der eine Weile im Dorf als Außenseiter auf einem schlecht beleumundeten Hof, eben der "Brandstatt", lebte, bis er seinem alten Leben entflieht und jahrelang für Annie unerreichbar bleibt. Jan trägt allerdings viele Geschichten mit sich, die sie unbedingt erfahren will, geradezu erfahren muss. Es geht dabei um das Schicksal eines vor Jahren verschwundenen Mädchens ebenso wie um die Liebesbeziehung ihrer Mutter zu eben diesem Jan – der damit auch der Vater der Heldin sein könnte.
Mag die Geschichte zuweilen ein paar Haken zu viel schlagen, mögen bestimmte Konstellationen streckenweise allzu bekannt erscheinen – was an diesem Debüt überzeugt, ist seine glaubwürdige Stimme. Nicht was Anousch Müller erzählt, sondern der Ton, den sie wählt. Oder sollte man besser sagen, der Ton, der sich automatisch ergeben hat? Sie erzählt unbekümmert, manchmal sogar naiv – im besten Sinne des Wortes. Wir sehen in ihrer Heldin eine junge Frau, die durch viele Schmerzen und Krisen gehen muss, um erst sehr spät zu sich zu finden.
Besprochen von Vladimir Balzer
Anousch Mueller: Brandstatt
C.H. Beck, München 2013
221 Seiten, 18,95 Euro
"Brandstatt" erzählt von der Selbstbefreiung einer jungen Frau aus einer seit der Pubertät anhaltenden schweren Krise. Die Handlung verläuft auf mehreren Zeitebenen. Erinnerungen an eine 80er-Jahre-Kindheit in einem thüringischen Dorf werden genauso wach wie an die Zeit nach 1989 – und das Leben als Studentin in Potsdam zur Jahrtausendwende. Der Heldin Annie wird dabei immer wieder das elementar wichtige Gefühl der Zugehörigkeit verweigert, von ihrer Mutter genauso wie von der Dorfgemeinschaft, aber auch von den zahlreichen Männern, mit denen sie Beziehungen der verschiedensten Art eingeht. Nähe und Bindung entsteht für sie meist nur für kurze Momente durch Sex.
Wirklich prägend wird für sie nur die Beziehung zu dem deutlich älteren Jan, der eine Weile im Dorf als Außenseiter auf einem schlecht beleumundeten Hof, eben der "Brandstatt", lebte, bis er seinem alten Leben entflieht und jahrelang für Annie unerreichbar bleibt. Jan trägt allerdings viele Geschichten mit sich, die sie unbedingt erfahren will, geradezu erfahren muss. Es geht dabei um das Schicksal eines vor Jahren verschwundenen Mädchens ebenso wie um die Liebesbeziehung ihrer Mutter zu eben diesem Jan – der damit auch der Vater der Heldin sein könnte.
Mag die Geschichte zuweilen ein paar Haken zu viel schlagen, mögen bestimmte Konstellationen streckenweise allzu bekannt erscheinen – was an diesem Debüt überzeugt, ist seine glaubwürdige Stimme. Nicht was Anousch Müller erzählt, sondern der Ton, den sie wählt. Oder sollte man besser sagen, der Ton, der sich automatisch ergeben hat? Sie erzählt unbekümmert, manchmal sogar naiv – im besten Sinne des Wortes. Wir sehen in ihrer Heldin eine junge Frau, die durch viele Schmerzen und Krisen gehen muss, um erst sehr spät zu sich zu finden.
Besprochen von Vladimir Balzer
Anousch Mueller: Brandstatt
C.H. Beck, München 2013
221 Seiten, 18,95 Euro