Eine Kirche zieht um
Die alte Dorfkirche von Heuersdorf soll demnächst umgesetzt werden in das zwölf Kilometer entfernte Borna. Sie ist eine der ältesten Kirchen in Sachsen und das Symbol für den Widerstand gegen die Abbaggerung des Dorfes Heuersdorf.
Weise: "Also, wir können sagen, es sieht also besser aus, als gedacht, schlecht wäre also ganz viele Hohlräume, ganz viel Mörtel, aber es ist doch so, dass relativ viele große Steine so gesetzt sind, dass die zwar mit einem sehr weichen Mörtel versehen sind, aber doch aneinander kleben."
Mit einer kleinen Kamera untersucht Stefan Weise vorsichtig einige Löcher im dicken Mauerwerk der kleinen Kirche. Der Ingenieur muss herausfinden, wie stabil oder besser gesagt, wie labil das betagte Kirchengemäuer ist, und welche Sicherungsmaßnahmen getroffen werden müssen, bis das kleine Gotteshaus tatsächlich aufgeladen und transportiert werden kann. Ein kleiner Fehler bei der Begutachtung und Analyse könnte das gesamte Projekt zum Scheitern bringen.
Wie eine Trutzburg erhebt sich die Emmauskirche über dem staubigen Boden zwischen den gigantischen Mibrag-Baggern und dem Ort, der schon bald Geschichte sein wird. 14,5 Meter lang, knapp neun Meter breit und fast zwanzig Meter hoch liegt sie - an den Fundamenten freigelegt - nur wenige Dutzend Meter von der Tagebauabbruchkante entfernt.
Im Hintergrund qualmen schneeweiß die Schlote des hochmodernen Braunkohlekraftwerks Lippendorf. Seinetwegen muss das Dorf nun weichen und mit ihm die Emmaus-Kirche von Heuersdorf. Sie gilt als älteste Kirche Sachsens. Schon deshalb ist dem Landesdenkmalsamt daran gelegen, dass alles klappt mit dem Transport:
Hoppe: "Ja, das Besondere ist halt vor allem, dass sie umgesetzt wird, und natürlich auch das hohe Alter, sie ist bis jetzt anhand von Bauhölzern in das Jahr 1258 datiert, also noch älter als die Ersterwähnung des Ortes, und im wesentlichen in ihrer äußeren Kubatur bis heute eigentlich aus dieser Zeit so erhalten."
Am Ostermontag dieses Jahres fand der letzte Gottesdienst vor dem Feldsteinkirchlein statt. Für die Gemeinde ein schwerer Tag. Nur diese kleine Kirche wird die Kohle überleben. Die zweite Kirche im Ort wird abgerissen. Fünfzehn Jahre haben die Heuersdorfer gegen die Zerstörung ihres Ortes gekämpft. Was auf sie zukommen würde, wurde ihnen klar, als die Bagger dem benachbarten Ort Bräunsdorf, beängstigend nahe kamen. Heute gibt es ihn nicht mehr. Der Fotograf Christian Bedeschinski, erinnert sich:
"Bräunsdorf habe ich aktiv, mit Bevölkerung nicht erlebt, habe aber den ähnlichen Zustand mit meiner Kamera festhalten, als Bräunsdorf also schon frei gezogen war, und also auch keine Leute hier mehr gelebt haben, und dann die Archäologen - in einer ähnlichen Situation wie hier - dort das Dorf dokumentiert haben, den Kirchhof, die Kirche, und der Unterschied ist vielleicht, dass in Bräunsdorf schon zur Wendezeit feststand, wie der weitere Verlauf sein würde, im Gegensatz zu Heuersdorf, wo dies lange Zeit völlig unklar war."
Heuersdorf stirbt. Doch die Spuren des langjährigen Widerstands der Bürger sind noch längst nicht getilgt. "Wir bleiben hier", ist auf vergilbten Plakaten zu lesen, und: "Ich war ein Dorf." Im Schaufenster des früheren Beratungs- und Informationszentrums der Bürgerinitiative verstauben die alten Zeitungsausschnitte, Aufrufe und Flyer. Geradezu trotzig lädt ein DIN-A-4-Plakat am Fenster in Augenhöhe zum letzten Gottesdienst in der Emmauskirche ein.
Ausgestorben liegt die alte Dorfstraße in der Sonne. Der leuchtend postgelbe Briefkasten wird noch regelmäßig geleert. Rund 60 Menschen sollen hier noch leben, heißt es. Widerstand leistet keiner mehr. Die letzten verbliebenen Heuersdorfer warten nur noch auf die Fertigstellung ihres neuen Hauses in ihrer neuen Heimat, nur wenige Kilometer von hier.
Seitdem der sächsische Verfassungsgerichtshof Ende 2005 den Weg ebnete für die Abbaggerung des Ortes, sitzen die Bewohner im wahrsten Sinne des Wortes "auf gepackten Koffern". Die vom Braunkohlekonzern Mibrag gezahlte Entschädigung lindert zwar die finanzielle Belastung, die Seelen heilen kann das Geld nicht, ebenso wenig wie die Dorfgemeinschaft zu erhalten, wie der Heuersdorfer Erhard Lindner meint:
"Das war `ne gute Gemeinschaft in dem Dorfe, und ob wir dort wieder so eine Gemeinschaft haben, das glaube ich kaum."
Übrig bleiben wird von dem Dorf, dessen Einwohner vor genau zehn Jahren das 700-jährige Ortsjubiläum feierten, nur noch die Erinnerung an den farbenfrohen Umzug und die kleine Emmauskirche. Auch Ortsvorsteher Horst Bruchmann ist skeptisch, wenn er an die Zukunft der Heuersdorfer Gemeinschaft denkt:
"Das geht jetzt verloren. Jedenfalls spaltet es sich in verschiedene, kleine Gemeinschaften, und das ist eigentlich nicht das, was wir gerne wollten, wir könne es aber nicht verhindern."
Dass das Dorf schon fast leer ist, offenbart sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick. Denn Gardinen hängen in den Festern der verlassenen Gehöfte und Dorfhäuser, Blumen blühen in den Vorgärten, Ernte reifes Obst hängt an den Bäumen. Nur merkwürdig still ist es drum herum. Der Fotograf Christian Bedeschinski hält auch diese Stimmung in seinen Bildern fest. Auch er spürt die Melancholie des Geisterdorfes, gibt aber zu bedenken:
"Es ist immer zweischneidig. Wir müssen aber auch immer sehen, dass auf lange Frist eine Lanze gebrochen wurde für den Industriestandort, den aktiven Industriestandort, also auch die aktive Kohle. Und da war klar, dass es am Ende auch für Heuersdorf eine Lösung geben muss und hoffentlich eine gute."
Zu DDR-Zeiten, so erinnert Bedeschinski, seien die Bürger überhaupt nicht gefragt worden, wenn es um die Kohle unter ihren Dörfern ging. Viele Tausende hätten so ihre Heimat schon früher verloren. Doch von Heuersdorf bleibe doch zumindest die kleine Kirche, deren Name Inbegriff der Hoffnung ist.
Denn laut Bibel sollen am Emmaustag zwei Jünger von Jesus auf dem Emmausweg unterwegs gewesen sein, als sie einen Mann trafen, dem sie von ihrer Hoffnungslosigkeit erzählten, weil der Messias tot war. Erst spät hätten sie in dem Fremden Jesus erkannt, heißt es weiter in der heiligen Schrift. Und somit steht der Emmaustag bis heute auch für die Hoffnung der Menschen. Die Umsetzung der kleinen Wehrkirche haben die Heuersdorfer der MIBRAG abgerungen.
Bedeschinski: "Das ist sicher eine tolle Aktion, eine spektakuläre Aktion insofern, dass man da sehen kann, dass also doch durchaus Wert darauf gelegt wird, dass das Kulturgut, was ja von einem zukünftig dann verschwundenen Dorf dann doch erhalten wird."
Die Emmaus-Kirche soll künftig im zwölf Kilometer entfernten Borna ihren Platz finden und dort als geistliches Zentrum einer Erinnerungsstätte für den Bergbau und seine Folgen eine neue Funktion übernehmen, im Schatten der großen Stadtkirche.
Ein umstrittenes Konzept, da die Zahl der Gemeindeglieder rückläufig ist, und schon genügend andere Kirchen leer stehen. Dennoch ist der Oberbürgermeister der großen Kreisstadt, Bernd Schröter zuversichtlich, dass es eine gute Idee ist, die Kirche hierher zu bringen und zu beleben:
"Ja, die kommt auf den Martin-Luther-Platz, neben der großen Stadtkirche. Die kleine Wehrkirche ist der Streitpunkt im Moment: Passt es hin, passt es nicht hin? Die Stadt hat sich aber entschieden: Sie passt dort hin."
Am Reformationstag, Ende Oktober, soll es soweit sein, doch bis dahin müssen noch eine Menge Vorbereitungen getroffen werden. Archäologen sind seit vier Monaten am Werk. Mit Kelle und Schaufel wird zunächst das Areal um die Emmauskirche freigelegt. In der Kirche ist schon alles ausgeräumt, der Altar, das Gestühl und die Orgel sowie der Fußboden sind rausgeräumt. Überall wird gebuddelt:
de Vriess: "Also in der Kirche ist bekannt, also bei anderen Kirchengrabungen, dass es da meistens die Gründer der Kirche bestattet wurden, bzw. dass man auch Vorgängerbauten eventuell feststellen kann. Und so wie hier geschehen – wobei das alles noch ausgewertet werden muss, es ist wohl wahrscheinlich, dass hier auch zwei Bauphasen sind, dass die Kirche in zwei Bauphasen errichtet wurde."
Bislang haben die Archäologen allerdings nur drei Gräber entdeckt, außerhalb der Kirche, nichts wirklich Spektakuläres. Alles deutet darauf hin, dass die Heuersdorfer ihre Toten früher im benachbarten – und inzwischen abgebaggerten – Bräunsdorf bestattet haben. Doch noch gibt es viele Fragezeichen. Diese sollen durch eine komplette Grabung im gesamten Ort Heuersdorf geklärt werden, ehe der Bagger kommt.
Heiermann: "Wir springen vor dem Bagger her, im Grunde genommen, es sind immer so genannte Jahresscheiben, in denen der Tagebau "Vereinigtes Schleenhain" vorrückt. Also die Tagebaukante ist sofort da vorne, und in der Planung werden immer bestimmte Sektionen gebaggert und jahresversetzt können wir graben. Das heißt, dass wir bis zum Jahr 2012/2013 am anderen Ende des Dorfes sein werden, und da wird dann die Tagbaukante da vorne sein und hier würden wir in der Luft schweben."
Christoph Heiermann vom Landesamt für Archäologie Sachsen gerät ins Schwärmen wenn er von diesem Projekt spricht. Eine Grabung von solchem Ausmaß ist selten für die Experten:
Heiermann: "Allein die Tatsache, dass wir in der Lage sind, das komplette Dorf auszugraben. Wann kann man das schon `mal? In Heuersdorf wird eine ganze Dorflage ausgegraben. Das muss nicht heißen, dass man spektakuläre Funde hat, irgendwelche Schätze, sondern dass man über das Leben einer dörflichen Bevölkerung im Mittelalter mehr erfährt."
Während sich die Archäologen Gedanken über Traditionen und Lebensweisen der Heuersdorfer machen, kümmert sich Regina Meßinger, zuständig für Liegenschaften und Umsiedlung bei der MIBRAG, um den Transport der Kirche. Sie hat Respekt vor dieser Aufgabe, die zugleich eine Premiere ist:
"Also, es ist ohnehin so, dass meines Wissens eine Kirche an sich noch nicht, und eine Kirche in diesem Alter vor allen Dingen noch nicht transportiert wurde."
Regina Meßinger hatte über lange Zeiten einen schweren Stand im Dorf. Sie war das personifizierte Feindbild eines Großteils der Dorfbevölkerung. Die MIBRAG-Mitarbeiterin war der Hauptverhandlungspartner, als es um die Umsiedlung ging, sie hat die Wut der Heuersdorfer unmittelbar zu spüren bekommen.
Nun ist sie engagiert in einem teuren Teil der Wiedergutmachung. Die Versetzung der Kirche wird die MIBRAG geschätzte zwei Millionen Euro kosten und ist minutiös geplant. Nichts darf schief gehen. Die Kirche soll unbeschadet an ihren neuen Standplatz gelangen. Zunächst müssen die Wände verdichtet und stabilisiert werden, dann geht es an den Unterbau:
Meßinger: "Es soll also im Bereich des Fundaments gesägt werden, dann wird eine Platte unter diese Schnittstelle gezogen, dann kommen Pressen, die genau ausgerechnet sind auf das Gewicht der Kirche, kommen Pressen zum Einsatz, die die Kirche gleichmäßig nach oben pressen, und zwar so hoch, dass später diese so genannten selbst fahrenden Module unter die Kirche geschoben werden können und diese Module werden die Kirche dann nach Borna transportieren."
Auch für das in Leuna ansässige niederländische Spezialunternehmen, das mit dem Transport betraut wurde, ist dieses Unterfangen ein riskanter Auftrag. Normalerweise fährt ein PKW die zwölf Kilometer lange Strecke von Heuersdorf nach Borna in nur zehn Minuten.
Der Transport der Emmauskirche jedoch wird vermutlich fünf Tage dauern und im Schritttempo passieren. Transport-Experte Uwe Wenzel muss daher im Vorfeld alle möglichen Widrigkeiten auf der Strecke erkennen und Lösungsvorschläge entwickeln, wie die Klippen auf der Fahrtroute umschifft werden können, ohne die alte Kirche zu gefährden:
"Wir fahren das natürlich auch mit dem PKW ab, wobei wir natürlich mehrfach aussteigen, um die Strecke per Fuß in Augenschein zu nehmen, und die kritischen Punkte, wo wir der Meinung sind, dass dort Engstellen sind, die haben wir mit dem Vermessungsbüro noch `mal per GPS vermessen, um zu sehen, was für Maßnahmen sind hier erforderlich."
Die Strecke nach Borna hat Nadelöhre, Anstiege, Bahnübergänge und Brücken. Oberleitungen, die die Route kreuzen, müssen vorübergehend gekappt, Hochspannungsmasten umfahren werden. Anstiege an den Bahnübergängen müssen teilweise umgebaut werden, damit der Transport überhaupt passieren kann. Auch die vier Brücken können nicht einfach so überfahren werden, sagt der Transporteur-Experte Uwe Wenzel:
"Die Lösung sieht wie folgt aus, dass wir die Brücke in ihrem Mitteljoch unterstützen, und im Prinzip dann mit steifen Rohrmatten überspannen, so dass eigentlich das Befahren der Brücke über eine temporäre Brücke erfolgt, ohne die eigentliche Brücke zu belasten."
Für den Transport muss die Kirche so wenig Gewicht wie möglich haben. Dementsprechend wird reduziert, was geht. Selbst die Dachziegel müssen runter. Doch schnell stoßen die Ingenieure an die Grenzen des Machbaren. Dirk Hoppe vom Landesamt für Denkmalpflege warnt:
"Insbesondere der Dachstuhl sollte beim Transport nicht abgenommen werden, sondern auf dem Kirchenschiff verbleiben oder auf dem Chor, wo die ältesten Teile gefunden worden sind, weil jeder Eingriff sozusagen Schaden zufügen könnte."
Am 31. Oktober soll der Transport beendet sein. Dann beginnt ein neues Kapitel der kleinen und vermutlich dann auch berühmten Heuersdorfer Emmaus-Kirche. Doch ob sie als kirchliches Mahnmal für untergegangene Dörfer und Gemeinden auch die Heuersdorfer Bürger wird zusammenführen können, ist fraglich. Denn die Einwohner des einst aus zwei Ortschaften zusammengewachsenen Heuersdorf zieht es nicht gerade in die große Kreisstadt, wie der Oberbürgermeister von Borna, Bernd Schröter bedauert:
"Ich denke, es ist schade. Und es hätte sich sicherlich auch gut gemacht, wenn die Heuersdorfer das Angebot angenommen hätten, die Kirche in der Mitte, Bekannte, Verwandte drum herum in neuen Häusern, wäre sicher auch gut gegangen."
Der Beschluss der evangelischen Landeskirche und der beteiligten evangelischen Gemeinden, das kleine Dorfgotteshaus neben die Stadtkirche von Borna zu stellen, ist nicht unumstritten. Als Mahnmal, so sagen Kritiker dieses Beschlusses, hätte man das trutzige Feldsteinkirchlein mit seinem kleinen stolzen Dachreiter lieber mitten in der neuen Seenlandschaft im alten renaturierten Braunkohletagebaugebiet platzieren müssen.
Doch die Kirche setzte andere Prioritäten. Für sie war ausschlaggebend, dass eine Gemeinde sich auch um den Unterhalt der umgesetzten Kirche kümmert. Somit fiel das Los auf Borna. Dort träumt der Oberbürgermeister Bernd Schröter nun von einem großen Kirchweihfest im Oktober.
"Ein Fest nicht nur für Leute, die Kirchensteuern zahlen, sondern für alle Leute wird es ein Fest werden, dass diese Kirche nach Borna kommt, und wir laden alle ein, besonders die Heuersdorfer, dass sie mit uns gemeinsam feiern."
Mit einer kleinen Kamera untersucht Stefan Weise vorsichtig einige Löcher im dicken Mauerwerk der kleinen Kirche. Der Ingenieur muss herausfinden, wie stabil oder besser gesagt, wie labil das betagte Kirchengemäuer ist, und welche Sicherungsmaßnahmen getroffen werden müssen, bis das kleine Gotteshaus tatsächlich aufgeladen und transportiert werden kann. Ein kleiner Fehler bei der Begutachtung und Analyse könnte das gesamte Projekt zum Scheitern bringen.
Wie eine Trutzburg erhebt sich die Emmauskirche über dem staubigen Boden zwischen den gigantischen Mibrag-Baggern und dem Ort, der schon bald Geschichte sein wird. 14,5 Meter lang, knapp neun Meter breit und fast zwanzig Meter hoch liegt sie - an den Fundamenten freigelegt - nur wenige Dutzend Meter von der Tagebauabbruchkante entfernt.
Im Hintergrund qualmen schneeweiß die Schlote des hochmodernen Braunkohlekraftwerks Lippendorf. Seinetwegen muss das Dorf nun weichen und mit ihm die Emmaus-Kirche von Heuersdorf. Sie gilt als älteste Kirche Sachsens. Schon deshalb ist dem Landesdenkmalsamt daran gelegen, dass alles klappt mit dem Transport:
Hoppe: "Ja, das Besondere ist halt vor allem, dass sie umgesetzt wird, und natürlich auch das hohe Alter, sie ist bis jetzt anhand von Bauhölzern in das Jahr 1258 datiert, also noch älter als die Ersterwähnung des Ortes, und im wesentlichen in ihrer äußeren Kubatur bis heute eigentlich aus dieser Zeit so erhalten."
Am Ostermontag dieses Jahres fand der letzte Gottesdienst vor dem Feldsteinkirchlein statt. Für die Gemeinde ein schwerer Tag. Nur diese kleine Kirche wird die Kohle überleben. Die zweite Kirche im Ort wird abgerissen. Fünfzehn Jahre haben die Heuersdorfer gegen die Zerstörung ihres Ortes gekämpft. Was auf sie zukommen würde, wurde ihnen klar, als die Bagger dem benachbarten Ort Bräunsdorf, beängstigend nahe kamen. Heute gibt es ihn nicht mehr. Der Fotograf Christian Bedeschinski, erinnert sich:
"Bräunsdorf habe ich aktiv, mit Bevölkerung nicht erlebt, habe aber den ähnlichen Zustand mit meiner Kamera festhalten, als Bräunsdorf also schon frei gezogen war, und also auch keine Leute hier mehr gelebt haben, und dann die Archäologen - in einer ähnlichen Situation wie hier - dort das Dorf dokumentiert haben, den Kirchhof, die Kirche, und der Unterschied ist vielleicht, dass in Bräunsdorf schon zur Wendezeit feststand, wie der weitere Verlauf sein würde, im Gegensatz zu Heuersdorf, wo dies lange Zeit völlig unklar war."
Heuersdorf stirbt. Doch die Spuren des langjährigen Widerstands der Bürger sind noch längst nicht getilgt. "Wir bleiben hier", ist auf vergilbten Plakaten zu lesen, und: "Ich war ein Dorf." Im Schaufenster des früheren Beratungs- und Informationszentrums der Bürgerinitiative verstauben die alten Zeitungsausschnitte, Aufrufe und Flyer. Geradezu trotzig lädt ein DIN-A-4-Plakat am Fenster in Augenhöhe zum letzten Gottesdienst in der Emmauskirche ein.
Ausgestorben liegt die alte Dorfstraße in der Sonne. Der leuchtend postgelbe Briefkasten wird noch regelmäßig geleert. Rund 60 Menschen sollen hier noch leben, heißt es. Widerstand leistet keiner mehr. Die letzten verbliebenen Heuersdorfer warten nur noch auf die Fertigstellung ihres neuen Hauses in ihrer neuen Heimat, nur wenige Kilometer von hier.
Seitdem der sächsische Verfassungsgerichtshof Ende 2005 den Weg ebnete für die Abbaggerung des Ortes, sitzen die Bewohner im wahrsten Sinne des Wortes "auf gepackten Koffern". Die vom Braunkohlekonzern Mibrag gezahlte Entschädigung lindert zwar die finanzielle Belastung, die Seelen heilen kann das Geld nicht, ebenso wenig wie die Dorfgemeinschaft zu erhalten, wie der Heuersdorfer Erhard Lindner meint:
"Das war `ne gute Gemeinschaft in dem Dorfe, und ob wir dort wieder so eine Gemeinschaft haben, das glaube ich kaum."
Übrig bleiben wird von dem Dorf, dessen Einwohner vor genau zehn Jahren das 700-jährige Ortsjubiläum feierten, nur noch die Erinnerung an den farbenfrohen Umzug und die kleine Emmauskirche. Auch Ortsvorsteher Horst Bruchmann ist skeptisch, wenn er an die Zukunft der Heuersdorfer Gemeinschaft denkt:
"Das geht jetzt verloren. Jedenfalls spaltet es sich in verschiedene, kleine Gemeinschaften, und das ist eigentlich nicht das, was wir gerne wollten, wir könne es aber nicht verhindern."
Dass das Dorf schon fast leer ist, offenbart sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick. Denn Gardinen hängen in den Festern der verlassenen Gehöfte und Dorfhäuser, Blumen blühen in den Vorgärten, Ernte reifes Obst hängt an den Bäumen. Nur merkwürdig still ist es drum herum. Der Fotograf Christian Bedeschinski hält auch diese Stimmung in seinen Bildern fest. Auch er spürt die Melancholie des Geisterdorfes, gibt aber zu bedenken:
"Es ist immer zweischneidig. Wir müssen aber auch immer sehen, dass auf lange Frist eine Lanze gebrochen wurde für den Industriestandort, den aktiven Industriestandort, also auch die aktive Kohle. Und da war klar, dass es am Ende auch für Heuersdorf eine Lösung geben muss und hoffentlich eine gute."
Zu DDR-Zeiten, so erinnert Bedeschinski, seien die Bürger überhaupt nicht gefragt worden, wenn es um die Kohle unter ihren Dörfern ging. Viele Tausende hätten so ihre Heimat schon früher verloren. Doch von Heuersdorf bleibe doch zumindest die kleine Kirche, deren Name Inbegriff der Hoffnung ist.
Denn laut Bibel sollen am Emmaustag zwei Jünger von Jesus auf dem Emmausweg unterwegs gewesen sein, als sie einen Mann trafen, dem sie von ihrer Hoffnungslosigkeit erzählten, weil der Messias tot war. Erst spät hätten sie in dem Fremden Jesus erkannt, heißt es weiter in der heiligen Schrift. Und somit steht der Emmaustag bis heute auch für die Hoffnung der Menschen. Die Umsetzung der kleinen Wehrkirche haben die Heuersdorfer der MIBRAG abgerungen.
Bedeschinski: "Das ist sicher eine tolle Aktion, eine spektakuläre Aktion insofern, dass man da sehen kann, dass also doch durchaus Wert darauf gelegt wird, dass das Kulturgut, was ja von einem zukünftig dann verschwundenen Dorf dann doch erhalten wird."
Die Emmaus-Kirche soll künftig im zwölf Kilometer entfernten Borna ihren Platz finden und dort als geistliches Zentrum einer Erinnerungsstätte für den Bergbau und seine Folgen eine neue Funktion übernehmen, im Schatten der großen Stadtkirche.
Ein umstrittenes Konzept, da die Zahl der Gemeindeglieder rückläufig ist, und schon genügend andere Kirchen leer stehen. Dennoch ist der Oberbürgermeister der großen Kreisstadt, Bernd Schröter zuversichtlich, dass es eine gute Idee ist, die Kirche hierher zu bringen und zu beleben:
"Ja, die kommt auf den Martin-Luther-Platz, neben der großen Stadtkirche. Die kleine Wehrkirche ist der Streitpunkt im Moment: Passt es hin, passt es nicht hin? Die Stadt hat sich aber entschieden: Sie passt dort hin."
Am Reformationstag, Ende Oktober, soll es soweit sein, doch bis dahin müssen noch eine Menge Vorbereitungen getroffen werden. Archäologen sind seit vier Monaten am Werk. Mit Kelle und Schaufel wird zunächst das Areal um die Emmauskirche freigelegt. In der Kirche ist schon alles ausgeräumt, der Altar, das Gestühl und die Orgel sowie der Fußboden sind rausgeräumt. Überall wird gebuddelt:
de Vriess: "Also in der Kirche ist bekannt, also bei anderen Kirchengrabungen, dass es da meistens die Gründer der Kirche bestattet wurden, bzw. dass man auch Vorgängerbauten eventuell feststellen kann. Und so wie hier geschehen – wobei das alles noch ausgewertet werden muss, es ist wohl wahrscheinlich, dass hier auch zwei Bauphasen sind, dass die Kirche in zwei Bauphasen errichtet wurde."
Bislang haben die Archäologen allerdings nur drei Gräber entdeckt, außerhalb der Kirche, nichts wirklich Spektakuläres. Alles deutet darauf hin, dass die Heuersdorfer ihre Toten früher im benachbarten – und inzwischen abgebaggerten – Bräunsdorf bestattet haben. Doch noch gibt es viele Fragezeichen. Diese sollen durch eine komplette Grabung im gesamten Ort Heuersdorf geklärt werden, ehe der Bagger kommt.
Heiermann: "Wir springen vor dem Bagger her, im Grunde genommen, es sind immer so genannte Jahresscheiben, in denen der Tagebau "Vereinigtes Schleenhain" vorrückt. Also die Tagebaukante ist sofort da vorne, und in der Planung werden immer bestimmte Sektionen gebaggert und jahresversetzt können wir graben. Das heißt, dass wir bis zum Jahr 2012/2013 am anderen Ende des Dorfes sein werden, und da wird dann die Tagbaukante da vorne sein und hier würden wir in der Luft schweben."
Christoph Heiermann vom Landesamt für Archäologie Sachsen gerät ins Schwärmen wenn er von diesem Projekt spricht. Eine Grabung von solchem Ausmaß ist selten für die Experten:
Heiermann: "Allein die Tatsache, dass wir in der Lage sind, das komplette Dorf auszugraben. Wann kann man das schon `mal? In Heuersdorf wird eine ganze Dorflage ausgegraben. Das muss nicht heißen, dass man spektakuläre Funde hat, irgendwelche Schätze, sondern dass man über das Leben einer dörflichen Bevölkerung im Mittelalter mehr erfährt."
Während sich die Archäologen Gedanken über Traditionen und Lebensweisen der Heuersdorfer machen, kümmert sich Regina Meßinger, zuständig für Liegenschaften und Umsiedlung bei der MIBRAG, um den Transport der Kirche. Sie hat Respekt vor dieser Aufgabe, die zugleich eine Premiere ist:
"Also, es ist ohnehin so, dass meines Wissens eine Kirche an sich noch nicht, und eine Kirche in diesem Alter vor allen Dingen noch nicht transportiert wurde."
Regina Meßinger hatte über lange Zeiten einen schweren Stand im Dorf. Sie war das personifizierte Feindbild eines Großteils der Dorfbevölkerung. Die MIBRAG-Mitarbeiterin war der Hauptverhandlungspartner, als es um die Umsiedlung ging, sie hat die Wut der Heuersdorfer unmittelbar zu spüren bekommen.
Nun ist sie engagiert in einem teuren Teil der Wiedergutmachung. Die Versetzung der Kirche wird die MIBRAG geschätzte zwei Millionen Euro kosten und ist minutiös geplant. Nichts darf schief gehen. Die Kirche soll unbeschadet an ihren neuen Standplatz gelangen. Zunächst müssen die Wände verdichtet und stabilisiert werden, dann geht es an den Unterbau:
Meßinger: "Es soll also im Bereich des Fundaments gesägt werden, dann wird eine Platte unter diese Schnittstelle gezogen, dann kommen Pressen, die genau ausgerechnet sind auf das Gewicht der Kirche, kommen Pressen zum Einsatz, die die Kirche gleichmäßig nach oben pressen, und zwar so hoch, dass später diese so genannten selbst fahrenden Module unter die Kirche geschoben werden können und diese Module werden die Kirche dann nach Borna transportieren."
Auch für das in Leuna ansässige niederländische Spezialunternehmen, das mit dem Transport betraut wurde, ist dieses Unterfangen ein riskanter Auftrag. Normalerweise fährt ein PKW die zwölf Kilometer lange Strecke von Heuersdorf nach Borna in nur zehn Minuten.
Der Transport der Emmauskirche jedoch wird vermutlich fünf Tage dauern und im Schritttempo passieren. Transport-Experte Uwe Wenzel muss daher im Vorfeld alle möglichen Widrigkeiten auf der Strecke erkennen und Lösungsvorschläge entwickeln, wie die Klippen auf der Fahrtroute umschifft werden können, ohne die alte Kirche zu gefährden:
"Wir fahren das natürlich auch mit dem PKW ab, wobei wir natürlich mehrfach aussteigen, um die Strecke per Fuß in Augenschein zu nehmen, und die kritischen Punkte, wo wir der Meinung sind, dass dort Engstellen sind, die haben wir mit dem Vermessungsbüro noch `mal per GPS vermessen, um zu sehen, was für Maßnahmen sind hier erforderlich."
Die Strecke nach Borna hat Nadelöhre, Anstiege, Bahnübergänge und Brücken. Oberleitungen, die die Route kreuzen, müssen vorübergehend gekappt, Hochspannungsmasten umfahren werden. Anstiege an den Bahnübergängen müssen teilweise umgebaut werden, damit der Transport überhaupt passieren kann. Auch die vier Brücken können nicht einfach so überfahren werden, sagt der Transporteur-Experte Uwe Wenzel:
"Die Lösung sieht wie folgt aus, dass wir die Brücke in ihrem Mitteljoch unterstützen, und im Prinzip dann mit steifen Rohrmatten überspannen, so dass eigentlich das Befahren der Brücke über eine temporäre Brücke erfolgt, ohne die eigentliche Brücke zu belasten."
Für den Transport muss die Kirche so wenig Gewicht wie möglich haben. Dementsprechend wird reduziert, was geht. Selbst die Dachziegel müssen runter. Doch schnell stoßen die Ingenieure an die Grenzen des Machbaren. Dirk Hoppe vom Landesamt für Denkmalpflege warnt:
"Insbesondere der Dachstuhl sollte beim Transport nicht abgenommen werden, sondern auf dem Kirchenschiff verbleiben oder auf dem Chor, wo die ältesten Teile gefunden worden sind, weil jeder Eingriff sozusagen Schaden zufügen könnte."
Am 31. Oktober soll der Transport beendet sein. Dann beginnt ein neues Kapitel der kleinen und vermutlich dann auch berühmten Heuersdorfer Emmaus-Kirche. Doch ob sie als kirchliches Mahnmal für untergegangene Dörfer und Gemeinden auch die Heuersdorfer Bürger wird zusammenführen können, ist fraglich. Denn die Einwohner des einst aus zwei Ortschaften zusammengewachsenen Heuersdorf zieht es nicht gerade in die große Kreisstadt, wie der Oberbürgermeister von Borna, Bernd Schröter bedauert:
"Ich denke, es ist schade. Und es hätte sich sicherlich auch gut gemacht, wenn die Heuersdorfer das Angebot angenommen hätten, die Kirche in der Mitte, Bekannte, Verwandte drum herum in neuen Häusern, wäre sicher auch gut gegangen."
Der Beschluss der evangelischen Landeskirche und der beteiligten evangelischen Gemeinden, das kleine Dorfgotteshaus neben die Stadtkirche von Borna zu stellen, ist nicht unumstritten. Als Mahnmal, so sagen Kritiker dieses Beschlusses, hätte man das trutzige Feldsteinkirchlein mit seinem kleinen stolzen Dachreiter lieber mitten in der neuen Seenlandschaft im alten renaturierten Braunkohletagebaugebiet platzieren müssen.
Doch die Kirche setzte andere Prioritäten. Für sie war ausschlaggebend, dass eine Gemeinde sich auch um den Unterhalt der umgesetzten Kirche kümmert. Somit fiel das Los auf Borna. Dort träumt der Oberbürgermeister Bernd Schröter nun von einem großen Kirchweihfest im Oktober.
"Ein Fest nicht nur für Leute, die Kirchensteuern zahlen, sondern für alle Leute wird es ein Fest werden, dass diese Kirche nach Borna kommt, und wir laden alle ein, besonders die Heuersdorfer, dass sie mit uns gemeinsam feiern."