Geschichte der Pauschalreise
Kurze Rast auf der Reise ins Glück: Touristen vor einem Reisebus im Jahr 1968 © imago/Niehoff
Ausflug mit Schinkenbrot
28:48 Minuten
Am 5. Juli 1841 organisierte der Tischler Thomas Cook einen Eisenbahnausflug. Es ging von Leicester ins elf Meilen entfernte Loughborough. Und weil der Ticketpreis auch Schinkenbrot und Tee beinhaltete, gilt die Tour als erste Pauschalreise. (Erstsendung am 5. Juli 2016)
Im Frühsommer 1841 wandert ein junger Tischler durch die mittelenglische Landschaft. Der 33-jährige Thomas Cook ist unterwegs zu einem Treffen der Temperenzler, des Vereins gegen den Alkoholmissbrauch. Bei der Versammlung soll der Baptistenprediger Cook einen anderen überzeugten Temperenzler treffen: Lawrence Heyworth, den Direktor der Midland Railways.
"Etwa auf halbem Wege zwischen Harborough und Leicester durchzuckte mich ein Gedanke: Wie wunderbar wäre es, wenn diese neu entwickelten Kräfte von Eisenbahnen und Reisemöglichkeiten der Ausbreitung des Abstinenzgedankens dienstbar gemacht werden könnten!"
Cooks Idee: ein Eisenbahnausflug für Arbeiter. Weg von der Ginflasche und ab in die Natur.
Verpflegung, Sport und Spiele - alles inklusive
Am 5. Juli 1841 ging es los. Alles war für die Reisenden organisiert worden: Das war neu. Der Ausflug ins elf Meilen entfernte Loughborough kostete einen Shilling pro Person. Kinder die Hälfte.
"Menschen drängten sich auf den Straßen, lagen in Fenstern, standen auf Dächern und jubelten uns auf den ganzen Strecke mit den herzlichsten Willkommensrufen zu."
Eine Blaskapelle sorgte unterwegs für Stimmung. In Loughborough nahmen die Passagiere an einer Temperenzler-Demonstration auf einer Wiese teil. Es gab Verpflegung, Sport und Spiele. Alles im Preis inbegriffen.
Hinrichtungen garantierten volle Züge
"Man sagt, das wäre die erste kleine Pauschalreise gewesen", erklärt Professor Hasso Spode. "Faktisch gab es ähnliche Veranstaltungen schon vorher, und auch die Eisenbahngesellschaften haben schon in den 1830er-Jahren eigene Touren organisiert in England. Besonders beliebt waren dabei als Event öffentliche Hinrichtungen, da haben sich die Menschen gedrängelt, und damit haben sie die Züge voll bekommen."
Hasso Spode ist der Leiter des Historischen Archivs zum Tourismus der Technischen Universität Berlin.
"Der Trick dabei ist: die Eisenbahngesellschaften, die ja damals alle privat waren, kriegten durch solche Veranstaltungen, solche 'Pauschalreisen', ausgelastete Züge. Und das haben sie dem Veranstalter dann damit honoriert, dass sie einen deutlichen Preisnachlass gewährt hatten. Und auf diesem Win-Win-Prinzip basiert dann der ganze Pauschaltourismus, den dann in der Tat besonders Thomas Cook entwickelt hatte in den Folgejahren."
Reisen im Mondschein
Der Weg ins Pub ist "der kürzeste Weg, um aus Manchester herauszukommen", hieß es damals. Thomas Cook bot gesündere Möglichkeiten, den grauen Städten der Industrialisierung eine Weile zu entfliehen, erklärt Spode:
"Berühmt waren diese Mondscheinfahrten, die Cook eingeführt hatte. Das ging dann also am Sonnabend Abend los, daher der Mondschein. Die fuhren nachts, hatten einen Sonntag, wo sie sich irgendwo im Grünen, in irgendeinem Schlosspark aufhielten oder auch an die Küste fuhren, nach Fleetwood, und dann in der Nacht vom Sonntag auf Montag zurück. Und am Montag mussten die armen Kerle dann natürlich schon wieder in der Fabrik stehen."
Gereist wären sie nie.
Vorteile für die Arbeiter
1844 schrieb Friedrich Engels in seinem Werk "Die Lage der arbeitenden Klasse in England": "Der Arbeiter kommt müde und erschlafft von seiner Arbeit heim. Er findet eine Wohnung ohne alle Wohnlichkeit, feucht, unfreundlich und schmutzig. Er bedarf dringend einer Aufheiterung." Und: "Sein geselliges Bedürfnis kann nur in einem Wirtshause befriedigt werden."
Der Arbeitsalltag von 16 Stunden und mehr, ohne Urlaubsansprüche, war derart erschöpfend, dass weder Zeit noch Energie blieben, um Ausflüge zu organisieren.
Wer damals reiste, hatte die persönliche Freiheit dazu: Goethe nach Italien, Humboldt nach Südamerika. Arrivierte Bürger verspürten im frühen 19. Jahrhundert eine wachsende Lust, auf Reisen zu gehen und die Welt zu erkunden. Aber – einfache Arbeiter? Dass auch sie wollten, aber nicht konnten, obwohl die Eisenbahn revolutionär neue Fortbewegungsmöglichkeiten bot: das war die Grundlage des Erfolgs von Thomas Cook und seiner Idee, alles pauschal zu organisieren.
"Die Pauschalreisen waren preiswerter, als wenn man das selber organisiert", erklärt Spode. "Viel wichtiger scheint mir allerdings zu sein, dass für die Menschen in der Fremde die Orientierungsmöglichkeiten relativ gering waren. Die Menschen waren ja auch noch relativ reiseunerfahren."
Brandes sagt: "Das ist ja das Besondere an der Pauschalreise, verglichen mit Individualreisen: ich habe halt jemanden, der sich um mich kümmert."
Auf ins exotische Schottland
Bei Mondscheinfahrten und Arbeiterausflügen blieb es nicht lang. Der erfinderische Laienprediger Cook expandierte, erklärt Brandes:
"Er hat ja dann schon relativ schnell, schon vier Jahre nach dieser ersten Reise, ein Reisebüro gegründet, das gab es ja bis dahin auch nicht, also Reisebüros, wo Menschen hingehen können, sich eine Reise zusammenstellen lassen, beraten lassen. Er hat dann auch relativ schnell Voucher, also Gutscheine angeboten, auch Reiseschecks – also alles Dinge, die damals nicht alltäglich waren."
Zunächst einmal ging es nach Schottland – für die englische Mittelklasse damals eine exotische Wildnis. Bald bot Cook auch Reisen zu immer ferneren Zielen an, wie Brandes erklärt:
"Neunzehntes Jahrhundert war natürlich auch die Blütephase des englischen Empire. Er hat natürlich auch in den damaligen Kolonien die Infrastruktur vorgefunden, um eben Büros zu eröffnen, um vor Ort mit Leuten arbeiten zu können – dieses Empire hat ihn auch beflügelt, das zu tun. Und er hat eben auch groß gedacht. Zunächst nur auf England beschränkt, dann auf den Kontinent, Paris, dann Richtung Ägypten, auch damals ja eine Kolonie – bis er dann sogar eine ganze Weltreise angeboten hat."
222 Tage dauerte die 40.000 Kilometer-Tour. Sie fand 1872 statt: ein Jahr, bevor Jules Verne seine "Reise um die Erde in 80 Tagen" veröffentlichte.
Der Komfort in der "Umweltblase"
"Und diese Ägypten-Reisen", erklärt Spode, "das war sozusagen der Inbegriff des Tourismus von Cook. Der hatte 15 Nildampfer unter Dampf und besaß damit praktisch ein Monopol auf die Vergnügungsschifffahrt auf dem Nil. Das waren natürlich kommerziell sehr erfolgreiche Vorstöße, die er da gemacht hat."
Ein großer Vorteil der Gesellschaftsreise: Sie mildert den allzu brutalen Kulturkontakt ab, indem sie ein Stück Heimat mit in die Fremde transportiert. Die Cook'schen Nildampfer hatten die Anmutung englischer Salons. Für das englische Frühstück an Bord wurden große Mengen von Schinken, Yorkshire-Speck und Orangenmarmelade nach Ägypen importiert.
"Sie sprechen das an, was man in der Tourimusforschung die 'Umweltblase' nennt", führt Spode aus. "Natürlich bewegen sich Touristen möglichst in Feldern, die ihnen einigermaßen bekannt vorkommen und in denen sie sich einigermaßen sicher fühlen."
Auftritt der Spötter und Eliten
Der Tourist in der Umweltblase, der Reisende, der seine Heimat mitnimmt und eigentlich gar nicht richtig reist, ist schon seit jeher Ziel des Spotts. Charles Lever, der britische Konsul in Triest, mokierte sich 1865:
"Die Städte Italiens werden in Scharen überschwemmt mit diesen Kreaturen, denn sie trennen sich nie, und man sieht sie, vierzig an der Zahl, sich über die Straße ergießen mit ihrem Führer – mal vorne, mal hinten – sie wie ein Schäferhund umkreisend – und es ist in der Tat wie das Hüten einer Herde. Ich bin bereits auf drei Horden getroffen, und alle waren so ordinär, wie ich es nie zuvor gesehen habe. Es wird alles 'für sie gemacht' in der umfassendsten Weise und nichts von ihnen verlangt außer der Bezahlung von soundsoviel Pfund Sterling."
Isabel Burton, britische Forschergattin, die einige Jahre in Damaskus lebte, berichtete 1875:
"Sie fallen wie die Heuschrecken in einem Ort ein, und es ist schwierig für Habitués, Unterkunft und Verpflegung während ihres Aufenthaltes zu finden. Die Einheimischen pflegten zu sagen: 'Ma hum Sayyahin: Hum Kukiyyeh' ('Dies sind keine Reisenden: dies sind Cookii')."
In der ganzen Menschheitsgeschichte war Reisen beschwerlich gewesen, kein Vergnügen. Kaufleute reisten, fahrendes Volk zog von Ortschaft zu Ortschaft für den eigenen Lebensunterhalt. Die Reise "einfach so" und ohne konkreten Zweck war höheren Kreisen vorbehalten. Wenn man nach Vorläufern des Tourismus sucht, stößt man auf exklusive Veranstaltungen wie die aristokratische "Grand Tour" oder die bürgerliche Bildungsreise, so Spode:
"Das ist ein ewiges Spiel der sozialen Distinktion. Es gab natürlich immer reisende Eliten. Und dann sehen sie, dass andere Schichten es ähnlich machen oder genau so machen wollen wie sie selbst. Und die jeweiligen Vorreitergruppen wollen sich von den nachdrängenden Schichten absetzen und finden die einfach blöd. Und deshalb ist das, was man so die Touristenschelte nennt, eigentlich ein Grundmuster des Redens über den Tourismus, seit es den Tourismus gibt, also seit über 200 Jahren."
Erstmals konnten Frauen alleine verreisen
Der geschützte Raum, die Sicherheit der sogenannten Umweltblase, hatte allerdings noch einen weiteren Aspekt: sie ermöglichte es zum ersten Mal Frauen, allein zu verreisen. Thomas Cook versicherte:
"Von den Tausenden von Touristen, die mit uns gereist sind, waren die meisten Frauen. Bei familiär verbundenen Gruppen überwiegt die weibliche Seite; aber es gibt auch eine große Anzahl von Damen, die alleine kommen, und immer finden sie angenehme Begleitung und sie stehen es ohne spezielle Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten durch. Die Fallen der aktuellen Mode mögen sie manchmal beim Klettern und zwischen groben Granit- und Basaltfelsen verwirren; aber es gibt eine große Zahl von ihnen, die jenseits von Mode oder Gepflogenheiten alle Schwierigkeiten überwinden."
"Es gibt zwei Stränge, aus denen der Tourismus sich entwickelt hat", erklärt Spode. "Das ist einmal der Besichtigungstourismus, und das ist andererseits der Bädertourismus, der stationär ist. Der Bädertourismus – da spielten die organisierten Reisen eigentlich eine relativ geringe Rolle. Pauschalreise war überwiegend Tourismus, den man im weitesten Sinne als Besichtigungstourismus bezeichnen kann."
Per se all-inclusive: Die Kreuzfahrt
Bis die Badereise zum Pauschalurlaub schlechthin wird, soll noch ein bisschen Zeit vergehen. Im 19. Jahrhundert noch entsteht aber schon mal eine neue Reisemode, die anders als "all-inclusive" kaum durchführbar ist:
"Die Kreuzfahrt. Es gab immer wieder mal Versuche, eine Pauschalreise per Schiff sozusagen zu organisieren", erklärt Spode. "Das hat damit zu tun, dass die Auswandererströme nach Amerika langsam zurückgingen, und die Reedereien hatten Überkapazitäten: was machen wir mit diesen schönen Schiffen, wenn da keiner mehr auswandern will."
Kreuzfahrten!
"Richtig organisiert und verstetigt wurde diese Art des Tourismus durch Albert Ballin, den Generaldirektor der Hapag, der hat 1891 eine sogenannte Orient-Exkursion gemacht, da war sogar der Kaiser mit bei, als die Schiffe ablegten. Das war ein Riesen-Ereignis – die fuhren, zwei Monate durchs Mittelmeer, haben überall Halt gemacht. Nicht viel anders als heute, und dann wieder zurück nach Hamburg. Auf diese Weise ist eine neue Art Urlaub entstanden, ein Pauschalurlaub, den man im weitesten Sinne mit so einer Art Lagerurlaub vergleichen kann, die waren ja sozusagen zusammengepfercht an Deck dieses Schiffes und mussten da auch ständig bespaßt werden, eigentlich nicht viel anders als heute."
Aufbruch der Wanderbewegung
Eine andere Bewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam, hatte nichts mit Pauschaltourismus zu tun, aber durchaus etwas mit Thomas Cooks erstem Pauschalausflug ins Grüne: die Wanderbewegung. Man wanderte ins Grüne, um dem Dreck der industrialisierten Städte zu entfliehen. Vereine wie die sozialistischen Naturfreunde errichteten zunächst nicht mehr als ein Wegenetzwerk nebst schlichter Hütten, erklärt Spode:
"Die Naturfreunde haben damit angefangen in den 20er-Jahren. Das war ihre hohe Zeit. Die haben dann in ähnlicher Weise wie andere Veranstalter Pauschalreisen angeboten, die allerdings, das muss man sagen, sehr, sehr teuer waren. In den 20er-Jahren zahlte man 300-400 Reichsmark für eine Rundreise durch die Schweiz oder sowas. Das war für normale Arbeiter unerschwinglich, aber es gab ja die sogenannte Arbeiteraristokratie, also die Verwaltungsspitzen der Arbeiterbewegung, Journalisten, die in der Arbeiterpresse tätig waren – und die konnten sich das leisten."
Die Urlaubspolitik der Nationalsozialisten
Richtig volkstümlich wurde die Pauschalreise im nächsten Jahrzehnt: "Wollen wir aber, dass das Volk unser Vaterland lieben lernt, so müssen wir dafür sorgen, dass das Volk sein Land kennt", schnarrt Robert Ley, der Leiter der "Deutschen Arbeiterfront", in einer Archivaufnahme.
Zwar hatten die Gewerkschaften in der Weimarer Republik Urlaubstage für die Arbeiter erkämpft – doch zum Verreisen konnten sie nur wenige nutzen. "Die Nazis waren da sehr geschickt und haben die Urlaubspolitik zum Kern ihrer Sozialpolitik gemacht", sagt Spode. "Nach dem Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip, also, ihr habt keine Gewerkschaften mehr, ihr dürft nicht streiken, wir setzen die Löhne fest – aber dafür dürft ihr verreisen."
Dafür verantwortlich war Robert Ley: "Über allem steht das Wort des Führers: wie erhalten wir dem Volk die Nerven, in der Erkenntnis, dass man nur mit einem nervenstarken Volk Politik treiben kann?"
Und Spode erklärt dazu: "Dafür wurde die Organisation NS-Gemeinschaft 'Kraft durch Freude' ins Leben gerufen, und die ist aus dem Stand der größte Reiseveranstalter der Welt geworden. Also, Thomas Cook war da unter 'ferner liefen'. Ich glaube, sie haben 38 Millionen Menschen transportiert, bis der Krieg dann '39 begann. Die haben überwiegend Landreisen gemacht, aber über 700.000 Menschen sind auch mit der Kraft-durch-Freude-Flotte auf eine Kreuzfahrt gegangen. Das konnten die sich leisten. Die Preise sind gefallen von drei-, vierhundert Mark für eine kleinere Kreuzfahrt auf dem freien Markt auf 50, 60, 70 Mark bei Kraft durch Freude – das hatte, zumindest kurzfristig, einen enormen Propagandaeffekt."
Eine unvollendete Urlaubsmaschine auf Rügen
Das größte Pauschaltourismusprojekt der Nazis, das KdF-Seebad auf Rügen, später Prora genannt, blieb unvollendet. Eine wahre Urlaubsmaschine sollte da entstehen.
"Das passte auch genau in die Zeit", sagt Spode. "Das ist auch die Zeit, wo der Computer erfunden wurde, ein fordistisches Denken, und da hat man eben auch gedacht, man müsse fordistisch reisen. Deshalb gab es einen Reiseboom, also die Zahl der Touristen, oder die Reiseintensität, wie man fachmännisch sagt, hat sich in der NS-Zeit ungefähr verdoppelt. … Es ist ja ein Wort damals entstanden, nicht durch Zufall: Reisefieber."
In keinem anderen europäischen Land erlebte der Pauschaltourismus einen solchen Aufschwung wie im Nazi-Deutschland der 30er-Jahre. Das Regime bot dem Volk Urlaubsfreuden, damit es vorbereitet war, um die Strapazen des Krieges besser auszuhalten.
Sehnsuchtsort Italien
Am Ende, 1945, reisten die Menschen nicht mehr, sondern flohen oder wurden vertrieben. Ein neues Zeitalter fröhlichen Reisens war in weite Ferne gerückt. Scheinbar, wie ein Griff ins Rundfunkarchiv verrät:
"Goethe ist nach Italien gefahren, und seitdem ist es geradezu eine künstlerische oder literarische Mode geworden, nach Italien zu gehen. Nun, heute ist das ja anders, heute fährt man mithilfe eines Reisebüros und macht eine Gesellschaftsreise, nicht wahr."
1951 berichtet eine junge Frau im Radio von ihrer Pauschalreise nach Italien.
– "Was haben Sie denn eigentlich für Erfahrungen gemacht?"
– "Ja also wir waren 120 Personen..."
– "Ja du lieber Gott, auf einem Haufen beieinander?" –
– "Nein, also Führungen wurden in Gruppen von zirka 20 Personen gemacht. Ich hab mir die Italiener überhaupt so auf jedem Schritt und Tritt singend und sehr temperamentvoll vorgestellt, … feurig, temperamentvoll."
– "Haben Sie da persönliche Erfahrungen gemacht?"
– "Zum Beispiel in Florenz auf dem Bahnhof, da ging es sehr rege her. Es war ein Stimmengewirr sondergleichen, wie ich es noch nie in meinem Leben erlebt habe."
– "Ja also wir waren 120 Personen..."
– "Ja du lieber Gott, auf einem Haufen beieinander?" –
– "Nein, also Führungen wurden in Gruppen von zirka 20 Personen gemacht. Ich hab mir die Italiener überhaupt so auf jedem Schritt und Tritt singend und sehr temperamentvoll vorgestellt, … feurig, temperamentvoll."
– "Haben Sie da persönliche Erfahrungen gemacht?"
– "Zum Beispiel in Florenz auf dem Bahnhof, da ging es sehr rege her. Es war ein Stimmengewirr sondergleichen, wie ich es noch nie in meinem Leben erlebt habe."
– "Ach – nach den Caprifischern ist Capri benannt?"
– "Ja, selbstverständlich."
– "Ja, selbstverständlich."
Ein Monatslohn für eine Woche Urlaub
1956 kostete eine Woche Adria-Urlaub bei der Touropa 347 Mark. Billig war das nicht, für Normalverdiener mindestens ein voller Monatslohn. Pauschalreisen waren denn auch nicht typisch für die Nachkriegszeit.
"Einmal diese Konnotation mit den 'KdF-Horden', das war ja auch etwas unangenehm Proletarisches, damit wollte man nichts zu tun haben", sagt Spode. "Es war etwas, was mit der Nazi-Herrschaft zu tun hatte, damit wollte man teilweise auch nichts mehr zu tun haben – also sind die Leute wieder auf eigene Faust, in Westdeutschland wohlgemerkt, verreist. Die Pauschalreisequote sank so auf zehn Prozent ungefähr. Und der zweite Grund ist allerdings das Wirtschaftswunder, was in Deutschland ganz stark einherging mit der Automobilisierung. Die Ikone schlechthin, der Volkswagen Käfer, der hat es den Menschen ermöglicht, wieder individuell zu verreisen."
In der DDR gingen linientreue Arbeiter auf Reisen
Auch in der DDR war es bald möglich, touristische Auslandserfahrungen zu machen. Theoretisch.
"Heute, am 25. Juni 1960", verkündet Walter Ulbricht in einer Archivaufnahme, "erleben wir bereits den vorfristigen Stapellauf unseres Urlauberschiffes. Schon heute blicken Millionen arbeitende Menschen Westdeutschlands zu uns. Sie möchten sich ebenso wie die Arbeiter der Deutschen Demokratischen Republik in Ferienheimen und auf Urlauberschiffen mit ihren Familien erholen, die in Westdeutschland nur den 8000 Millionären und anderen Kapitalisten vorbehalten sind."
Immerhin 280.000 DDR-Bürger gingen bis 1990 auf Kreuzfahrt. Ein Platz auf den drei Urlauberschiffen des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes blieb allerdings nur verdienten und linientreuen Arbeitern und Bauern vorbehalten. Oder vielleicht auch besonders beziehungsreichen.
Anfang der 80er-Jahre gab es in der Republik 680 FDGB-Ferienheime mit 130.000 Betten – für alle reichte das natürlich nicht. Durchschnittlich alle fünf Jahre bekam man einen der begehrten FDGB-Ferienschecks. Dazu ein sächsischer Urlauber aus dem Archiv:
"Ich werde in unser Ferienobjekt nach Karlshagen reisen, an die Ostsee. Ich habe einhundert Mark bezahlt für diese 14 Tage, da ist die Übernachtung, da ist die volle Verköstigung mit einbegriffen und so weiter – ich glaube, da erübrigt sich jeder Kommentar, weil es für jeden verständlich ist, dass hier eben der Betrieb noch einen beträchtlichen Teil an Mitteln dazuzahlen muss, um mir eben diese 14 Tage Urlaub zu gewähren."
Flugrecherchen übers Telefon
Doch billig wurde der Urlaub bald auch in Westdeutschland. Familie Degner buchte 1970 ihren ersten Pauschalurlaub:
"Damals, Neckermann oder TUI, ich weiß nicht, ob's da schon TUI gab. Ich wollte in ein wärmeres Klima. Deutschland war mir zu kalt. Ja, und dann ging man in ein Reisebüro, so ein Tabakverkäufer, Lottoscheinannahme, der hatte ein Reisebüro, da haben wir, zwischendurch wurde bedient, in den Katalog reingesehen, und dann wurde das Datum festgelegt und dann ging das runter."
Ja, dann musste der noch recherchieren, wann denn ein Flug ging und ob noch Plätze frei waren, das ging nicht mit Computer, das ging damals alles per Telefon und Bleistift.
"Noch nie war Ihr Flugurlaub so preiswert wie 1968", heißt es in einer historischen Neckermann-Werbung. "Verlangen Sie deshalb den großen Frühling-Sommer-Prospekt von NUR Neckermann!"
"Die sind ja dann zur selben Zeit auf den Markt gedrungen, Neckermann und Quelle, daher auch die Bezeichnung die 'Neckermänner'", erklärt Spode. "Da kam der Druck ja von branchenfremden Veranstaltern, nämlich von Versandhäusern, und die nutzten eben genau das aus, die neue Technologie mit den Flugzeugen. Und dann kamen Ende der 60er, um 1970 diese Großraumflugzeuge auf, und die revolutionierten den Reisemarkt eben nochmal. Nun war es deutlich billiger, mit dem Jumbo-Jet nach Malle zu fliegen, als mit dem Opel oder VW-Käfer nach Rimini."
Online-Fundstück: Auch das deutsche Kino verreiste gern, etwa in der 1970 entstandenen Heinz-Erhardt-Komödie "Das kann doch unsren Willi nicht erschüttern" von Rolf Olsen. Hier eine kleine Auswahl von Szenen:
Und mit dem Flugzeug gelangte man jetzt auch über den Wendekreis des Käfers hinaus. Zurück zu den Degners:
"Dann geh ins Reisebüro und lass dir was empfehlen! Und dann kam er zurück und sagte: nach Djerba. Ich sag: Gottes Willen, das ist ja Afrika!"
Spanien als Mekka der Pauschalreisenden
Aber das eigentliche neue Reiseland für den Charterflugtourismus war Spanien. 70 Prozent der deutschen Spanienurlauber reisten in den 70er-Jahren pauschal – verglichen mit 30 Prozent der Italienreisenden.
"Das Franco-Regime war relativ isoliert, und es hatte riesen-finanzielle Probleme", erklärt Spode. "Und Franco kam auf die glorreiche Idee, die Strände an britische und deutsche Veranstalter beziehungsweise Hotelketten zu verkaufen. Das war nicht besonders durchgeplant. Und seitdem haben wir an den ganzen spanischen Mittelmeerküsten diese Freizeitagglomerationen, ja, Benidorm ist eines der ersten von den ganz großen, das hat ja eine Skyline wie New York, und dann ist eben Mallorca auch ins Visier geraten."
Eine eher entlegene Insel, die bis dahin nicht mehr als ein Geheimtipp für Studienräte war. Die Pauschalreisequote, 1961 noch bei 11 Prozent, verdoppelte sich bis 1975. Noch einmal die Degners:
"Sie wissen aus dem Katalog, was auf Sie zukommt, Sie wissen, was Sie für Ihr Geld bekommen – und da hat sich jeder dran zu halten. Ist doch 'ne einwandfrei ordentliche Sache. – Die Sicherheit, dass man ordentlich unterkommt. Ich weiß nicht, ob das möglich gewesen wäre, wenn wir da 'rumgereist wären, hätten gesucht!"
Eine neue Welle der Kritik
Zeitgleich mit dem endgültigen Siegeszug der Katalogreise brandete eine neue Welle der Kritik auf. Hans Magnus Enzensberger spöttelte im "Merkur":
"Die Firma fädelte für den Touristen die Sehenswürdigkeiten zu einer Route auf und garantierte ihm die Einlösung der Papiere, die ihn dazu berechtigten, ihr zu folgen. Alles war fortan inbegriffen, die Reise wurde fertig montiert und verpackt geliefert. Das Abenteuer war zum Präparat geworden, bei dem jedes Risiko ausgeschlossen war."
Der Pauschaltourismus wurde für die rebellische Jugend der 60er-Jahre zum Symbol für Spießertum und kapitalistisch entfremdeten Umgang mit dem Reiseland. Trampend versuchten junge Leute den Neckermännern zu entkommen. Eine Urlauberin erklärt:
"Und so hat's uns auch mal zu einem Fischer gebracht, der hatte eine kleine Taverne, da haben wir gefragt: Können wir hier bei dir übernachten? Da sagte er, natürlich, und hat nur als Gegenleistung gefordert, dass wir ihm am nächsten Tag helfen seine Netze sauberzumachen."
Eine Industrie für die Industrie-Flucht
Doch der gefräßige Massentourismus verleibt sich unermüdlich noch jedes geheime Fischeridyll ein, erklärt Spode:
"Was sich früher aufs Mittelmeer einerseits und auf die Karibik andererseits konzentrierte, das ist heute ein erdumspannender Bikini-Cordon geworden. Es gibt kaum noch größere Strandareale in den subtropischen Breiten, die nicht massiv touristisch genutzt werden. Überall werden diese Palmen angepflanzt, und überall wird so ein Pseudo-polynesisches Leben zelebriert. Polynesifizierung der Welt."
Hans Magnus Enzensberger kommentierte die Hoffnungslosigkeit des touristischen Fluchtimpulses so:
"Längst hatte sich inzwischen der Sieg des Tourismus als Pyrrhussieg erwiesen, längst war das Fernweh nach der Freiheit von der Gesellschaft, vor der es floh, in ihre Zucht genommen worden. Die Befreiung von der industriellen Welt hat sich selber als Industrie etabliert, die Reise aus der Warenwelt ist ihrerseits zur Ware geworden."
Mallorca-Exzesse der 80er
Mallorca, Ballermann, Schinkenstraße: das wurde in den 80er-Jahren zum Inbegriff eines zügellosen Pauschaltourismus.
"Als Historiker", führt Spode aus, "würde ich dazu sagen, mein Gott, das ist doch auch nichts Neues! Ruhpolding war das erste Symbol des Massentourismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Da gingen die allermeisten Reisen hin. Das war wie Schinkenstraße! Es waren riesige Bierzelte, es gab auch so eine Art Papagallis, die hießen in Ruhpolding 'Saisongockel' die sich darauf spezialisiert hatten, die Touristinnen abzuschleppen, es wurde gesoffen bis zum Geht-nicht-mehr: Ruhpolding war eigentlich der Vorläufer vom Ballermann."
Ausgebeuteten englischen Arbeitern eine Erholung und eine Alternative zum Suff im Pub zu bieten: Damit hatte das pauschal organisierte Reisen im 19. Jahrhundert angefangen, bevor die Wachstumskräfte des Kapitalismus die Welt veränderten und die touristisch interessanten Landschaften auf die Bedürfnisse von Reisenden hin ausrichteten.