Eine Konfliktlage als Sohn
Der Regisseur Oskar Roehler hat mit "Herkunft" seinen ersten Roman geschrieben. Dabei handelt es sich um die Beschreibung einer Familie über drei Generationen. Der 52-jährige Filmemacher ist der Sohn von Schriftstellerin Gisela Elsner und Lektor Klaus Roehler.
Oskar Roehler, der deutsche Filmregisseur, unter anderem "Elementarteilchen", ist durch seinen Film "Die Unberührbare" bekannt geworden – er handelte vom Schicksal seiner Mutter Gisela Elsner, die eine Zeitlang als Schriftstellerin berühmt war, aber in ihren letzten Lebensjahren immer einsamer und verzweifelter wurde und 1992 starb.
Jetzt hat er einen Roman geschrieben, der seine gesamte Familiengeschichte zum Thema macht, nicht nur die seiner Mutter und ihres ersten Ehemanns Klaus Roehler. Oskar Roehler lässt seine Handlung über drei Generationen ablaufen, und die Ich-Figur, die die dritte und zeitgenössische Generation repräsentiert, hat augenscheinlich viel von ihm selbst.
Das aber ist gleichzeitig der prekäre Punkt dieses Romans – denn er nennt es ausdrücklich "Roman" und nicht "Autobiografie" oder "Meine Familiengeschichte". In einer Nachbemerkung heißt es: "Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden." Dabei stimmen die äußeren Daten sämtlich mit seiner eigenen Geschichte überein, bis hin zu exakten Jahreszahlen – 1963 etwa, als Oskar Roehler als Vierjähriger zu seinen Großeltern kam und bei ihnen aufwuchs, und viele andere Details.
Die Figuren, die eindeutig Gisela Elsner und Klaus Roehler nachgebildet sind, heißen Nora Ode und Rolf Freytag, der Autor selbst verbirgt seine Geschichte hinter einem "Robert Freytag". Oskar Roehlers Familiengeschichte ist spektakulär: die Kriegsheimkehrer- und Wirtschaftswundersphäre der Großeltern, das politische und sexuelle Aufbegehren und die Verwerfungen zwischen seiner Mutter und seinem Vater, eine ideale Fallstudie für die 68er-Generation – und seine eigene Konfliktlage als Sohn. Aber er versucht nicht, diesen realen Stoff zu durchdringen, sondern nimmt ihn als Grundlage für fiktionale Übertreibungen und Ausschmückungen. Und das schadet dem Sujet mehr, als es ihm nützt.
Die Prosa Oskar Roehlers ist stark szenisch und dialogisch geprägt, man ertappt sich dabei, sofort die Filmeinstellungen vor sich zu haben – aber sie schrammt oft nur haarscharf an der Kolportage vorbei. Man weiß aus dem realen Briefwechsel zwischen Gisela Elsner und Klaus Roehler sehr viel über die realen Geschehnisse und Abläufe – Oskar Roehler überspitzt sie, erfindet dramatische und melodramatische Situationen hinzu, lässt aber einiges auch weg. Sein "Ich" mischt sich oft unvermittelt und tagebuchartig subjektiv in die erfundenen und fiktional nachempfundenen Szenen.
Da prallt etwas aufeinander, was formal nicht zu Ende gedacht scheint – die Aufarbeitung der konkreten eigenen Biografie und der Versuch, sie distanziert in eine künstlerische Form zu bringen. Die Geschichte war vermutlich viel interessanter und vielschichtiger, als sie in diesem Buch daherkommt. Und das betrifft auch selbst die starken Szenen, die Roehler für sein eigenes Heranwachsen im Fränkischen findet – atmosphärisch zum Teil sehr verdichtete Momente, deren Hyperrealismus aber oft manieriert wirkt.
Besprochen von Helmut Böttiger
Oskar Roehler: "Herkunft"
Ullstein Verlag, Berlin 2011
583 Seiten, 19,99 Euro
Jetzt hat er einen Roman geschrieben, der seine gesamte Familiengeschichte zum Thema macht, nicht nur die seiner Mutter und ihres ersten Ehemanns Klaus Roehler. Oskar Roehler lässt seine Handlung über drei Generationen ablaufen, und die Ich-Figur, die die dritte und zeitgenössische Generation repräsentiert, hat augenscheinlich viel von ihm selbst.
Das aber ist gleichzeitig der prekäre Punkt dieses Romans – denn er nennt es ausdrücklich "Roman" und nicht "Autobiografie" oder "Meine Familiengeschichte". In einer Nachbemerkung heißt es: "Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden." Dabei stimmen die äußeren Daten sämtlich mit seiner eigenen Geschichte überein, bis hin zu exakten Jahreszahlen – 1963 etwa, als Oskar Roehler als Vierjähriger zu seinen Großeltern kam und bei ihnen aufwuchs, und viele andere Details.
Die Figuren, die eindeutig Gisela Elsner und Klaus Roehler nachgebildet sind, heißen Nora Ode und Rolf Freytag, der Autor selbst verbirgt seine Geschichte hinter einem "Robert Freytag". Oskar Roehlers Familiengeschichte ist spektakulär: die Kriegsheimkehrer- und Wirtschaftswundersphäre der Großeltern, das politische und sexuelle Aufbegehren und die Verwerfungen zwischen seiner Mutter und seinem Vater, eine ideale Fallstudie für die 68er-Generation – und seine eigene Konfliktlage als Sohn. Aber er versucht nicht, diesen realen Stoff zu durchdringen, sondern nimmt ihn als Grundlage für fiktionale Übertreibungen und Ausschmückungen. Und das schadet dem Sujet mehr, als es ihm nützt.
Die Prosa Oskar Roehlers ist stark szenisch und dialogisch geprägt, man ertappt sich dabei, sofort die Filmeinstellungen vor sich zu haben – aber sie schrammt oft nur haarscharf an der Kolportage vorbei. Man weiß aus dem realen Briefwechsel zwischen Gisela Elsner und Klaus Roehler sehr viel über die realen Geschehnisse und Abläufe – Oskar Roehler überspitzt sie, erfindet dramatische und melodramatische Situationen hinzu, lässt aber einiges auch weg. Sein "Ich" mischt sich oft unvermittelt und tagebuchartig subjektiv in die erfundenen und fiktional nachempfundenen Szenen.
Da prallt etwas aufeinander, was formal nicht zu Ende gedacht scheint – die Aufarbeitung der konkreten eigenen Biografie und der Versuch, sie distanziert in eine künstlerische Form zu bringen. Die Geschichte war vermutlich viel interessanter und vielschichtiger, als sie in diesem Buch daherkommt. Und das betrifft auch selbst die starken Szenen, die Roehler für sein eigenes Heranwachsen im Fränkischen findet – atmosphärisch zum Teil sehr verdichtete Momente, deren Hyperrealismus aber oft manieriert wirkt.
Besprochen von Helmut Böttiger
Oskar Roehler: "Herkunft"
Ullstein Verlag, Berlin 2011
583 Seiten, 19,99 Euro