Vom Papst gebannt und trotzdem weitergehoppelt
Seit Jahrhunderten hoppelt der Hase durch die Kulturgeschichte Europas. Er hat sogar den Sprung aus der vorchristlichen Antike in die Gegenwart geschafft - auch wenn ihn zwischendurch der Bann eines Papstes traf.
Er gehört zum christlichen Osterfest dazu wie der geschmückte Tannenbaum zu Weihnachten: der Osterhase.
Dabei findet sich in den Überlieferungen zur Auferstehung Jesu kein einziger Hinweis auf die Anwesenheit eines Vertreters der Gattung Lepus Capensis – wie der lateinische Name für den Hasen lautet. Und dass er als Lieferant der Ostereier herhalten muss, auch das fällt nicht in seine Verantwortung. Allerdings hat sich die Kirche, so Probst Michael Ludwig aus Bochum, längst mit dem Langohr und dessen Oster-Rolle arrangiert: "Es gibt ja Frömmigkeitsformen, die werden tradiert eigentlich ohne Glaubensbezug. Das Wesentliche ist der Glaube – und das andere ist fromme Legende drum herum."
Der Hase als heiliges Tier der Liebesgöttin Aphrodite
Allerdings erschien dieses Niederwild nicht urplötzlich im Umfeld des Osterfestes. Schon seit Jahrhunderten hoppelte der Hase durch die Kulturgeschichte mitteleuropäischer Stämme. So diente er im griechischen Altertum als heiliges Tier der Liebesgöttin Aphrodite. Nicht ohne Grund, denn als tierischer Assistent dieser Göttin bestach er durch seine Fruchtbarkeit. Letztlich haben die meisten Osterbräuche nach den Worten von Professor Stefan Böntert von der katholisch-theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum einen heidnischen Ursprung.
"Viele heidnische Bräuche haben die frühen Christen in ihrem Umfeld vorgefunden und waren mit ihnen vertraut und haben von daher natürlich eine große Beliebtheit besessen. Und als die Christen aus der Nische in die Öffentlichkeit getreten sind, haben sie viele dieser Bräuche natürlich nicht abgelegt , sondern weiter mit verfolgt und mitgemacht."
Den Sprung aus der vorchristlichen Antike bis hin in die Gegenwart haben aber nur wenige Fruchtbarkeitsriten und Symbole geschafft, stellt der Experte für Liturgiewissenschaft, Stefan Böntert, fest: "Und dazu gehört natürlich auch der Osterhase."
Der Hase als Fruchtbarkeitssymbol
Aber nicht nur die Griechen, sondern auch die Römer schätzten die Fruchtbarkeit des langohrigen Gesellen und adoptierten ihn kurzerhand als Fruchtbarkeitssymbol. Für unzählige Vertreter der Gattung Niederwild bedeutete das zugleich den Garaus – sie landeten im Bratentopf. Denn gegen versagte Mutterschaftsfreuden sollte nichts besser helfen als ein Hasengericht. Männer im alten Rom versprachen sich vom Verzehr von Hasenfleisch ebenfalls eine ganz bestimmte Belebung. Und zwar zur Zeugung eines männlichen Nachkommens. Der Überlieferung nach soll bei Kaiser Severus Alexander eigens zu diesem Zweck dreimal in der Woche Hasenbraten aufgetischt worden sein. Auf seinem Vormarsch ließ sich das symbolträchtige Tier auch nicht vom römischen Grenzwall Limes aufhalten.
Ebenfalls fasziniert von der Vermehrungsfreudigkeit des Langohrs, fungierte der Hase bei den Germanen als Fruchtbarkeitssymbol der Frühlingsgöttin Ostara. Doch seine in heidnischen Zeiten hoch geschätzte Vermehrungsfreudigkeit brachte den Hasen im frühen Christentum in Misskredit. Um die Menschen vor der Triebhaftigkeit dieses Tieres zu bewahren, verbot Papst Zacharias im Jahr 751 konsequenterweise den Verzehr von Hasenfleisch.
"Vor allem deswegen hat man gesagt: Hasenfleisch zu essen ist von Nachteil, weil es die Sinnlichkeit anregt. Und im kirchlichen Kontext mit hohen ethischen Ansprüchen war man eben der Auffassung: das geht nicht", sagt Professor Stefan Böntert.
Trotz Verbannung nicht gestoppt
Sozusagen ein Satansbraten, der keusche Christen auf Abwege führte. Indes: der Bannstrahl des Papstes konnte den Hasen nicht stoppen.
Böntert: "Aber sie können sich vorstellen, dass natürlich solche Verbote auf dem Papier standen und ausgesprochen waren, aber sicherlich nicht überall auch durchgetragen worden sind."
Schließlich mutierte der Hase dann aber doch zu einem Symbol des christlichen Osterfestes, wie Liturgie-Experte Böntert ausführt.
"Bereits sehr früh finden sich symbolische Deutungen des Hasen. Er steht für das neue Leben, das Christus an Ostern bringt in doppelter Hinsicht. Einmal wissen wir, dass der Hase keine Augenlider besitzt und mit offenen Augen schläft. Und das ist dann eben gedeutet worden als Zeichen für das dauernde am Leben teilnehmen. Und das hat man dann eben gedeutet hin auf das neue Leben, das Christus an Ostern den Menschen geschenkt hat."
Bereits in mittelalterlichen Handschriften, die die Osterliturgie überliefern, taucht der Hase in bildnerischen Darstellungen auf. Das, so Stefan Böntert, zeige: "Dass er als Symbol für den auferstandenen Christus und das neue Leben schon recht früh adoptiert worden ist. Wobei dieser Fruchtbarkeitsgedanke, glaube ich, weniger zu tun hat mit dem biblischen Auftrag aus der Schöpfungsgeschichte als vielmehr mit Blick auf die Überwindung des Todes."
Der Hase schlägt Fuchs, Hahn und Kuckuck
In seiner Funktion als österlicher Eierlieferant schlug der Hase danach wahrlich erstaunliche Konkurrenten aus dem Feld. In Hessen etwa den Fuchs, in Sachsen den Hahn und in der Schweiz sogar den Kuckuck. Zur unangefochtenen Nummer Eins avancierte der Hase spätestens 1682, als ein Heidelberger Arzt schwarz auf weiß niederschrieb, dass in Westfalen und der Pfalz kein anderer als der Hase die Eier nicht nur selbst lege, sondern auch verstecke. Um die letzten Zweifel auszuräumen, meldete 1907 ein findiger Geist eine Erfindung zum Patent an.
Bei dem Reichspatent Nr. 457321 handelte es sich um einen hasenähnlichen Stoffüberzug, den man Haushühnern beim Eierlegen im Nest überstreifen sollte, um Kinder ein für allemal von der Existenz des Osterhasen zu überzeugen. Einen solchen Mummenschanz hat der Osterhase nach der Erfahrung der Kita-Leiterin Margret Bischof schon lange nicht mehr nötig: "Gerade bei den jüngeren Eltern stellen wir fest, dass man sich den Traditionen, die man früher verlacht hat, mehr und mehr zuwendet. Man erinnert sich an die eigene Kindheit, frischt diese Erfahrungen sehr gerne auf und will auch mit seinen eigenen Kindern diese Traditionen fortleben."
Das Ei und der Hase: Zwei Symbole für Fruchtbarkeit und neues Leben, die im Brauchtum untrennbar zusammengewachsen sind. Damit wäre eigentlich alles über das österliche Wundertier gesagt. Bliebe nur noch eine zoologische Frage, die auch Theologie-Professor Böntert nicht beantworten kann: "Warum hat man ausgerechnet den Hasen als Zeichen für Fruchtbarkeit ausgewählt, denn nachweislich ist das Kaninchen erheblich fruchtbarer?" Daran ist nun nichts mehr zu ändern. Jedenfalls ist der Osterhase konfessionsübergreifend tierisch gut im Geschäft. Selbst wenn er nur in Schokoladenform daher kommt und oberdrein noch Eier mit Likörfüllung ins Nest legt.