Eine Landschaft ohne Spuren
In seinem neuen Buch "Eis-Tau" nimmt Ilija Trojanow den Leser mit auf eine Kreuzfahrt in die Antarktis. Die Antarktis ist für ihn ein Symbol für unberührte Landschaften. Trojanow kritisiert in seinem Buch Luxustouristen, denen der Respekt vor der Natur abhandengekommen ist.
Britta Bürger: Kenia und Indien, Italien und Südafrika sind nur einige von vielen Lebensstationen, die in den Büchern von Ilija Trojanow Spuren hinterlassen haben. In Bulgarien geboren, heute in Wien lebend, ist der Autor des Romans "Der Weltensammler" im Grunde selbst eine Art Weltensammler, der sich die Welt schreibend erschließt und dabei immer wieder die drängenden Probleme unserer Zeit berührt: politische Umbrüche, zunehmenden Sicherheitswahn und Naturkatastrophen. In seinem neuen Buch "Eis-Tau" nimmt er uns mit auf eine Kreuzfahrt in die Antarktis. Trojanow erzählt darin von selbstzufriedenen Luxustouristen, denen der Respekt vor der Natur abhandengekommen ist. Beobachtet wird das von einem frustrierten Gletscherforscher, der sich von seinem Lebensthema lösen muss, weil das Eis taut. Herr Trojanow, schön, dass sie zu uns gekommen sind mit ein bisschen Verspätung heute …
Ilija Trojanow: Ja, danke für die Einladung!
Bürger: … aber jetzt sind Sie da! Warum führen Sie uns mit Ihrem Buch in die Antarktis? Wäre das nicht besser gewesen, die ganz unberührt zu lassen?
Trojanow: Na ja, es ist ja so, dass wir heutzutage – Sie haben es vorhin kurz erwähnt – einen Antagonismus haben im Norden. Die Arktis ist eigentlich schon dem Untergang geweiht. Das ist nur eine Frage der Zeit, da sind sich alle Wissenschaftler einig. Ab nächstes Jahr wird da ja auch extrem intensiv gebohrt nach Erdöl, das heißt, da sind auch die kommenden ökologischen Katastrophen vorprogrammiert.
Die Antarktis ist genau das Gegenteil, die Antarktis wird geschützt von einem Vertrag, da haben die Staaten sich wirklich mal geeinigt, und es ist ein Kontinent, das ist dickes Eis, und sie ist laut Klimaforschern und Geologen total entscheidend für das klimatische Gleichgewicht der Welt. Das heißt, sie ist die letzte Terra Nullius, das letzte Unberührte.
Und das ist natürlich sehr wichtig als Vorstellung, weil die Menschheit eigentlich seit jeher immer diese Vorstellung des heiligen Hains hat. Das heißt, es gab immer eine Tabuzone. Es gab etwas, was man nicht berühren, nicht ausnutzen, nicht verschmutzen durfte. Und das kommt uns allmählich abhanden. Das heißt, die Antarktis ist ein Symbol dafür.
Bürger: Hauptfigur ist ein ehemaliger Gletscherforscher, der nun als Expeditionsleiter eine Touristengruppe auf einem Kreuzfahrtschiff in ein Gebiet der Antarktis führt. Warum macht er das? Hofft er, jetzt das Paradies auf diese Weise noch retten zu können?
Trojanow: Es ist ein älterer Mann, der sich ein Leben lang mit einem Gletscher in den Alpen wissenschaftlich beschäftigt hat. Und dieser Gletscher ist nun gestorben. Es gibt tatsächlich eine Definition, eine wissenschaftliche, wann ein Gletscher stirbt. Und das ist für ihn einfach ein ganz einschneidendes Erlebnis, aus dem einfachen Grund, dass er aus seiner Sicht – völlig verständlich – die Menschen, ihre Wirtschaftsweise, ihre Zivilisation dafür verantwortlich macht. Und er fällt in eine tiefe Sinnkrise, und auch in eine ganz radikale Zivilisationskritik, weil er das Gefühl hat, dass offensichtlich die Menschheit nicht in der Lage ist, kritisch ihr eigenes Wirken zu beurteilen und in irgendeiner Weise Korrekturen anzusetzen, die die weitere Verwüstung der Welt in irgendeiner Weise unterbinden könnten. Und er kommt eigentlich zufällig in die Antarktis. Ein Kollege bittet ihn, ihn auf diesem Kreuzfahrtschiff zu ersetzen. Und da erlebt er wirklich eine Art Neuanfang, eine Wiederbelebung, weil er diese unberührten Landschaften als eine Art Paradies auf Erden wahrnimmt.
Bürger: Das Eis zu erklären, sagt er, das Eis erklären zu können, das versöhnt mich mit dem Sterben meines Gletschers. Also, das ist so sein Auftrag, seine Berufung, auch seine Erfüllung. Aber wie geht er mit dem Konflikt um, die Zerstörung durch so eine Kreuzfahrt im Grunde weiter selbst mit zubefördern?
Trojanow: Na ja, jetzt die punktuelle Zerstörung durch die Kreuzfahrt ist natürlich absolut zu vernachlässigen. Im Gegenteil, es gibt so strenge Regeln: Man darf nicht mit Schweröl in die Antarktis, man darf nichts verkappen – also, das ist eigentlich nicht der Rede wert angesichts all der anderen Zerstörungen. Was vielmehr für ihn ein Widerspruch ist, natürlich die Tatsache, dass er nichts grundsätzlich tut.
Das heißt, er ist ein Mann, der zerrissen wird von seinen Leidenschaften, und er weiß aber auch nicht – und das ist, glaube ich, sehr typisch für unsere Zeit, es gibt sehr viele solche Menschen –, er weiß auch nicht, wie er genau jetzt seinen Kampf positionieren soll, wo er in irgendeiner Weise tätig werden soll, denn er hat das Gefühl, dass in diesem System jeder Protest, jeder Widerstand in irgendeiner Weise vereinnahmt wird und in so eine generelle Behaglichkeit und Geduld gegenüber drohendem Unheil aufgehoben wird. Und das, das macht ihn zunehmend wütender.
Bürger: Sie selbst, Herr Trojanow, haben auf verschiedenen Kontinenten gelebt, sind mehr durch die Welt gereist als jeder von uns wahrscheinlich. Was hat Sie selbst jetzt auf Ihren Reisen – zweimal waren Sie in der Antarktis – was hat Sie dort besonders berührt?
Trojanow: Also, es ist ein geradezu religiöses Erlebnis, weil man so etwas davor noch nie erfahren hat, dass man wirklich tagelang über Hunderte von Kilometern hinweg eine Landschaft sieht, auf der Menschen noch keine Spuren hinterlassen haben. Das kann man sich schwer vorstellen, weil ja auch mitten in der Sahara trifft man auf irgendwelche Ölkanister und mitten im Urwald trifft man heutzutage plötzlich auf irgendwelche Masten und Antennen.
Also die Orte – es gibt natürlich noch ein paar Regionen im Amazonas und ein paar andere, aber –, die Regionen, wo der Mensch wirklich die Natur noch nicht untertan gemacht hat, das sind sehr wenige. Das berührt einen, das ist das eine. Und das Zweite ist, und davon handelt ja auch mein Buch, wie man allmählich die Natur sehen lernt. Denn der erste Blick ist natürlich einer auf eine vermeintliche Eintönigkeit. Das ist ja alles weiß-bläulich-grau. Und je länger man hinschaut, desto mehr fächert sich diese vermeintliche Eintönigkeit in eine neue Farbenvielfalt auf, und das ist was sehr Schönes, weil man sozusagen die eigene Wahrnehmung plötzlich bereichert sieht.
Bürger: Der Schriftsteller Ilija Trojanow ist unser Gast hier im Deutschlandradio Kultur, und wir sind im Gespräch über seinen neuen Roman "Eis-Tau". Literaturkritikerin Sigrid Löffler, die hat hier bei uns im Programm das Buch als einen Thesenroman bezeichnet – und in der Tat fallen darin Sätze wie: "Es muss etwas geschehen, es ist höchste Zeit, es überfordert den Menschen, im Sinne einer Zukunft zu handeln, die er nicht mehr erleben wird", oder auch: "Die Vorstellung eines leeren Geldbeutels ängstigt die Menschen mehr als die Vorstellung ihres eigenen Untergangs." Können Sie sich mit diesem Begriff Thesenroman anfreunden.
Trojanow: Ich weiß gar nicht. Hat sie das wirklich gesagt oder haben Sie das in die Überschrift gesetzt?
Bürger: Nein, hat sie gesagt.
Trojanow: Nein, ich weiß nicht, was ein Thesenroman ist, ich muss sie fragen. Ich weiß nicht, was der Begriff bedeutet. Was Sie alles vorgelesen haben, waren ja keine Thesen, sondern das waren ja Meinungen eines kritischen Mitbürgers. Das heißt, wenn sozusagen mein – also, die Hauptfigur hat natürlich in der Literatur, wenn sie interessant ist, oft sehr entschiedene Meinungen, Apodiktiker sind ja sehr lohnenswerte Hauptfiguren, weil sie natürlich sehr aggressiv und sehr lebendig sind. Man denke zum Beispiel an die Figuren von Molière, das sind ja alles Apodiktiker. Insofern hat der Mann natürlich entschiedene Meinungen. Die Frage ist natürlich: Sind diese Meinungen falsch? Und selbst wenn sie falsch sein sollten, taugen sie dazu, dass beim Leser ein gewisses Nachdenken provoziert wird. Das, würde ich sagen, wäre die Hauptfrage.
Bürger: Ich denke auch, sie hat damit vielleicht gemeint, dass es einfach ein Versuch ist, mit poetischen Mitteln ein politisches Statement abzugeben.
Trojanow: Das wäre völlig falsch, denn ich gebe als Autor natürlich keine Statements ab, weil ich ja als Journalist oft genug meine Statements abgeben kann. Der Roman ist ja auch immens komplex, also, da würde es, glaube ich, jedem schwerfallen, irgendein Statement herauszudestillieren, außer was ganz Banales wie: Unser Verhältnis zur Natur ist zerrüttet. Aber das wissen wir ja alle.
Insofern – oder es kann so nicht weitergehen – das wissen wir auch alle. Also sozusagen das, was man als Statement herausholen könnte, ist eigentlich das, was wir alle wissen, das interessante ist ja was anderes, und das referiert der Roman oder das umspielt der Roman. Die Frage ist: Wieso handeln wir nicht gemäß unserem Wissen? Wieso ist uns eigentlich allen bewusst, dass es so nicht weitergeht, dass diese Manie von Wachstum, Gier, Profit einfach irgendwann mal den Planet an die Grenzen führen wird und auch unsere Zivilisation unterhöhlen wird, und trotzdem tun wir nichts dagegen? Und das, glaube ich, kann man sehr wohl mit poetischen und literarischen Mitteln reflektieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ilija Trojanow: Ja, danke für die Einladung!
Bürger: … aber jetzt sind Sie da! Warum führen Sie uns mit Ihrem Buch in die Antarktis? Wäre das nicht besser gewesen, die ganz unberührt zu lassen?
Trojanow: Na ja, es ist ja so, dass wir heutzutage – Sie haben es vorhin kurz erwähnt – einen Antagonismus haben im Norden. Die Arktis ist eigentlich schon dem Untergang geweiht. Das ist nur eine Frage der Zeit, da sind sich alle Wissenschaftler einig. Ab nächstes Jahr wird da ja auch extrem intensiv gebohrt nach Erdöl, das heißt, da sind auch die kommenden ökologischen Katastrophen vorprogrammiert.
Die Antarktis ist genau das Gegenteil, die Antarktis wird geschützt von einem Vertrag, da haben die Staaten sich wirklich mal geeinigt, und es ist ein Kontinent, das ist dickes Eis, und sie ist laut Klimaforschern und Geologen total entscheidend für das klimatische Gleichgewicht der Welt. Das heißt, sie ist die letzte Terra Nullius, das letzte Unberührte.
Und das ist natürlich sehr wichtig als Vorstellung, weil die Menschheit eigentlich seit jeher immer diese Vorstellung des heiligen Hains hat. Das heißt, es gab immer eine Tabuzone. Es gab etwas, was man nicht berühren, nicht ausnutzen, nicht verschmutzen durfte. Und das kommt uns allmählich abhanden. Das heißt, die Antarktis ist ein Symbol dafür.
Bürger: Hauptfigur ist ein ehemaliger Gletscherforscher, der nun als Expeditionsleiter eine Touristengruppe auf einem Kreuzfahrtschiff in ein Gebiet der Antarktis führt. Warum macht er das? Hofft er, jetzt das Paradies auf diese Weise noch retten zu können?
Trojanow: Es ist ein älterer Mann, der sich ein Leben lang mit einem Gletscher in den Alpen wissenschaftlich beschäftigt hat. Und dieser Gletscher ist nun gestorben. Es gibt tatsächlich eine Definition, eine wissenschaftliche, wann ein Gletscher stirbt. Und das ist für ihn einfach ein ganz einschneidendes Erlebnis, aus dem einfachen Grund, dass er aus seiner Sicht – völlig verständlich – die Menschen, ihre Wirtschaftsweise, ihre Zivilisation dafür verantwortlich macht. Und er fällt in eine tiefe Sinnkrise, und auch in eine ganz radikale Zivilisationskritik, weil er das Gefühl hat, dass offensichtlich die Menschheit nicht in der Lage ist, kritisch ihr eigenes Wirken zu beurteilen und in irgendeiner Weise Korrekturen anzusetzen, die die weitere Verwüstung der Welt in irgendeiner Weise unterbinden könnten. Und er kommt eigentlich zufällig in die Antarktis. Ein Kollege bittet ihn, ihn auf diesem Kreuzfahrtschiff zu ersetzen. Und da erlebt er wirklich eine Art Neuanfang, eine Wiederbelebung, weil er diese unberührten Landschaften als eine Art Paradies auf Erden wahrnimmt.
Bürger: Das Eis zu erklären, sagt er, das Eis erklären zu können, das versöhnt mich mit dem Sterben meines Gletschers. Also, das ist so sein Auftrag, seine Berufung, auch seine Erfüllung. Aber wie geht er mit dem Konflikt um, die Zerstörung durch so eine Kreuzfahrt im Grunde weiter selbst mit zubefördern?
Trojanow: Na ja, jetzt die punktuelle Zerstörung durch die Kreuzfahrt ist natürlich absolut zu vernachlässigen. Im Gegenteil, es gibt so strenge Regeln: Man darf nicht mit Schweröl in die Antarktis, man darf nichts verkappen – also, das ist eigentlich nicht der Rede wert angesichts all der anderen Zerstörungen. Was vielmehr für ihn ein Widerspruch ist, natürlich die Tatsache, dass er nichts grundsätzlich tut.
Das heißt, er ist ein Mann, der zerrissen wird von seinen Leidenschaften, und er weiß aber auch nicht – und das ist, glaube ich, sehr typisch für unsere Zeit, es gibt sehr viele solche Menschen –, er weiß auch nicht, wie er genau jetzt seinen Kampf positionieren soll, wo er in irgendeiner Weise tätig werden soll, denn er hat das Gefühl, dass in diesem System jeder Protest, jeder Widerstand in irgendeiner Weise vereinnahmt wird und in so eine generelle Behaglichkeit und Geduld gegenüber drohendem Unheil aufgehoben wird. Und das, das macht ihn zunehmend wütender.
Bürger: Sie selbst, Herr Trojanow, haben auf verschiedenen Kontinenten gelebt, sind mehr durch die Welt gereist als jeder von uns wahrscheinlich. Was hat Sie selbst jetzt auf Ihren Reisen – zweimal waren Sie in der Antarktis – was hat Sie dort besonders berührt?
Trojanow: Also, es ist ein geradezu religiöses Erlebnis, weil man so etwas davor noch nie erfahren hat, dass man wirklich tagelang über Hunderte von Kilometern hinweg eine Landschaft sieht, auf der Menschen noch keine Spuren hinterlassen haben. Das kann man sich schwer vorstellen, weil ja auch mitten in der Sahara trifft man auf irgendwelche Ölkanister und mitten im Urwald trifft man heutzutage plötzlich auf irgendwelche Masten und Antennen.
Also die Orte – es gibt natürlich noch ein paar Regionen im Amazonas und ein paar andere, aber –, die Regionen, wo der Mensch wirklich die Natur noch nicht untertan gemacht hat, das sind sehr wenige. Das berührt einen, das ist das eine. Und das Zweite ist, und davon handelt ja auch mein Buch, wie man allmählich die Natur sehen lernt. Denn der erste Blick ist natürlich einer auf eine vermeintliche Eintönigkeit. Das ist ja alles weiß-bläulich-grau. Und je länger man hinschaut, desto mehr fächert sich diese vermeintliche Eintönigkeit in eine neue Farbenvielfalt auf, und das ist was sehr Schönes, weil man sozusagen die eigene Wahrnehmung plötzlich bereichert sieht.
Bürger: Der Schriftsteller Ilija Trojanow ist unser Gast hier im Deutschlandradio Kultur, und wir sind im Gespräch über seinen neuen Roman "Eis-Tau". Literaturkritikerin Sigrid Löffler, die hat hier bei uns im Programm das Buch als einen Thesenroman bezeichnet – und in der Tat fallen darin Sätze wie: "Es muss etwas geschehen, es ist höchste Zeit, es überfordert den Menschen, im Sinne einer Zukunft zu handeln, die er nicht mehr erleben wird", oder auch: "Die Vorstellung eines leeren Geldbeutels ängstigt die Menschen mehr als die Vorstellung ihres eigenen Untergangs." Können Sie sich mit diesem Begriff Thesenroman anfreunden.
Trojanow: Ich weiß gar nicht. Hat sie das wirklich gesagt oder haben Sie das in die Überschrift gesetzt?
Bürger: Nein, hat sie gesagt.
Trojanow: Nein, ich weiß nicht, was ein Thesenroman ist, ich muss sie fragen. Ich weiß nicht, was der Begriff bedeutet. Was Sie alles vorgelesen haben, waren ja keine Thesen, sondern das waren ja Meinungen eines kritischen Mitbürgers. Das heißt, wenn sozusagen mein – also, die Hauptfigur hat natürlich in der Literatur, wenn sie interessant ist, oft sehr entschiedene Meinungen, Apodiktiker sind ja sehr lohnenswerte Hauptfiguren, weil sie natürlich sehr aggressiv und sehr lebendig sind. Man denke zum Beispiel an die Figuren von Molière, das sind ja alles Apodiktiker. Insofern hat der Mann natürlich entschiedene Meinungen. Die Frage ist natürlich: Sind diese Meinungen falsch? Und selbst wenn sie falsch sein sollten, taugen sie dazu, dass beim Leser ein gewisses Nachdenken provoziert wird. Das, würde ich sagen, wäre die Hauptfrage.
Bürger: Ich denke auch, sie hat damit vielleicht gemeint, dass es einfach ein Versuch ist, mit poetischen Mitteln ein politisches Statement abzugeben.
Trojanow: Das wäre völlig falsch, denn ich gebe als Autor natürlich keine Statements ab, weil ich ja als Journalist oft genug meine Statements abgeben kann. Der Roman ist ja auch immens komplex, also, da würde es, glaube ich, jedem schwerfallen, irgendein Statement herauszudestillieren, außer was ganz Banales wie: Unser Verhältnis zur Natur ist zerrüttet. Aber das wissen wir ja alle.
Insofern – oder es kann so nicht weitergehen – das wissen wir auch alle. Also sozusagen das, was man als Statement herausholen könnte, ist eigentlich das, was wir alle wissen, das interessante ist ja was anderes, und das referiert der Roman oder das umspielt der Roman. Die Frage ist: Wieso handeln wir nicht gemäß unserem Wissen? Wieso ist uns eigentlich allen bewusst, dass es so nicht weitergeht, dass diese Manie von Wachstum, Gier, Profit einfach irgendwann mal den Planet an die Grenzen führen wird und auch unsere Zivilisation unterhöhlen wird, und trotzdem tun wir nichts dagegen? Und das, glaube ich, kann man sehr wohl mit poetischen und literarischen Mitteln reflektieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.