Eine Produktion von Deutschlandfunk/Deutschlandfunk Kultur 2019
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Der Zen-Meister des südafrikanischen Jazz
Seine Musik drehte sich auf den Plattentellern der Townships, als er bereits des Landes verwiesen war: der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim. Im Exil trat er gemeinsam mit Duke Ellington auf. Doch es zog ihn immer wieder in die Heimat zurück.
Der südafrikanische Pianist und Komponist wurde am 9. Oktober 1934 in Kapstadt als Adolphe Johannes Brand geboren. Er wuchs bei seiner Mutter und seiner Großmutter in Kensington auf, am armen Rand von Kapstadt. Sein Vater, ein Sotho, wurde getötet, als er vier Jahre alt war. In jungen Jahren nannte man ihn Dollar Brand, weil er jeden Dollar zusammenkratzte, um bei den Seeleuten am Hafen Platten zu kaufen. Platten, die es nicht in den Läden gab, Platten mit heißer Musik, Jazzplatten.
Dollar Brand ist mit der bunten Kultur der Townships aufgewachsen, mit allen Arten von Musik - mit christlichen Chorälen ebenso wie mit traditioneller afrikanischer Ritual- und Tanzmusik. Es gab Einflüsse europäischer Klassik und mit amerikanischem Jazz, mit indischen Ragas und dem Weckruf des Muezzins, mit den Gesängen der Cape-Malays. Im District Six lebte er in einem multiethnischen Schmelztiegel, einer Art Humus für eine eigene urbane Kultur, die sich in Klängen kanalisierte, die man treffend als Township Jazz bezeichnet hat.
Eine Frau, die genau so gern Duke Ellington spielte
1958 gastierte eine populäre Gesangsgruppe in Kapstadt und suchte händeringend einen Pianisten. Dollar Brand sprang kurzfristig ein, wurde für gut befunden und Mitglied der Begleitband, die sich Shantyhouse Sextet nannte. Schwarze Musiker spielten gemeinsam mit farbigen und weißen, oft vor einem weißen oder gemischten Publikum. Die junge Sängerin Beatrice Benjamin gehörte auch zur Szene. Was sie mit ihren Kollegen verband, war der rebellische Geist und das geschärfte Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit, der Jazz war das gemeinsame Ausdrucksmittel.
Im Januar 1959 bewarb sich Beatrice, die man damals Bea Benjamin und später Sathima Bea Benjamin nannte, zum Vorsingen für die Show "Just Jazz Meets the Ballet". Sie begegnete dem Pianisten zum ersten Mal:
"Abdullah fragte mich, welchen Song ich singen wolle. Ich sagte: 'Einen Song von Duke Ellington', 'I Got It Bad and that Ain't Good'."
Er blinzelte zweimal. Das war genau der Song, mit dem er sich auch gerade beschäftigte. "Und in welcher Tonart willst du ihn singen?"
"Ich sagte: "In Des, ich singe immer die schwarzen Noten."
Er blinzelte zweimal. Das war genau der Song, mit dem er sich auch gerade beschäftigte. "Und in welcher Tonart willst du ihn singen?"
"Ich sagte: "In Des, ich singe immer die schwarzen Noten."
Diese erste Begegnung mündete in eine jahrzehntelange Ehe. Zur dieser Zeit kam es im ganzen Land zu Streiks und Demonstrationen. Jazz war Ausdruck dieser Zeitstimmung. Und Dollar Brand stand im Zentrum der Szene. Treffpunkt war das "Ambassadors School of Dancing" in Woodstock, einem Vorort vom Kapstadt. Sathima Bea Benjamin schildert die Anfänge:
"Das Ambassadors gehörte einem gewissen Dave Saunders, der mit Abdullah befreundet war. Um in den Laden zu kommen, musste man die Stufen über eine Feuerleiter hinaufsteigen. Saunders überließ uns den Raum und das Piano. Wir öffneten jeden Sonntagabend. Beim ersten Mal kamen dreizehn Leute. Nach ein paar Wochen waren es so viele, dass wir gar nicht alle einlassen konnten. Es wurde nicht getanzt, es gab nichts zu essen und nichts zu trinken, nur Musik."
"Café Africana" in Zürich wurde zur neuen Heimat
Das Massaker von Sharpeville, einem Township in der Nähe von Johannesburg, ereignete sich am 21. März 1960. Der Generalgouverneur verhängte über 80 der 300 Verwaltungsbezirke den Ausnahmezustand. Hunderte vom Schwarzen versammelten sich friedlich, um gegen die Passgesetze zu demonstrieren. Die Polizei rückte mit Panzern an und eröffnete das Feuer. 69 Schwarze wurden ermordet und 176 verwundet. Die meisten Opfer wurden von hinten erschossen, darunter Kinder, Frauen und Alte.
Neun Tage nach dem Massaker von Sharpeville verhängte die Regierung in Pretoria über das ganze Land den Ausnahmezustand. In einer Zeit, in der andere afrikanische Staaten die Unabhängigkeit erkämpften, verschärfte das Regime die Rassengesetze. Veranstaltungen mit gemischtrassigem Publikum wurden verboten. Das "Ambassadors" musste schließen. Die Musiker hatten keine Möglichkeit mehr aufzutreten und mit der Musik ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Schwarze Musiker durften nicht vor einem weißen Publikum auftreten und außerdem nicht mit weißen Musikern zusammenarbeiten. Nach einem gefeierten Auftritt beim Jazzfestival in Antibes kehrten die Band "Blue Notes", darunter auch Ibrahim und Bea Benjamin 1964 nicht mehr in ihre Heimat zurück. Das "Café Africana" in Zürich sollte für Dollar Brand und Sathima Bea Benjamin für rund drei Jahre zum Zufluchtsort werden. Im "Africana" lernten sie viele Jazzgrößen kennen: Art Blakey, Horace Silver, die Jazz Messengers, John Coltrane, Thelonious Monk. Eines Tages kam auch Duke Ellington, erfand Gefallen am Dollar Brand Trio und produzierte mit dem Trio eine Platte. 1964 veröffentlichten sie "Duke Ellington Presents The Dollar Brand Trio".
Duke Ellington lud Sathima Bea Benjamin und Dollar Brand 1965 ein, nach Amerika zu kommen und gab ihnen Starthilfe. Er ermöglichte ihnen, in der Carnegie Hall aufzutreten und präsentierte sie beim Newport Jazz Festival. Ein paar Mal saß Dollar Brand sogar als Vertretung des Bandleaders am Piano:
"Ich habe so viele Fehler gemacht. Auf einmal in dieser Band zu sitzen! Platten mit der Ellington-Band zu hören, das ist die eine, sie live zu hören, noch eine ganz andere Sache. Da mittendrin zu sitzen, das war wie in einem Raumschiff, das abhebt. Man kann nicht mehr aussteigen. Mittendrin hörte ich Dinge, die man niemals von Platten und auch nicht im Publikum hören kann."
Südafrikanischer Jazz entwickelte sich fortan vor allem im Exil. In London entstand ein Zentrum mit den "Blue Notes" und Chris McGregor's Brotherhood of Breath. Dabei vermischte sich Afrikanisches mit dem wildem Free Jazz der europäischen Improvisatoren. Südafrikanische Stammesgesänge, die Musik der Zulu und der Xhosa, flossen ebenso ein wie die populäre Musik der Townships, die Stile wie Mbaqanga, Marabi und Kwela hervorgebracht hatte.
"Mannenberg" wurde zur inoffiziellen Nationalhymne
Abgetrennt von den Wurzeln verlor Dollar Brand in New York die Balance. Es zog ihn zurück nach Südafrika. Die folgenden Jahre glichen einer Odyssee zwischen New York, Europa und dem südlichen Afrika. Auf der Suche nach spiritueller Einkehr und ganzheitlichem Glauben wandte sich Dollar Brand dem Islam zu. Er pilgerte nach Mekka und nahm den Namen Abdullah Ibrahim an. 1970 nahm er unter neuem Namen in Südafrika ein Album auf, das er "Peace" nannte. Das Land stand in Flammen, überall gab es Gewalt, Menschen wurden niedergeschossen, inhaftiert, gefoltert. Ibrahim wollte auf die Situation in seiner Heimat aufmerksam machen:
"Das war zu Beginn jener Welle des Widerstands, die zum Aufstand in Soweto führte. Im ganzen Land kam es zu Unruhen. Wir gingen ins Studio und nahmen einige Titel auf. Während einer Pause entdeckte ich ein kleines Klavier und dachte, wenn man es präpariert, kann man vielleicht so eine Art Cembalo-Klang erzeugen. Wir haben den Titel 'Mannenberg' in einem Take aufgenommen. (…) Der Song hat mir ermöglicht, meine Familie zu ernähren. "Mannenberg" wurde schließlich so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne von Südafrika."
Zwischenspiel in der Heimat und wieder Exil
Nach ihrer Rückkehr brachte Sathima Bea Benjamin 1976 in Südafrika ihre Tochter Tsidi, zur Welt, das zweite gemeinsame Kind mit Abdullah Ibrahim nach der Geburt des Sohnes Tsakwe sechs Jahre zuvor in Swasiland. Die Sorge um die Zukunft der Kinder vermischte sich mit der Angst vor Verfolgung und Inhaftierung. Überall im Land konnte man "Mannenberg" hören. Der Titel drang aus Taxis und Bussen, drehte sich auf den Plattenspielern der Townships, erklang bei Versammlungen, Protestdemonstrationen und Tanzveranstaltungen, wurde gespielt, gesummt, gepfiffen und gesungen.
Als sich die Unruhen von Soweto wie ein Flächenbrand ausbreiteten, organisierte Abdullah Ibrahim illegal ein Benefizkonzert für den ANC. Danach floh er erneut ins Exil, in die USA. Viele südafrikanische Musiker litten im Exil. Nicht Wenige gingen zugrunde - Krankheit, Rauschgifte, Depression, Verfolgung, Heimweh - Aber Abdullah Ibrahim war nicht allein:
"Es war Sathima, die uns zusammengehalten hat - mich und die Kinder, die ohne Großfamilie aufgewachsen sind, und trotz all des Drucks, unter dem wir alle gelitten haben in diesen Schreckensjahren der Apartheid."
"Gleich nach der Freilassung von Nelson Mandela, kehrten wir in die Heimat zurück. Wir alle wurden eingeladen - meine Familie, Sathima Bea Benjamin und meine Kinder, die siebzehn Jahre in New York im Exil gelebt hatten. Wir gingen zurück und begannen wieder, in Südafrika Konzerte zu geben, mit 'Ekaya', mit amerikanischen und mit südafrikanischen Musikern, auch gemeinsam mit dem Sinfonieorchester von Johannesburg. All das ist auf sehr positive Resonanz gestoßen.
Wir sind davon überzeugt, dass unsere Musik dazu beitragen kann, ein soziales Klima zu schaffen, das uns hoffentlich den Weg zu einem neuen, demokratischen und friedlichen Südafrika ebnet. Menschen, die im Exil oder im Gefängnis waren, haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Auf einmal läuft man frei und fast ziellos umher - so, als ob man noch einmal eine Gnadenfrist bekommen hat. Und man schätzt das Leben noch sehr viel mehr."
Abdullah Ibrahims kehrte zurück, aber Sathima Bea Benjamin blieb in New York, sie starb 2013. Abdulah Ibrahim hat ihr posthum den "Song For Sathima" gewidmet.
Einflüsse von Zen-Buddhismus und islamischer Mystik
Seine Inspiration zieht Ibrahim aus verschiedenen Quellen. Zum Beispiel den islamischen Mystiker Rumi, der sagte, dass es nur einen Klang gäbe, alles andere sei Echo. Ausgehend vom Zen-Buddhismus ist eine tiefe Liebe zu Japan entstanden. Ein japanischer Zen-Meister lehrte ihn mushin - no mind. Darum geht es auch beim Musizieren. Ibrahims Musik folgt einem Kreis und ist nicht linear, sie beginnt und findet zum Anfang zurück.