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Jodelhorrormonstershow
Das Biermoos zwischen München und Augsburg ist die Heimat der Wells, der bekanntesten bayerischen Volksmusikfamilie. 15 Kinder sind mit Musik und Tanz in traditioneller Manier groß geworden – mit viel Humor und als einzig ernstzunehmende Opposition der CSU in Bayern. Hervorgegangen sind aus ihnen zum Beispiel die Biermösl Blosn und die Wellküren.
Die Familie Well, die Biermösl Blosn sowie ihr weibliches Gegenstück, die Wellküren, prägen die kabarettistisch-musikalische Landschaft Bayerns seit Jahrzehnten. Von Jubel und Applaus, bissigen Kommentaren und überraschenden Auftritten, kleinen Streitereien und großen Brüchen.
Autor Jan Tengeler mit einem Ständchen in Well‘scher Manier:
Die Familie Well
"Da haben sie die ganzen Geburtstage von den Kindern raufgeschrieben. Weil ich das sonst oft einmal vergesse. Traude, das ist die Älteste am 30.8.1941. Dann kommt... Oh, da steht der Herbert gar nicht drauf... Einer steht nicht drauf... Dann Hermann Well: Am 1. März... zwei Jahre älter... zwei Jahre... jünger... Dann kommt... Oh, die haben ein Durcheinander geschrieben."
Gertraud Well sitzt vor einem legendär gewordenen kleinen Zettel, der am grünen Kachelofen ihres Hauses im bayerischen Günzelhofen hängt, einem kleinen Ort zwischen München und Augsburg. 15 Kinder hat sie zur Welt gebracht. Mehr als die Hälfte davon haben sich einen Namen gemacht, der in Musik- und Kabarettkreisen auch über die bayerischen Freistaatsgrenzen hinaus einen außergewöhnlichen Ruf genießt: die Biermösl Blosn und die Wellküren.
Einer kommt immer zu kurz in einer Großfamilie - wenn nicht mehrere, sagt Bürgi Well von den Wellküren, die Nummer acht der Familienfolge und also genau in der Mitte. Der Kampf um die Liebe der Eltern - die älteste Schwester Traudi erinnert sich an folgendes Bild:
"Die Bärbi hat mal gesagt, es war eine Wohnküche mit Sofa und der Vater ist am Schrank gelegen und die Bärbi hat gesagt, ich möchte so gern der Schrank sein. Da fragt der Vater, warum möchtest du ein Schrank sein? Sie sagt: Da tästest du immer an mich anlehnen."
Jan Tengeler über den Schlüssel zum Erfolg der Familie Well:
Weil die Aufmerksamkeit der Eltern begrenzt war und im Laufe der Jahre logischerweise noch begrenzter wurde, haben die älteren Geschwister einige der Erziehungsaufgaben übernommen. Es gab so etwas wie interne Patenschaften. Traudi etwa, Jahrgang 1941, und die älteste der Kinderschar, hat sich intensiv um Bärbi, Jahrgang 55, gekümmert. Dieses Erziehungsmodell hat für die drei jüngsten Söhne Karli, Michael und Stofferl auch Nachteile gehabt.
Michael: "Es ist ja unter Geschwistern oft so, dass der ältere Bruder eine schwierige Rolle ist, weil er alles schon weiß, weil er es besser weiß. Die Jungen empfinden das so, empfinden das als starkes Reglement."
Der Stellvertreter ist nicht das Original – an den Grundschullehrer und Musikanten Herrmann Well erinnern sich die Kinder mit großem Respekt.
Stoffel: "Er hat sich verändert, weil er gesehen hat, dass alte Erziehungsmodell aus dem Dritten Reich - und sie waren alle zwei sehr involviert in das Dritte Reich, der Vater bei der Hitlerjugend und die Mutter beim BDM. Und sie haben halt gemerkt 1965, das funktioniert nicht mehr. Der eine Bruder, der 20 Berufe angefangen hat und ist abgehauen, die anderen haben Beatlefrisuren gehabt oder Negermusik angehört, wie man früher dazu gesagt hat auf dem Dorf. Und dann hat er angefangen, umzudenken. Also, der Vater war wirklich lernfähig."
Michael: "Und die Probleme, die manche Kinder mit sich selber gehabt haben, da hat er gemerkt, ich muss meinen Zugang behalten. Und einen Zugang kriegen zu den Kindern, den hat er gekriegt durch Gespräche und er war eine starke Vertrauensperson, der Vater."
Der Hang zum Dichten im bayerischen Dialekt mit Witz und ironischem Unterton, dazu das Musizieren in der regionalen Volksliedtradition: Dreigesang und Stubenmusi und dann noch die Tanzveranstaltungen - all das hat Vater Well als wichtige Erziehungsaufgabe gesehen. Jedes Kind kann singen, war sein Credo, in der Schule und zu Hause. Die Hinwendung zur Volkskultur hat sich allerdings erst im Laufe der Jahre ergeben: Die Bethlehemrally ist ein stehender Begriff in der Familie Well. Erste öffentliche Auftritte als Großfamilie werden in der offiziellen Familienchronik, nachzulesen auf der Website der Geschwister Well, auf das Jahr 1962 datiert. Für Traudi Well hat sich das schnell zu einer Obsession ausgeweitet.
"Meine Mutter war die treibende Kraft. Sie hat keine Kinder mehr gekriegt, aber die Kinder waren da und jetzt wurden diese Kinder halt der Öffentlichkeit präsentiert. Ihr wäre es am liebsten gewesen, es wäre so weiter gegangen á la Trappfamilie, wir hätten da gestanden und hätten schön diese bayerischen Lieder gesungen und gespielt."
An dem Schicksal einer bayerischen Trappfamilie sind die Wells dann aber doch noch haarscharf vorbeigeschrammt. In besagter Familienchronik heißt es für das Jahr 1975.
"Vater Hermann Well vergibt die einmalige Chance, ähnlich der Trapp-Familie, zu Weltruhm zu gelangen, indem er einen Auftritt bei Hans Rosenthals "Dalli Dalli" absagt."
Eines der Themen, dass heute noch kontrovers in der Familie Well diskutiert wird, ist die Frage, wer wann welches Instrument gelernt hat und ob er oder sie es tatsächlich gelernt hat. Einzig dem Stofferl eilt der Ruf als begnadeter Musiker voraus, weil er präzise intonieren kann und auch einen großen Teil des klassischen Repertoires beherrscht. Immerhin war er einstmals Solotrompeter bei den Münchner Philharmonikern unter Sergiu Celebidache. Er kann es sich sogar erlauben, einen kritischen Kommentar zur Musikalität der Eltern abzugeben:
"Auch, weil Mutter Zither gespielt hat, das hat nicht wahnsinnig gut geklungen. Und Vater hat Geige gespielt und das hat auch nicht toll geklungen. Der Vater ist musikalisch wirklich hochbegabt gewesen, der hat ein gutes inneres Ohr gehabt und konnte komponieren und Noten schreiben. Mutti ist von der Musikalität her nicht so brillant gewesen, die konnte ihre Zither nicht selber stimmen, aber sie hat eine hohe manuelle Begabung. Du brauchst ja beides. Der Vater hat zwei linke Hände und konnte deshalb nicht gescheit Geige spielen. Und Mutti hat Superfinger gehabt, aber kein gutes inneres Ohr. Und deshalb haben alle zwei ihre Instrumente so gespielt, dass die Kinder keines davon lernen wollten. Präzise formuliert."
Belangloses wollten die musizierenden Wellkinder nicht von sich geben und auch kein Blatt vor den Mund nehmen: Die jüngeren Geschwister emanzipierten sich in den 70er-Jahren von den gemeinsamen Auftritten á la Trapp. Sie fingen an, das erlernte Musikhandwerk mit bissigen Texten und urkomischen Bühnenshows zu verbinden - die Geburtsstunde der Biermösl Blosn und später der Wellküren.
Die Biermösl Blosn
"Die Biermösl Blosn begrüßt ihr Publikum und dabei soll sich keiner ausgeschlossen fühlen: Gesunde und Kranke, Schwarze und Grüne, Anhänger des Fussballvereins 1860 München genauso wie die Fans von Bayern München. Das funktioniert in der Mehrzweckhalle von Hennhofen genauso wie im Bierzelt von Aichach, im Bayerischen Landtag ebenso wie auf den Kleinkunstbühnen zwischen Hamburg, Berlin und Wien. Die Blosn heißt sie alle alle willkommen: Arme und Millionäre, Moslems, Christen, Soldaten und Pazifisten."
Hans Well beschreibt in seinem Buch "35 Jahre Biermösl Blosn", einer Mischung aus eigener Biografie, Familienchronik und Bandgeschichte, wie er als junger Mann die Kabarett- und Kleinkunstszene von München und Umland entdeckt. In Szenelokalen wie dem Muh - die Abkürzung steht für "musikalisches Unterholz" - oder dem Song Parnass lernt er Künstler wie Fredl Fesl, Georg Ringswandl oder Hans Söllner kennen. Er stellt fest, dass man auf der Grundlage volksmusikalischer Traditionen durchaus etwas Zeitgemäßes, Lustiges oder gar Unkonventionelles präsentieren kann. Er lernt Gitarre und eifert seinen Vorbildern nach. Wenig später nahm er seine Brüder mit:
"Nach einer Familienveranstaltung nahm ich einmal den Stofferl, der damals gerade 16 Jahre alt war, mit ins Song Parnass. Wir bezahlten keinen Eintritt, weil wir Instrumente dabei hatten und uns als Musiker ausgaben. Als ein Programmpunkt ausfiel, bat uns der Betreiber auf die Bühne. Wir hatten tatsächlich vier Nummern parat. Die "Spanische Romanze" für Gitarre, die Ricky King verkitscht hatte, parodierte der Stofferl auf der Tuba, danach brachten wir "Als Gott der Herr", einen Trompetenlandler und "Mir san vom Woid dahoam". Wir wunderten uns, wie sehr sich das Publikum dabei amüsierte. Die Leute lachten, obwohl wir das letzte Lied ganz ernst darboten. Für sie war das reine Parodie. Volksmusik hatte ja damals für die meisten jüngeren Leute, vor allem in der Stadt, etwas Reaktionäres, Hinterwäldlerisches, kurz: Sie war CSU-Musik. Als Zugabe spielten wir das Ganze einfach noch einmal."
Buchtipp:
Hans Well: "35 Jahre Biermösl Blosn", 336 Seiten, Verlag Antje Kunstmann 2013, ISBN-13: 978-3888978234
Die Biermösl Blosn etablierte sich schnell in der Kleinkunstszene von München und im Umland. Hans, Nummer 9 in der Kinderfolge, Michael, Nummer 13, und Stofferl, Nummer 14, spielten sowieso immer Musik, egal, wo sie waren. Hans wohnte in einer eigenen Bude mit Michael und der Schwester Bärbi in der Nähe des alten Heimatdorfes Günzelhofen. Dort sind in gemeinsamer Tüftelarbeit viele Lieder und Texte entstanden. Er gebrauchte das vom Vater gelernte Handwerk, um es mit neuen Inhalten zu füllen. Sie entpuppten sich nicht nur als lustig, sondern auch als aufmüpfig. Heile-Welt-Texte waren in der neuen Generation verpönt, politisch-kritische Texte dagegen bei den Alten.
"Drunten auf der grüna Au" - das einfache Kinderlied verliert bei der Biermösl Blosn seine Unschuld. Verantwortlich dafür war Hans Well, bei der Blosn für die Texte zuständig, geschult in vielen Diskussionen am häuslichen Essenstisch:
"Das waren natürlich fürchterliche Schlachten. Einer meiner älteren Brüder war damals bei der NPD, da kann man sich vorstellen, wie die Fallhöhe war. Ich glaube, dass ich ohne diese Auseinandersetzungen mit meiner Familie nicht angefangen hätte, so etwas auf der Bühne zu machen. Ich glaube, das Dritte Reich ist in Bayern bis in die 68er- oder 70er-Jahre gegangen. Und entsprechend hat es damals viele Bürgermeister gegeben, wo sich herausgestellt hat, der war in der Nazizeit des, des. Und da habe ich mich auseinandergesetzt, "Drunten in der grüne Au", das war ganz eine konkrete Geschichte, vier Kilometer weiter in Graf Rath, der Bürgermeister."
Der Vater fing früh an, seine Biermösl-Söhne zu verteidigen - selbst, wenn sie vor versammelter Gemeinde das Verhalten der Kirchenoberen ganz unverblümt aufs Korn nahmen. Die schützende Hand des Vaters ist für Michael Well der Grund, warum sich die Blosn immer wieder völlig angstfrei auf juristische Auseinandersetzungen mit Bierfirmen, Kommunalpolitikern und Agrarunternehmen eingelassen haben.
Hans: "Das war auf die bayerische Nationalhymne: Gott mit dir du Land der Bayern. Die Änderung war klein: "Gott mit dir du Land der Baywa – deutscher Dünger aus Phosphat über deinen weiten Fluren liegt Chemie von früh bis spat. Und so wachsen deine Rüben, so ernährest du die Sau. Herrgott bleib im Himmel, wir haben Nitraphosphat-blau." Das haben wir im Fernsehen gesungen. Der alte Sprecher der CSU, Dieter Kehl, hat gesagt, er findet den Text genial. Aber Herr Well – sie werden verstehen, wir können ihn nicht senden, direkt nach diesem Lied – das Nachtgebet eines Landwirtes habe ich es genannt -, direkt danach ist dann die Neujahrsansprache von Strauß gekommen. Er hat gesagt, das müssen Sie doch verstehen, Herr Well, das geht nicht. Ich hab nix verstanden. Die Brüder waren schon weg. Und ich habe mich rumgeschlagen mit dem, bis etwa zehn Minuten vor Sendebeginn. Der hat versucht, das abzuwenden, aber dann hat er es doch gesendet. Ich habe gesagt: Wenn dieses Lied nicht gesendet wird, dann bitte schön den ganzen Beitrag raus. Das waren 20 Minuten und dann wäre ein Loch gewesen."
Silvester 1979 gilt als großer Durchbruch der Biermösl Blosn. Dass sie von da an vom Bayerischen Rundfunk gemieden wurden, war kein Hindernis, sondern glich eher einem Ritterschlag. Die Blosn wurde zu so etwas wie dem musikalischen Robin Hood des Bayernlandes, einem grün gestrichenen trojanischen Pferd in der schwarzen Seele der Bajuwaren. Aber nicht nur die eigenen Leute bekamen ihr Fett weg, ausgeteilt wurde auch über die bayerische Staatsgrenze hinaus. Berühmt geworden ist die öffentliche Fehde mit der Warsteiner-Brauerei aus Nordrhein-Westfalen.
Mitte der 80er-Jahre, zehn Jahre nach ihrer Gründung, waren die Biermösl Blosn längst zu einer Marke geworden. Sie waren eine Spaßtruppe mit enorm hoher Anschlussfähigkeit und hatten Bierzelte, Rockbühnen, Kleinkunstforen in ganz Deutschland und sogar einige bekannte Theaterbühnen erobert. Sie hatten Skandale ausgelöst und waren eine ernst zu nehmende außerparlamentarische Opposition in Bayern: Viele behaupten heute, sie wären eine Zeit lang die Einzigen gewesen, die die CSU tatsächlich ärgern konnten.
Nach ihrer Trennungsankündigung im Jahr 2011 haben sich sogar ihre ärgsten Widersacher zu aufrichtigen Worten des Bedauerns hinreißen lassen: Der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber hat das Dichten angefangen, wie in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen war:
"Pfiad Euch God, Gebrüder Well,
Schad is wenn a Kabarettist - Jetzt doch de weiße Fahne hisst.
I hoff dass ned nur da dro liegt - dass es Strauß und Stoiber nimmer gibt.
A Opposition wards Ihr, a Art vo Gegner
Den ma uns im starken Bayern - Guad leisten ham kenna.
Mir haben uns gesagt:
wer soi’s sonst macha, dass a de Linkn kenna lacha
Machts es guad, vielleicht kemmts wieder - Mir war’s jedenfalls ned zwider."
Schad is wenn a Kabarettist - Jetzt doch de weiße Fahne hisst.
I hoff dass ned nur da dro liegt - dass es Strauß und Stoiber nimmer gibt.
A Opposition wards Ihr, a Art vo Gegner
Den ma uns im starken Bayern - Guad leisten ham kenna.
Mir haben uns gesagt:
wer soi’s sonst macha, dass a de Linkn kenna lacha
Machts es guad, vielleicht kemmts wieder - Mir war’s jedenfalls ned zwider."
Die Wellküren
"Kimmt schee hoamli de Nacht" der Wellküren bei Youtube:
Und es kamen Nachahmer. Die Formel, die die Blosn gefunden hatte, bot sich dafür an: traditionelle Musik mit spöttisch-kritischen Texten. Lieder von und über alle Schichten dieser Gesellschaft. Dazwischen ein paar instrumentale Nummern zur Beruhigung der Nerven oder eine kleine Tanzeinlage zur sinnfreien Erheiterung.
Diese Formel wurde 1986 von drei Schwestern aufgegriffen, sie gründeten das Trio Wellküren. Zunächst waren das Moni, die jüngste der Kinderschar, Bürgi und Vroni Well. Vroni wurde später durch Bärbi ersetzt.
Die Wellküren greifen das vermeintliche Idyll musikalisch auf und machen sich ihren eigenen Reim darauf. Auch in Sachen Sex. Die Wellküren nehmen keinen Blatt vor den Mund und drehen die Rolle als vermeintlich schwächeres Geschlecht einfach um, wenn sie über Männer singen, die im Bett nicht so viel taugen.
Aber es gibt auch eindrückliche Stücke über die Folgen erfolgreichen Geschlechtsverkehr: Die "Kindsmörderin" ist eine alte bayerische Weise, die die letzten Stunden einer jungen Frau beschreibt, die auf dem Weg zum Henker ist, weil sie ihr Kind getötet hat. Das Lied wird aus Sicht der Verurteilten gesungen.
"Wir haben uns nix gschissen", sagt Bürgi Well und erklärt damit einen Teil des Erfolges des schwesterlichen Trios. Mit dem sicheren Gespür für die Dramaturgie eines Abends gehen die Damen ganz ungeniert auf die Bühne, sie haben Spaß dort oben, jeden Abend aufs Neue. Musikalische Perfektion steht nicht im Mittelpunkt, als große Instrumentalistinnen haben sie sich nie gesehen. Dafür spielen sie mehrere Instrumente: Hackbrett, Harfe, Gitarre, Tuba, Saxofon, Akkordeon, Tenorhorn und Nonnentrompete.
Die Wellküren sind bis heute aktiv auf der Bühne, jüngst haben sie ihr 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Was sie von ihren Brüdern unterscheidet, ist vor allem eines: Sie sehen noch besser aus. Jedenfalls aus Sicht der Schwager, die auch mal in bitter-bösen Worten auf den AC/DC-Klassiker "Highway to Hell" besungen wurden. Ansonsten merkt man, dass beide Gruppen die gleiche Sozialisation genossen haben. Musikalischer Forschergeist stand dabei nicht hoch im Kurs, hier zeigen sich die Wells bei allem Widerspruchsgeist als das, was sie auch sein können: ziemlich konservativ und bequem.
Die Adoption Gerhard Polt
Trailer zu Film "… und äktschn!" mit Gerhard Polt auf Youtube:
"Obwohl wir im Haus eh schon 15 Kinder waren, lebten meistens noch ein oder zwei vorübergehend Aufgenommene bei uns. Der erste war Günther, ein uneheliches Kind der Tante Wally. Er hatte alkoholisiert in München einen Verkehrsunfall mit tödlichen Folgen verursacht und drei Jahre auf Bewährung gekriegt. Er lebte diese Zeit bei uns in Günzlhofen wie ein Bruder und kam wieder recht gut auf die Füße. Durch ihn sind wir 1860er-Fans geworden. Er schlief mit mir und Helmut in einem Zimmer und legte mir manchmal, wenn er spät nachts heim kam, seine stinkenden Socken auf die Nase." ("35 Jahre Jahre Biermösl Blosn")
Es wundert also nicht, dass sich die drei Blosn-Brüder Hans, Michael und Stofferl auch auf der Bühne immer wieder mit Menschen umgaben, die nicht aus ihrer Familie stammten. Etwa mit der Punkband "Die toten Hosen" aus Düsseldorf, die sie bei einen gemeinsamen Anti-Atomkraft-Konzert kennen lernten. Oder mit Kollegen aus der schauspielernden Zunft, wie Dieter Hildebrand und Gisela Schneeberger, mit denen sie Erfolge in diversen Theater- und Fernsehproduktionen feiern konnten. Einen von ihnen haben sie im Laufe der Jahre gleichsam als Familienmitglied adoptiert: Gerhard Polt.
"Das ist angenehm, der Gerhard ist kein älterer Bruder. Es ist einfach ein Freund. Er ist kein Bruder, der älter ist und der immer sagt, was richtig und falsch ist."
Sagt Christoph Well, kurz genannt Stofferl. Seit Beginn der 80er-Jahre machen Polt und die Well-Brüder gemeinsame Sache, seitdem haben sie einen Großteil ihre Auftritte zusammen bestritten und Millionen von Kilometern im Automobil zurückgelegt. Der Grund? Die beiden Elemente gesprochenes Wort beziehungsweise erzählte Geschichte und gesungenes Wort beziehungsweise Musik, ergänzen sich prima.
Gerhard Polt und die Biermösl Blosn haben ihre ersten großen Erfolge auf der Theaterbühne gefeiert. "München leuchtet" wurde im Januar 1984 in den Kammerspielen uraufgeführt – das Stück nahm die Münchner sogenannte Bussi-Gesellschaft, die A-, B- und C-Prominenz mitsamt ihrer nicht immer ganz sauberen Geschäfte aufs Korn. Es wurde ein großer Erfolg und zur Blaupause für viele weitere Stücke mit Polt und der Blosn, einer Mischung aus Musik und Politsatire. Die Jungs vom Dorf hatten in der mondänen Stadt Erfolg und im Gegenzug gewährten sie dem Stadtkünstler Polt Zutritt in ihr Reich.
Buchtipp:
Gerhard Polt: "und auch sonst - Im Gespräch mit Herlinde Koelbl, 208 Seiten, Kein & Aber 2012, ISBN-13: 978-3036956299
"Das ist auch sehr wichtig: Sie, damals Biermösls, heute Well-Brüder, haben etwas gemacht mit mir, mit uns – das klassische Kabarett, das gab es im Land ja nicht, das gab es nur in den Großstädten. Und ich kann sagen: Wir gehörten mit zu den ersten, die Brettlkünstler – das wir am Land waren, die Musik gab es am Land, aber in dieser Verbindung, wie wir es gemacht haben, da waren relativ die ersten, die so eine Art Programm in Orte mit bloß 800 Einwohner gebracht haben."
Polt ist Teil der Großfamilie, zu deren natürlichen Eigenschaften es gehört, sich alle, die einen bestimmten Sicherheitsabstand nicht wahren, einzuverleiben.
Michael: "Er ist unser Familiennikolaus. Es war einer seiner höchsten Karrierepunkte. Bei dem Stück "Fein sein, beieinander bleiben", was wir mit den Geschwistern gemacht haben, da war unsere Mutter als Faktotum dabei auf der Bühne. Gerhard hat in alter Tradition als Gast den Nikolaus gemacht, auch im Juli. Er ist in großer Montur als Nikolaus rein, und er hat Stoffel die Mutter vorgeschoben im Stuhl und er hat die Mutter über ihre Sünden gefragt."
Inzwischen treten auch die Enkelkinder mit Gerhard Polt und einem Weihnachtsprogramm auf. Das Krippenspiel "Grüaß die Gott Christkindl" haben sie nach der Vorlage des Großvaters Herrmann in den 90er-Jahren eingespielt. Dass Gerhard Polt auch heute noch als Nikolaus in der Familie Well präsent ist, hat mit seiner eigenen Geschichte zu tun. Er arbeitet auf seine Weise, also mit trockenem, zuweilen makaberem Humor, ein tief sitzendes Trauma auf:
"Man hat mich als Kind in einen Sack reingetan. Und das ist so, dass ich bei ungünstiger Konstellation sogar heute noch davon träume. Das ist eine Angst, die hat traumatisiert. Ich werde das nie vergessen, das war ein einmaliges Erlebnis. Wenn man in einen Sack gesperrt wird und dann in einem Saustall aufgehängt wird. Seitdem ich in einem Sack war, bin ich gegen die Burka."
Die Familie Well heute
Die Nou well Cousins in einem Video auf Facebook:
Das musikalische Spektrum hat sich im Laufe der Well-Generationen ausdifferenziert. Das Niveau sei besser geworden, betonen die Brüder Michael und Stofferl, aber auch Hans Well im Hinblick auf ihre musizierenden Kinder: Als Kinder der bekannten Biermösl Blosn haben es die Nou well Cousins heute etwas einfacher als ihre Eltern vor 40 Jahren.
Hans Well, ehedem der Kopf der Biermösl Blosn, gilt bis heute als widerspenstiger Geist und sorgt auf seine Weise dafür, dass nicht alles in den Fugen ist. Ihn hat es zum Beispiel gestört, dass es im Laufe der Jahre kaum noch Veränderungen im Programm der Blosn gegeben hat:
"Eigentlich, für mich, hat sich die Trennung von meinen Brüdern als Glücksfall erwiesen. Ich habe darunter sehr gelitten am Anfang, ich habe auch gesundheitlich total einen Einbruch gehabt, aber im Nachhinein betrachtet ist das aus jetziger Sicht so, dass ich eigentlich nur froh sein kann. Man steht auf der Bühne und man hat nicht das Gefühl, dass man ein Papagei ist, der sich nur wiederholt. Weil das Publikum merkt: Die haben sich angestrengt und etwas Neues gemacht. Die haben einen Schwung, im Vergleich zum letzten Jahr haben sie die Hälfte des Programms neu und das macht mir großen Spaß."
Die Well Bappn auf Youtube:
Hans Well pflegt in seinem neuen künstlerischen Leben seinen Ruf als kritischer und streitbarer Zeitzeuge: er steht mit seinen drei Kindern als unter dem Bandnamen Well Bappn auf der Bühne. Aber auch seine Brüder nutzen die Situation, um unbekanntes Terrain zu erforschen. Stofferl hat ein eigenes Mozartprogramm, in dem er als Sprecher auftritt. Außerdem ist er ein gefragter Musiker und auf verschiedenen Fremdproduktionen zu hören, jüngst etwa als Gast bei der Band Alpenklezmer. Auch Michael geht musikalisch fremd, mit einer Gruppe namens Die drei Haxn. Zudem ist er der Manager des Well-Imperiums, des Wellperiums, wie es im Internet heißt. Er ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Familie Well in der Öffentlichkeit bestens vertreten ist.
Als Dauerbrenner hat sich für Michael, Stofferl, Karli und dem älteren Bruder Berti die Tanzmusik unter dem Bandnamen Well Buam erwiesen, demnächst feiert diese Formation ihr 50-jähriges Jubiläum. Und dann gibt es noch die gemeinsamen Auftritte der Geschwister Well, den Zusammenschluss der Well-Brüder Michael, Stofferl und Karli mit den Wellküren Bärbi, Moni und Bürgi.
Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Jan Tengeler, Regie: Jan Tengeler, Sprecher: Gregor Höppner, Louis Friedemann Thiele, Redaktion: Monika Künzel, Webvideo- und Webproduktion: Jörg Stroisch
Über den Autor:
Jan Tengeler arbeitet als Journalist und Musiker in Köln. Er studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie in Köln und wurde als Musiker in Klavier, Kontrabass und Jazzbass ausgebildet. Als Radiojournalist befasst er sich hauptsächlich mit musikalischen Themen.