Joseph Hanimann: "Antoine de Saint-Exupéry. Der melancholische Weltenbummler"
Orell Füssli Verlag, Zürich 2013
304 Seiten, 22,95 Euro
Er liebte das Duell mit dem Sturm
Für viele ist er schlicht der Autor des "kleinen Prinzen", doch berühmt wurde Antoine de Saint-Exupéry mit Romanen über das Fliegen, denn das Fliegen war neben dem Schreiben seine große Leidenschaft. Wer war dieser Kultautor? Und wie ist er gestorben?
Am 31. Juli 1944 startet der französische Pilot und gefeierte Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry zu einem planmäßigen Aufklärungsflug über der Region Grenoble – von dem er nie zurückkehren wird.
Rätselhafte Todesumstände
Was auf diesem Flug passiert, bleibt jahrzehntelang im Dunkeln: Erst in den 2000er-Jahren wird das Geheimnis gelüftet: Ein französischer Taucher findet auf dem Grund des Mittelmeers nahe Marseille Flugzeugteile einer amerikanischen P-38 Lightning, die durch aufwendige Recherchen als jene von Saint-Exupéry identifiziert wird.
Aber wie ist sie abgestürzt? Erst durch eine Reihe unwahrscheinlicher Glücksfälle gelingt es schließlich, die Geschehnisse um Exupérys Tod aufzuklären. Die erste Stunde dieser Langen Nacht erzählt die Geschichte dieser Spurensuche.
Kultautor und leidenschaftlicher Flieger
1943, ein Jahr vor seinem Tod, erscheint die mit eigenen Illustrationen versehene Erzählung "Le Petit Prince" – ein Buch, das heute mit insgesamt 80 Millionen weltweit verkauften Exemplaren auf Platz 17 der Weltrangliste der meistverkauften Bücher rangiert, knapp vor den Fantasyromanen der britischen Erfolgsautorin Joanne K. Rowling. Vor allem mit diesem Buch wird der Name Saint-Exupéry bis heute verbunden.
Berühmt geworden ist er zu Lebzeiten aber vor allem mit Texten über das Fliegen, geschöpft aus den eigenen Erfahrungen als Pilot. Etwa mit dem Roman "Vol de nuit", zu deutsch "Nachtflug", der ihm 1931 den renommierten französischen Literaturpreis Prix Femina einbrachte.
In der zweiten und dritten Stunde der Langen Nacht schauen wir zurück auf das wechselvolle Leben Exupérys: Seine prägenden Beziehungen, seine literarischen Erfolge – und natürlich seine Leidenschaft für das Fliegen – eine Leidenschaft, die schon früh beginnt.
Unvergessliche Lufttaufe
Antoine de Saint-Exupéry kommt am 29. Juni 1900 in einer aus dem Limousin stammenden Adelsfamilie zur Welt. Er ist noch keine vier Jahre alt, als sein Vater nach einem Schlaganfall stirbt. Gabrielle de Tricaud, die Tante seiner Mutter, nimmt die vaterlose Familie in ihrem Schloss Saint-Maurice-de-Rémens im ostfranzösischen Département Ain auf.
Dort und auf dem Schloss de la Môle seiner Großmutter verbringt Antoine einen Teil seiner Jugend. Diese Orte sind für ihn seine Verankerung in der Welt, lebenslange Bezugspunkte:
"Oh, das Wunder eines Hauses besteht nicht darin, dass es uns schützt oder wärmt, und auch nicht im Besitz seiner Mauern: das Wunder ist, dass es, langsam, einen Vorrat an Beglückung in uns aufgespeichert hat; dass es tief im Herzen jenes dunkle Gebirge bildet, aus dem wie Wasserquellen die Träume entspringen."
So wird er später in seinem Roman "Wind, Sand und Sterne" schreiben. Und dieses Urteil lässt sich wohl auch auf Exupérys Jugend beziehen: "Glückliche Jahre" seien das gewesen, so der Schweizer Kulturkorrespondent und Biograph Exupérys Joseph Hanimann.
Fast täglich fährt Exupéry in dieser Zeit mit dem Rad zu einem nur wenige Kilometer vom Schloss gelegenen Flugfeld, verbringt Stunden vor den Flugzeugen und löchert die Mechaniker mit detaillierten Fragen nach der Funktionsweise von Motoren und Instrumenten. Seine Lufttaufe Ende Juli 1912 bleibt ihm ein unvergessliches Erlebnis. Ein Erlebnis, das er in einem Gedicht festgehalten hat:
"Die Flügel glitten auf dem Hauch des Abends,
Der Motorenklang wiegte die schläfrige Seele und
die Sonne berührte uns mit blassem Glanz..."
Der Motorenklang wiegte die schläfrige Seele und
die Sonne berührte uns mit blassem Glanz..."
Turbulenter Start
So glücklich seine Jugend verläuft, so erfolglos beginnt sein Erwachsendasein: Nach dem Abitur 1917 – im gleichen Jahr stirbt sein jüngerer Bruder – fällt er erst bei der Aufnahmeprüfung der Marineschule durch und schmeißt später auch sein Architekturstudium als Gasthörer an der Pariser École des Beaux Arts hin. Lieber als in den Lehrveranstaltungen verbringt der humorvolle und lebenslustige Antoine seine Zeit in den Cafés unweit der Kunstakademie – Geld bekommt er von seiner Mutter, zu der er zeitlebens ein inniges Verhältnis pflegt.
Im Frühjahr 1921 wird Saint-Exupéry zum Militärdienst eingezogen und kommt zum 2. Jagdflieger-Regiment in Neuhof bei Straßburg. Er findet Gefallen am Unterricht:
"Heute früh stürmte es sehr", schreibt er im Juni 1921 an seine Mutter, "aber ich liebe das ungemein: Wind, und – im Flugzeug - den Kampf, das Duell mit dem Sturm."
Mit dem Erwerb seines Pilotenschein Ende 1921 beginnt seine Leidenschaft für das Fliegen vollends zu erblühen. Beruflich aber geht er zunächst andere – und wenig erfolgreiche – Wege: Er verlobt sich mit der eleganten, belesenen und temperamentvollen Louise de Vilmorin, deren Vater ihm eine gut bezahlte Bürostelle in einer Ziegelfabrik vermittelt. Seine Verlobte aber wird seiner bald überdrüssig und stürzt sich angesichts der vielen Verehrer in ihr nächstes Abenteuer.
Endlich Pilot
"Ich bin jetzt wie ein ganz kleiner Junge. Ich flüchte mich zu Dir", schreibt Antoine im Oktober 1923 an seine Mutter. Ein Jahr später versucht er sich als Vertreter des Lastwagen-Herstellers Saurer – ein nahezu erfolgloses Unterfangen. Im Frühjahr 1926 gibt er den Job entnervt auf und erhält über Vermittlung eine Anstellung bei der "Compagnie aérienne française". Jetzt darf er zahlende Passagiere auf Rundflüge über Paris mitnehmen. Das bessert seine Stimmung erheblich.
Wenig später wird der 26-Jährige, noch weitgehend unerfahrene Pilot in den Dienst der "Compagnie Latécoère" gestellt – eine der ersten Luftfahrtgesellschaften der Welt, aus der später die Aéropostale hervorgehen wird – und transportiert den amtlichen wie den privaten Briefverkehr auf der Strecke Toulouse-Casablanca und später Casablanca-Dakar.
Das Fliegen in dieser Zeit war noch ein regelrechtes Abenteuer, wie Joseph Hanimann ausführt: "Wenn es geregnet hat, hatte man den Regen im Gesicht, es war kalt, es hat wahnsinnig gerüttelt, und man flog nach Sicht. Das alles hatte eine sehr handwerkliche Sache, und das hat ihn gerade fasziniert an dieser Fliegerei, da war noch ein direkter Kontakt, eine direkte Beziehung zwischen dem Fliegen und dem Territorium, was man unter sich sah."
Fliegen und Schreiben
"Das Flugzeug ist wohl eine Maschine", so schreibt Exupéry später in "Wind, Sand und Sterne", "— indes welch ein unendlich fein empfindendes Gerät! Ihm danken wir die Entdeckung des wahren Gesichts unserer Erde. (…) Wir beurteilen den Menschen mit Weltraumperspektive. Das Fenster am Führersitz ist die Linse eines Mikroskops, und mit neuen Augen lesen wir darin die Weltgeschichte."
Fliegen und Schreiben, das gehörte für Saint-Exupéry zusammen, führt Joseph Hanimann aus: "Das eine ging nicht ohne das andere: Er wusste oft nicht, wie es weiterging beim Schreiben, ist stecken geblieben, hat den Überblick verloren, verlor sich in Details, wusste nicht mehr recht, wo das Ganze hinaus wollte, und dafür, für dieses Überbordende, Undisziplinierte war für ihn das Fliegen praktisch eine Schule der Disziplin. Ein falsches Manöver kann im Unterschied zum Schreiben tödlich ausgehen. Andererseits brachte ihm das Schreiben fürs Fliegen den notwendigen Weitblick, die Fantasie, den poetischen Blick, sagen wir mal."
Die Verbindung zwischen Schreiben und Fliegen war für die damalige Literatur ein relativ neues Terrain. Dank Verbindungen zu den literarischen Zirkeln der Pariser Literaten erscheint im April 1926 der erste Text Exupérys unter dem Titel "L’aviateur".
Exupérys "Rose" als Muse und Ratgeberin
Nachdem der angehende Schriftsteller zwischenzeitlich als Stationsleiter in Marokko eingesetzt ist, wo er seinen ersten Roman, "Courrier Sud", verfasst, wird er 1929 schließlich nach Südamerika versetzt: Dort ist er Betriebsleiter der "Aeroposta Argentina", einer Filiale der "Compagnie Aéropostale", und mit der Aufgabe betraut worden, ein Luftpostnetz innerhalb Argentiniens aufbauen.
Vor allem aber lernt er in Buenos Aires seine spätere Frau kennen: 1930 verliebt er sich Hals über Kopf in Consuelo Suncín Sandoval, eine exzentrische und jung verwitwete Salvadorianerin. Eine Amour fou, die in Zeiten von Krieg und Gefahr ihren Höhepunkt erreicht.
Aus dem Rausch der ersten Begegnung wird schnell eine heftige Leidenschaft. Nicht weniger schnell kommt aber auch eine erste Ernüchterung, wie Joseph Hanimann erzählt: "Die ähnliche Veranlagung von Antoine und Consuelo hat natürlich zu Problemen geführt, dass sie permanent aneinandergestoßen sind. Beide hatten ein großes, unzähmbares Ego. Am besten ging es den beiden, wenn sie nicht zusammen waren. Da haben sie sich am stärksten geliebt."
Ende April 1931 heiraten Antoine de Saint-Exupéry und Consuelo Suncín Sandoval. Die kleingewachsene, aber graziöse Consuelo ist fortan Ratgeberin und Muse gleichermaßen. Zärtlich nennt sie Antoine bald nur noch "Tonnio", wie in ihren im Jahr 2000 erschienenen Erinnerungen nachzulesen ist: "Tonnio, mein fliegender Fisch, mein einzigartiger Schmetterling, meine Liebe, mein Zauberkästchen…" Und obwohl sich die beiden im Laufe der Zeit auseinanderleben, fühlt sich auch Antoine zeit seines Lebens für sie verantwortlich.
Consuelo de Saint-Exupéry: "Die Rose des kleinen Prinzen"
Marion von Schröder Verlag, München 2001
319 Seiten, 20,45 Euro
Absturz in der Wüste
Noch im selben Jahr, im Oktober 1931, erscheint im Pariser Verlag Gallimard mit einem von André Gide verfassten Vorwort ein neues Buch mit dem Titel: "Vol de nuit", "Nachtflug". Der Roman ist – im Gegensatz zum "Südkurier" – von Beginn an ein großer Erfolg. Das erhoffte Geld bleibt trotzdem aus. Und auch Exupérys Berufskarriere ist mittlerweile in eine Sackgasse geraten. Er lässt sich auf unbestimmte Zeit vom Pilotendienst beurlauben, und lebt mit seinem "Paradiesvogel" Consuelo in deren Pariser Wohnung.
Für das Fliegen als Wettkampf hat Exupéry eigentlich bloß Spott übrig: "Pilot sein war für ihn etwas Weihehaftes wie Priester sein. Das war für ihn ein Dienst an der Menschheit", erzählt Biograph Hanimann. Aus Geldnot nimmt er 1935 trotzdem an einem Wettfliegen nach Saigon teil und stürzt dabei nachts mitten in der Wüste ab. Was in den folgenden Tagen geschieht, schildert Exupéry in seinem Roman "Wind, Sand und Sterne". Es gehört zu den eindrücklichsten Stellen des Buches:
"Gestern träumte ich von paradiesischen Orangenwäldern, heute kenne ich kein Paradies mehr. Ich glaube nicht mehr an Orangen. Nichts mehr fühle ich in mir als Dürre des Herzens. Ich werde fallen und keine Verzweiflung spüren, nicht einmal Kummer. Das kränkt mich, denn die Fähigkeit, Kummer zu fühlen, wäre mir eine Wohltat wie Wasser. Ich bemitleide mich und bedaure mich wie ein Freund. Aber ich habe keinen Freund mehr auf der Welt."
Gönnerin, Liebhaberin und heimliche Biografin
Trotz der anhaltenden Geldnot ist Antoine de Saint-Exupéry nach seiner geglückten Rettung aus der Wüste berühmter denn je. 1935 lernt Exupéry auch seine Gönnerin und spätere Liebhaberin kennen, die wohlhabende Industriellentochter Nelly de Vogüé. "Eine Geschäftsfrau, sehr erfolgreich, die Saint-Exupéry als Schriftsteller vor allem bewunderte", weiß Joseph Hanimann. "Sie hat ihn finanziell und auch moralisch sehr stark unterstützt. Und hat dann praktisch unter Pseudonym seine erste Biografie geschrieben, ein paar Jahre nach seinem Tod, unter dem Pseudonym Pierre Chévrier, und über Jahre hinweg hat man diese Biografie gelesen."
Während sich die literarischen Erfolge überstürzen und Exupéry auch in Amerika enthusiastisch als Schriftsteller gefeiert wird, bekommt er im September 1939 den Befehl, sich in Toulouse zum Einsatz zu melden. Zwar wird er durch Vermittlung seiner Liebhaberin Nelly de Vogüé schließlich gemäß seinem Wunsch als Flieger eingesetzt. Doch die Tage der Freude sind gezählt: Am 14. Juni 1940 marschieren die Deutschen kampflos in Paris ein. Die Einheit von Saint-Exupéry wird über Bordeaux nach Nordafrika verlagert. Der Reservist wird aus dem aktiven Militärdienst entlassen und kehrt per Schiff nach Marseille zurück.
Gefeiert, aber unglücklich
Kurz darauf entschließt er sich zur Emigration: Zu Silvester 1940 trifft Saint-Exupéry im New Yorker Exil ein, und wird als gefeierter Schriftsteller empfangen. Sein ins Englische übersetztes Buch "Wind, Sand and Stars" hat die Zahl von 150.000 verkauften Exemplaren überschritten. Jetzt kann Saint-Exupéry endlich ohne Geldsorgen leben und ist dennoch unglücklich: In den Vereinigten Staaten im Exil zu sein, während sich Frankreich im Krieg befindet, versetzt ihn in einen unerträglichen Zwiespalt, weshalb er sich bald nach Algerien begibt und für einige Aufklärungsflüge rekrutieren lässt.
Anfang 1943 wird in New York der Text des "Kleinen Prinzen" publiziert: eine märchenhafte Erzählung um einen Flieger, der in der Wüste notlanden muss und dort auf einen kleinen Jungen von einem fremden Stern trifft. Den internationalen Siegeszug seines Buches wird Antoine de Saint-Exupéry aber nicht mehr erleben.
Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Nikolaus Scholz; Regie: Nikolaus Scholz; Sprecher: Sabine Haupt, Markus Hering, Patrick Oliver Beck, Yodit Riemersma; Redaktion: Dr. Monika Künzel; Webdarstellung: Constantin Hühn.
Finden Sie hier das vollständige Manuskript dieser Langen Nacht zum Nachlesen.