Eine Lange Nacht über Billy Wilder

Nobody's Perfect

Jack Lemmon und Billy Wilder betrachten einen Filmstreifen
Hollywood-Komödienmeister Billy Wilder sichtet einen Filmstreifen © imago/ Orlando Photos
Von Josef Schnelle |
Billy Wilder war Reporter und Drehbuchautor in Berlin, bevor er in Hollywood durchgestartet ist – und einer der bedeutendsten Autorenfilmer wurde. Der Film "Manche mögen‘s heiß" mit Marlyn Monroe hat Kultstatus. Wilder leuchtete die menschliche Seele aber nicht nur in Komödien, sondern auch in dunklen Filmen aus.
Woher stammte der ganz spezielle Billy-Wilder-Touch, die besondere Menschennähe seiner Filme, die so viel Vergnügen machen? Niemals sagt einer etwas gerade heraus. Die Menschen gehen stets Umwege. Die Wahrheit steckt immer im Detail.
Der Autor Josef Schnelle über seine Lange Nacht über Billy Wilder:
Die Zensoren in Hollywood pflegten zu sagen: "Wir wissen, was er meint, aber wir können ihm nicht nachweisen, dass er es sagt." Das Publikum dankte ihm seine elegante Aufrichtigkeit und sein Bestreben, stets zu unterhalten, mit großem Erfolg.
Auch heute noch gelten seine drei Gebote für den Filmregisseur: Du sollst nicht langweilen. Du sollst nicht langweilen. Du sollst nicht langweilen.

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Die jungen Jahre
Billy Wilder war schon als Reporter und später als Drehbuchautor und Regisseur vor allem Illusionskünstler. Schon 1926 zog es ihn nach Berlin:
"Man ist, was man ist und was man gelernt hat. Und 7 Jahre in Berlin. Das hat einen Eindruck auf mich gemacht. Das waren die sieben wichtigen Jahre meines Lebens und von diesen sieben Jahren lebe ich bis heute noch. Nichts, glaube ich, war wie Berlin in den 20er-Jahren und am Anfang der 30er. " (aus: Billy Wilder nach 25 Jahren wieder in Berlin)
In Berlin brodelte es. Im Romanischen Café am Breitscheidplatz trafen sich die Berliner Intellektuellen und Lebenskünstler und wenn ein Neuankömmling diese "Stätte überhitzten Denkens" betrat, drehten sich die Köpfe und der Geist der Berliner Bohème wehte im Tabakdunst durch den Raum. Die Liste der Stammgäste liest sich heute wie ein Kompendium der liberalen Schriftsteller und Maler jener Zeit, von denen sich viele wenig später im Exil wiedertreffen würden. Schon 1927 tobten sich Nazi-Schläger im von ihnen ungeliebten Café aus. Der junge Reporter Billy Wilder ging dort bald ein und aus und traf dort auch schon die Leute vom Film wie die Drehbuchautoren Walter Reisch und Carl Mayer, der durch seine Mitarbeit an Murnaus "Der letzte Mann" ein Star der Szene geworden war und dessen Drehbücher an expressionistische Gedichte erinnern. Wilder holte sich seine Anregungen für Zeitungsartikel aus dem Berliner Alltagsleben, überhöhte aber auch gerne. Zum Beispiel im "Interview mit einer Hexe", deren Leben er als den jüngsten Frauenberuf im Berliner "Börsen Courier" vorstellt:
"Blicken Sie doch einmal um sich! Sehen Sie nicht überall Menschen, die laut mit sich selbst sprechen, mit den Händen gestikulieren? Was tun diese Leute? Sie wünschen. Heiß! Inbrünstig! Wünschen Tod und Verderben, Jammer und Zusammenbruch. Glauben an die vernichtende Macht ihrer Wünsche, schöpfen Trost und Lebensmut daraus. Halten Sie das für ein lebenswichtiges Bedürfnis, das nach Befriedigung schreit? Das für einen findigen Menschen Gegenstand eines auskömmlichen Gewerbes sein kann? Wie steht es mit Kartenaufschlägerinnen? Doch gewiss nicht anders. In früheren Zeiten begnügte man sich damit, einer Kuh die Milch zu verwünschen oder die Felder zu behexen. Das Leben ist Vielfältiger geworden, die Möglichkeiten sind gewachsen. Es gibt Handel, Industrie, Geldwirtschaft. Aber die menschliche Seele ist im Grunde genommen gleichgeblieben. Wenn Sie wollen, können Sie mich eine moderne Hexe nennen. Sie zog Puderdose und Spiegel hervor und legte etwas Rot auf."
Wilder wohnte am Victoria-Luise-Platz in Schöneberg, wo ihm wenigstens noch eine kleine Erinnerungstafel an Haus Nummer 11 gewidmet ist. Dort, in seinem möblierten Zimmer, durchlebte er so manche Komödie mit den Männerbekanntschaften der Tochter seines Vermieters. Einer davon soll der Filmproduzent Maxim Galitzenstein gewesen sein, dem er statt eines Schuhanziehers ein schon fertiges Drehbuch untergejubelt haben will. Weiter ist nichts darüber bekannt.
Der erste Film
Der Regisseur Billy Wilder (hier mit seinen drei "Oscars", neben ihm Elizabeth Taylor während der Verleihung 1961) wird am 22. Juni 90 Jahre alt.
Der Regisseur Billy Wilder, neben ihm Elizabeth Taylor© dpa
""Die Sache muss sich machen lassen!" - Ein kleiner Mann springt besessen auf und schlägt auf die Marmorplatte. Seine Brille und die Limonadengläser zittern. Moriz Seeler. Wir sind fünf. Ein Eugen Schüfftan, Erfinder irgendeines berühmten Filmtricks, den ich bis heute nicht verstehe, blickt ihn mit halboffenem Mund an: "Ohne Geld?" - "Ohne Geld!" Dem Dritten, Robert Siodmak aus Dresden (zuerst Zeitung, dann Theater, dann Filmverleih) fällt es schwer nicht aufzulachen: "Ohne Atelier?" - "Ohne Atelier"- "So ins Blitzblaue hinein?" Es fragt Edgar Ulmer, 23 Jahre, vor einem halben Jahr aus Hollywood eingewandert. War als Architekt bei Murnaus "Sonnenaufgang" dabei. - "So ins Blitzblaue hinein!" - Der Fünfte bin ich, Billy Wilder: "Dann wären wir also gegründet?"- "Jawohl, gegründet. Ins Blitzblaue hinein. Ohne Atelier. Ohne Geld.`"Es entsteht das Filmstudio. An einem Kaffeehaustisch. Im Juni 1929. Eine Kamera haben wir. Das ist vorläufig alles. WAS wollen wir mit ihr drehen? Hundert Ideen, hundert Vorschläge. Es kommt zu den ersten Ohrfeigenszenen. Wir fühlen, dass wir uns verstehen. In der Friedrichstraße haben sie etwas davon gehört. Jetzt lachen sie uns aus." ("Der Montag Morgen", 10 Februar 1930)
Es entsteht 1929 ein erster Stummfilm: "Menschen am Sonntag". Die Handlung: Ein Samstag rund um den Bahnhof Zoo. Hektisches Getriebe mit Bahnen und Bussen. Der Tag ist schon geprägt von den großen Erwartungen an den Sonntag. Der Weinvertreter Wolfgang umkreist sie erst. Dann spricht er Christl an. Im Café reden sie und kommen sich näher. Und verabreden sich zum Sonntagsausflug an den Wannsee am nächsten Tag. Als Taxifahrer Erwin nach Hause kommt, findet er seine Freundin Annie faulenzend vor. Sie will sich aber noch den neusten Garbo-Film anschauen. Doch nach einem Streit über das gemeinsame Abendprogramm spielt Erwin entnervt Karten mit dem Nachbarn. Das ist zufällig Wolfgang, den wir schon kennengelernt haben. Zum verabredeten Spaziergang am nächsten Tag bringt Christl eine Freundin mit und Wolfgang hat seinen Freund Erwin dabei. Die beiden Ausflugspaare mischen sich neu, weil Wolfgang die weniger widerspenstige Brigitte bevorzugt. Sie gehen baden, hören Schallplatten und essen Kartoffelsalat mit heißen Würstchen bis die beiden Liebenden- es sind inzwischen Wolfgang und Brigitte - sich zeitweise verdrücken zum intimeren Beziehungsspiel. Später dann ein Bootsausflug zu viert mit Flirts nach rechts und links mit den Vorbeifahrenden. Am Ende warten alle wieder auf den nächsten Sonntag. Immerhin hat sich Wolfgangs neue Bekanntschaft mit ihm wieder verabredet. Zu Hause ist für die anderen beiden alles beim Alten. An diesem Sonntag jedenfalls.
Bei der Premiere des Stummfilms mit Musik wollen sich die Neulinge der Filmkunst eigentlich lieber verdrücken oder in der Erde versinken. Sie hatten etwas Neues gemacht: authentisch, direkt, lebendig, halbdokumentarisch. Einen Nouvelle-Vague-Film, 30 Jahre bevor diese tatsächlich entsteht – in Frankreich allerdings. Doch "Menschen am Sonntag" wird ein unerwartet großer Erfolg und begründet für alle Beteiligten eine Karriere.
Und so hatte Billy Wilder ungefähr ein Dutzend Drehbücher mit und ohne Erwähnung im Abspann in Berlin geschrieben, als letztes eine musikalische Komödie mit dem damaligen Traumpaar des deutschen Films Lilian Harvey und Willy Fritsch: "Ein blonder Traum", in dem die Hauptfigur schon von Hollywood träumt. Der Film war unter der Regie von Paul Martin einer der größten Kassenerfolge der Weimarer Republik. Wenig später war dem Juden Billy Wilder aber klar, dass er Deutschland verlassen musste. Zwei Wochen nach dem Reichstagsbrand 1933 verließ er Berlin und reiste mit einem Zwischenstopp in Paris, wo er sogar noch einen wenig bekannten Film drehte, in die Filmmetropole an der Westküste der USA, wo ihn schon seine Vorbilder Ernst Lubitsch und Erich von Stroheim, sowie andere Emigranten erwarteten. Die große Filmkarriere des amerikanischen Regisseurs begann ebenfalls wieder mit Drehbüchern für andere Regisseure wie Mitchell Leisen, Howard Hawks und Preston Sturges. Dazu passt seine Selbsteinschätzung, dass er vor allem Autor sei. Auch später als Regisseur hielt er wenig von Kameramätzchen oder Tricks im Schnitt. Ihm ging es stets um Story und Dialog.
"Ich bin ersten ein Writer, ein Schriftsteller. Um die Geschichte richtig zu erzählen, will ich nicht zu viele Mätzchen machen. Ich will das die Leute überhaupt, das Publikum nicht das Gefühl hat, dass da eine Kameracrew war, dass wir Techniker, Mechaniker hatten. Ich versuche die Geschichte so zu erzählen, als ob das Publikum durch ein Schlüsselloch die Sache da privat sich anschaut. Ich versuche es so einfach und so elegant wie möglich zu machen. (Biographisches Sammelband)
Filme über Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
Wilder engste Verwandten waren im KZ ermordet worden. Doch er war nie hasserfüllt gegenüber den Deutschen. Das zeigen vor allem seine beiden im Nachkriegsdeutschland spielenden Filme "Eine auswärtige Affäre" 1948 und "Eins, Zwei, Drei" 1961. Es sind Filme der Hoffnung auf ein anderes, neues Deutschland, nicht ohne diverse Seitenhiebe auf die schlechten Angewohnheiten, die übrig geblieben sind: Man schlägt die Hacken aufeinander, wenn ein Uniformierter vor einem steht und schleppt manche Schuld mit sich herum wie Erika von Schlütow, die nun als Nachtclubsängerin für die Amerikaner singt - unter anderem über das Erblühen der Blumen aus den Trümmern der heftig zerstörten deutschen Hauptstadt. Besonders pikant an diesem Lied von Friedrich Hollaender ist, das ausgerechnet Hauptdarstellerin Marlene Dietrich es singt: Die beliebte Frontsängerin der US-GIs im Krieg. Ein wenig ist dieses Lied auch für sie eine Rückkehr nach Berlin, wo sie einst als "fesche Lola" in "Der blaue Engel" zur Stilikone geworden war.
Wie hätte Lubitsch es gemacht?
Der US-amerikanische Regisseur Billy Wilder am 16.2.1993 mit seiner Ehefrau Audrey in Berlin.
Der US-amerikanische Regisseur Billy Wilder am 16.2.1993 mit seiner Ehefrau Audrey in Berlin.© dpa
Beim Film "Ninotschka" war Ernst Lubisch Regisseur, Billy Wilder Drehbuchautor. Und er steht auch exemplarisch für die Arbeitsweise von Wilder. Die Handlung: Die linientreue Kommunisten Ninotschka wird nach Paris geschickt, um drei Genossen zu überwachen, die verdächtigt werden, einen arg verwestlichten Lebenswandel angenommen zu haben. Dabei sollten sie doch nur die Juwelen des Zaren an den Meistbietenden verhökern. Ninotschka bringt die drei wieder auf den rechten Weg, aber dann lernt sie den Grafen Leon kennen, der doch eigentlich nur die Rechtsverfahren einer dubiosen Großherzogin abwicklen soll, die auch hinter den Juwelen her ist. Zur Überbrückung der Wartezeit führt Leon die gestrenge Polit-Kommissarin in die Gesellschaft ein und versucht sie Schritt für Schritt an den Lebensstil der Bourgeoisie in Paris zu gewöhnen. Zum Lachen bringt sie der mittlerweile verliebte Gockel allerdings nur, als er im Wortsinne "vom Stuhl" fällt. Später zurück im Heimatland der Werktätigen in Moskau trauern die drei Genossen und Ninotschka den schönen Zeiten in Paris nach. Doch erst als die drei zu neuen Geschäften nach Konstantinopel aufbrechen, wird ihnen wieder Ninotschka zur Kontrolle nachgeschickt. Überraschenderweise taucht dort auch Leon auf, der hinter allen die drei anschwärzenden Briefen steckte und sie in Wahrheit nur endlich überzeugen will, im verdorbenen Westen zu bleiben. Diese doppelte Verführung gelingt auf der ganzen Linie.
"Und sie kommen da in die Halle vom Ritz-Hotel. Und als sie zum Aufzug gehen, da ist eine Reihe von Vitrinen, wie das in Hotel so ist. Da sind Kleider und Silberdinge. Und da ist eine Vitrine, die hat drei Hüte. So französische Hüte. In der Mode ein bisschen übertrieben. Dann bleibt sie da stehen. Dann geht sie in ihr eigenes Zimmer, macht die Schlafzimmertür zu. Dann öffnet sich ein kleiner Schrank und dann macht sie diese Schublade auf und da aus der Schublade nimmt sie einen dieser drei Hüte, setzt sich da hin und schaut sich den an und wir wissen genau: die Frau ist verdorben." (Billy Wilder)
Billy Wilder erzählt frei heraus, wie er es gemacht hat - in seinem Drehbuch für Ernst Lubitsch, zu dessen Meisterwerken "Ninotschka" zweifellos gezählt werden muss. In den kleinen Dingen - um Beispiel unter dem topfartigen Hut der Garbo - steckt die eigentliche Botschaft. Das hatte er nicht nur als Reporter, sondern auch als Meisterschüler von Ernst Lubitsch gelernt. Dass diese und andere Ideen der eleganten Liebeskomödie aus der Feder des Deutschen in Hollywood stammten, hat damals niemand registriert und auch nicht, dass Wilder und Lubitsch schon den kalten Krieg ironisch voraussahen, konnte keiner ahnen, weswegen Wilder in seinen seinem Film "A Foreign Affair" 1949 noch einmal so deutlich auf Motive von "Ninotschka" eingehen musste: Auch Marlene Dietrich glaubt nur an wenige Glücksmomente im Hier und jetzt und das in den Trümmern von Berlin. Den hedonistischen drei Genossen hat er dann 1961 noch einen weiteren Auftritt ermöglicht – in "Eins, Zwei, Drei".
Eine Alltagssituation. Ein Rätsel. Und dann die Auflösung, die alle Erwartungen aushebelt: So arbeitet Billy Wilder häufig. Gundolf Freyermuth hat sich mit der Arbeitsweise Wilders intensiv beschäftigt.
"Ich habe ihn dann später noch häufiger getroffen, aber nicht mehr in seiner Wohnung, sondern in seinem Büro und das war so ein Büro, da dachte man, man käme in einen Chandler-Film, lange Gänge, Türen mit Milchglasscheiben, wo die Namen draufstanden, die dann nach dem Tod abgekratzt werden wie in Muttis Werken und da saß er dann ganz am Ende des Raumes an seinem Schreibtisch und über dem Schreibtisch hing dieses berühmte Schild, das hab ich damals dann noch fotografiert "How would Lubitsch do it", das er sich hat anfertigen lassen für seinen ersten Film und das immer in seinem Büro hing. Das viel Böseres, das hat er noch hinzugefügt, der, der Lubitsch-Touch war ja ein sanfter, eleganter Touch. Aber ein Kennzeichen, was man deutlich sehen kann, ist eine grundsätzliche Respektlosigkeit, die nicht einhergeht mit Verachtung der Menschen. Das ist ja der Grund, warum dieser Humor funktioniert hat, er ist gänzlich respektlos, nichts ist heilig, aber die Charaktere bleiben erhalten, sie bleiben mögliche Identifikationsfiguren. Es wird nicht über sie gelacht in einem bösen Sinne, sondern man lacht eigentlich, wie die selbst lachen müssten, wenn sie in der Situation Zuschauer wären."

Über Gundolf Freyermuth:
Gundolf Freyermuth war unter anderem für den "Stern" und die "Transatlantik" als Journalist tätigt, beschäftigt sich als Medientheoretiker heute mit der Ästhetik und der Entwicklung von Spielen und ist Professor für Filmgeschichte an der Internationalen Filmschule in Köln. 1993 hat er eine Studie über die Spuren deutscher Emigranten veröffentlicht - und bei den Recherchen dazu auch Billy Wilder getroffen.

Film "Manche mögen´s heiß"
Im Film "Manche mögen's heiß" (1959) müssen die Musiker Joe (Tony Curtis) und Jerry (Jack Lemmon) vor der Mafia fliehen - und verdingen sich in einer Damenkapelle.
Im Film "Manche mögen's heiß" (1959) müssen die Musiker Joe (Tony Curtis) und Jerry (Jack Lemmon) vor der Mafia fliehen - und verdingen sich in einer Damenkapelle.© imago / United Archives
Ein echter Klassiker ist der Film "Manche mögen‘s heiß". Die Handlung: Mit Kontrabass und Saxofon können sich zwei erfolglose Musiker vor dem skrupellosen Mafia-Boss mit den Gamaschen nur retten, in dem sie in Frauenkleidern in einer Damenkapelle unterkriechen. Doch vor ihr Engagement im Miami-Ritz begegnen sie Sugar, dem Enfant terrible der Band. Sie spielt Ukulele und verliebt sich sofort in den Saxofonspieler Tony Curtis. Sugar ist natürlich Marilyn Monroe. Weil man in Florida als Mädchen aber nur Millionäre abkriegt, wird auch Jack Lemmon als Daphne bald Opfer von Osgood Fielding II und dessen Lust am Romantischen, während Joe sich rasch zum Millionenerben Shell Junior aufschwingt, um Sugar zu imponieren. Doch die Gangstertruppe ist inzwischen zum Jahreskongress der "Freunde der italienischen Oper" ebenfalls komplett im Semiola Ritz eingetroffen. Eigentlich hieße es jetzt für die beiden Freunde, sich schleunigst aus dem Staub zu machen, wenn die Liebe nicht wäre. Zum Glück lädt Osgood nicht nur Jack Lemmon, den er heiraten möchte, auf seine Yacht ein, sondern nimmt auch noch das andere Liebespaar mit. Und alle Einwände seines Liebsten – dargestellt von Jack Lemmon in Frauenkleidern, der sich als Mann outet - wischt Osgood weg, schließlich ist Niemand vollkommen oder besser: "Nobody´s Perfect".
"Manche mögen´s heiß" ist der Modellfilm unter Billy Wilders Komödien. Eine vollkommen unwahrscheinliche Geschichte über Liebe und Selbsterkenntnis wird in drei Akten erzählt, wobei das Happy End ganz am Schluss - für damalige Zeiten – von zweifelhafter Moral ist. Es nimmt 1959 schon die Idee der Schwulenehe vorweg. Und selbst die chronisch oberflächlich verliebte Sugar ist eine Sympathieträgerin. Billy Wilder traut sich sogar, die Mordlust der Mafia in die zarten Liebeshändeln der Hauptfiguren hineinzumischen und damit den Grundsatz der Komödie zu verletzen, nach dem niemals Blut in den Zucker der Posse geraten darf. "Manche mögen´s heiß" ist einer der 100 besten amerikanischen Filme überhaupt und der Komödien sowieso.
"Mit der Monroe, das war wie, wenn man Zähne zieht. Während ich mit ihr gearbeitet habe, ich dachte, ich würde das nicht überleben. Aber ich wusste, dass sie es wert ist. Ich habe mit ihr einen Film gemacht zum Beispiel. Es ist nur ein Beispiel. Und da hat eine Szene, eine Einstellung – sie musste drei Worte sagen: Where ist that Whiskey? Wenn das falsch ging, hat sie zu weinen angefangen. Nochmals neue Schminke. Nach dem 60sten Mal nahm ich sie zur Seite und habe meinen Arm über ihre Schulter gelegt und habe gesagt: Don´t worry, Marilyn! Da sah sie mich an mit ihren großen Augen: Worry about what? Sie dachte, das wäre normal." (aus: Tugend ist nicht fotogen - Billy Wilder zum 100sten)
"Manche mögen´s heiß" ist natürlich nicht denkbar ohne Marilyn Monroe, mit der Billy Wilder 1955 auch "Das verflixte siebte Jahr" gedreht hatte, jene Geschichte eines braven und erztreuen Ehemanns, der an den extrem heißen Tagen in New York die Nachbarin bei sich aufnimmt, die es in ihrem Oberstübchen nicht aushält. Der auf den ersten Blick erwartbare Sex findet überhaupt nicht statt. Trotzdem ist dieser Film reine Pornografie – virtuos an den Zensoren vorbei geschmuggelt. Nicht umsonst ist die berühmteste Szene dieses Films eine überflüssige Beigabe: ein Film gewordenes Pin-Up-Bild. Marilyn Monroe über dem Gitter zum U-Bahn-Schacht. Ein Luftzug hebt ihr Kleid. Man sieht ein bisschen Bein.
Schwarze Filme Billy Wilders
Weniger bekannt sind die düsteren Werke Billy Wilders. Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel der Film "Frau ohne Gewissen" (englisch: "Double Indemnity") aus dem Jahr 1944. Die Handlung: Hätte die Lebensversicherung doch nur nicht die verteufelte Double-Indemnity-Klausel enthalten nach der die Versicherung die doppelte Summe im Falle eines sehr unwahrscheinlichen Unfalls mit der Eisenbahn auszahlen muss. Und wäre da nicht die fatale Attraktion gewesen, die Mrs. Dietrichson auf den Versicherungsagenten Walter Neff ausübt. Aber die unglückliche Ehegeschichten der schönen "Frau ohne Gewissen" hatten bei dem drögen Walter gleich die Fantasie frei gesetzt, diese blonde Sirene erobern zu können. Und plötzlich duftet die Idee vom Mord für ihn "wie Jasmin" und die Pläne für die böse Tat – heimlich ausgedacht – hat die Anmutung einer zwar bizarren aber ganz besonders reizvollen Zärtlichkeit. Kann Mord tatsächlich Liebende verbinden oder deckt er gar unerwartete düstere Motive auf und kann nur im gegenseitigen Liebestod bei einer Schießerei enden?"
Nach einer Kurzgeschichte von James M. Cain begann Billy Wilder 1943 mit einer kleinen Serie düsterster "schwarzer Filme". Es folgten Filme wie das Alkoholiker-Melodrama "Das verlorene Wochenende" und die Hollywoodgroteske "Sunset Boulevard" – später noch "Zeugin der Anklage" mit Marlene Dietrich. Das Besondere an "Double Indemnity" war, dass Wilder den Film gemeinsam mit Raymond Chandler schreiben sollte, der damals noch nicht weltberühmt, aber schon der Schöpfer der stilprägenden Detektiv-Figur Philip Marlowe war. Charles Brackett, Wilders üblichem Co-Writer, war der Stoff zu schmutzig und so konnte Wilder im Verein mit Chandler die Filmtauglichkeit der "schwarzen Serie" beweisen. An einem Strang gezogen haben die beiden – der Meister der filmischen indirekten Rede und der Paradeautor "schwarzer Krimis" jedoch nicht:
"Er hat keine Ahnung gehabt, wie ein Drehbuch geschrieben wird, nur Kameramovements hat er beschrieben: Die Kamera kommt durch das Schlüsselloch herein und die schnuppert über an der Dame. – Er wollte Filmbilder." (Wilder aus "How Did you do it")
"Die dunklen Schattenspiele sind Zeichen der Verlorenheit der Helden, der Undurchdringlichkeit der Verhältnisse in die sie verstrickt sind." Das schrieb 1988 Claudius Seidl, damals Filmkritiker der "Süddeutschen Zeitung", in seinem Buch über Billy Wilder (In der Langen Nacht können Sie nun ein langes Interview mit Claudius Seidl nachhören).
Auch Don Birnham mag man in "Das verlorene Wochenende" kaum glauben, dass er in dieser kurzen Filmzeit, die wir ihm verbringen durften, wirklich seinen Dämon Alkohol besiegt hat. Auch, wenn in der entscheidenden schockierenden Szene, in der im Delirium Tremens eine Fledermaus rechts oben in der Ecke des Zimmers eine Maus schlägt und wir glauben, das rote Blut zu sehen – auch wenn dieser Film nur in Schwarz-Weiß gefilmt wurde.
Mit vier Oscars ausgezeichnet, gilt "Das verlorene Wochenende" - auch wenn er zunächst beim Publikum floppte – mit seiner genauen psychologischen Charakterzeichnung als einer der wichtigsten Belege für das Menschenbild Billy Wilders. Lauter geniale Szenen: Etwa, wenn Don eine Flasche, die er versteckt hat, verzweifelt sucht und sie schließlich erst im Schatten, den die Lampe wirft, zu entdecken vermag. Schließlich die im Leihhaus versetzte Schreibmaschine, deren Rückkehr neue Kreativität verspricht. Ein Happy-End und ein Lügensignal zugleich, denn in den Kreislauf derartigen Selbstbetrugs ist er doch vorher immer wieder geraten. Er wird seinen Mangel an Kreativität entdecken und sich wieder nach der Flasche sehnen. Doch das mag man sich denken, der Film zeigt es aber klugerweise nicht.
Auch "Boulevard der Dämmerung" von 1950 zeigt schön, wie Billy Wilder seine Themen bearbeitet. Im Mittelpunkt steht eine alternde Schauspielerin, die von den längst vergangenen Tagen als Stummfilm-Diva zehrt. Es geht um die Träume aus der Traumfabrik Hollywood und um die Konsequenz und Gnadenlosigkeit mit der die ihre Produkte verfertigt. Es geht auch um eine "Amour Fou", um eine Liebe, die nur extreme Selbstverliebtheit spiegelt und um eine Männerpsyche, die nur in der Unterwerfung unter die Frau ihre Befriedigung findet. All das ist eingebettet in eine morbide Grundstimmung für die neben den Dekors und der Musik vor allem die Darstellerin der Norma Desmond verantwortlich ist: Gloria Swanson war wie die Diva im Film selbst ein großer Stummfilmstar gewesen und zum Zeitpunkt der Dreharbeiten gerade Mal 50 Jahre alt, aber zu alt für die großen Mainstreamfilme jener Zeit. Doch im Film sagt sie überzeugend: "Ich bin groß. Es sind die Filme, die kleiner geworden sind".
"Das Appartment", Regisseur Billy Wilder - im Bild Shirley MacLaine und Jack Lemmon.t
"Das Appartment", Regisseur Billy Wilder - im Bild Shirley MacLaine und Jack Lemmon.© kpa
"Sie hat eine Probeaufnahme gemacht. Das war genau ,was wir wollten. Nämlich es war der Stil des Spielens. So auch die Frauen vom selben Alter – heute – die spielen alle anders, als die das damals gemacht haben. Sie hat eine Period Way of Acting 1920. Das kann man nicht lernen. Damit muss man aufgewachsen sein. Sie wirkt auch in ihrer Schauspielerei wie ein Relikt aus einer großen alten Zeit." (aus: "Wie haben Sie es gemacht?)
In "Reporter des Satans" spießt Wilder die parasitäre Gnadenlosigkeit eines Reporters auf, der für eine Sensationsreportage das Leben eines Verschütteten aufs Spiel setzt und "Zeugin der Anklage" feiert Marlene Dietrich als dubiose Figur, die geradewegs aus den Trümmern von Berlin zu stammen scheint. "Das Apartment" befindet sich an der Schnittstelle zwischen Tragödie und Komödie. Im Mittelpunkt hier der kleine Angestellte C.C. Baxter, der seine Wohnung zeitweise als verschwiegenes Liebesnest seinen Chefs zur Verfügung stellt. Sogar der große Boss der Versicherungsgesellschaft greift auf seine Dienste zurück und so hofft der Buchhalter aus seinem namenlosen Status im gigantischen Großraumbüro, das bis ins Unendliche sich auszudehnen scheint, herauszukommen und einen anderen Schlüssel zu bekommen, den zur exklusiven Privattoilette der leitenden Angestellten. Doch als die Fahrstuhlführerin Miss Kubelik auch noch in diesem Spiel auftaucht, verändert sich alles. Er spürt, dass er in die sympathische, schlagfertige und lebensechte selbst verliebt ist. "Das Apartment" war nicht nur der Beginn der Karriere von Shirley MacLaine und mit fünf Oscars 1960 einer der größten Erfolge Billy Wilders. Der eigentlich bitterböse Film zeigt auch, wie eine Träne im Tee zum großen Glück führen kann. Als typischer Wilder-Held ist Jack Lemmon zunächst opportunistischer Zuhälter, selbstsüchtiger Lügner und gefangen in der Tragödie eines lächerlichen Mannes, bevor er sein Herz entdeckt.
US-Regisseur Billy Wilder, der als Gast der Internationalen Filmfestspiele Berlinale 1993 in der Spree-Metropole weilt, besuchte am 18.02.1993 die UFA-Ausstellung im Zeughaus.
Billy Wilder auf einem Foto von 1993© Zentralbild
Immer wieder wird Billy Wilder für seine Publikumsnähe gerühmt, sein Credo: Du sollst unterhalten, unterhalten, unterhalten wird triumphierend hervorgehoben. Doch die wahre Besonderheit am Leben und am Werk Billy Wilders ist seine Unerschrockenheit, sein Sinn für die Anarchie mitten in der Ordnung des Lebens und für das geheimnisvolle Labyrinth hintergründiger Gefühlswelten, das man nur im Kino entfalten kann. Und natürlich der Sinn für die Weisheit des plötzlichen Einfalls, der Pointe die eigentlich nur als Platzhalter hingeschrieben wurde, bevor die nächste geniale Zeile sie überflüssig machen würde.

Produktion dieser Langen Nacht:
Autor: Josef Schnelle, Regie: Rita Hoehne, Sprecher: Josef Tratnik, Tilmar Kühn, Till Hagen; Redaktion: Dr. Monika Künzel, Web- und Webvideoproduktion: Jörg Stroisch