"Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen"
Drei Frauen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten: zwei Dichterinnen, eine Philosophin und Mystikerin, die ihr Leben lang mit dem Judentum rangen, sich davon abgrenzten oder es zum Leitstern wählten. Die Lebenswege der drei Frauen endeten im Schrecken des Holocaust.
Gertrud Kolmar wurde 1943 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet, Simone Weil hungerte sich im gleichen Jahr in England zu Tode, Else Lasker-Schüler starb 1945 im israelischen Exil. Alle drei, Meisterinnen der Sprache, schufen Werke, die bis in die Gegenwart wirken.
In Leben und Kunst loteten alle drei Weltliches und Überweltliches aus. Von der Schönheit und Qual der Liebe bis zum Umkreisen der Chiffre Gott. Ihre Schöpferkraft ging extrem unterschiedliche Wege – und gipfelte bei allen in der schreibenden Verarbeitung des Holocaust. Eine "Lange Nacht" über das Wunder der Sprache im Angesicht von Tod und Verrohung.
In Leben und Kunst loteten alle drei Weltliches und Überweltliches aus. Von der Schönheit und Qual der Liebe bis zum Umkreisen der Chiffre Gott. Ihre Schöpferkraft ging extrem unterschiedliche Wege – und gipfelte bei allen in der schreibenden Verarbeitung des Holocaust. Eine "Lange Nacht" über das Wunder der Sprache im Angesicht von Tod und Verrohung.
Else Lasker-Schüler
"In Elberfeld an der Wupper geboren, in Gedanken im Himmel, betreue ich die Stadt Theben und bin ihr Prinz Jussuf. Ich bin weder siebzehn noch siebzig Jahre, habe keine Uhr und keine Zeit. Meine Bücher laufen so herum und werden einmal im Meer ertrinken. Geld habe ich einmal sehr viel und einmal gar keines.
Früher habe ichs manchmal nicht geglaubt, jetzt aber weiß ich es; ich bin die Else Lasker-Schüler - leider. Auf meinem Geburtsschein steht noch immer Goldelse; aber ich bin nicht zu versetzen. In all den Jahren, die ich lebte, ist mir eines ganz gewiß geworden: ich kann keinen Bohnenkaffee vertragen.
In die Schule ging ich sehr ungern; wenn ich auch immer irgendwo anders war im Gedanken, so rettete mich das doch nicht vor den vielen Strafarbeiten und dem Nachsitzen im Schulzimmer in Elberfeld an der Wupper, darin die Arbeiter und Arbeiterinnen die gefärbte Baumwolle auf ihre Echtheit ausprobierten. Ich aß immer Korinthenbrötchen, die wir uns während der Pause neben dem Schulhof in einer kleinen Bäckerei holten. Mit fünf Jahren dichtete ich mein erstes Buch; es erschien in einer Auflage von 30000 Stück bei Ullstein. Seitdem leiste ich nichts mehr. Mit elf Jahren wurde ich gelinde aus der Schule genommen; Fräulein Lichtenstein kam in unser Haus am Fuße des Waldes und unterrichtete mich, aber ich lernte nicht bis drei zählen."
1930 erscheint dieser Lebenslauf in einer Anthologie mit dem Titel "Führende Frauen Europas". Er zeigt, dass Else Lasker-Schüler sich wenig für das interessiert, was Biografen die Fakten eines Menschenlebens nennen. Wenn sie schreibt, geht es ihr weniger um Dichtung und Wahrheit, sondern um Dichtung als persönliche Wahrheit - oder in ihren eigenen Worten: Dichtung als "Blüte der Wahrheit. Wer das weiß, dem bleiben Irritationen erspart, die eine Annäherung an die große Lyrikerin unnötig erschweren. Zum Beispiel die Verwirrung über ihr Geburtsjahr. Geboren ist Else Lasker-Schüler nachweislich nicht 1876 oder 1891- letzteres war ihr Lieblingsdatum, sondern am 11. Februar 1869 in der Herzogstraße in Wuppertal-Elberfeld. Wobei schon Heinrich Heine meinte, jeder sollte genau das Geburtsdatum haben, das ihm gefällt.
Wuppertal war 1990 Gründungsort der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Ihr Ziel ist es, das literarische und künstlerische Werk der 1869 in (Wuppertal)-Elberfeld geborenen, während der Nazizeit verfolgten und 1945 in Jerusalem gestorbenen Schriftstellerin zu pflegen und als wichtigen Beitrag zur deutsch-jüdischen Kultur lebendig zu erhalten.
Weit unbekannter als die Gedichte von Else Lasker-Schüler sind ihre Zeichnungen. Die Kunsthistorikerin Ricarda Dick legt jetzt - nach jahrelanger Arbeit - ein Werkverzeichnis dieser Zeichnungen vor und präsentiert sie in einer Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt.
Else Lasker-Schüler
Die Gedichte
Gesammelte Werke Band 1
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997
Else Lasker-Schüler
Dein Herz ist wie die Nacht so hell - Liebesgedichte
Hrsg. von Eva Demski
Jüdischer Verlag im Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002
Else Lasker-Schüler
Werke und Briefe Prosa
Das Hebräerland
Gesammelte Werke Band 5
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
Else Lasker-Schüler
Prosa
Nachgelassene Werke
Band 4.1
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
Sigrid Bauschinger
Else Lasker-Schüler
Eine Biografie
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
Mein Herz - Niemandem
Das Leben der Else Lasker-Schüler
von Kerstin Decker
List Verlag, 2010
Else Lasker-Schüler, eine der wichtigsten deutschen Dichterinnen, stand Anfang des 20. Jahrhunderts im Zentrum der Berliner Bohème. Mit ihrer expressionistischen Lyrik war sie die Radikalste unter den Radikalen. Kerstin Decker hat ihr Leben in einer fulminanten Biografie festgehalten. Die Kritik im Deutschlandradio Kultur ist hier nachzulesen.
Else Lasker-Schüler:
Werke und Briefe, Band 11,
Briefe 1941-1945. Nachträge.
Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Andreas B. Kilcher.
Jüdischer Verlag bei Suhrkamp, Berlin 2010.
Das Werk der Else Lasker-Schüler erhält durch die Kritische Ausgabe ein neues Profil. Denn nach je einem Band mit Gedichten und Dramen sowie drei Bänden Prosa folgten sechs umfangreiche Bände mit Briefen. Und erst durch diese Korrespondenz erschließt sich das Gesamtbild der Schriftstellerin. Ein Beitrag dazu in der Sendung Büchermarkt im Deutschlandfunk ist hier nachzulesen.
Gertrud Kolmar
"Ich lag im Wasser auf dem Rücken und bewegte mich gar nicht. Und langsam ging ich unter und sank und sank, bis ich auf dem Seegrund angekommen war. Da hatte ich genug Wasser geschluckt, stieß mich mit dem Fuß vom Boden ab und kam wieder hoch. das war gerade neben dem Brückengeländer und auf der Brücke standen viele Menschen, die sahen mich ganz erstaunt an. Ein Kind hatte nämlich gesehen wie ich unterging und geglaubt, ich ertrinke und hatte die Leute gerufen, dass sie mich retten sollten. Und die Leute waren gekommen, um mich aus dem Wasser zu ziehn und waren überrascht, dass ich von allein wieder hoch kam."
Dieter Kühn:
"Ja, Gertrud als Kind, damals in Charlottenburg. Es gab einen See, den es heute nicht mehr gibt und sie hat das Schwimmen gelernt in einer der damaligen Badeanstalten, hölzerne Anlagen, wo man an einem Seilchen runtergelassen wurde, um schwimmen zu lernen. Und sie hat sich offenbar in dem See in 'ner Art Selbstversuch sinken lassen und hat dies Sinken auch nicht als Bedrohung empfunden, sondern als etwas freiwilliges, sank dann ab und stieg wieder auf. Das ist auch für mich eine zwar rätselhafte aber auch symbolische Textstelle. Sie hat sich immer wieder sinken lassen, ist immer wieder aufgetaucht. Vielleicht ist das so was wie ein Lebensmotto."
"Dies Müde, Flügellose ruht auf mir
So wie ein großes, sanftes, goldnes Tier.
Uns trägt, was schwillt: ein Trank,der überlief.
Es blickt mich an. Sein Blick ist gut und tief.
Es lastet schwerer und mein Atem hebt
Es nicht mehr auf. Sein Drachenmantel webt
Ins Düster sich. Ein Zackenkrallen spinnt,
Drum schale Milch aus einem Mohnkopf rinnt.
Nun darf ich nur noch eigne Lider sehn,
Die blau und grüne Pfauenräder drehn.
Ich habe kein Gesicht mehr. Hauch wird Stein.
Bedächtig kehrt mein Schauen in mich ein.
Es steigt hinab, hinab, es fällt, wird dicht.
Der Schwarzschlund sackt es ein: es wehrt sich nicht.
Es sinkt geballt in tauben Mauernkern.
Es ist in sich. Nur seltsam klar und fern
Scheint auch dies Müde, Flügellose hier,
So wie ein kleines, silbern sanftes Tier. "
Gertrud Kolmar, geborene Chodziesner, wurde am 10.12.1894, auf den Tag genau drei Jahre nach Nelly Sachs, in Berlin geboren.
"In Elberfeld an der Wupper geboren, in Gedanken im Himmel, betreue ich die Stadt Theben und bin ihr Prinz Jussuf. Ich bin weder siebzehn noch siebzig Jahre, habe keine Uhr und keine Zeit. Meine Bücher laufen so herum und werden einmal im Meer ertrinken. Geld habe ich einmal sehr viel und einmal gar keines.
Früher habe ichs manchmal nicht geglaubt, jetzt aber weiß ich es; ich bin die Else Lasker-Schüler - leider. Auf meinem Geburtsschein steht noch immer Goldelse; aber ich bin nicht zu versetzen. In all den Jahren, die ich lebte, ist mir eines ganz gewiß geworden: ich kann keinen Bohnenkaffee vertragen.
In die Schule ging ich sehr ungern; wenn ich auch immer irgendwo anders war im Gedanken, so rettete mich das doch nicht vor den vielen Strafarbeiten und dem Nachsitzen im Schulzimmer in Elberfeld an der Wupper, darin die Arbeiter und Arbeiterinnen die gefärbte Baumwolle auf ihre Echtheit ausprobierten. Ich aß immer Korinthenbrötchen, die wir uns während der Pause neben dem Schulhof in einer kleinen Bäckerei holten. Mit fünf Jahren dichtete ich mein erstes Buch; es erschien in einer Auflage von 30000 Stück bei Ullstein. Seitdem leiste ich nichts mehr. Mit elf Jahren wurde ich gelinde aus der Schule genommen; Fräulein Lichtenstein kam in unser Haus am Fuße des Waldes und unterrichtete mich, aber ich lernte nicht bis drei zählen."
1930 erscheint dieser Lebenslauf in einer Anthologie mit dem Titel "Führende Frauen Europas". Er zeigt, dass Else Lasker-Schüler sich wenig für das interessiert, was Biografen die Fakten eines Menschenlebens nennen. Wenn sie schreibt, geht es ihr weniger um Dichtung und Wahrheit, sondern um Dichtung als persönliche Wahrheit - oder in ihren eigenen Worten: Dichtung als "Blüte der Wahrheit. Wer das weiß, dem bleiben Irritationen erspart, die eine Annäherung an die große Lyrikerin unnötig erschweren. Zum Beispiel die Verwirrung über ihr Geburtsjahr. Geboren ist Else Lasker-Schüler nachweislich nicht 1876 oder 1891- letzteres war ihr Lieblingsdatum, sondern am 11. Februar 1869 in der Herzogstraße in Wuppertal-Elberfeld. Wobei schon Heinrich Heine meinte, jeder sollte genau das Geburtsdatum haben, das ihm gefällt.
Wuppertal war 1990 Gründungsort der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft. Ihr Ziel ist es, das literarische und künstlerische Werk der 1869 in (Wuppertal)-Elberfeld geborenen, während der Nazizeit verfolgten und 1945 in Jerusalem gestorbenen Schriftstellerin zu pflegen und als wichtigen Beitrag zur deutsch-jüdischen Kultur lebendig zu erhalten.
Weit unbekannter als die Gedichte von Else Lasker-Schüler sind ihre Zeichnungen. Die Kunsthistorikerin Ricarda Dick legt jetzt - nach jahrelanger Arbeit - ein Werkverzeichnis dieser Zeichnungen vor und präsentiert sie in einer Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt.
Else Lasker-Schüler
Die Gedichte
Gesammelte Werke Band 1
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997
Else Lasker-Schüler
Dein Herz ist wie die Nacht so hell - Liebesgedichte
Hrsg. von Eva Demski
Jüdischer Verlag im Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002
Else Lasker-Schüler
Werke und Briefe Prosa
Das Hebräerland
Gesammelte Werke Band 5
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
Else Lasker-Schüler
Prosa
Nachgelassene Werke
Band 4.1
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
Sigrid Bauschinger
Else Lasker-Schüler
Eine Biografie
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
Mein Herz - Niemandem
Das Leben der Else Lasker-Schüler
von Kerstin Decker
List Verlag, 2010
Else Lasker-Schüler, eine der wichtigsten deutschen Dichterinnen, stand Anfang des 20. Jahrhunderts im Zentrum der Berliner Bohème. Mit ihrer expressionistischen Lyrik war sie die Radikalste unter den Radikalen. Kerstin Decker hat ihr Leben in einer fulminanten Biografie festgehalten. Die Kritik im Deutschlandradio Kultur ist hier nachzulesen.
Else Lasker-Schüler:
Werke und Briefe, Band 11,
Briefe 1941-1945. Nachträge.
Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki und Andreas B. Kilcher.
Jüdischer Verlag bei Suhrkamp, Berlin 2010.
Das Werk der Else Lasker-Schüler erhält durch die Kritische Ausgabe ein neues Profil. Denn nach je einem Band mit Gedichten und Dramen sowie drei Bänden Prosa folgten sechs umfangreiche Bände mit Briefen. Und erst durch diese Korrespondenz erschließt sich das Gesamtbild der Schriftstellerin. Ein Beitrag dazu in der Sendung Büchermarkt im Deutschlandfunk ist hier nachzulesen.
Gertrud Kolmar
"Ich lag im Wasser auf dem Rücken und bewegte mich gar nicht. Und langsam ging ich unter und sank und sank, bis ich auf dem Seegrund angekommen war. Da hatte ich genug Wasser geschluckt, stieß mich mit dem Fuß vom Boden ab und kam wieder hoch. das war gerade neben dem Brückengeländer und auf der Brücke standen viele Menschen, die sahen mich ganz erstaunt an. Ein Kind hatte nämlich gesehen wie ich unterging und geglaubt, ich ertrinke und hatte die Leute gerufen, dass sie mich retten sollten. Und die Leute waren gekommen, um mich aus dem Wasser zu ziehn und waren überrascht, dass ich von allein wieder hoch kam."
Dieter Kühn:
"Ja, Gertrud als Kind, damals in Charlottenburg. Es gab einen See, den es heute nicht mehr gibt und sie hat das Schwimmen gelernt in einer der damaligen Badeanstalten, hölzerne Anlagen, wo man an einem Seilchen runtergelassen wurde, um schwimmen zu lernen. Und sie hat sich offenbar in dem See in 'ner Art Selbstversuch sinken lassen und hat dies Sinken auch nicht als Bedrohung empfunden, sondern als etwas freiwilliges, sank dann ab und stieg wieder auf. Das ist auch für mich eine zwar rätselhafte aber auch symbolische Textstelle. Sie hat sich immer wieder sinken lassen, ist immer wieder aufgetaucht. Vielleicht ist das so was wie ein Lebensmotto."
"Dies Müde, Flügellose ruht auf mir
So wie ein großes, sanftes, goldnes Tier.
Uns trägt, was schwillt: ein Trank,der überlief.
Es blickt mich an. Sein Blick ist gut und tief.
Es lastet schwerer und mein Atem hebt
Es nicht mehr auf. Sein Drachenmantel webt
Ins Düster sich. Ein Zackenkrallen spinnt,
Drum schale Milch aus einem Mohnkopf rinnt.
Nun darf ich nur noch eigne Lider sehn,
Die blau und grüne Pfauenräder drehn.
Ich habe kein Gesicht mehr. Hauch wird Stein.
Bedächtig kehrt mein Schauen in mich ein.
Es steigt hinab, hinab, es fällt, wird dicht.
Der Schwarzschlund sackt es ein: es wehrt sich nicht.
Es sinkt geballt in tauben Mauernkern.
Es ist in sich. Nur seltsam klar und fern
Scheint auch dies Müde, Flügellose hier,
So wie ein kleines, silbern sanftes Tier. "
Gertrud Kolmar, geborene Chodziesner, wurde am 10.12.1894, auf den Tag genau drei Jahre nach Nelly Sachs, in Berlin geboren.
Dieter Kühn
Gertrud Kolmar - Leben und Werk, Zeit und Tod
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
Gertrud Kolmar, geboren 1894 in Berlin, ermordet 1943 in Auschwitz, führte die deutschsprachige Lyrik zu einem Höhepunkt. Biografisch begann alles unspektakulär: sie war Hauslehrerin in verschiedenen Familien, wurde Sekretärin ihres Vaters, eines Staranwalts der wilhelminischen Ära. In Berlin, sodann in Finkenkrug, Osthavelland, wuchs ihr Werk heran: vorwiegend Gedichte, auch Erzählungen, Schauspiele, ein Roman. Walter Benjamin, ihr Cousin, verhalf zur Publikation von Gedichten in Zeitschriften.
Auch während des Dritten Reichs schrieb sie weiter der dritte Gedichtband erschien noch 1938 in einem jüdischen Verlag. Nicht veröffentlicht hingegen: Gedichte mit vehementen Anklagen gegen den NS-Terror. Etwa zur gleichen Zeit führte ein Briefwechsel zur Begegnung mit einem völkischen Lyriker. Nach dem Zwangsverkauf der Villa in Finkenkrug lebte sie mit ihrem Vater in Berlin-Schöneberg. Einer der wenigen Besucher im "Judenhaus": Hilde Benjamin, später gefürchtet als Justizministerin der DDR. Gertrud Kolmar, zur Zwangsarbeit verpflichtet, verliebte sich in einen jungen Kollegen.
Dieter Kühns große, vielstimmige Biografie erzählt die Geschichte der bedeutenden Dichterin und ihrer jüdischen Familie, die in die ganze Welt emigrieren musste. In Dokumenten, Berichten von Zeitzeugen und Briefen wird die gesamte literarische und politische Szene präsen.t "Ein atemberaubendes Zeitpanorama", wie Denis Scheck es in seiner Kritik im Deutschlandradio Kultur ausdrückt.
Im Frühjahr 1943 starb Gertrud Kolmar in den Gaskammern von Auschwitz. Viele Zeitgenossen kennen mittlerweile ihren Namen, aber kaum ihre Dichtung und wissen oft nicht, dass diese bedeutende Lyrikerin von Literaturwissenschaftlern mit Annette von Droste-Hülshoff, Charles Baudelaire und Else Lasker-Schüler auf eine Stufe gestellt wird. Ihre Weggefährtin Nelly Sachs nannte sie "eine der größten Lyrikerinnen". Auch Walter Benjamin, ihr fast gleichaltriger Vetter, schätzte ihre Dichtung über alle Maßen.
Weiterführende Informationen:
Wer war Gertrud Kolmar?
Gertrud Kolmar - Die tragische Schwester der Nelly Sachs
Gertrud Kolmar
Weibliches Bildnis
Gedichte (Gesammelte Gedichte)
DTV, München 1987
Johanna Woltmann
Gertrud Kolmar
Leben und Werk
Wallstein Verlag, Göttingen 1995
Widerstehen im Wort - Studien zu den Dichtungen Gertrud Kolmars
Hrsg. von Karin Lorenz-Lindemann
Wallstein Verlag, Göttingen 1996
Gertrud Kolmar - Leben und Werk, Zeit und Tod
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
Gertrud Kolmar, geboren 1894 in Berlin, ermordet 1943 in Auschwitz, führte die deutschsprachige Lyrik zu einem Höhepunkt. Biografisch begann alles unspektakulär: sie war Hauslehrerin in verschiedenen Familien, wurde Sekretärin ihres Vaters, eines Staranwalts der wilhelminischen Ära. In Berlin, sodann in Finkenkrug, Osthavelland, wuchs ihr Werk heran: vorwiegend Gedichte, auch Erzählungen, Schauspiele, ein Roman. Walter Benjamin, ihr Cousin, verhalf zur Publikation von Gedichten in Zeitschriften.
Auch während des Dritten Reichs schrieb sie weiter der dritte Gedichtband erschien noch 1938 in einem jüdischen Verlag. Nicht veröffentlicht hingegen: Gedichte mit vehementen Anklagen gegen den NS-Terror. Etwa zur gleichen Zeit führte ein Briefwechsel zur Begegnung mit einem völkischen Lyriker. Nach dem Zwangsverkauf der Villa in Finkenkrug lebte sie mit ihrem Vater in Berlin-Schöneberg. Einer der wenigen Besucher im "Judenhaus": Hilde Benjamin, später gefürchtet als Justizministerin der DDR. Gertrud Kolmar, zur Zwangsarbeit verpflichtet, verliebte sich in einen jungen Kollegen.
Dieter Kühns große, vielstimmige Biografie erzählt die Geschichte der bedeutenden Dichterin und ihrer jüdischen Familie, die in die ganze Welt emigrieren musste. In Dokumenten, Berichten von Zeitzeugen und Briefen wird die gesamte literarische und politische Szene präsen.t "Ein atemberaubendes Zeitpanorama", wie Denis Scheck es in seiner Kritik im Deutschlandradio Kultur ausdrückt.
Im Frühjahr 1943 starb Gertrud Kolmar in den Gaskammern von Auschwitz. Viele Zeitgenossen kennen mittlerweile ihren Namen, aber kaum ihre Dichtung und wissen oft nicht, dass diese bedeutende Lyrikerin von Literaturwissenschaftlern mit Annette von Droste-Hülshoff, Charles Baudelaire und Else Lasker-Schüler auf eine Stufe gestellt wird. Ihre Weggefährtin Nelly Sachs nannte sie "eine der größten Lyrikerinnen". Auch Walter Benjamin, ihr fast gleichaltriger Vetter, schätzte ihre Dichtung über alle Maßen.
Weiterführende Informationen:
Wer war Gertrud Kolmar?
Gertrud Kolmar - Die tragische Schwester der Nelly Sachs
Gertrud Kolmar
Weibliches Bildnis
Gedichte (Gesammelte Gedichte)
DTV, München 1987
Johanna Woltmann
Gertrud Kolmar
Leben und Werk
Wallstein Verlag, Göttingen 1995
Widerstehen im Wort - Studien zu den Dichtungen Gertrud Kolmars
Hrsg. von Karin Lorenz-Lindemann
Wallstein Verlag, Göttingen 1996
Simone Weil
"Mühsal und Gefahr sind bei meiner besonderen Geistesverfassung unerlässlich. Das über die Erdkugel ausgegossene Unglück sitzt mir auf, dass ich den Verstand verliere und ich werde erst dann wieder zu mir kommen, wenn ich selber einen Anteil an Leiden und Gefahren erhalte. Ich beschwöre Sie, mir wenn möglich, das nötige Leid- und Gefahrenquantum zu verschaffen, das mich davor bewahrt, unfruchtbar vom Kummer verzehrt zu werden."
Simone Weil wird am 3. Februar 1909 in Paris geboren. Sie wächst in einem großbürgerlichen Milieu auf. Ihr Umfeld ist katholisch geprägt. Später schreibt die junge Frau, sie sei ohne Bezug zur jüdischen Tradition in einem "vollständigen Agnostizismus" erzogen worden. Simone wächst in einem Haus auf, in dem Literatur eine große Rolle spielt. Bergerac, Racine, Corneille werden nicht nur gelesen, sondern auswendig gelernt. Schon als Kind fühlt sie sich zur Schönheit hingezogen - und vom Luxus abgestoßen. Auffällig - und lebensbestimmend ihr Hand zur Askese . Es ist ihr zuwider, sich heraus zu schmücken und mit weiblicher Anmut zu kokettieren.
Im ersten Weltkrieg ziehen die Weils oft um, da der Vater als Arzt an verschiedenen Orten zum Sanitätsdienst eingezogen wird. Simone und ihr drei Jahre älterer Bruder André verzichten auf Zucker und Schokolade, die sie als Patenschaftsgeschenke an Frontsoldaten schicken. Im Winter 1917 sind die Weils mit schwerem Gepäck auf einem Umzugsmarsch. Als Simone sieht, dass ihr Bruder eine schwerere Last trägt als sie selbst, sagt sie:
"Komm, André, nun mach schon. Gib mir Dein Gepäck. Das ist ja viel schwerer als meins."
Die frühe Szene, an die sich Simone Weil später in ihren Aufzeichnungen erinnert, ist typisch für ihren Lebensweg: die eigenen Kräfte bis zur Selbstzerstörung verausgaben. Immer den Weg wählen, der dem augenscheinlich Leichten und Bequemen widerspricht. Als Hitler beginnt, in Deutschland seine Diktatur zu errichten schreibt sie:
"Du könntest dir nicht wünschen in einer besseren Zeit geboren zu sein als in dieser, in der man alles verloren hat."
Ein erschütterndes und zugleich provozierendes Bekenntnis. Dem Unglück als unvermeidliche Erfahrung des menschlichen Lebens nicht ausweichen, sondern existentielles Unglück klaglos erleiden und gleichzeitig das Elend der Beladenen lindern: Das war Simone Weils Credo. In einem autobiographischen Brief deutet sie schon früh eine andere Leitmarke ihres Lebens an: das unerbittliche Verlangen, das eigene Leben mit dem Anspruch absoluter Wahrhaftigkeit leben zu wollen - oder aber gar nicht.
"Mit vierzehn Jahren verfiel ich einer jener grundlosen Verzweiflungen des Jugendalters, und ich wünschte ernstlich zu sterben. Nach Monaten innerer Verfinsterung empfing ich plötzlich und für immer die Gewissheit, dass jedes beliebige menschliche Wesen, selbst wenn es so gut wie keine natürlichen Fähigkeiten besitzt, in dieses dem Genie vorbehaltene Reich der Wahrheit vordringen kann, sobald es nur die Wahrheit ersehne und seine Aufmerksamkeit ständig wach halte, um zu ihr zu gelangen. "
Unter dem Titel "Die Chancen gegen das Vertraute" erinnert Judith Klein im Deutschlandfunk an Simone Weil, die 1943 nach aktiver Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg und in der Résistance-Bewegung starb.
Simone Weil
Das Unglück und die Gottesliebe
Kösel Verlag, München 1953
Simone Weil
Schwerkraft und Gnade
Kösel Verlag, München 1981
Simone Weil
Zeugnis für das Gute
Benziger Verlag, Zürich und Düsseldorf 1998
Otto Betz
Schönheit spricht zu allen Herzen - Das Simone Weil-Lesebuch
Kösel Verlag, München 2009
Imelda Abbt/Wolfgang W. Müller
Simone Weil - ein Leben gibt zu denken
EOS Verlag Erzabtei, St. Ottilien 1999
Erika Schweizer
Geistliche Geschwisterschaft
Nelly Sachs und Simone Weil
Ein theologischer Diskurs
Matthias Grünewald Verlag, Mainz 2005